{XIII.} Vorwort

Das Land, welches die Deutschen Siebenbürgen, die Ungarn Erdély und die Rumänen Ardeal, Transilvania nennen, besitzt eine große Vergangenheit und hat ein überaus wechselhaftes Schicksal hinter sich. Es liegt westlich und nördlich des Gebirgsbogens der Karpaten, der von der Marmarosch bis Kronstadt und schließlich bis an die untere Donau reicht, und ist Teil des rumänischen Staates. Im Westen grenzt es an die Große Ungarische Tiefebene. Das heutige Siebenbürgen ist eigentlich größer als die geographische Region, die mit ihrem Gebiet von ungefähr 57 000 km2 in der alltäglichen und politischen Praxis vor dem ersten Weltkrieg das historische Siebenbürgen darstellte. Heute versteht man unter Siebenbürgen bereits jenes größere Gebiet von ungefähr 102 000 km2 Ausdehnung, das sich zwischen den Karpaten und der ungarischen und jugoslawischen Staatsgrenze erstreckt und das sogenannte Partium und einen Teil des Banats mit umfaßt.

In Siebenbürgen lebten und leben seit vielen Jahrhunderten Ungarn, Rumänen, Sachsen und andere kleinere ethnische Gruppen miteinander, und schon deshalb nimmt Siebenbürgen einen sprachlich, religiös und kulturell besonderen Platz in Europa ein. Das Gebiet hat im Verlaufe der Geschichte zu den unterschiedlichsten Staatsformationen gehört, es war dakisches Königreich, Provinz des Römischen Reiches, jahrhundertelang fester Bestandteil des mittelalterlichen Ungarn, es war ein Fürstentum in stärkerer oder schwächerer Abhängigkeit vom Osmanischen Reich, sodann stand es unter der Oberhoheit der Habsburger und wurde 1848/49 für kurze Zeit und 1867 für ein gutes halbes Jahrhundert wieder mit Ungarn vereinigt, im Rahmen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seit dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches (1918) und dem auf die Revolution folgenden Friedensvertrag von Trianon (1920) ist Siebenbürgen eine wichtige Provinz Rumäniens.

Im historisch-politischen Bewußtsein sowohl der Ungarn als auch der Rumänen nimmt dieses Land eine Sonderstellung ein, weil Siebenbürgen wiederholt zum Brennpunkt der historischen und kulturellen Entwicklung beider Völker wurde, während die Existenz der Siebenbürger Sachsen mit diesem auch an landschaftlichen Schönheiten reichen Land ebenfalls ganz eng verbunden ist.

Dies alles legt die Schlußfolgerung nahe, daß die Vergangenheit Siebenbürgens schon seit alters her ein Streitobjekt nicht nur der Politik, sondern {XIV.} auch der Geschichtswissenschaft war. Ein Beweis dafür ist das starke Echo auf das dreibändige Werk, das vom Institut für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften 1986 beim Budapester Akademieverlag herausgegeben wurde. Die Verfasser dieses umfangreichen Werkes waren bemüht, die Geschichte Siebenbürgens mit soviel Objektivität wie möglich und der nötigen Distanz, also dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit folgend, zu schreiben. Sie strebten danach, die Charakteristika aller drei Völker mit ihren wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Aspekten gleicherweise zu berücksichtigen. Sie hielten es für wichtig, die Vergangenheit dieser seit langem mit vielfältigen Problemen konfrontierten Region möglichst frei von Wertungen darzustellen, und dadurch alte Wertungen keineswegs durch neue zu ersetzen.

Erfreulicherweise hat das starke Echo auf diese dreibändige Monographie nicht nur die Anerkennung der Fachkritik im In- und Ausland über den bahnbrechenden Charakter, die gründliche und oft auf neue Forschungen gestützte Materialsammlung und die Objektivität erbracht, sondern auch auf einzelne Fehler, Unausgeglichenheiten und jene Themenbereiche hingewiesen, in denen die Forschung fortgesetzt werden muß. Umso mehr ist zu bedauern, daß die damalige offizielle Politik Rumäniens (und deren Historiker) eine überaus intensive politische Kampagne gegen diese Arbeit und ihre Verfasser entfacht und sie des Nationalismus, revanchistischer Gebietsforderungen und bewußter Geschichtsfälschung beschuldigt hat. Diese Reaktion belegt, daß die ungelösten nationalen und Nationalitätenfragen nicht nur die Zusammenarbeit der Historiker und damit eine vielseitige analytische Beschäftigung mit den Problemen der Vergangenheit verhindern, sondern auch das Zusammenleben der betroffenen Staaten und die Kontakte zwischen den Menschen erschweren.

Den Lesern im Ausland ist die dreibändige Geschichte Siebenbürgens freilich nur insoweit zugänglich, als sie des Ungarischen mächtig sind. Somit entstand das Bedürfnis, zur Information der ausländischen Fachwelt und Leserschaft das Werk zu übersetzen und in verkürzter Form herauszugeben. Diesem Anspruch konnten wir nur dadurch nachkommen, daß wir zwar aus der großen Synthese schöpften, aber ein mehr oder weniger neues Buch schrieben, das unter Berücksichtigung der Kenntnisse des ausländischen Publikums die wesentlichsten Aussagen der drei Bände enthalten soll.

Leider konnten nicht mehr alle der ursprünglichen Autoren und Redakteure an dieser Arbeit teilnehmen; wegen des Ablebens von András Mócsy und Zsolt Trócsányi mußten Gábor Vékony und Ambrus Miskolczy die Umarbeitung deren Kapitel übernehmen, weshalb diese nun als gemeinsames geistiges Eigentum des ursprünglichen Verfassers und des Bearbeiters gelten müssen. Die Redaktionsarbeit András Mócsys hat István Bóna übernommen. László Makkai konnte seinen Text noch fertigstellen, ist aber während der Drucklegung des Bandes gestorben.

Die Autoren waren bemüht, die neuen Ergebnisse ihrer jüngsten Forschung mit zu berücksichtigen, die eingegangene Kritik zu beherzigen und offensichtliche Fehler auszumerzen. Deshalb läßt sich mit Recht sagen, daß die gekürzte Variante der Geschichte Siebenbürgens ein neues Werk ist, das im Einzelfall auch neue Angaben enthält. Eine Änderung besteht auch darin, daß der Ausblick auf die Zeit nach 1918 mit der Zäsur 1945 endet, da die Bewertung der Zeit nach 1945 zum Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen wurde {XV.} und keine genügend zuverlässigen Daten und Bearbeitungen zur Verfügung stehen, um eine gründlichere fachwissenschaftliche Stellungnahme zu gewährleisten.

Wie schon bei der dreibändigen Ausgabe geben die Autoren nicht irgendeinen – übrigens gar nicht existierenden – „offiziellen ungarischen Standpunkt“ wieder, sondern ihre eigenen Ansichten, was zugleich bedeutet, daß sie in gewissen Fragen auch untereinander nicht völlig übereinstimmen. Im Laufe der Redaktionsarbeit waren wir bemüht, diese Ansichten möglichst in Einklang zu bringen, deuten jedoch auch die weiterhin offenen Forschungsfragen an.

Zahlreiche Diskussionen haben die Autoren in ihrer Überzeugung noch bestärkt, daß die Abfassung der Geschichte Siebenbürgens eine Historikeraufgabe ist, die das Grundproblem, den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit einzulösen, berührt und ihnen damit eine große Verantwortung vor der Fachwelt und der Öffentlichkeit auferlegt. Sie sind der gemeinsamen Überzeugung, daß für die Kenntnis der Vergangenheit die Fakten zu beachten sind und diese im Kontext ihrer Entstehungszeit dargestellt, analysiert und bewertet werden müssen. Das bedingt auch einen offenen Bruch mit jener Tradition der nationalistischen Romantik, die mit dem sog. historischen Recht irgendeine politische Ideologie oder ein Nationalbewußtstein untermauern möchte. Gleichfalls ist jeder Reduktionismus abzulehnen, jede ausschließlich ideologisch ausgerichtete Vereinfachung, die von den ältesten Zeiten an mit einem einzigen Faktor, nämlich dem ethnischen, die historischen Abläufe zu erklären versucht. In Frage zu stellen ist auch jener Finalismus, der die ethnischen und staatlichen Verhältnisse des 20. Jahrhunderts auf die Vergangenheit zurückprojiziert. Auch wenn den Unabhängigkeitskämpfen und den Bestrebungen zur Nationalstaatsbildung große Wichtigkeit beizumessen ist, können diese nicht als das einzige Erklärungsprinzip der Geschichte angesehen werden. Bis zum Entstehungsprozeß der modernen Nationen waren die von den ethnischen Verhältnissen vielfach unabhängigen ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren bestimmend, die auch seitdem kaum etwas von ihrer Bedeutung eingebüßt haben. Schließlich gehen wir auch von der Überzeugung aus, daß es im Interesse jedes einzelnen Volkes liegt, mit den anderen Völkern zusammenzuarbeiten und zu kooperieren und auf dieser Grundlage die kollektiven und individuellen Rechte der anderen anzuerkennen sowie ihre Sprache, Kultur und Geschichte zu achten.

Die Geschichte Siebenbürgens ist auch mit der des deutschen Volkes verknüpft, da seit dem 12.–13. Jahrhundert die beachtlich große „sächsische“ (ursprünglich eher fränkische) und seit dem 18. Jahrhundert die „schwäbische“ Volksgruppe von ihrer Ansiedlung an stärkere oder schwächere Beziehungen mit Deutschland unterhielten. Von der Geschichte der hier angesiedelten Deutschen kennt das deutsche Publikum zahlreiche, seit dem vergangenen Jahrhundert in deutscher Sprache erschienene Dokumentenbände und Darstellungen und von den Publikationen unserer Tage insbesondere die materialreichen Schriftenreihen „Siebenbürgisches Archiv“, „Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens“ und „Studia Transylvanica“. Unserem vorliegenden Band wiederum läßt sich unsere eigene Sicht von der Geschichte der in Siebenbürgen lebenden Deutschen entnehmen, gerade im Zusammenhang mit der vielhundertjährigen gemeinsamen Geschichte aller drei Völker.

{XVI.} Die Orientierung wird in unserem Band durch Literaturverzeichnis, Zeittafel, Karten, Bilder sowie ein Ortsnamen, Personennamen und Sachbegriffe enthaltendes Register gewährleistet. Die Personennamenschreibung folgt der Brockhaus-Enzyklopädie, die Vornamen der Herrscher sind deutsch angegeben, wobei beim ersten Vorkommen die ungarische oder sonstige Namensform in Klammern beigefügt wird. Bei den geographischen Namen werden einheitlich die deutschen Namen aufgrund des Duden-Wörterbuches verwendet, selbst dann, wenn es sich um kaum oder überhaupt nicht benutzte amtliche Namensgebungen handelt oder die Bewohner der betreffenden Ortschaft nichtdeutscher Muttersprache waren. Wo keine deutsche Namensform existiert, wird der zur betreffenden Zeit jeweils übliche ungarische Ortsname benutzt. Das detaillierte Register enthält im übrigen auch alle verschiedensprachigen Ortsnamen-Varianten.

Wir haben die Hoffnung, der Leser werde diese Information mit wissenschaftlichem Anspruch, die die Autoren von der wahrhaft komplizierten Geschichte Siebenbürgens geben, gerne und bereitwillig aufnehmen; vielleicht ermöglicht sie ihm, mit der kritischen Anschauung unserer Zeit die Vergangenheit zu überdenken. Unsere Hoffnung, den Leser mit diesem Buch möglichst umfassend über die Geschichte Siebenbürgens zu informieren, verbinden wir mit dem Wunsch, daß unser Werk ihn auch zum Nachdenken über Gegenwart und Zukunft anregt und hinreichenden Stoff dazu bietet. Der lateinische Spruch „Historia est magistra vitae“ wird zwar häufig zitiert, in Wahrheit wird aber aus der Geschichte recht wenig gelernt. Die widersprüchliche Geschichte Siebenbürgens legt Zeugnis nicht nur davon ab, sondern fordert uns alle dazu auf, nationalem Haß, wechselseitiger Gewaltanwendung und der Verletzung der Menschenrechte in diesem Teil Europas ein Ende zu setzen und statt dessen das gegenseitige Verständnis, Toleranz sowie die geschriebenen und ungeschriebenen Normen des Zusammenlebens zur Geltung zu bringen. Das liegt ganz im Interesse der hier lebenden Nationen und Menschen. Wenn unsere bisherige Arbeit zur Anerkennung dessen beitragen sollte, dann waren unsere Anstrengungen sicherlich nicht vergeblich.

BÉLA KÖPECZI