{453.} IX. Siebenbürgen in der Reformzeit (1830–1848)


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In den 1830er Jahren begann für Siebenbürgen bzw. die Völker des Großfürstentums eine neue Epoche. Das lähmende Schweigen, das sich in Ermangelung eines öffentlichen Lebens in den 20er Jahren ausgebreitet hatte, wurde von einem offen gärenden politischen und gesellschaftlichen Leben abgelöst.

Diese Epoche wird in Ungarn „Reformzeit“ genannt, und diese Bezeichnung verweist auf die liberale ungarische Reformpolitik, die die Grundlage für einen stufenweisen Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus legen wollte, um dadurch die Voraussetzungen für die ökonomische, soziale und politische Modernisierung zu schaffen. Von den Zeitgenossen – besonders den Rumänen und Sachsen – wird häufiger die Bezeichnung „nationales Erwachen“ gebraucht, um damit auszudrücken, wie sehr sich die zeitgenössische Wertordnung und Weltanschauung gewandelt hat. Aus der Absicht heraus, die Gesellschaft zu mobilisieren, verkündeten immer mehr Ungarn, Rumänen und Sachsen, dies sei die letzte Gelegenheit, die schlafende Nation zu wecken und wirklich so etwas zu schaffen wie eine freie Gemeinschaft freier Menschen. Entsprechend der Haupttendenz der ostmitteleuropäischen Entwicklung wurde die Sprache zur Basis einer Politik der Nationsbildung, während man die Nationalität zum Kultobjekt machte. Die Nationalität bedeutete für die Sprecher derselben Sprache eine physische Realität und zugleich die Gesamtheit aller bewußten und unbewußten Faktoren ihrer Zusammengehörigkeit. Unter dem Signum der Nationalideologie, die als Orientierung diente, machten die Zeitgenossen die Erfahrung, daß sich im Laufe der großen Veränderungen – der bürgerlichen Umgestaltung – die in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung begründeten Gegensätze überbrücken ließen und mit der Durchsetzung des sprachlichen Nationalismus in Ostmittel- und Südosteuropa sich zugleich die Möglichkeit für eine radikale machtpolitische Umwälzung zu eröffnen schien. Intransigenter Nationalismus und gesteigerter Idealismus war für die Menschen dieser Epoche kennzeichnend, ja zutreffender noch eine individuell unterschiedliche Vermischung beider Strömungen. Der moderne, mit dem Ideal der Menschenrechte verbundene Freiheitsgedanke war bereits so sehr erstarkt, daß seine Unterdrückung nunmehr völlig ausgeschlossen war; allerdings galt das auch für das System ideologischer Schemata, das diesen Freiheitsgedanken wieder einschränkte.