{311.} 2. Die Herrschaft von Gabriel Bethlen


Inhaltsverzeichnis

Das Erstarken der türkischen Macht

Gabriel Bethlen, der den neuen walachischen Woiwoden empfing und später der bedeutendste Herrscher Siebenbürgens werden sollte, war 1611 bereits einer der führenden Politiker, allerdings noch weit vom Fürstenthron entfernt. Sein Auftreten wurde von der Geschichte gleichsam erzwungen. Den Auftakt für die nun folgende Ereigniskette bildete eine verstärkte außenpolitische Aktivität der Türken auch gegenüber Siebenbürgen.

Der Rückruf von Gabriel Báthory war bereits ein Zeichen dafür gewesen, daß sich der Himmel über den zwei Woiwodschaften verfinsterte. Vergeblich bat Radu Şerban sowohl Wien als auch Polen um Hilfe, er selbst vermochte Mihnea nur für kurze Zeit zu vertreiben. Aus der Moldau wiederum floh die von Polen unterstützte Movilă-Familie, so daß auch dort ein den Türken genehmer Herr eingesetzt wurde. Die Macht der Pforte über die beiden rumänischen Woiwodschaften wurde damit erneut überaus gestärkt.

Von solchen Veränderungen blieb Siebenbürgen einstweilen verschont, wenn auch das Kräftespiel der Großmächte hier ebenfalls bereits begonnen hatte. Der heimkehrende Gabriel Báthory zog den Krieg ins Fürstentum hinein. Zunächst überfielen zwei Paschas von Ungarn her das Land, um den mit der Eroberung der Walachei beschäftigten Fürsten in den Rücken zu fallen. Sie weilten zwar nur kurze Zeit in Siebenbürgen, da sie aber unterwegs die Haiduckensiedlungen überrannt hatten, eilten die Haiducken wie ein Mann aus der Walachei nach Hause. Sie überschwemmten Siebenbürgen und die benachbarten Gebiete des königlichen Ungarn. Die harte Arbeit ihrer Ansiedlung konnte wieder einmal von neuem begonnen werden. Der mißmutig heimgekehrte Fürst – der ihnen den Sold nicht bezahlen konnte – schickte sie in die Nähe des reichen Kronstadt, da er jetzt die Besetzung dieser sächsischen Stadt plante.

Zuerst versuchte der Haiduckenführer András Nagy die Stadt einzunehmen, doch soll ihn der Kronstädter Rat bestochen haben, jedenfalls zog er ab. Dann kam der Fürst selbst ins Burzenland und bat Kronstadt um Einlaß. Nun kam es zum offenen Bruch zwischen Gabriel Báthory und den Sachsen: Statt ihm am 11. Juni 1611 die Tore zu öffnen, drohte ihm der Kronstädter Rat mit bewaffneter Vertreibung. Báthory zog sich nach Hermannstadt zurück, Kronstadt aber konspirierte unter Führung des Stadtrichters Michael Weiß mit dessen altem Bekannten, dem walachischen Woiwoden Radu Şerban, der um Hilfe gebeten wurde. Dessen Lage war selbst nicht gefestigt, doch brach er trotzdem sofort zur Unterstützung der Kronstädter auf. Anfang Juli kam es zu einem Treffen, das Báthory unter großen Menschenverlusten verlor, selbst aber fliehen konnte.

Nach Radus Eingreifen ließ sich die Bewegung der Kronstädter nicht mehr als Sache einer einzigen Stadt betrachten. Viele Vertreter der Adelsopposition schlossen sich an, und die Ereignisse wirbelten auch im königlichen Ungarn viel Staub auf. Gegen Báthory zog der Kaschauer Kapitän Zsigmond Forgách ins Feld, unterstützt von oberungarischen Magnaten und in Begleitung vieler von ihnen. Gemeinsam mit den Truppen aus den Woiwodschaften belagerten sie den in Hermannstadt eingeschlossenen Fürsten. Anfang September kamen {312.} auch die Türken erneut, Gabriel Bethlen hatte ihre Siebenbürgen benachbarten Befehlshaber ins Land gerufen.

Damit war es im Frühherbst 1611 zu einem heillosen Durcheinander gekommen. Jeder führte Krieg gegen jeden. Schon schien es, als sollte es wieder zu solchen Verwüstungen wie zur Jahrhundertwende kommen, als sich die Lage – unerwartet – zu klären begann.

Denn mit dem Erscheinen der Türken begann Ruhe einzukehren. Wie vor dem Herrn, der nach langer Zeit auf sein ganz vernachlässigtes Gut zurückkehrt, so flüchteten die Kämpfenden jetzt vor den Truppen des bosnischen Paschas Omer. Niemand wartete ein Zusammentreffen mit ihm ab. Sowohl Zsigmond Forgách als auch Radu Şerban zogen Mitte September ab, ohne eine Schlacht geschlagen zu haben, obwohl der Woiwode nicht nach Hause zurückkehren konnte, weil mit den nach Siebenbürgen marschierenden türkischen Truppen Mihnea wieder nach Tîrgovişte zurückgekehrt war.

Mit dem Erscheinen des von Omer angeführten Heeres und der Flucht der Truppen Forgáchs wurde deutlich, daß Siebenbürgen jetzt mit derselben Konstellation der veränderten Großmacht-Kräfteverhältnisse konfrontiert wurde wie die Moldau und die Walachei einige Monate vorher. Die politische Präsenz der Pforte war in diesem Raum wieder zur bedrückenden Tatsache geworden. Unzweifelhaft betrachtete sie diese Stationen auf dem Weg nach Westen – Siebenbürgen und die Woiwodschaften – als zu ihrer eigenen Machtzone gehörige Gebiete und war auch wieder fähig, allfällige Invasoren aus diesen hinauszuwerfen.

Durch die Ereignisse dazu gezwungen, wandte sich auch Kronstadt mit der dort versammelten Opposition des Fürsten der Pforte zu. Mit András Ghiczy, der nun in Báthorys Auftrag nach Konstantinopel gehen sollte, um im Namen des Fürsten für die Hilfe gegen Forgách zu danken, schloß man eine Vereinbarung. Als dieser nämlich auf seiner Reise auch nach Kronstadt kam, trat er der Opposition bei. Im November reiste Ghiczy, nun in ihrem Auftrag, weiter und bat im Namen der drei Nationen des Landes die Pforte um die Vertreibung des despotischen Fürsten.

Damit gaben sich die Führer der in Kronstadt organisierten Opposition erst einmal zufrieden. Das Burzenland, das sächsische Gebiet rings um die Stadt, wurde gleichsam zu einem Staat im Staate; man schlug hier Münzen und bereitete sich auf den von der Pforte unterstützten Kampf gegen Báthory vor. Die Hilfe jedoch ließ lange auf sich warten, weil im Herbst 1611 die Entscheidungen in Konstantinopel erst nach ungewöhnlich großen Schwierigkeiten gefällt werden konnten. Denn der fürchterliche Greis Großwesir Murad Pascha war im August gestorben und sein Nachfolger Nassuh Pascha noch nicht vom persischen Kriegsschauplatz zurückgekehrt.

András Ghiczy erreichte allerdings auch so – vermutlich ohne das Wissen des neuen Großwesirs – eine Entscheidung des Diwans: An Stelle Báthorys sollte er der neue Fürst werden. Es wurde ihm auch militärische Hilfe versprochen. Ghiczy verpflichtete sich seinerseits dazu, Lippa und Jenõ zu übergeben und die früheren 15 000 Goldgulden Steuer zu bezahlen. Als Bürgen ließ er seinen Bruder beim Kaimakam Gurdschi Mohammed zurück.

Im Juni 1612 kehrte András Ghiczy nach Hause zurück, doch hatten die Nachrichten von seinen Erfolgen bei der Pforte schon lange vor ihm Siebenbürgen erreicht. Sie steigerten die Entschlossenheit der Opposition, während sie bei Báthory den bei siebenbürgischen Fürsten bereits üblichen {313.} Reflex auslösten: Auf dem Landtag am 26. Juni 1612 brachte er die Aufkündigung der türkischen Oberhoheit bzw. den Gedanken eines Anschlusses an das königliche Ungarn zum Vorschlag. Mit anderen Worten, er wollte mit dem Hinweis auf die türkische Bedrohung die stets in die Katastrophe führende siebenbürgische Schaukelpolitik erneut beginnen.

Verständlicherweise verschloß sich der Landtag jedoch diesem Plan Báthorys, gegen den nicht nur viele schlimme Erfahrungen in der Vergangenheit sprachen, sondern auch die momentanen Verhältnisse. Die Lage war in erster Linie wegen der Person des neuen Großwesirs Nassuh brisant. Man kannte ihn gut in Ungarn, hatte er doch dort schon im Kriegsdienst gestanden; ihm hatte man am Beginn des Fünfzehnjährigen Krieges die Burg Fülek abgenommen, und jedermann war bewußt, daß er diese Schande seither nie verwunden hatte. Von seinem Racheplan gegen den türkischen Unterhändler für den Frieden von Zsitvatorok, den Ofner Kommandanten Ali Pascha, war er erst auf den ausdrücklichen Befehl des Sultans abgerückt. Mit Nassuh war also der grimmigste Gegner eines Friedens mit Ungarn Großwesir geworden. Auch ohne jede Absicht, Siebenbürgen von der Herrschaft der Pforte zu trennen, durfte man von ihm nichts Gutes erwarten. Was er nun mit Ungarn vorhatte, wozu er als Großwesir alle Vollmachten besaß, ließ sich unmöglich genau ermessen.

Gabriel Bethlen vermeidet den Krieg

In dieser Situation entschloß sich Bethlen zu einem wahren Verzweiflungsschritt: am 12. September 1612 ging er mit 50 seiner Leute in türkische Emigration. Dies ließ sich sogar als Flucht interpretieren, weil sein Vertrauensverhältnis zum Fürsten zuletzt endgültig zu Bruch gegangen war. Früher war er – vermutlich aufgrund seiner guten Kenntnisse über Konstantinopel – für Báthory unersetzlich gewesen, und seit er ihm die Zustimmung der Pforte zur Herrscherwürde verschafft hatte, war Bethlen in der Achtung des Fürsten immer höher gestiegen. Mit der Absicht Báthorys, sich von den Türken zu lösen, schien er aber einfach überflüssig geworden zu sein. Seine Besonnenheit ausstrahlende Präsenz wurde für den Fürsten schon eine Belastung, da er ihn – unberechtigterweise – der Verschwörung mit den Sachsen verdächtigte und angeblich bereits plante, ihn ermorden zu lassen.

Hinter Bethlens Flucht verbargen sich jedoch über die Sorge für seine Person hinaus weit komplexere Gründe; keinesfalls nur Eifersucht, wenn diese auch hätte mit im Spiel sein können. Denn Ghiczy hatte mit dem bei der Pforte durchgesetzten Befehl, ihn selbst zum Fürsten zu wählen, im Grunde einen von Bethlen stammenden Einfall verwirklicht. Der Gedanke nämlich, türkische Truppen könnten einen Herrscher einsetzen, war Bethlens Kopf entsprungen – schon 1603, als er dem unter der kaiserlichen Besetzung stöhnenden Land einen von der Pforte ernannten Fürsten vermitteln wollte.

Damals hatte Bethlen allerdings Stephan Bocskai für das schwere Amt gewonnen. Und nun sollte Ghiczy auf diese Weise Fürst werden? Mit Recht unternahm er Schritte dagegen. Drei Fürsten hatte Bethlen gedient und für einen von ihnen sogar im Gefängnis gesessen, schließlich alle Stufen auf dem Wege zur Herrschaft durchlaufen. Zweifellos hielt er sich für einen {314.} geeigneteren Anwärter als jeden anderen, als er nun, in der neuen kritischen Lage, mit der nerven- und zeitraubenden Arbeit begann, für sich selbst die Fürstenwürde zu erkämpfen.

In der Heimat trieben indessen die Ereignisse immer mehr auf ein Habsburg-Bündnis zu. Denn Báthory hatte am 15. Oktober 1612 die in Kronstadt versammelte Opposition in offener Feldschlacht geschlagen. Da Stadtrichter Weiß gefallen war, zogen sich seine Leute nach schlimmen Verlusten gemeinsam mit András Ghiczy hinter die Stadtmauern zurück. Den Fürsten stärkte dieser Triumph erheblich. Auf dem Landtag im November ließ er sowohl die anwesenden als auch die geflohenen Führer der Opposition verbannen, unter ihnen auch Gabriel Bethlen. Dann setzte er die Wahl der Kommissare für die Bündnisverhandlungen mit Wien durch, ernannte aber auf Wunsch der Stände auch Gesandte für die Pforte.

Die Gesandtschaft für Wien begann als erste ihre Tätigkeit. Nach Verhandlungen in Wien und dann in Preßburg kam im April 1613 eine Übereinkunft zustande. Ihr zufolge versagte Fürst Báthory der türkischen Oberhoheit über Siebenbürgen seine weitere Anerkennung. Augenscheinlich wollte er aber einen offenen Bruch mit der Pforte vermeiden, weil er ja auch Gesandte nach Konstantinopel geschickt hatte. Diese trafen am 22. Mai an der Pforte ein, konnten aber gar nichts im Interesse Báthorys erreichen. Großwesir Nassuh erlaubte ihnen nicht einmal, ihre Geschenke zu übergeben. Wenige Wochen vorher hatte der Diwan nämlich entschieden, daß Bethlen an Stelle Gabriel Báthorys Fürst von Siebenbürgen werden sollte.

Mit Nassuh, dem schrecklichen Großwesir, war Bethlen schon nach seiner Flucht, irgendwann im Herbst 1612 durch Skender, dem Pascha von Kanizsa, zusammengetroffen. Denn nach seinem Weggang aus Siebenbürgen hatte Gabriel Bethlen der Reihe nach die türkischen Kommandanten im eroberten Gebiet Ungarns besucht. So war er auch in Temeschwar und Ofen und überwinterte dann in Belgrad, weil er wußte, daß sich die Kommandanten der Siebenbürgen umgebenden Gebiete dort mit ihren Vorgesetzten aus Konstantinopel zur Verhandlung der unterschiedlichsten Angelegenheiten zu treffen pflegten. Er nutzte die Gelegenheit, dort vielen wichtigen türkischen Persönlichkeiten zu begegnen.

Nach derartigen Vorbereitungen ging Bethlen im Vorfrühling 1613 nach Adrianopel, wo sich gerade der Sultan und der Großwesir aufhielten. Hier brachte Skender Pascha, der für lange Zeit ein höchst aktiver Förderer seiner Pläne werden sollte, ihn mit Nassuh zusammen. Im März entschied man im Diwan über den neuen Fürsten, Ende April erhielt Bethlen die Herrschaftsinsignien, und mehrere hohe türkische Offizere sowie die beiden rumänischen Woiwoden bekamen den Befehl, ihn zu begleiten.

Der zukünftige Fürst brach mit den unter Skender Paschas Oberkommando stehenden Truppen im August von Konstantinopel auf und erreichte Siebenbürgen Anfang Oktober. Schon vorher, Anfang September, waren weitere türkische Truppen mit dem Woiwoden Mihnea aus der Walachei und der tatarischen Vorhut eingetroffen, drei Wochen später kam der Khan der Krimtataren mit seiner Hauptmacht, und am 3. Oktober erreichte Ali Pascha von Ofen die Residenz Weißenburg. Insgesamt waren es ca. 80 000 Mann, die Siebenbürgen für Gabriel Bethlen erobern sollten. Wohl noch nie hatten sich so viele Türken und Tataren gleichzeitig im Land befunden – über das Schicksal des Fürstentums konnte kein Zweifel bestehen.

{315.} Bethlens Förderer wollten jedoch nicht mit den traditionellen Formen brechen, wodurch allerdings die völlige Abhängigkeit Siebenbürgens nur noch stärker betont wurde. Skender Pascha berief den Landtag ein, obwohl die Stände des Fürstentums noch nie auf Befehl eines Türken zusammengetreten waren. Aber niemand weigerte sich, da Skender mit Krieg drohte. Für die Wahl gab er ihnen fünf Tage Zeit und das genügte auch – bereits am 23. Oktober 1613 war Gabriel Bethlen Fürst von Siebenbürgen.

Gabriel Báthory wurde vom Landtag tags darauf mit einem fein stilisierten Brief verabschiedet, in dem man seine Klagen aufzählte, ihm seine feige Flucht vor den türkischen Truppen und seine Absicht vorwarf, mit der Pforte zu brechen, schließlich aber wiesen die Stände auf die unüberwindliche Bedrohung der türkischen Waffen hin, gegen die sie keinesfalls bestehen könnten. Ob Báthory freilich diesen Brief in Wardein überhaupt erhalten hat, ist unklar, denn vier Tage nach der Wahl Bethlens wurde er – nach Meinung von Zeitgenossen durch von Ghiczy gedungene Haiducken – ermordet.

Auf diese Nachricht hin zogen die türkischen Truppen raubend und plündernd ab, ihre Gefangenen an Ketten mit sich führend. Neben schrecklichen Zerstörungen hinterließen sie auch die Gewißheit, daß Siebenbürgen wieder ganz unter die türkische Oberhoheit gefallen war.

Ein Fürst mit Sachverstand

Mit Gabriel Bethlen kehrte nach Báthorys Maßlosigkeit und leichtsinnigem Mutwillen Ordnung und nüchterne Überlegung in die Regierung Siebenbürgens ein. Auch im Äußeren ist es schwer, sich einen größeren Unterschied als den zwischen Báthory und Bethlen vorzustellen. Der persönliche Charme des stattlichen Báthorys mit seinen gewinnenden Manieren hatte auch seinen Gegnern imponiert, wenn sie in seiner Gesellschaft waren – fern von ihm vergaßen sie ihre plötzlich aufgeflammte Sympathie. Der untersetzte und durch seine Kriegsverletzungen schwerfällig gewordene Bethlen vermochte dagegen beständige Gefühle zu erwecken. Wer ihm nahestand, empfand eher Achtung als Freundschaft für ihn, während seine Gegner unauslöschlichen Haß gegen ihn hegten. Er selbst aber kümmerte sich wenig um die Ansicht der Leute. Bethlen suchte keine Gefühlsbindungen und konnte gerade deshalb mit jedem arbeiten. Es läßt sich nicht nachweisen, daß ihn bei der Auswahl seiner Mitarbeiter jemals subjektive Motive geleitet hätten.

Gabriel Bethlens Familie war in der siebenbürgischen Politik an der Seite Königin Isabellas aufgetreten. Sein Vater war fürstlicher Rat bei Sigismund Báthory gewesen, die Mutter stammte aus der vornehmen Szeklerfamilie Lázár, und Gabriel kam – schon als Waise – mit 13 Jahren an den Weißenburger Hof. Über seine Ausbildung und über die Einflüsse, unter denen sein Talent sich entwickelte, wissen wir nichts. Doch Bethlens Taten vor seiner Regierungszeit zeigen schon zwei ganz besondere Charaktereigenschaften. Die eine war die schon im Fünfzehnjärigen Krieg an Mózes Székelys Seite bewiesene Fähigkeit, immer das gerade Erforderliche perfekt zu erledigen, diplomatische Verhandlungen zu führen oder, wenn nötig, Soldaten. Er konnte mit Menschen umgehen, ob er nun einer Einzelperson gegenüberstand oder mittels Aufrufen Massen in Bewegung setzen mußte. Es {316.} fiel Bethlen leicht, Ereignisse, menschliche Kontakte oder Kriegsschauplätze in ihrer wesentlichen Bedeutung zu durchschauen, und diese vielseitigen Fähigkeiten bildeten die auffälligste Seite seiner Begabung.

Bethlens andere Stärke war seine absolute Sachlichkeit. Was den Realitätsgehalt seiner Pläne betrifft, so hat er in diesem Punkt seine Zeitgenossen keineswegs übertroffen; auch waren für ihn in der Diplomatie keineswegs nur Fakten ausschlaggebend. Bethlens Sachlichkeit bestand vielmehr darin, daß er sich bei der Durchsetzung seiner Pläne von keinerlei Nebenaspekten ablenken ließ. Ganz rational wählte er die Mittel zu Verwirklichung seiner Absicht, um diese dann ohne jeden Skrupel einzusetzen.

Der Sachlichkeit blieb er sein ganzes Leben treu, sie trat jedoch bei seiner Wahl zum Fürsten am deutlichsten hervor. Bethlen schuf sich in Siebenbürgen keine Partei, er kümmerte sich nicht um den König, um das königliche Ungarn und auch nicht um die heimische Öffentlichkeit. An die Pforte wandte er sich, weil er wußte, daß sich dort Siebenbürgens Schicksal entscheiden mußte. Nichts deutet darauf hin, er habe irgendwann die Verwüstungen der Truppen, die ihm zum Fürstentum verhalfen, bedauert oder sich für die Gewalt bei seinem Regierungsantritt entschuldigt. Die einstweilen nicht zu beseitigende Macht des Türkischen Reiches über Siebenbürgen begriff er ganz sachlich als unerbittliche Realität.

Trotz dieser nüchternen und konsequenten Parteinahme Bethlens für die Türken gestaltete sich sein Verhältnis zu Konstantinopel nicht harmonisch. Man verlangte für die Bestätigung seines Fürstentums Lippa und Jenõ, wollte also das alte Versprechen mehrerer seiner Vorgänger von ihm einlösen. Sigismund Rákóczis Angebot der zwei Burgen hatte man noch ausdrücklich abgelehnt, und auch Gabriel Báthory mußte sie nicht übergeben. Nun aber, im September 1613, hieß es, Skender Pascha lagere jenseits der Grenze und wolle nach Bethlens Einsetzung die beiden strategisch höchst wichtigen Burgen zurückerhalten.

Diese Forderung brachte Bethlen in eine höchst schwierige Lage. Damals waren mit Jenõ und Lippa weite Gebiete von der Türkenherrschaft befreit worden, mit einer großen Zahl von Ungarn, über deren Schicksal jetzt ebenfalls mitzuentscheiden war. Es gab in der ungarischen Geschichte kein Beispiel, daß ein Herrscher freiwillig Burgen der türkischen Macht überlassen hätte. Den Angriff Skenders durfte man allerdings nicht abwarten; selbst wenn die Pforte zu einem solchen entschlossen war, konnte Bethlen seinerseits keinen Türkenkrieg riskieren.

In dieser Krise unternahm der Fürst komplizierte Manöver, er verhandelte unter Einsatz aller seiner Pfortenkontakte und war damit zumindest teilweise erfolgreich – Jenõ konnte er behalten. Bethlen entschloß sich für die Aufgabe von Lippa, weil dies näher an der Grenze zum Türkengebiet gelegen war und deshalb sein Verlust eine geringere Bevölkerungseinbuße bedeutete. Dessenungeachtet sah er sich dazu gezwungen, die Burg gegen seine eigenen ihm Widerstand leistenden Soldaten zu erobern. Danach erst konnte sie den Türken übergeben werden. Retten ließ sich die Lage nur dadurch, daß er die Soldaten von Lippa unter Gewährung der Haiduckenfreiheit in Vaja ansiedelte.

Mit der Übergabe von Lippa hatte Siebenbürgen den Tiefpunkt seiner bisherigen Geschichte erreicht. Das Land war den Willkür der Pforte völlig ausgeliefert. Wäre Bethlen damals gestorben, so zählten wir ihn heute zu den {317.} dunkelsten Gestalten der ungarischen Geschichte. Doch blieben ihm noch 13 Jahre der Herrschaft, mit denen er in die Reihe der größten historischen Persönlichkeiten aufstieg.

Bethlens Innenpolitik

Für die Ordnung der inneren Verhältnisse mußte Bethlen alle seine außerordentlichen Herrschergaben einsetzen, denn niemals waren die Gegner der fürstlichen Zentralmacht aktiver als zur Zeit seiner Wahl. Adel wie Sachsen stellten sich gegen den neuen Fürsten, obwohl ihre Empörung eigentlich Báthory galt, der kein energischer Herrscher, sondern einfach ein Tyrann gewesen war, dessen Gewalttätigkeit den Siebenbürgern jede fürstliche Amtshandlung verhaßt gemacht hatte. So geriet Bethlen in eine höchst widersprüchliche Situation: Obwohl er die Ablösung Báthorys betrieben hatte, wurde er nicht als Befreier gefeiert, sondern mußte die Folgen der Taten seines unfähigen Vorgängers auf sich nehmen.

Logisch wäre gewesen, wenn Bethlen den eigenmächtigen Widerstand mit Gewalt hätte brechen wollen, um mit einem solchen Akt seine Herrschaft endgültig durchzusetzen. Nur hatte eben mit Gabriel Bethlen staatsmännischer Sachverstand den Dilettantismus der vorherigen Regierungen abgelöst.

An den Anfang seiner Herrschaft setzte Bethlen eine Geste gegenüber dem Landtag, der zur Fürstenwahl zusammengetreten war: Sein persönliches Erscheinen verband er mit der Bitte an die auf Skenders Befehl einberufenen Stände, seine Verbannung nach seiner Flucht von 1612 aufzuheben. Danach entfernte er sich. Damit gab Bethlen zu verstehen, daß es sich auch seiner Überzeugung nach nicht zieme, vor seiner Rehabilitation anwesend zu sein. Mit vielen tausend Soldaten hinter sich war dies nur eine Geste der Höflichkeit, aber eben eine für Bethlen charakteristische. Diese Verbeugung vor den siebenbürgischen Ständen am Tiefpunkt ihrer Erniedrigung signalisierte, daß er nicht daran dachte, seinen Sieg zu mißbrauchen. Und so geschah es denn auch. Als die türkisch-tatarischen Truppen wie vereinbart abgezogen waren, begann Bethlen mit einem außergewöhnlichen Maß an Rücksicht und Entgegenkommen, das Land für sich zu gewinnen.

Am dringlichsten war das Verhältnis des Fürsten zu den Sachsen neu zu regeln, da diese nicht einmal zum Treueid bereit waren. Sie verweigerten jeden Gehorsam, solange sie nicht Hermannstadt zurückbekommen, wo noch Báthory den Fürstensitz eingerichtet hatte. Zuerst versuchte Bethlen zu verhandeln, ohne jeden Versuch einer Gewaltanwendung. Als er aber feststellte, daß ihn die Sachsen nicht einmal für einen Winter bei sich dulden wollten, gab er am 17. Februar Hermannstadt frei und zog anderntags ab.

Auch mit den Ständen vermied er jeden Zusammenstoß. Vermittels seiner eigenen Regierungsmethode stellte Bethlen seine Macht nicht seinen Untertanen entgegen, sondern entwickelte ein Nebeneinander innerhalb der Machtverhältnisse. Er tastete die ständischen Privilegien nicht an, wollte er sie doch nicht unbedingt verringern, sondern nur das Verhältnis zwischen seiner und der Herrenmacht ändern. Es genügte ihm völlig, wenn er – ohne die Stände zu stören – seine Macht als Fürst bis an die fernste Grenze ausdehnen konnte. Zu diesem Zweck nutzte Bethlen vor allem einige Eigenheiten der siebenbürgischen Machtstrukturen geschickt für sich aus. So waren bisher {318.} Zusammensetzung und Funktion des Landtages nicht gesetzlich geregelt, und es hatte sich nicht einmal ein Gewohnheitsrecht darüber ausgebildet. Bethlen wählte also nach eigenem Belieben streng die Teilnehmer an den Landtagen aus. Schon bis 1615 hatte er die Praxis eingeführt, daß die ständischen Abgesandten nur ein Drittel der Teilnehmer ausmachten. So verdankte die aus Würdenträgern und Regalisten bestehende Mehrheit ihr Teilnahmerecht Bethlen, und der Fürst brauchte sich nicht mit einem ihm opponierenden Landtag herumzuärgern. Außerdem verkleinerte er noch den Kreis der zur Verhandlung gebrachten Angelegenheiten. Unberührt davon blieb allein das Verhältnis Grundherr-Bauer, über welches die Stände nach eigener Initiative beraten und entscheiden konnten. Alle anderen Probleme, außenpolitische, Kriegs-, Finanz- und sonstige Angelegenheiten, wurden Stück für Stück der Kompetenz des Landtages entzogen.

Eine weitere Möglichkeit zur Machtvermehrung bot die Besonderheit, daß die Vermögenswerte des Staates nicht von ständischen Bevollmächtigten, sondern von fürstlichen Beamten verwaltet wurden. Allein bei der Steuerveranlagung und -verwendung hatte der Landtag ein Mitspracherecht, was Bethlen auch gar nicht bestritt. Statt dessen vermehrte er das von jeder Mitsprache der Stände unberührt gebliebene Staatsvermögen so gewaltig, daß in den 1620er Jahren die 60–80 000 Gulden Steuern nur noch 10 % des Staatseinkommens ausmachten. Damit war es Bethlen gleichgültig geworden, wie die Steuern veranlagt und worauf sie verwendet wurden.

Vermutlich gab es in Europa keinen anderen Herrscher, der ein so glänzendes Ergebnis erzielt hat. In erster Linie gelang Bethlen dies durch eine für seine Zeit hochmoderne Wirtschaftspolitik, in der die Methoden des Merkantilismus zur Anwendung kamen. Diese liefen auf eine strenge Regelung der Anteile von Ein- und Ausfuhr durch die Schatzkammer als oberster Finanz- und Wirtschaftsbehörde hinaus. Dabei wurde die Ausfuhr mit allen Mitteln gefördert und im Export systematisch der staatliche Handel bevorzugt, was als Koppelung von Merkantilismus und Staatsmonopol bezeichnet werden kann.

Mit diesen, Landtag und Wirtschaft betreffenden Maßnahmen hatte Gabriel Bethlen praktisch jede ständische Kontrolle der fürstlichen Macht beseitigt und war zu einem von den Ständen weitgehend unabhängigen Herrscher geworden, ohne deren Rechte angetastet zu haben. Ähnlich verfuhr er aber auch mit den übrigen Schichten der Gesellschaft.

Veraltetes Steuersystem und zeitgemäße Wirtschaftspolitik

Die Absicht des Fürsten, die gesellschaftlichen Verhältnisse unberührt zu lassen, hat in den Besonderheiten der siebenbürgischen Besteuerung ihren Ausdruck gefunden. Anderenorts wurden die Steuern jeweils nach der Höhe des Vermögens veranlagt und erhöhten sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu gewaltigen Summen – eine Entwicklung, die Siebenbürgen nicht mitmachte. Hier blieb die Steuersumme praktisch unverändert, da die nach Vermögen gestaffelte staatliche Steuer nur in einigen Städten, wie z.B. Klausenburg, eingeführt wurde. Die Szekler zahlten nur in außerordentlichen Fällen Steuer, und dazu unabhängig vom Vermögensstand, die Leibeigenen wurden {319.} in Zehnergruppen besteuert, ebenfalls ohne Berücksichtigung ihres Vermögens, und auf die Sachsen entfiel eine Steuer, deren Betrag sich an den geschätzten Abgaben der Leibeigenen in den anderen Teilen Siebenbürgens orientierte. Diese Summe stand weder mit der Zahl der Sachsen noch mit ihrem Reichtum in irgendeinem Zusammenhang.

Damit hat Bethlen, um jede Unruhe in der Gesellschaft Siebenbürgens zu vermeiden, auf materielle Vorteile verzichtet, denn eine vermögensmäßige Besteuerung – besonders im Falle der sächsischen Städte – hätte ihm wesentlich mehr Einnahmen verschafft. Doch offensichtlich hat sich diese vorsichtige Zurückhaltung in der Besteuerung sowohl für den Fürsten als auch für seine Untertanen ausgezahlt.

Oft wird gefragt, ob Gabriel Bethlen eine absolute oder nur eine zentralisierte Herrschaft errichtet hat. Es war mehr als eine zentralisierte Monarchie, da Bethlen ohne Mitsprache der Stände regierte. Dem Absolutismus im Westen ähnelte dieses System dennoch nicht, weil – wie gerade die eigentümliche Steuerordnung zeigt – keine gegenseitige Abhängigkeit von Staatsgewalt und Bürgertum entstand. Andererseits gab es auch diesseits der Elbe absolute Staatsmacht östlichen Typs. Da hatten die Herrscher ihre von den Ständen unabhängige Herrschaft nicht auf inneren gesellschaftlichen Druck hin, sondern infolge äußerer Bedrohung ausgebaut.

Einen solchen Absolutismus östlichen Typs hatte Bethlen in Siebenbürgen geschaffen. Der Grund dafür, ein solches als eines der ersten, zu schnellen Entscheidungen befähigtes, flexibles Regierungssystem zu errichten, war wohl die Notwendigkeit, Siebenbürgen inmitten der ständigen Bedrohung zweier Großmächte erhalten zu müssen.

Trotz Druck von außen richtete Bethlen sich aber nicht nur auf Verteidigung ein. Er ahnte, gegen einen seiner Feinde, das deutsche Kaiserreich, werde es zur Bildung einer Mächtekoalition und damit zu einem großen Krieg kommen. Das in wachsende Gegensätze immer mehr verstrickte Reich beschwörte einen Konflikt seit langem herauf. Der französische König Heinrich IV. war schon 1610 gegen Rudolf II. ins Feld gezogen, und der Krieg wurde nur durch seine Ermordung verhindert. Ferner machte der Gegensatz zwischen dem Kaiser und den deutschen Reichsfürsten jede Arbeit der Reichsregierung zunichte. 1613 stieß England zu den Feinden der Habsburger, was die Heirat Elisabeth Stuarts mit dem Pfalzgrafen Friedrich V. zeigte. Unter diesen Umständen baute Bethlen seine von den Ständen unabhängige Macht aus: Als die böhmischen Ereignisse von 1618 die Möglichkeit für eine Intervention gegen den Kaiser boten, konnte er sich für eine solche entscheiden, ohne sich Sorgen um die inneren Verhältnisse seines Landes machen zu müssen.