SCHÄTZE
DER UNGARISCHEN DICHTKUNST
BAND IV

Mihály Vörösmarty

Gedichte

AUSWAHL


DIE NACHDICHTUNGEN SIND VON
GÜNTHER DEICKE
VOLKER EBERSBACH
GÉZA ENGL
FRANZ FÜHMANN
FERDINAND KLEIN-KRAUTHEIM
HANS LEICHT
EINLEITUNG VON GÉZA ENGL
AUSGEWÄHLT VON ISTVÁN KERÉKGYÁRTÓ
GESTALTLUNG VON EDIT ZIGÁNY




Inhalt

Einleitung

An Helvila

Haar, Mund, Auge

Bitterer Kelch

Napoleon

Traum und Wirklichkeit

Schön Ilonka

Mahnruf

Ins Gutenberg-Album

Eisenhütte

In das Stammbuch der Miß Pardoe

An Franz Liszt

Die lebende Statue

Der eine und die vielen

Ich zürne dir

An Laura

Träumerei

An die Sinnende

Peterlein

Schlechter Wein

Gedanken in der Bibliothek

Kampflied

Die Menschen

In ein Stammbuch

Vorwort

Das Leben des Menschen

Der alte Zigeuner

Dein Tag geht zur Neige (Fragment)

Monolog der Nacht

Zalans Flucht (Ausschnitt)






Einleitung

MIHÁLY VÖRÖSMARTY
1800-1855

Im Geleitwort zu einem Bändchen, das den Dichter in etwa zwei Dutzend Gedichten vorstellt, ist es nicht möglich und auch nicht angebracht, ihn eingehend zu würdigen. Dazu reichte ein ganzer Band knapp aus. Hier beschränken wir uns darauf, die Lebenszeit, die Umwelt und die Hauptwerke des Dichters anzudeuten und begreiflich zu machen, warum er zu den Großen gehört. Mihály Vörösmarty, Sohn eines verarmten, als Gutsverwalter tätigen Adligen, lebte von 1800 bis 1855. Diese fünfundfünfzig Jahre schlossen die beschwingte Reformzeit (etwa von 1820 bis 1848), die Revolution, den Freiheitskampf und dessen Zusammenbruch (1849) ein. Danach lebte der Dichter nur noch wenige Jahre, zeitweilig geistig umnachtet, doch er vermochte in dieser Zeit zwei Gedichte, Vorwort und Der alte Zigeuner zu schreiben, die, besonders das letztere, unübertroffen sind - nicht nur in der ungarischen Literatur.

Man geht nicht fehl, wenn man Vörösmarty als den Dichter der Romantik bezeichnet. Der war er als Zeitgenosse von Byron, Victor Hugo, Mickiewicz und Puschkin, aber er war es auch aus freier Wahl, denn er betrachtete es als seine Lebensaufgabe, die Heldenepik, die ungarisch nicht erhalten blieb, neu zu schaffen. Ein durchaus romantisches Vorhaben. Dies gelang dem in vornehmen Häusern als Hauslehrer tätigen, Gedichte schreibenden und Jura studierenden Vörösmarty, als er 25jährig sein großes Heldenepos Zaláns Flucht schuf, eine Heroisierung der ungarischen Landnahme (896), durch das er landweit bekannt, ja berühmt wurde. Die zehn Gesänge des Epos in Hexametern sind meisterhaft aufgebaut und unvergleichlich stark in der Sprache. Zum Vorzug dieses Werkes gehört, daß es stark von Lyrik durchsetzt ist; nicht nur heldische Schlachten, sondern auch eine Liebesgeschichte gehören zum Inhalt.

Wenn wir Vörösmarty zu den Größten der ungarischen Dichtung zählen, tun wir es nicht wegen seiner Epen, die selten gelesen werden und auch nicht wegen seiner Dramen (Ulrich v. Cilli und die Hunyadi, Der Schatzgräber, Ban Marot u. a.), die nicht gespielt werden, sondern wegen seiner Lyrik, und zwar wegen der späteren Gedankenlyrik oder Menschheitslyrik, die zu den begnadetsten Höhepunkten der Dichtkunst gehören. Diese kann man in unserem Bändchen zum wesentlichen Teil nachlesen, während von den Epen nur eine kurze Einleitung zu Zaláns Flucht, besonders von der sprachlichen Wucht, einen Eindruck vermitteln soll.

Die Epik setzte Vörösmarty in zwei Richtungen fort: teils blieb er bei der Verherrlichung der Nationalgeschichte (Cserhalom, Eger) und hierbei seien auch kürzere epische Gedichte erwähnt, von denen die Ballade Schön Ilonka in diesem Bändchen einen eindrucksvollen Begriff geben kann. Andererseits erwachte bei dem Dichter ein Zug zum Märchenhaften, der ihn zu epischen Werken wie Feental und Südseeinsel animierte, aber zur Vollendung brachte er den Hang zum Märchen in seinem einzigen unvergänglichen Bühnenwerk Csongor und Tünde; dieses baut auf alten Märchenmotiven auf, die der Dichter aber ins Philosophische erhöht; er forscht nach dem Sinn des Lebens, läßt außer dem gelungenen dramatischen Beiwerk (triviales Gegenpaar zum Prinzen Csongor und der Fee Tünde, die Hexe Miere, Teufelsburschen u. a.) auch symbolträchtige Figuren, den Kaufmann, den Feldherrn und den Gelehrten, Anwärter auf Reichtum, Macht und Wissen auftreten, um am Ende die Herrin der Nacht einen Monolog über die Vergänglichkeit alles Menschlichen sprechen zu lassen, ein Glanzstück, das ebenfalls in diesem Buch steht.

Nach Ausblicken auf den Epiker und Dramatiker muß zum Lyriker Vörösmarty zurückgekehrt werden, als der er heute Anspruch auf Unvergänglichkeit erheben kann. Anfänglich schrieb er wie jeder junge Dichter zahllose Liebesgedichte von mittlerer Bedeutung (An Helvila; Haar, Mund, Auge), gewichtiger wurden seine Liebesgedichte, als er eine hoffnungslose Jugendliebe überwunden hatte und Laura, die später seine Frau wurde, im Sinn hatte (An Laura; Träumerei; An die Sinnende). Die wahre Größe Vörösmartys zeigt sich jedoch, sobald er das Pathos der Ode erreicht und auch darüber hinausgeht, wenn Menschheitsproblematik, Fragen vom Sein oder Nichtsein ihn beflügeln. Von den wichtigsten, die im Bändchen enthalten sind, sei auf das längste und gehaltvollste Gedanken in der Bibliothek hingewiesen. Darin wird der Sinn der menschlichen Kultur und des Fortschritts in Frage gestellt, und der fürchterliche Satz ausgesprochen: "Ach, schrecklich haust die Lüge überall!" Der Gedanke, daß das Papier, eigentlicher Träger der Kultur, aus Lumpen, dem Abfall der Menschheit, erzeugt wird, erwecken erschütternde Kontraste in der Vorstellung des Dichters, der in der Bibliothek Umschau hält. Dem düsteren Pessimismus, der die Ode beherrscht, gibt der Dichter zum Schluß eine hoffnungsvolle Wendung: Er bekennt sich zum neuen Geist der Freiheit und Gleichheit. Diese Umkehr von der Verzweiflung zur Hoffnung wiederholt sich dann auch im gewaltigen Gedicht, dem Alten Zigeuner. Der Zigeuner, sozusagen ein Nationalrequisit im ungarischen Theater, ist symbolisch zu verstehen, in Wirklichkeit steht und geigt der von Zweifeln zerrissene Dichter selbst da. In den sechs Strophen des Gedichts - dem man kaum eines in der Weltliteratur an die Seite stellen kann - wird die ganze Menschheitsgeschichte nach Schauerlichkeiten durchwühlt, von Kains Brudermord, den Leiden des Prometheus bis zur Gegenwart, dem verlorenen Freiheitskampf der Ungarn, bis zum Krimkrieg, werden kosmische Stürme und die Reaktion des all dies durchlebenden Menschen heraufbeschworen. "Spiel, Zigeuner..." sind die ersten Worte, und die wiederholen sich ungewöhnlich lang, auf vier Zeilen erweitert, als Refrain jeder Strophe. Nun hat aber dieses schauerlich-großartige Gedicht auch noch eine siebente Strophe, die den Trost ausspricht: "...Laß die Saiten ruhen: Einmal wird ein Feiertag noch werden...". Ein Trost, der mehr erdacht als erdichtet ist, eine Notwendigkeit, ohne die es kein Weiterleben geben kann.

An diesen Schluß einen Anschluß zu finden ist schwer, er muß aber doch hier angefügt werden, um eine Schuld an den Patrioten abzutragen. Vörösmarty ging gefühlsmäßig mit den Zielsetzungen der sich anbahnenden und 1848 ausgebrochenen Revolution mit, aber nicht so unbedingt wie der von ihm entdeckte und geförderte Petõfi, von dem er in den kritischen Jahren in den Schatten gestellt wurde; doch er war es, der bereits 1836 den gewaltig erschütternden Mahnruf an die Nation richtete, der - mit Kölcseys Hymnus gleichrangig - jeden Ungarn anspricht und ihm einschärft:

Die weite Welt gibt anderswo
nicht Raum und Heimat dir.
Hier mußt in Segen oder Fluch
du leben, sterben hier.


Géza Engl


An Helvila

Warum erscheinest du in meinen Träumen
aus Tälern südlicher Gefilde?
O Mädchen mit dem Lächeln auf den Lippen,
warum erscheinest du in meinen Träumen,
die du dich von mir wendest, wenn ich wach bin?
Das heitre Morgenrot auf deinen Wangen,
der schönsten Sterne Glanz in deinen Augen,
in Kleidern, wie aus Silberwolken,
sich wiegend in der Abendbrise Hauch:
Erscheinst du meinen kummervollen Nächten
schöner als jemals ein geliebtes Weib
mit Himmelsanmut und der Erde Gnade:
Du kommst zu mir und beugst dich über mich;
anblitzend mich mit Feueraugen,
verjagst die Nacht du meines Kummers,
bringst zum Versiegen meine Tränenflut
und zauberst fröhlich so mein Leben. -
Aber wo bist du? Ach, nur meinen Träumen
erscheinst du und verschwindest mit den Träumen
in Tälern südlicher Gefilde.
Sich röten seh den Morgen ich, den Himmel
noch prächtig, voller Sternenschimmer,
jedoch Helvila mit den süßen Lippen -
am Himmelsdom nicht, in der Sternenkette,
und auch nicht zwischen Wolken, eilend,
ach, nirgendwo ist sie zu finden.
Bedecke mich, o Nacht der Träume,
o deck mich lieber wieder zu,
verhülle mich mit deinem dunklen Schleier,
und komm in deiner Himmelsanmut wieder,
ach, meine Liebste, komm zurück!
Komm doch und beug dich nahe über mich,
anblitzend mich mit deinen Feueraugen,
laß meine Träume endlos sein!

GÜNTHER DEICKE



Haar, Mund, Auge

Haar, Haar, Haar,
schönes Seidenhaar
   ist dies Mädchenhaar!
In der Glut gelöster Locken
baden Schwanenschultern, locken.
   Haar, Haar, Haar,
   schönes Seidenhaar
      ist dies Mädchenhaar.

Mund, Mund, Mund,
schöner Rosenmund
   ist der Mädchenmund!
Nachtigall schlägt wie im Maien,
Perlen glitzern in zwei Reihen.
   Mund, Mund, Mund,
   schöner Rosenmund
      ist der Mädchenmund.

Aug, Aug, Aug,
wunderschönes Aug
   ist dies Mädchenaug.
Drin, im Himmelreich auf Erden,
muß sein Gott die Liebe werden.
   Aug, Aug, Aug,
   wunderschönes Aug
      ist dies Mädchenaug.

GÜNTHER DEICKE



Bitterer Kelch

Wenn stark mit Mannesmut
auf eine Frau du setzt,
und sie mit leichtem Blut
dein ganzes Glück zerfetzt;
wenn sie im Blick ein Lächeln und
verwünschte Tränen trägt,
schärft eines der Begierde Mund,
das andre Wunden schlägt;
so trink und sei gescheit:
Die Welt hält keine Ewigkeit;
sie löst sich auf, vergeht wie Schaum,
es bleibt, was war, der leere Raum.

Wenn dich mit einem Freund
wie Herz und Hirn und Hand
selbst das Geheimste eint
von Ehr und Vaterland;
und er in Meuchelmördertat
ins Herz dir stößt den Stahl,
so daß dein Schicksal durch Verrat
zuuchte wird und schal;
so trink und sei gescheit:
Die Welt hält keine Ewigkeit;
sie löst sich auf, vergeht wie Schaum,
es bleibt, was war, der leere Raum.

Wenn du in Not und Nacht
ums Vaterland dich mühst,
in mörderischer Schlacht
dafür dein Blut vergießt,
und dieses, schlecht beraten,
weist den treuen Dienst zurück
und wird von Feigen, Dummen dreist
geopfert Stück um Stück;
so trink und sei gescheit:
Die Welt hält keine Ewigkeit;
sie löst sich auf, vergeht wie Schaum,
es bleibt, was war, der leere Raum.

Wenn schmerzhaft in der Brust
der Wurm der Sorgen nagt,
wo Glück war, ist Verlust,
du siehst die Welt verzagt
hinschwinden, und von Freude leer
kehrt sich dein Tag und geht,
von neuem anzufangen wär
vergeblich und zu spät;
so trink und sei gescheit:
Die Welt hält keine Ewigkeit;
sie löst sich auf, vergeht wie Schaum,
es bleibt, was war, der leere Raum.

Wenn Kümmernis und Wein
im Hirn sich mischen mild,
erhellt sich von allein
das öde Lebensbild,
dann denke kühn und handle groß
und setz dein Leben dran:
Kein Schicksal findet hoffnungslos
den unverzagten Mann.
So trink und sei gescheit:
Die Welt hält keine Ewigkeit;
doch wie sie steht, solang sie lebt,
sie rastet nicht, sie schafft und webt.

GÜNTHER DEICKE



Napoleon

Weil er zu groß war, mußte die eigene Größe ihn stürzen,
   Himmel und Erde vereint wirkten für seinen Verderb.
Den, der herausragt, zu dulden vermag kein irdischer Neider,
   Und wenn er Göttern gleicht, dulden die Götter ihn nicht.

GÉZA ENGL



Traum und Wirklichkeit

Ich sah im Traum dich und Zorn umwölkte die schöne Stirn dir,
   Doch es verjagte mein Kuß eilend die Wolken des Grolls.

Küße ich wach dich, verfinstert wieder der Zorn dein Antlitz:
   Warum vermag ich es nicht, wach zu träumen das Glück?

GÜNTHER DEICKE



Schön Ilonka

I

Lauernd sitzt der Jäger und versonnen,
hofft für seinen Bogen schnelles Wild,
immer höher und in Gold versponnen
zeigt nach Süden schon der Sonne Bild.
Doch vergebens: an verborgner Stelle
ruht das Wild sich aus an kühler Quelle.

Lange sitzt der Jäger auf der Lauer;
in der Dämmrung kommt ein Zeichen oft,
harrt des ganzen Sonnenbogens Dauer.
Da erscheint das Glück, das er erhofft:
Ach, kein Wild, des Falters leichte Schwinge,
und ein Mädchen folgt dem Schmetterlinge.

"Bunter Falter, Schmetterling, so golden!
Komm und sitz auf meinen Händen still;
führ mich auch, wenn du es willst, zur holden
Sonne, die schon untergehen will."
Sagt's und eilt so, wie die Rehe ziehen,
leicht und zärtlich ist des Mädchens Fliehen.

"Gott!" Auf springt der Jäger wie besessen,
"Königlich ist dieses Wild!" Und er
eilt beflügelt gleich und selbstvergessen
diesem schönen Mädchen hinterher.
Jäger, Mädchen, Falter - um die Wette
schließen sie des reinen Scherzes Kette.

"Hab ich dich!" Das Mädchen ruft's voll Freude,
und sie hascht den bunten Schmetterling.
"Hab ich dich!" Der Jäger fängt die Beute,
wie er niemals eine schönre fing.
Und das Mädchen läßt den Falter fliegen,
sich vom Strahl des schönen Augs besiegen.


2

Steht wohl noch Peterdis Haus, des stolzen
Kriegers, wird er noch am Leben sein?
Ja. Doch seine Habe ist geschmolzen,
und beim Becher sitzt der Greis allein.
Sitzt das Mädchen mit dem Gast zusammen,
hell in seinen Augen brennen Flammen.

Für Hunyadi, aller Knechtschaft Rächer,
für der Heimat unvergeßnen Sohn,
funkelte schon immer hoch der Becher,
fiel des alten Kämpfers Träne schon;
heut die Tränen - einst das Blut vergossen
dort bei Belgrad mit den Kampfgenossen.

"Meines toten Feldherrn Sprößling, lange
leb der König!" spricht der Greis gerührt.
Doch dem Jäger steigt das Blut zur Wange,
und sein Humpen steht noch unberührt.
"Warum steht dein Humpen auf der Stelle?
Nimm ihn, Sohn, und folg dem Vater schnelle.

Zweimal könntest du mich Vater nennen,
und für Schufte tränk ich nicht so gut;
doch ein Mann ist jener, den wir kennen,
niemals schändet er solch Heldenblut!"
Würdig steht der Jüngling, um mit Beben
den gefüllten Becher zu erheben.

"Den du eines Helden Sproß geheißen,
leb, solang er lebt fürs Vaterland!
Doch sein Lebensfaden soll zerreißen,
ist er je der Heimat abgewandt;
denn ein König, bös und ohne Würde,
ist ein Lump und seines Volkes Bürde."

Immer lauter, schneller ging die Stunde
unter ständigem Gespräch dahin.
Und begeistert an des Fremden Munde
hing das Mädchen mit erglühtem Sinn.
Wer wohl mag er sein, wo mag er leben?
Dachte sie und konnt nicht Antwort geben.

"Du, der Wälder schöne Blume, klingen
soll für dich der Becher fort und fort.
Mög dich Gott dereinst nach Buda bringen,
wartend findet ihr den Jäger dort;
denn in Buda, in dem hochgelegnen
Hof des Königs sollt ihr mir begegnen."

So nimmt Abschied er aus ihrer Mitte,
Hörnerklang ruft ihn zu seiner Schar,
auf kein gutes Wort, auf keine Bitte
kann er bleiben, wo zu Gast er war.
"Wisse, Jäger, unsre Tür steht offen,
auf Gastfreundschaft kannst du hier stets hoffen",

spricht bescheiden Schön Ilonka, züchtig
sucht sie auf der letzten Stufe Halt,
auf die Stirne küßt der Mann sie flüchtig,
wandert dann durchs Mondlicht in den Wald.
Still ist nun das Haus, doch ohne Frieden
bleibt die Liebe, von der Ruh gemieden.


3

Bald Peterdi mit der reizend holden
Enkelin macht sich nach Buda auf;
staunend geht er diesen Weg, und golden
steigt vor ihm ein neues Land herauf.
Doch das Mädchen denkt nur an die Stunde,
die ihr bringt vom Jäger frohe Kunde.

Und in Buda: Freude, Festgepränge,
heute kehrt der König heim vom Sieg,
mußt in seinem Zorne Wien bedrängen,
Rache übte er in seinem Krieg.
Manches Herze klopft vor Freude schneller.
Doch Ilonkas Auge wird nicht heller.

Wo ist er, der Freundlich-Unbekannte,
welche Wendung bracht ihm sein Geschick?
Ist er fern? Ist er im Heimatlande?
Sucht im Wald er bei der Pirsch sein Glück?
Und so bangt sie sehr nach einem Zeichen,
schwankend vom Erröten zum Erbleichen.

Und mit kriegerischen Mienen reiten
Ujlaki, die Garas, nun versöhnt.
Und der König kommt, den sie begleiten,
den die Heldenväter einst gekrönt.
Und der Greis erkennt: Dem er begegnet,
ist Matthias - "Und er sei gesegnet!"

"Glanz soll, Segen auf sein Leben fallen!"
Jeder ruft den Namen auf einmal,
hundertfach hört man ihn widerhallen
in den Mauern, über Berg und Tal.
Schön Ilonka steht in bleichem Schrecken,
möchte stumm und eilig sich verstecken.

"Nach dem Jäger bei Matthias sehen,
schönes Töchterlein, was soll's, wozu?
Laß uns wieder in die Wildnis gehen;
Unser kleines Heim dort gibt uns Ruh."
So der Greis, er kennt der Leiden Maße.
Heimwärts geht das Paar die Kummerstraße.

Hast du eine Blume einst gesehen,
die sich beugt in unbekanntem Leid:
So, in Furcht vor allem Weltgeschehen,
welkt Ilonka hin lang vor der Zeit.
Liebe glüht in ihr durch leere Stunden,
aber jede Hoffnung ist geschwunden.

Lilie, früh dem Welken preisgegeben,
Bild der Unschuld und der Traurigkeit:
Voller Qual ging hin ein junges Leben,
schön Ilonka war zum Tod bereit.
Als der König kommt, steht leer das Haus:
Beide ruhn sie in der Heimat aus.

GÜNTHER DEICKE



Mahnruf

Von Lieb und Treu zum Vaterland
bleib, Ungar, stets erfüllt.
Es gibt dir Kraft, und wenn du stürzt,
den Hügel, der dich hüllt.

Die weite Welt gibt anderswo
nicht Raum noch Heimat dir.
Hier mußt in Segen oder Fluch
du leben, sterben hier.

Dies ist der Boden, wo so oft
das Blut der Väter rann,
die Namen, die dir heilig sind,
knüpft ein Jahrtausend dran.

Hier hat einst Árpád und sein Heer
ertrotzt sich dieses Land,
hier brach ein Sklavenjoch entzwei
von Hunyads starker Hand.

Freiheit, dein blutig Banner hat
hier oft im Sturm geweht.
Es hat der lange Kampf und Streit
die Besten hingemäht.

So lebt, vom Schicksal heimgesucht,
in Zwietracht oft verrannt,
vermindert zwar, gebrochen nicht,
dies Volk in seinem Land.

Und Völkerheimat, Erdenrund!
Es ruft dich unsre Not:
Ein tausendjähr'ges Leid fragt jetzt
nach Leben oder Tod.

Es kann nicht sein, daß so viel Blut
so ganz umsonst verrann,
in Bitterkeit manch treues Herz
brach manchem guten Mann.

Es kann nicht sein, daß Geist und Kraft,
so guten Willens voll,
wie unter eines Fluches Last
umsonst verkümmern soll.

Noch kommen wird und kommen muß
einst eine beßre Zeit,
nach der inbrünstiges Gebet
aus aller Herzen schreit.

Vielleicht auch, wenn er kommen muß,
kommt heldisch groß der Tod,
wo überm Leichenfelde dann
das Land im Blut verloht.

Und Völker stehen um das Grab,
in dem ein Volk versinkt,
in aller edlen Menschen Aug
die Trauerträne blinkt.

Von Lieb und Treu zum Vaterland
bleib, Ungar, stets erfüllt.
Es gibt dir Kraft, und wenn du stürzt
den Hügel, der dich hüllt.

Die weite Welt gibt anderswo
nicht Raum noch Heimat dir.
Hier mußt in Segen oder Fluch
du leben, sterben hier.

HANS LEICHT (bearbeitet)



Ins Gutenberg-Album

Wenn mit der schwindenden Nacht die falschen Propheten verstummen,
   steigende Sonne nicht mehr trügende Lehren bescheint:
Wenn aus der Faust der Gewalt die Schwerter endgültig fallen,
   heiligen Friedens Bezirk nie wieder schändet der Mord:
Wenn sich vom Teufelswerk abwenden endlich des Volkes Bedrücker,
   aufsteigt der Bauernstand, menschenwürdig auch er:
Wenn dann das Licht sich vom Westen nach Osten verbreitet,
   liebevoll opferndes Herz adelt die klare Vernunft:
Wenn alle Völker auf Erden gehn miteinander zu Rate
   und mit vereinigter Kraft himmelanstürmend aufschrein,
und aus wirrem Getöse das Wort "Gerechtigkeit!" aufdröhnt,
   sie aber, lange ersehnt, sendet der Himmel herab:
Dann wird dein Name genannt sein mit würdigem, hohem Triumphe,
   dann erst ein würdiges Mal wird dir errichten die Welt.

GÜNTHER DEICKE



Eisenhütte

Schwert sowie Kette und Pflug sind die Gaben des nämlichen Erzes.
   Nahrung, Strafe und Schutz sichern der Heimat die drei.
Kette und Schwert mißbrauchen Tyrannen als Foltergeräte,
   nur der bäurische Pflug bleibt seinem Werk immer treu.

GÉZA ENGL



In das Stammbuch der Miß Pardoe

Mächtiges England, was solln wir als werdendes Volk von dir fordern?
   Glück im glorreichen Kampf oder dein friedliches Werk?
Beispielhaft Gutes tun dem Menschen daheim und im Fernen,
   kämpfen dann lernt unser Volk, leben auf deiner Spur.

GÜNTHER DEICKE



An Franz Liszt

Großer Musiker im Erdenrunde,
heimattreu, wohin du dich gewandt,
hast auf deinen Saiten du zur Stunde
Klänge für dein krankes Vaterland?
Herzerschüttrer, hast du für uns Klänge?
Hast du, Sänftiger des Leids, Gesänge?

Schwere Last seit aber hundert Jahren,
die uns unterdrückte schicksalhaft;
Volk an ihrer Kette, unerfahren,
war in Tatenlosigkeit erschlafft.
Schien sein Blut auch manchmal aufzuwallen -
wollt es doch rasch wie ein Fieber fallen.

Beßre Zeiten kamen. Wiederkehren
mit dem Morgendämmern auf einmal
die erstorbnen Wünsche, das Begehren
unter der Genesung süßer Qual,
und wir brennen wieder, Blut und Leben
für der Ahnen Heimat hinzugeben.

Jeden Pulsschlag fühlen wir zusammen,
bei dem heil'gen Namen pocht das Herz;
ihre Schande macht auch uns entflammen,
wir erleiden mit ihr jeden Schmerz;
Größe hab sie auf dem Throne droben,
Söhne, stark und glücklich, solln sie loben.

Großer Schüler dort, wo Stürme tosen,
wo ein Weltherz schlägt mit starkem Schlag,
wo, getönt von Blutes Purpurrosen,
Sonne endlich aufzugehen wagt,
wo in Volkes wildem Meeresbranden
schnell die alten Ungeheuer schwanden.

Und statt ihrer schneeweiß vor uns allen
gehn der reine Fleiß, der Frieden mild;
und die Kunst in strahlend schönen Hallen
prägt der Zeit auf ihr erhabnes Bild;
hinter jeder Stirn Gedanken blühen,
mächtig sich des Volkes Hände mühen -

Großer Lehrer, laß dein Lied ertönen:
Wenn es von vergangnen Tagen schallt,
sei dein Flügel wie des Sturmes Dröhnen,
in dem unsres Kampfes Donner hallt,
und im Sturz der ungestümen Klänge
höre man unsre Triumphgesänge.

Laß ein Lied ertönen, daß die hehren
Ahnen rührn sich in der Dunkelheit,
nun in ihre Enkel heimzukehren
mit der Kraft ihrer Unsterblichkeit,
Segen bringen ungarischem Lande,
den verräterischen Söhnen Schande.

Wenn dich bannen dunkler Zeiten Nöte,
weht ein Schleier um die Saiten sacht:
Deine Stimme sei des Windhauchs Flöte,
die in herbstlich braunen Blättern klagt,
und in mild besänftigenden Chören
soll sie alte Trauer uns beschwören.

In den Männerarmen der Gedanken
blasse Frau Melancholie erwacht,
vor Mohács sehn unser Heer wir wanken,
und der Bruderkrieg ist neu entfacht,
dann in Tränen findet uns der Schlummer,
lindernd unsrer Herzen späten Kummer.

Weckst die Liebe du zum Vaterlande,
die die Gegenwart umfängt voll Kraft,
knüpfend der Erinnerung schöne Bande,
das Vergangne wahrt und Zukunft schafft,
laß erschallen machtvoll deine Saiten,
daß die Herzen sich in Liebe weiten,

daß in Söhnen Taten sich entfalten,
wie die reine Leidenschaft erwacht,
die, zu tun, zu handeln, durchzuhalten,
Kräftige und Schwache einig macht;
wie ein Mann soll die Nation sich finden,
ehernen Arms die Zwietracht überwinden.

Selbst der Stein, wie Bein von unserm Beine,
sei durchlebt von heil'ger Freude Drang,
Welle, Blut von unserm Blut alleine,
fließt durchglüht den Donaustrom entlang.
Hier, nach schlechten Tagen oder schönen,
soll begeistert diese Erde tönen.

Wenn du hörest, wie mit deinen Saiten
auch die Heimat von dem Lied erklingt,
das im Widerhall in alle Weiten
nun das Volk mit mutigen Stimmen singt,
komm, und segnend heb mit uns die Hand:
Sieh, die Seele lebt in Árpáds Land.

GÜNTHER DEICKE



Die lebende Statue

Ein Standbild bin ich, meine Glieder schmerzen,
in meinen Adern tobt des Blutes Schlacht:
Dumpf schmerzen mir die Muskeln, die erstarrten,
und tote Nerven ringen ohne Macht.

Vor meinen Augen ziehn vorbei die Bilder
der Kämpfe, völkermordend, frührer Zeit:
Der Kämpfer auch für heilig-ewige Rechte
mit Söldnerhorden, die der Norden speit.

Auch sehe ich die Schatten meiner Kinder,
seh, die gefallen in des Endkampfs Wut,
in Dörfern lodert und auf Warschaus Mauern
der Name meines wilden Feinds in Blut.

Ich hör Getöse der verlornen Schlachten,
hör die Verräter flüstern um das Grab.
Und kann nicht schleudern der Verratnen Flüche
auf ihre Köpfe fürchterlich hinab.

Ich kann nicht weinen, obwohl meine Augen
gleich Regenschauern tränen hundertmal:
Doch wenn sie in die rauhe Welt gelangen,
erstarren sie zu hartem Eiskristall.

Gewittergleich in meinem Kopf Gedanken
jagen einander irr und Schlag auf Schlag:
Zum Opfer willig Patriotenfeuer
lodert, und schnöder Treubruch folgt ihm nach.

Und was nach all dem vielen Blutvergießen
hat meinem Volk so großes Leid gebracht,
das Mißgeschick, ist hoher Ruhm - am Morgen, -
Tod, Not und Schande abends nach der Schlacht:

Ein Herz - o welches Leid! - in welchem brennend
die Glut der heiligen Rache sich empört:
Ein Haus im Brand, darin der Hausherr umkommt,
weil schnöd der Nachbar Rettung ihm verwehrt.

Und meine schwere Brust ist voller Seufzer,
weil dieses alte Leiden ewig währt:
Doch bleibt sie stumm, weil einem Zauberwall gleich
der Marmordeckel nun das Herz beschwert.

Mein stöhnend Weh ist stumm, ich kann nicht sprechen,
auf meinen Lippen stirbt mir jedes Wort.
Meiner Gefühle und Gedanken Adler
kreisen in mir nur quälend immerfort.

Das kampfdürstende Schwert ragt hoch erhoben,
doch rührt der angespannte Arm sich nie;
erstarrt im Schreiten stehen meine Beine,
daß ich vor meinen Qualen nicht entflieh.

So löset euch, zu Stein erstarrte Glieder,
brich, Seufzer, aus leblosem Körpers Born!
Sei welterschütternd wie die Not der Nächte
mit Kummer aufgeladen und mit Zorn!

Verlasse, unterdrücktes Wort, den Kerker,
brich aus dem Herzen stumpfen Volks hervor,
daß klinge auf dem ganzen weiten Erdball
von deinem Donner jedes feige Ohr.

Ich will nur wenig euch, doch Großes sagen:
Menschen, Natur, ihr, Nationen all!
Gibt es auf Erden Recht, im Himmel Mitleid,
dann blickt auf mich und sehet meine Qual!

GÜNTHER DEICKE



Der eine und die vielen

Massen sind Menschen, doch Mensch in höherem Sinn ist der eine.
   Mängel sind ärger bei ihm, Tugend - hat er sie - wiegt mehr.
Große Cäsaren verschwinden, gefolgt von bösen Neronen.
   Wer hat zu leiden durch sie, leiden und bluten? Das Volk.

GÉZA ENGL



Ich zürne dir

Ich zürne dir, weil deine Haare braun,
ich zürne dir ob deiner Augen Glanz,
der Augen, die mich zauberhaft durchschaun,
ich zürne dir, dein Mund betört mich ganz.

Ich zürne dir, denn hin ist meine Ruh,
ich zürne dir, du bist zu tugendhaft,
mein Herz ist jetzt bei dir, das raubtest du,
und hältst es sicher ewiglich in Haft.

GÉZA ENGL



An Laura

Dich schaun, weil ich dich liebe,
dich schaun, weil du mich haßt,
denn tödlich sind, ich weiß es,
die Reize die du hast.

Dich schaun, o welche Wonne
zu schaun dein Angesicht.
An deiner trotzigen Schönheit
zu sterben scheu ich nicht.

Dich schaun - es könnt geschehen
für einen Augenblick,
was ich dir gab und gebe,
du gäbst es mir zurück.

Dann würdest du erfahren,
wie grausam ist der Spaß,
wenn Liebe widerwillig
vergolten wird mit Haß.

Vielleicht wirst du bereuen
all deine Grausamkeit,
denn Liebe, die halbherzig:
erzeugt nur Liebesleid.

GÉZA ENGL



Träumerei

Nur dir zulieb
heimsucht' ich meinen Geist
samt tausend flüchtigen Gedanken,
den wilden Phantasien, den schwanken,
dem, was das Herz zerreißt,
nur dir zulieb.

Nur dir zulieb
möchte ein Baum ich sein,
am Berg in grünes Laub mich kleiden,
Gewitters Zorn und Blitz erleiden,
kahl stehn im winterlichen Hain,
nur dir zulieb.

Nur dir zulieb
wär ich im Berg ein Stein,
der brennt in unterird'schen Feuern,
in Schmerzen, die sich stets erneuern,
erlitt' ich alle Pein,
nur dir zulieb.

Nur dir zulieb
würd ich die Seele mein
von Gott dereinst zurückverlangen.
Sie sollt in neuer Tugend prangen
und freudig dir zu eigen sein -
nur dir zulieb.

GÜNTHER DEICKE



An die Sinnende

Wohin nur will dein schöner Blick entgleiten,
da er in ungewisse Ferne strebt?
Sucht er die dunkle Blume alter Zeiten,
auf der die Träne der Enttäuschung bebt?
Vielleicht siehst in der Zukunft fahlem Schleier
du dich von Schreckensbildern gar bedroht,
mißtrauen nun dem Schicksalprophezeier,
der dir ein Glück auf falschem Wege bot?
Schau dir die Welt an: Wieviel Millionen,
wenige aber, die der Tag beglückt!
Die Träumerei wird bitter uns belohnen,
die weit in die gemalten Himmel blickt.
Was könnte einen Menschen denn beglücken?
Wohlstand und Ruhm? Und wär's im Überfluß,
der Unersättliche muß dran ersticken,
und Herzensfreude ist ihm kein Genuß.
Für Sträuße trägt man keinen Wald zusammen;
wer sehn will, blickt nicht in der Sonne Strahl;
wer sich in Wollust wälzt, wird nicht entflammen:
Nur dem Bescheidnen wird kein Wunsch zur Qual.
Wer Herz und Seele menschlich will verschwenden
und wenn sein Lebensdurst nicht ganz entschwand,
wen niemals Stolz und Gier und Glanz verblenden,
nur dieser findet hier sein Heimatland.
So laß die fernsten Wünsche nur verblassen:
Die ganze Welt ist doch nicht mein und dein:
Soviel das Herz für sich vermag zu fassen,
nur soviel wird auch unser Eigen sein.
Was war, was wird - das ungeheure Wogen,
es hat in unsrer Brust zu wenig Raum;
Luftschlösser kommen hoch vorbeigezogen,
vor ihrem Glanz erschrickt des Herzens Traum.
Willst du auf etwas in der Zeit vertrauen,
willst du hier lieben, denken gut und klug,
dann mußt du in der heitern Nähe bauen,
such nicht der weiten Ferne schönen Trug.
Was du besitzest, sollst du nicht verschleudern
für Traumgeld, ungreifbar für deine Hand:
An vagen Träumen wirst du schmählich scheitern,
durch sie wird Heil in Kummer nur gewandt.
So wende deinen schönen Blick und neige
dich uns zu, wie ein Vogel wiederkehrt
nach langem Flug auf seine grünen Zweige,
nachdem die großen Wälder ihn betört.
Bleib doch bei uns mit deinen jungen Blicken.
Weck Frohsinn auf des Freundes Angesicht:
Du, Sonne, sollst den Mittag ihm beglücken,
ihm Freude geben, Kummertränen nicht.

GÜNTHER DEICKE



Peterlein


I

Traurig, mürrisch sitzt der Peter,
   ha, ha, ha!
Gram und Peter! Donnerwetter!
   Fehlt was da?
Treuen Auges schaut die Mutter -
   gutes Weib!
Glaubt, ihr Söhnlein sei womöglich
   krank am Leib.

"Hast auf Klößchen, mein Sohn Peter,
   Appetit?"
"Nein, ich mag nicht, nein, ich mag nicht,
   weg damit!"
"Willst du Wein, mein süßer Junge?
   Sag ein Wort!"
"Nein, ich will nicht, will nicht trinken,
   schütt ihn fort!"

"Willst du Sporen an die Stiefel,
   Peterlein?
Willst du Federn? Fuchspelz auf den
   Dolman dein?"
"Feder, Pelz und Sporen sind mir
   gar nichts wert,
wenn mich wie ein Fuchs im Herzen
   Gram verzehrt."

"Willst ein Buch? Des Nachbarn Bibel
   hol ich her."
"Was soll mir ein Buch! Gerede,
   seicht und leer.
Einen einzgen Freund nur hab ich,
   nur den Tod.
Bald mäht er mich ab in meiner
   großen Not."

"Himmel, mein Sohn Peter, stirb mir
   nicht im Harm!
In dir schwirren Seufzer wie ein
   Bienenschwarm.
Soll die Juliska ich rufen?
   Willst sie sehn?"
"Wo", spricht Jungherr Peter mürrisch,
"ist sie denn?"


II

Ei verflixter Teufelspeter!
Was denn fehlt dem Schwerenöter?
Auf dem Kolpak nicht die Feder,
nicht der spitze Sporn am Leder,
nicht der Fuchspelz macht ihm Freude,
Bibel nicht der Nachbarsleute;
will nicht Kloß, nicht Wein probieren,
doch die Juliska verführen,
zwar recht schelmisch und possierlich,
ist sie lieb und hübsch und zierlich.
Essen, trinken will er nimmer,
doch mit Julchen zärteln immer.


III

"Ei, mein schöner Sohn, mein Peter,
   das fehlt dir!
Will dich großziehn, und mitnichten
   stirbst du mir.
Schlimmer Junge, mach, daß du zur
   Schule rennst!
Fort den Kummer! Will nicht sehen,
   daß du flennst!
Geh zur Schule und vergiß das
   Julchen klein:
Kannst, so Gott will, in zehn Jahren
um sie frein."

GÜNTHER DEICKE



Schlechter Wein

Freund, laß uns trinken, eh die Welt verdorrt,
zumal für Dichter, deren Trank das Wort.
Für einen, der einst schrieb das "Fóter Lied",*
solch ein Gesöff! Seis drum, ihm recht geschieht!
   Heda, Schankwirt, Giftmischer, du,
   was guckst du? Wein her, immer zu!
      Ja, von dem Krätzer bring geschwind,
      da wir doch Ungarns Dichter sind.

Ein Jammerwein, den jeder bei uns trinkt,
egal ob schwarz ob grau sein Bartwuchs winkt,
nur nicht der Pfaff, auch nicht der weise Mann,
die haben, was ich nur erdichten kann.
   Heda, Schankwirt, Giftmischer, du,
   was guckst du? Wein her, immer zu!
      Ja, von dem Krätzer bring geschwind,
      da wir doch Ungarns Dichter sind.

Man sagt, in Erlau wächst - es kann schon sein,
ich hab ihn nicht probiert - der beste Wein.
Besungen hab ich Wein und Helden dort,
doch keiner bot ein Glas mir an am Ort.
   Heda, Schankwirt, Giftmischer, du,
   was guckst du? Wein her, immer zu!
      Ja, von dem Krätzer bring geschwind,
      da wir doch Ungarns Dichter sind.

Wie schön liegt Ménes - mit dem Weinberg gar,
sein Saft ist wie Zigeunermädchenhaar,
so auch das Feuer, das drin glüht und brennt,
und das mir - Kruzitürken! keiner gönnt!
   Heda, Schankwirt, Giftmischer, du,
   was guckst du? Wein her, immer zu!
      Ja, bring vom Ménescher geschwind,
      da wir doch Ungarns Dichter sind.

Wer sah schon Wein, wie der Smaragd so grün?
Wie flüssiges Gold - und schluckweis trinkst du ihn.
Somló, Tokaj, hört, schrei ich laut genug?
Warum gebt ihr dem Dichter keinen Schluck!
   Heda, Schankwirt, Giftmischer, du,
   was guckst du? Wein her, immer zu!
      Vom allerbesten bring geschwind,
      da wir doch Ungarns Dichter sind.

Genug, genug, der tolle Schädel brummt,
die Augen werden trüb, der Mund verstummt.
Hör, Hunnien, wie dich die Klage trifft:
Poeten tränkst du nur mit Fliegengift!
   Heda, Schankwirt, Giftmischer, du,
   was guckst du? Wein her, immer zu!
      Vom allerbesten bring geschwind,
      da wir doch Ungarns Dichter sind.

GÉZA ENGL

* Berühmtes Weinlied des Dichters



Gedanken in der Bibliothek

Bedenk: Wo du jetzt eintrittst, o Gelehrter,
auf fortgeworfnem Lumpenzeug der Menschheit,
mit Lettern, düster wie die Winternacht,
steht aufgedruckt die grauenvolle Lehre:
"Millionen kennen nur die Not der Welt,
und ein paar Tausend wäre Glück beschieden,
wenn sie mit Göttergeist und Engelsseele
die Tage ihres Lebens nützen könnten."
   Wozu der Kram? Daß wir wie Schafe weiden
auf diesem Zeug? Von leerer Wissenschaft
ganz vollgefressen unsern Tag versäumen?
Den Gottestag! Das Leben der Nation!
   Wozu der Kram? Ich spüre am Geruch
die ganzen Sünden dieses Menschentiers.
Auf diesem Blatt steht Tugend; aber einst
war's eines Räubers Rock. Und was ist dort?
Der Unschuld jugendfrohe Tage glänzen
auf der mißbrauchten Jungfrau zartem Kleid
so gut wie auf der Dirne Lotterhemd.
Hier das Gesetz - Gewänder von Rebellen
und falschen Richtern, blutigen Tyrannen:
Nun weißgewaschne Seiten eines Buches.
Geheimnisse von Zahlen und Maschinen!
Doch jene, die das Kleid zerrissen haben,
auf daß ein hübsches Buch daraus entstehe,
sie alle, die, auf Ixions Rad gefesselt,
vom tollen Sturm und Wind getrieben, endlos
in Wahnsinns Abgrund kreisen, sind vergessen.

Ein weiser Kopf träumt auf dem Bett des Irren;
Astronomie mißt Welten über Welten
auf Lumpen einer blinden Bettlerin:
So Licht und Nacht auf einer schlechten Seite!
Ein Buch entstand hier aus dem Kleid von Sklaven,
von Feigen, drin erzählt die Heldenzeit
der Freiheit unvergeßliche Geschichte.
Die Treue spricht, die Freundschaft auf dem Blatte,
das ist gemacht aus des Verräters Kleid.
Ach, schrecklich haust die Lüge überall!
Des fahlen Blattes Totenangesicht
straft Lügen, was gedruckte Lettern sagen.
   Der Länder Lumpen! Bibliothek dein Name,
wo ist das Buch, das uns zum Ziele führt?
Wo ist des größten Teils Glückseligkeit?
Und schritt durch Bücher denn die Welt voran?
Sie ging, daß ruhmreich ihre Völker sind
und ihre Schlacke um so schrecklicher,
daß die erzürnte Brust zerlumpter Menschen
berühmter Brut die Pest herniederseufze.
   Doch solln wir stürzen, was Jahrtausende
beim Tageslichte der Vernunft erschufen?
Der Weisen Werke und der Dichter Schriften
und was aus Goldbergwerken der Erfahrung
die Zeit mühselig an den Tag gebracht?
Wie viele Seelen haben sich zerstört
und wachten an des eignen Herzens Bränden,
um den verirrten, heimgesuchten Menschen
den Halt zu geben, Richtung, Kraft und Trost.
Die stillen, immer noch verkannten Helden,
die - selbstverständlich erst nach ihrem Tod,
und als es kostenlos geschehen konnte -
die Welt mit hohlem Dank vergöttert hat,
Märtyrer volksbeglückender Ideen,
sie alle mit den andern Lumpenhändlern,
mit den zerquälten Köpfen, morschen Herzen
und mit den Lehrern schlechter Leidenschaften,
sie sollen - Gute im Gefolg der Schlechten -
auf glühenden Scheiten ganz zu Asche werden?

   O nein, niemals! Der Schmerz nur sprach aus mir,
weil, ach, so viel entschloßner Seelen Mühen,
so lichte Geister nicht bewahren können
der Scholle Söhne vor des Abgrunds Schmach,
und weil auf dieser Erde kaum ein Winkel,
kaum eine Flur im öden Sand noch ist,
wo man am höchsten schätzt den Namen Mensch
und dem, der diesen Namen trägt, als Erbe
gegeben sind die Urrechte der Schöpfung -
Mit Ausnahme der schwarz gebornen freilich,
weil jene Herren sie als Vieh betrachten,
mit Riemen peitschen Gottes Ebenbild.

   Und doch - und doch: man muß sich heiß bemühen.
Ein neuer Geist beginnt sich hochzukämpfen
und bricht sich durch die Seelen neue Bahn:
In rohe Rassen reineres Gefühl
will er und bessere Ideen flößen,
daß endlich sie im Herzen sich umarmen,
Gerechtigkeit und Liebe bald regieren;
daß auch der letzte Bauer in der Hütte
getrost sich sagt: Ich bin ja nicht allein!
Ich habe Brüder, viele Millionen;
sie schützen mich, und ich beschütze sie.
Ich fürcht dich, Schicksal, nicht, was du auch planst.

   Das ist's, weshalb man nicht verzagen darf.
Laßt uns mit Bienenfleiß zusammentragen,
was unser Hirn in guter Stunde schafft,
und sind die kleinen Steine all beisammen,
erbaun das Babel wir der neuen Zeit,
bis es hoch droben an die Sterne stößt.
Und wenn wir blickten durch die Himmelspforte,
wenn die Musik der Engel wir vernahmen,
wenn alle Tropfen unsres Menschenblutes
durchglüht sind von dem Feuer höchster Lust,
zerstreun wir uns wie einst die alten Völker,
von neuem hier zu dulden und zu lernen.

   Das ist das Schicksal - und es gibt kein Ende.
Kein Ende, eh die Erde nicht verödet
und ihre Kinder nicht zu Stein erstarren.
Was haben wir zu schaffen hier? Zu kämpfen
und zu erfülln die Wünsche unsres Geistes.
Wir Menschen, Erdensöhne, Himmelskinder
mit Seelen, die gleich Fittichen uns tragen,
wie sollen wir, statt höher vorzustoßen,
nur leben wie der Vogel, der im Schlamm,
im Sumpfe rührt gelangweilt alle Tage?
Was haben wir auf dieser Welt zu schaffen?
Nach Kräften für das Edelste zu kämpfen.
Denn vor uns steht das Schicksal unsres Volkes.
Wenn wir es aus dem Abgrund freigekämpft
und in dem reinen Strahl der Geisteskämpfe
so hoch gestellt, wie wir nur reichen können,
dann sagen wir am Ende unsrer Tage:
Dir, Leben, danken wir die Segensgaben!
Es war Genuß und Mannesarbeit auch!

GÜNTHER DEICKE



Kampflied

Nur darum, weil die Freiheit
die Fahne badet rot im Blut;
und weil auf ihren Namen
ein jeder Schurke Unheil ruft,
will ich nicht sehn, o Heimat,
erbleicht dein Angesicht,
doch teuer solln sie büßen
die Blässe, die da spricht.
Zum Kampf, ihr Ungarn, auf!
Zur Waffe! Rennt zu Hauf!
Erkämpft sein muß die Heimat immerdar.
Die teure Erde drum
solln decken ringsherum
bald die Gebeine der Verräterschar.

Und Räuber sind und Gauner
verbündet mit der schnöden Macht,
die Volkes Herz zerstörten
durch Gift und Lüge vorbedacht.
Das Pack, das du erhoben
zur Freiheit hast - zum Lohn
beginnt es jetzt den Feldzug
gar gegen dich, Nation.
Zum Kampf, ihr Ungarn, auf!
Zur Waffe! Rennt zu Hauf!
Erkämpft sein muß die Heimat immerdar.
Die teure Erde drum
solln decken ringsherum
bald die Gebeine der Verräterschar.

Hier sind der Väter Gräber;
Das Gras ist unser, jeder Stein;
In tausendjährigen Kämpfen
floß opfernd unser Blut hinein.
Es steht des Ungarn Seele
bei jedem Halm auf Wacht;
Er gibt mit Arm und Seele
auf jedes Staubkorn acht.
Zum Kampf, ihr Ungarn, auf!
Zur Waffe! Rennt zu Hauf!
Erkämpft sein muß die Heimat immerdar.
Die teure Erde drum
solln decken ringsherum
bald die Gebeine der Verräterschar.

Nun Gott und Welt: Sprecht Urteil!
Verging sich jemals unsre Schar,
wir büßten es und gaben
dem Menschen, was sein Urrecht war.
Auf unsren Fahnen Freiheit
und Unabhängigkeit!
Fluch jedem, der dagegen
zieht in den blutigen Streit.
Zum Kampf, ihr Ungarn, auf!
Zur Waffe! Rennt zu Hauf!
Erkämpft sein muß die Heimat immerdar.
Die teure Erde drum
solln decken ringsherum
bald die Gebeine der Verräterschar.

GÜNTHER DEICKE



Die Menschen

Schweigt, der Gesang soll nicht erklingen,
die Welt ihr Wort beginnt,
und es erfrieren mit glühenden Schwingen
der Regen und der Wind:
Tränenguß, den der Gram auslöst,
Seufzer, den bang das Herz ausstößt.
Geist, Sünde, Tugend, nichts hat mehr Gewicht:
Hofft länger nicht!

Die Völker voreinst hatten Väter,
tat euch die Märe kund,
die Väter wurden Missetäter,
das Volk ging dran zugrund:
Was übrig blieb, schrie nach Gesetzen:
Nun sind sie's, die das Recht verletzen.
Über das Gute hält der Mord Gericht.
Hofft länger nicht!

Heroen dann: Gewaltig traten
das Recht sie in den Staub.
Arbeit gabs viel da: Eisentaten!
Und Ruhm, und Lorbeerlaub.
Zerbrach dann so ein Alexander,
verbiß das Volk sich ineinander.
Und Ruhm? Ein Blitz die Elendsnacht durchbricht:
Hofft länger nicht!

Und langer Frieden, und erschreckend
wächst sich die Menschheit aus,
vielleicht den Tisch der Pest nur deckend
zu üppigerem Schmaus.
Der Mensch schmachtet den Himmel an,
da er die Erde nicht gewann.
Im Grabe noch erdrückt ihn ihr Gewicht.
Hofft länger nicht!

Wie ist die Erde reich, und Menschenhände
mehrn ihren Reichtum noch,
und dennoch martern Plagen ohne Ende,
lastet der Knechtschaft Joch.
Ists ein Gebot? Ists kein Gebot?
Wenn nicht, warum solch zähe Not?
Ob es an Tugend? obs an Kraft gebricht?
Hofft länger nicht!

Vernunft und Bosheit, sie gesellen
sich zum verruchten Bund,
machen die Wut der Dummheit schwellen,
der Kriege letzten Grund.
Tier, Teufel, Zorn, Vernunft, was siegt
von euch: Der Mensch ists, der erliegt.
Der Wahnsinnsschlamm mit Gottesangesicht!
Hofft länger nicht!

Nach so viel Kriegs- und Friedensmühen:
Des Bruderhasses Mal
bleibt auf der Stirn des Menschen blühen,
er ist der Erde Qual;
ihr glaubt er lernt, da er voll List
die schlimmste Missetat ermißt.
Aus Drachenzähnen trat der Mensch ans Licht.
Hofft länger nicht!
Hofft länger nicht!

FRANZ FÜHMANN



In ein Stammbuch

Von schwarzem Grauen ist erfüllt mein Sinn,
aus bitterm Herzen ich nur lästern kann,
ich wünsche, unsre Erde werde hin,
die Völker, Rassen, bis zum letzten Mann!
Was ist die Welt mir ohne Heimat wert?
Verdammte Seele schreit aus mir, beschwört
die ganze Welt, doch alles ist umsonst,
denn das, wofür ich lebte, ist zerstört.
Was wünschst du, edle Dame, welchen Spruch
soll Dir ins Stammbuch schreiben solch ein Wicht?
Gib lieber Du ihm einen Hoffnungsstrahl,
daß unser Land noch nicht zusammenbricht.
Ich würde betteln gehn für solchen Trost,
erkaufen gerne ihn für Hirn und Blut.
Bet du darum, du findst vielleicht Gehör,
was mir, geschlagnem Mann, ein Gutes tut.

GÉZA ENGL



Vorwort

Als ich dies schrieb, da war der Himmel klar,
auf dieser Erde Wipfeln grünten Zweige,
und emsig ging der Mensch der Arbeit nach:
Es schuf die Hand, es wirkte klug der Geist,
Vernunft entflammte, Hoffnung trieb das Herz,
der Frieden, von der Stirn den Schweiß sich trocknend,
gedachte nun den schönsten Preis zu bringen:
Das Menschenheil, um das er sich geplagt.
Zur Feier rüstend, brachte die Natur,
was schön und edel war, ans Tageslicht.

Vor Freud und Hoffnung zitterte die Luft
im Wunsch, die heil'ge Botschaft zuzusenden,
und mit der Stimme einer bessern Schöpfung
zu grüßen neu und glorreich alle Welt.
Das Wort ertönte. Und es hallte wider
in Höhn und Tiefen. Und das Universum
hört' auf zu kreisen einen Augenblick.
Es wurde still, die Stille vor dem Sturm.
Da brach es los. Und eine Schreckenshand
spielte mit Menschenköpfen wie mit Bällen,
zerstampft vom Wetter, brachen Menschenherzen,
von seinem Atem starb das Leben ab,
erlosch auch die erhabne Welt des Geistes,
und auf des Himmels finstres Angesicht,
mit wildem Zucken zeichneten die Blitze
den Zorn der aufgebrachten Götter ein.

Das Ungewitter brüllte immerfort,
ganz wie ein toll gewordnes Ungeheuer.
Wohin es schritt, in seiner Schreckensspur
stiegen aus Knochenbergen röchelnd auf
die letzten Flüche der zerrißnen Völker,
und hilflos legt das Elend nun sein Haupt
in Schutt und Asche der zerstörten Städte.
Jetzt herrschen Winter, Stille, Schnee und Tod.
Die Erde aber ist jählings ergraut;
doch nicht allmählich wie friedliche Menschen,
nein, über Nacht ergraut, wie einstmals Gott,
der, als die Welt er schuf und dann den Menschen,
halb Gott im Wesen und noch halb ein Tier,
erschauderte ob seiner düstren Schöpfung
und vor Entsetzen grau ward, müd und alt.
Bald kommt der Lenz gegangen, ein Barbier,
die graue Erde nimmt dann die Perücke
und legt den Blumen Samt und Seide an.
Von ihren starren Augen taut der Frost,
mit Düften und mit grell geschminkten Wangen,
täuscht Freude sie und frische Jugend vor.
Ihr aber fragt die alte Sünderin:
Wo tat sie die erschlagnen Söhne hin?

GÜNTHER DEICKE



Das Leben des Menschen

So wie die reife Frucht
der Baum nicht länger trägt,
fällt auch der müde Mensch,
wenn seine Stunde schlägt.

Ob Tugend, Sünde, Freude,
Kummer sein Leben gab,
der Urteilsspruch des Volkes
steht einst auf seinem Grab.

Mit der zerbrochnen Laute
zugleich zerbricht ihr Ton,
so mitten aus dem Leben
geht mancher gute Sohn.

Vergeblich war er ruhmreich,
war schön und stark und jung:
der Stolz seiner Gesellschaft,
Held voll Begeisterung,

vergeblich gab er Damen
Entzücken weit und breit,
vergeblich Patrioten
Kampflust und Tapferkeit.

Nach Schätzen lechzten andre,
er fand ein lauteres Glück,
er widmete sein Leben
dem höheren Geschick.

Selbstloses, reines Opfer,
das war sein Menschentum:
Heil einem solchen Menschen!
Er lebt sich selbst zum Ruhm.

Berührte ihn das Leben,
wie Wind die Saiten streicht,
war das ein süßes Klingen,
dem schönsten Liede gleich.

Vergebens! Er muß gehen
noch vor der Zeit hinab,
hinunter unerbittlich,
erbarmungslos ins Grab.

Doch wer soviel gelebt hat,
den deckt das Grab nicht zu.
Die Dankbarkeit umschlingt ihn
und hütet seine Ruh.

Wo er gelebt, lebendig
wird sein Gedächtnis sein.
Die Erde zieht den Segen
aus seinen Wurzeln ein.

Und auf dem Baum, hochragend,
wo er gewachsen war,
erglänzen seine Taten
gleich Früchten wunderbar.

Und Zeit und Welt vollenden
das Werk, das seiner Kraft
zu enden nicht gestattet
das Leben schicksalhaft.

GÜNTHER DEICKE



Der alte Zigeuner

Spiel, Zigeuner, hast den Lohn vertrunken,
laß vergebens baumeln nicht das Bein!
Was sind Sorgen wert bei Brot und Wasser?
Füll dazu den Humpen dir mit Wein.
Stets war dieses Leben so auf Erden:
Einmal Frost wollt's, einmal Flamme werden.
Spiel, wer weiß, wie lang die Saite schwirrt,
wann der Bogen dir zur Krücke wird;
Herz voll Kummer, Becher voller Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

Wallen soll dein Blut, so wie der Wildbach,
laß das Hirn in deinem Schädel schüttern,
laß die Augen brennen wie Kometen,
laß die Saiten ungestüm gewittern,
hart wie Hagelschlag im Sommerlichte,
der die Menschensaaten macht zunichte.
Spiel, wer weiß, wie lang die Saite schwirrt,
wann der Bogen dir zur Krücke wird;
Herz voll Kummer, Becher voller Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

Stimm ins Lied des Sturms ein, wie er auffährt,
wie er brüllt und jammert, weint und wimmert,
Wild und Menschen tötet, Leben abwürgt,
Bäume ausreißt, Schiffe ganz zertrümmert.
Krieg ist wieder tobend aufgestanden,
Gottes Grab erbebt in heiligen Landen.
Spiel, wer weiß, wie lang die Saite schwirrt,
wann der Bogen dir zur Krücke wird;
Herz voll Kummer, Becher voller Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

Woher kam der Seufzer, zag, verhalten,
was will dieser Schrecken, dieses Jagen,
und was hämmert am Gewölb des Himmels?
Mahlen Höllenmühlen diese Klagen?
Träume, Engelsturz, geschlagne Heere,
sucht ihr Hoffnung in der wüsten heere?
Spiel, wer weiß, wie lang die Saite schwirrt,
wann der Bogen dir zur Krücke wird;
Herz voll Kummer, Becher voller Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

Als ob wieder des empörten Menschen
wildes Keuchen in der Wüste klänge,
niedersauste Brudermörders Keule,
schwelln der ersten Waisen Grabgesänge;
und wir hörn des Geiers Flügelschlagen
und, unsterblich, des Prometheus Klagen.
Spiel, wer weiß, wie lang die Saite schwirrt,
wann der Bogen dir zur Krücke wird;
Herz voll Kummer, Becher voller Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

Dieser blinde Stern, die Elendserde,
mag sich drehn in tödlichen Gewässern,
und in Sünden, Unflat, falschem Prunk soll
endlich sie ein Feuersturm verbessern.
Dann erst mag die Arche Noah kommen,
einer neu entstandnen Welt zu frommen.
Spiel, wer weiß, wie lang die Saite schwirrt,
wann der Bogen dir zur Krücke wird;
Herz voll Kummer, Becher voller Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

Spiel! Doch warte - laß die Saiten ruhen:
Einmal wird ein Feiertag noch werden,
wenn des Sturmes letzte Wut ermattet,
Zwist im Kampf vergangen ist auf Erden,
dann spiel auf, Begeisterung zu erneuen,
daß die Götter selber sich dran freuen.
Wenn die Stirn sich endlich glätten kann,
dann erst setz den Bogen wieder an,
füll dein Herz sich mit der Freude Wein,
spiel, Zigeuner, laß die Sorgen sein!

GÜNTHER DEICKE



Dein Tag geht zur Neige

(Fragment)

Dein Tag geht schon zur Neige,
zur Neige geht dein Glück,
gäbs beides noch, wozu denn?
Du gäbest es zurück.
Dein Blut hat sich verdickt und
dein Hirn ist ausgebrannt,
auf deinen müden Schultern
zerrissen das Gewand.
Dein Geld geht auch zur Neige,
zur Neige geht der Wein,
was bringt dir, Ungarns Dichter,
denn noch das Frührot ein?
Gibt es noch eine Hoffnung,
für dich noch einen Tag?
Wie oft im Mannesalter
dein Geist in Träumen lag,
nach Herzenslust zu spielen
mit all der Hoffnung, ach...

GÜNTHER DEICKE



Monolog der Nacht

AUS DEM MÄRCHENSPIEL
CSONGOR UND TÜNDE

Im Anfang war das Nichts; doch ich, die Düstre,
die stille wesenlose Nacht, ich war,
und ich gebar das Licht zum Kinde mir.
Mit übermächtgem Strahl vermochte es
sich meinem Schoß entwinden; machte tief
die weiten Wüsteneien des Nichts erbeben.
Und tausendköpfig trat das Ungeheuer,
das All hervor. Die vielen Himmelswunder,
der Mond, die Sterne wurden stille Wandrer
durch unbegrenzte Raumendlosigkeiten.
Darauf entschwand der alten Ruhe Schlaf:
Die Körper setzten sich in Urbewegung,
die Tat war nun die neue Schöpferkraft,
und mit den Taten reich und mit Bewegung
erfüllten Zeit und öder Raum sich bald.
Die Meere und die Erde stritten sich im Kampf
um der verdrängten Lüfte Urbesitz;
und steigen ließ das Meer die wilden Wogen,
worauf der Himmel, den ihr Zorn noch eben
bedrängte, strahlte aus den Tiefen auf
wie eine Braut, so schön und heiter glänzend.
Im Blumenkleid die Erde prangte prächtig.
Es regte sich der Staub, in ihm die Tierwelt,
da stand der Mensch und zeugte sein Geschlecht,
das fromm erlauchte, mörderische, falsche...
Es blieb jedoch das graue Nichts: Ich blieb,
die düstre, lichtentrückte Nacht, die bin ich.
Der Wurm vergeht, ist gleichsam Schaumgebilde,
denn Zeit ist seinem Dasein kaum bemessen,
die Schwingen werden nie den Aar erlösen
und Pranken nicht das Wild; des Waldes Riesen
zermürbt die Schwere der Jahrhunderte.
Der Mensch erblüht, ein Strom des Glanzes ist er,
der Geist, in dem das All sich widerspiegelt.
Er blickt mit heißer Lust empor, begeistert
bestaunt er Erd und Himmel unverwandt.
Doch rasch verblüht ist seine Jugendzeit,
nach ein paar Lenzen wird er greis und kraftlos
und schwindet hin, gleich schlechter Fliegenbrut,
im Nichtsein dieser gleich. Sein Leben lang
wühlt er mit nie gebrochenem Tatendrange
und wirkt und sinnt und strebt nach Wissen dürstend.
Er wähnt wohl mit der Hand, der sterblichen,
die Werke der Unsterblichkeit zu schaffen.
Selbst dem Verblichenen, ja, seinem Staube
errichtet Eitelkeit noch stolze Werke,
Gesteine türmen hoch sich auf den Gräbern
wie Tempel prunkhaft und mit tausend Zeichen,
die noch der Geisteskraft gewidmet wurden.
Wo bleiben aber Zeichen, Stein und Säulen,
wenn Erde, Meer, das All verschwunden sind,
die Sonnen müd aus ihren Bahnen gleiten,
Gesteine berstend ineinander stürzen,
das All zerbricht und auf dem Trümmerhaufen
verbrennt die schöne Welt und wird zur Asche,
und wo sie anfing, wird ihr Ende sein:
Das wesenlose Nichts wird wieder walten,
nur ich, die stille Nacht, ich bleib bestehen.

FERDINAND KLEIN-KRAUTHEIM



Zalans Flucht

VERSEPOS IN ZEHN GESÄNGEN
(AUSSCHNITT)

Erster Gesang

Ruhm unsrer Vorzeit, wo harrst du noch aus in nächtlichem Dunkel?
Einsam ziehst du dahin mit ersterbendem Licht in der Schar der
längst verstrichnen Jahrhunderte. Dichtes Gewölk überschattet
dich und das unbekränzte Gespenst des bittren Vergessens.
Wer hat ein streitbares Lied auf verwegenen Lippen und rüttelt
auf die dröhnende Tiefe mit kriegerisch donnernden Worten,
läßt nach späten Äonen den panthergewandeten Herrscher
Árpád erstehen, die Macht seines heerevernichtenden Volkes?
Wo ist der Mann? Ach- Tausende wenden sich ab und verstummen:
Tod bricht die Herzen im Schlaf, und so schläft auch der Ruhm unsrer Vorzeit.
Zeiten der Ohnmacht brachen nun an, auf die kraftvollen, frommen
Väter folgten die Kinder, bestrebt, mit Schwächen zu glänzen.
Solch ein Jahr gab auch mich, den spätgeborenen Enkel,
eben am Tage der Ruhe dem Licht. An der Schönheit des Mädchens,
die nicht von Dauer ist, hing ich anfangs mit arglosen Augen,
sang statt des unerfüllten Verlangens die Lieder der Klage.
Himmel und Erde bestürmte mein Flehen, doch immer vergebens.
Da aber nun die stürmischen Tage der Jugend dahin sind,
spür' ich gefestigte Kraft: In der Brust erscheint mir in hehren
Bildern der siegreiche Ügek und auch der tapfere Álmos,
und sodann des Álmos edelgesitteter Sohn, der
panthergewandete Árpád. - Wirst du mich hören, o Heimat?
Hören mein Wort die begabten, nach Großem trachtenden Söhne?
Nacht wird es. Traurig verschwimmen die Gipfel im Dunkel, das Leben
findet zur Ruhe, zur Lagerstatt wird die Hälfte der Erde.
Ich aber wache, die herrlichen Taten der Vorzeit bedenkend.
Dämmernd erahnt meine Seele bewimpelte Lanzen, den Stahl der
Schwerter im sausenden Hieb, es donnert und blitzt im Getümmel.
Vorn gewahrt' ich die Väter im Fellumhang, feurige junge
Recken auf rasenden Rossen stürmend, zu sterben, zu töten,
seh' deine Fahne, Bulcsú, mit schwellenden Tränen im Auge.
O ihr Kinder des Vaterlands, hört denn, was ich euch sage!
Kommt mein Wort auch spät, so birgt es doch in sich den Sturmwind
tödlicher Kämpfe, wie der Schritt der Zeit es erfordert.

VOLKER EBERSBACH