1. Das dualistische System | INHALT | 3. Neue Tendenzen zur Jahrhundertwende |
Inhaltsverzeichnis
Die 200 000 sächsischen Bewohner Siebenbürgens, deren Führungsschicht aus Intelligenz und Beamtenschaft vom Dualismus die Aufhebung ihrer privilegierten Stellung befürchtete, haben sich obzwar nicht konfliktlos leichter als die Rumänen in das neue System eingegliedert. Dies erreichte die Regierung mit Hilfe der sog. Neusachsen (der nach Eingliederung strebenden Bürger und Intellektuellen) und mit Hilfe administrativer Maßnahmen. Noch im Februar 1867 wurde mit Moritz Conrad ein neuer Sachsenkomes ernannt und die Einberufung einer Sitzung der mehrheitlich aus Antiunionisten {607.} bestehenden Nationsuniversität verhindert. Das die Union bestätigende Gesetz von 1868 wahrte noch die sächsischen Selbstverwaltungsrechte, doch bereits im Jahr darauf wurde mit der Eingliederung des Königsbodens in den modernen Staat begonnen.
1869 trat die Nationsuniversität aufgrund des auf dem Verordnungswege erlassenen neuen Wahlrechts in der Form wieder zusammen, daß es den 18 Neusachsen gemeinsam mit den vier Rumänen und einem Ungarn gelang, die 21 Altsachsen zu majorisieren; sie erarbeiteten einen Vorschlag zur Angleichung des Sachsenlandes an das Komitatssystem, der für die Regierung akzeptabel war. 1872 haben sich dann die zwei sächsischen Strömungen formell vereinigt. In dem am 11. Mai auf der Mediascher Sitzung veröffentlichten Sächsischen Nationalprogramm bekannten sie sich zum Dualismus, zur „ungarischen Staatseinheit”, wenn diese nicht die Zentralisation stärkt; zum „ungarischen Staatsprinzip”, wenn es die Möglichkeiten für den Gebrauch der Nationalitätensprache erweitert; zum moderneren Volksvertretungssystem, wenn dies nicht zu einem Übergewicht der „unreifen Massen” führt. Der Preis für diese mit vielen Bedingungen verschleierte Geste des Sich-Beugens wäre das Weiterbestehen des Königsbodens in Form eines ganz selbständigen Komitats gewesen.
Die alten sächsischen Einrichtungen wurden von oben durch die Zentralisationsbestrebungen des modernen Staates und von unten durch die Gleichberechtigungsforderung der rumänischen Massen im Sachsenland, durch ihr Verlangen nach Aufnahme in die Institutionen des öffentliches Lebens auf unterer und mittlerer Ebene in Frage gestellt. Stärker war das Interesse an einem guten in Wirklichkeit gerade nur annehmbaren Verhältnis zur Regierung, deswegen saßen die sächsischen Abgeordneten in der regierenden Deák-Partei, obwohl Andrássy 1870 dem höchst einflußreichen Bischof Teutsch eindeutig erklärt hatte, die sächsischen Privilegien irritierten seine Ministerkollegen.
Nach wiederholten Konsultationen über eine Umgestaltung setzte die Tisza-Regierung da auch die Rumänen um Aufteilung des Königsbodens ersuchten, weil ihre Rechte dort nicht zur Geltung kommen könnten mit Unterstützung der Neusachsen das Gesetz Nr. XII/1876 durch, mit dem der Königsboden zum dritten Mal und jetzt bereits endgültig zerstückelt wurde. Die politische und administrative Kompetenz der Nationsuniversität wurde aufgehoben und ihr enormes Vermögen in eine Stiftung überführt. Der Verlust der nahezu siebenhundertjährigen Autonomie berührte das sächsische Bürgertum schmerzlich, führte jedoch bei weitem nicht dazu, was die Altsachsen befürchteten: „zum Streichen der sächsischen Nation aus der Reihe der Lebenden”.* Im Sachsengebiet blieb die Verwaltung überwiegend deutsch und die Nationsuniversität ein reiches und machtvolles Gremium. In Vermögensfragen war der dualistische Staat konsequent liberal, er schrieb lediglich vor, daß aus dem Vermögen entsprechend der Idee der Rechtsgleichheit Mittel nicht nur für die kulturellen Ziele der Sachsen, sondern auch der anderen dort lebenden Staatsbürger, also vor allem Rumänen, aufgebracht werden müssen. Die Verfassung der sächsischen evangelischen Kirche stand auf fester Grundlage als eine der Bastionen der {608.} national-kulturellen Autonomie. Der Verlust beschränkte sich in Wirklichkeit auf die Privilegien, die starken sächsischen Positionen blieben die ganze Periode hindurch erhalten.
Zu Obergespanen in den neuen Komitaten wurden Neusachsen oder ungarische Aristokraten ernannt. Letztere, wie Graf Gábor Bethlen in Groß- und Klein-Küküllõ oder Baron Dezsõ Bánffy in Bistritz, betrieben eine harte Magyarisierungspolitik, anders als im Komitat Brassó, das stets moderner und damit auch eine Bastion der neusächsischen Strömung war. Hier war die Übereinstimmung mit der Regierung größer. Insgesamt war die ganze Tisza-Periode dennoch von den Konflikten zwischen den Sachsen und der Regierung geprägt. Gegen das Schulgesetz aus dem Jahre 1879, das den obligatorischen ungarischen Sprachunterricht in allen Volksschulen vorschrieb, protestierten die sächsischen Abgeordneten und auch die Kirche; später erreichten sie zumindest eine Verringerung der Stundenzahl. Anfang der 80er Jahre fochten sie gegen den Entwurf des Mittelschulgesetzes, der außer dem ungarischen Sprachunterricht noch vorschrieb, daß die Lehreranwärter das Staatsexamen mit der Zeit auf ungarisch ablegen müßten. Nachträglich stellte sich heraus, daß die übergroße Furcht vor dem Gesetz von 1883 unbegründet war. Das sächsische Gymnasialsystem wandelte sich vom Human- in Richtung Realgymnasium und wurde vereinheitlicht. Für die Lehreranwärter war es kein Nachteil, daß sie in der Regel ein Jahr lang auch eine ungarische Universität besuchten; die staatliche Kontrolle der Mittelschulen blieb im Rahmen der Fachaufsicht.
Das sächsische Bürgertum erhielt in seinem Kampf um die Verteidigung seiner Positionen erhebliche moralische Unterstützung von der Intelligenz Deutschlands und der dortigen Publizistik, welche die autonomiefeindlichen oder Magyarisierungsmaßnahmen der ungarischen Regierung heftig verurteilten. An der Ausbildung des Nachwuchses für Intelligenz und Klerus hatten die Universitäten in Deutschland bereits einen entscheidenden Anteil, und der preußisch-französische Krieg stärkte das Nationalbewußtsein der Sachsen und damit auch den Gedanken ihrer Zugehörigkeit zur großdeutschen Nation. Der direkte politische Nutzen daraus war vorläufig sehr bescheiden. Kanzler Bismarck bezog entschieden Stellung gegen jede deutsche Nationalitätenbestrebung innerhalb Ungarns: „Wir haben auf die Stärkung und Einheit des ungarischen Reiches ein solch großes politisches Gewicht gelegt, daß demgegenüber unsere gefühlsmäßigen Bedürfnisse in den Hintergrund gedrängt werden müssen.”* Unterstützung erhielten die Sachsen daher eher von den verschiedenen Vereinen in Deutschland.
In den Reihen des sächsischen Bürgertums vollzog sich allmählich eine bedeutende Umschichtung. Die alte Schicht der Zunftmeister verlor an Gewicht, andererseits ging aus ihr eine ganze Schar von Besitzern starker Mittelbetriebe hervor. Die sich vermögensmäßig stark differenzierende Schicht der Kaufleute wuchs bedeutend an. Die traditionelle Beamtenschicht verarmte teilweise, ihre Bedeutung verringerte sich stark, dagegen erhöhte sich das Gewicht der aufstrebenden modernen Bürger, Anwälte, Lehrer und Ärzte, wodurch auch die Verteidigung der veralteten Ständeautonomie hinter die wirtschaftliche und kulturelle Aufbauarbeit zurückgedrängt wurde. Diese {609.} Veränderung schuf als Folge der kapitalistischen Entwicklung die Atmosphäre dafür, daß die 1876 gegründete Sächsische Volkspartei, die natürlich einen oppositionellen Standpunkt einnahm und deren Abgeordneten in den 80er Jahren stets gegen die Regierungspartei auftraten, auch selbst den Kompromiß suchte. Als Kálmán Tisza, das Symbol der Konfrontation, stürzte, wurde 1890 eine Vereinbarung getroffen. Die sog. sächsischen Komitate erhielten neue Obergespane: An die Spitze des Komitats Hermannstadt gelangte der frühere Advokat Gustav Thalmann, die sächsische Intelligenz konnte sich in den Behörden sogar ohne Aufgabe ihrer Nationalität verwirklichen. In den Komitaten wurde eine größere Zahl sächsischer oder mit ihnen in gutem Verhältnis stehender Beamten eingesetzt. Die sächsische Klein- und Mittelindustrie erhielt einen erheblichen Anteil der staatlichen Industriefördermittel. Es ist charakteristisch, daß sie gerade mit jenem Ministerpräsidenten Graf Szapáry den Kompromiß schließen konnten, den die sächsischen Führer vorher als Innenminister wegen der Beseitigung der sächsischen Selbstverwaltung vor Gericht hatten stellen wollen …
Der am 17. Juni 1890 in Hermannstadt abgehaltene „Sachsentag”, an dem 700 Sachsen teilnahmen, billigte die Modifizierung des politischen Programmer; er akzeptierte den Dualismus, den Gedanken des „einheitlichen ungarischen Nationalstaates”, als Minimum das Nationalitätengesetz aus dem Jahre 1868 und erhob Anspruch darauf, daß die sächsische Intelligenz effektiv an der Verwirklichung der Staatsaufgaben mitwirken könne. Großen Nachdruck bekam ihre Forderung auf Wirtschaftsmaßnahmen: Entwicklung der bäuerlichen Wirtschaft und des Gewerbes, u. a. der Fabrikindustrie. Aufgrund dieses neuen Programms traten die sächsischen Abgeordneten als Gruppe wieder der Regierungspartei bei. Wenn damit auch nicht jeder Konflikt mit der Regierung beseitigt war, bildeten die sächsischen Landesväter doch die gesamte Periode hindurch eine Stütze der Regierung, und die offizielle Nationalitätenpolitik blieb ihnen gegenüber gemäßigt und nachsichtig.
Die in den 90er Jahren ins Leben gerufene oppositionelle sog. „grünsächsische” Bewegung erhob einen Führungsanspruch über alle Deutschen in Ungarn, konnte jedoch nicht einmal daheim die Mehrheit erlangen. Die Regierung honorierte die maßvolle „schwarzsächsische” Politik durch regelmäßige Genehmigung von staatlichen Subventionen an sächsische Kirchen; in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg ermöglichte die Staatshilfe beispielsweise den Umbau von fünf Gymnasien.
Die Integration der Sachsen in das dualistische System ist ein gutes Kennzeichen für die nationalitätenpolitischen Möglichkeiten und Schranken der Ausgleichsregierungen. Wenn die führende politische Schicht einer Nationalität in der Tat den Dualismus akzeptierte (sowie in der eigenen Gesellschaft dessen Akzeptanz förderte) und sich einigen, überwiegend äußerlichen Magyarisierungsmaßnahmen fügte, dann unterstützte die Regierung deren kirchliche und kulturelle Einrichtungen, duldete deren Vertreter in politischen Schlüsselpositionen auf mittlerer und unterer Ebene und überließ deren Städte und Gebiete weitgehend einer autonomen Gestaltung, wodurch eine solche Nationalität im Staat ein Eigengewicht bewahren und vertreten konnte. Eine solche Politik der Kompromisse konnte die Führungsschicht einer Nationalität mit großem Institutionennetz jedoch nur dann verfolgen, wenn sie über feste Positionen verfügte.
Für die rumänische Nationalbewegung bedeutete der Ausgleich einen schweren Schicksalsschlag. Kurz zuvor war die Autonomie Siebenbürgens für absehbare Zeit noch gesichert erschienen, und trotz mancher böser Vorahnungen hatte man darauf vertraut, innerhalb des Großfürstentums allmählich das politische Übergewicht zu erlangen. Die Union versperrte der Nationalbewegung jedoch diese Möglichkeit. Im Tausch dafür hatte sie die Verfassung und die Aufhebung der langen rechtlichen Separation zwischen den Rumänen in Siebenbürgen und in Ungarn erhalten beides konnte sie vorerst jedoch nicht als Positiva betrachten.
Bereits bei den Wahlen zur Vorbereitung des Krönungslandtages von 1867 trat jene immer stärker werdende Richtung in Erscheinung, welche Passivität gegenüber dem ungarischen Parlament proklamierte und eine Garantie der nationalen Existenz der Rumänen einzig und allein in der Bewahrung der Autonomie Siebenbürgens erblickte. Ungarischerseits gab es jedoch bereits keinen zwingenden Grund mehr für Zugeständnisse. Als sich schließlich am 3. Juni 1867 einige ihrer Repräsentanten mit ihren Forderungen an Deák wandten, konnte auch er nichts anderes sagen, als daß es zu spät sei, von Autonomie könne keine Rede mehr sein; er versprach ihnen lediglich die volle politische Gleichberechtigung.
Der mit der Beseitigung der siebenbürgischen Autonomie beauftragte Regierungskommissar wurde auf seiner Rundreise zur Lagebeurteilung an mehreren Orten von Angehörigen der rumänischen Intelligenz empfangen, die feierlich gegen den Ausgleich protestierten. Verständlicherweise schlug er ihnen vor, sich den vollendeten Tatsachen anzupassen, und wies das Ersuchen des Erzbischofs von Blasendorf nach Einberufung einer rumänischen Nationalversammlung zurück. Einem Treffen unter der Ägide der ASTRA, des reorganisierten rumänischen Kulturvereins in Klausenburg, wurde jedoch kein Hindernis in den Weg gelegt; mehr noch, der Regierungskommissar selbst erschien in der ersten Sitzung sowie beim Konzert. Diese Sitzung legte den Kurs für die nächste Zeit fest; die ausgegebene Parole hieß: abwarten, bis der dualistische Versuch scheitert, und indessen jede sich bietende Gelegenheit zum Protest gegen den Ausgleich sowie gegen die Union nutzen. Dem folgte im Frühling 1868 das Blasendorfer Pronunciamentum, das sich für die Durchsetzung der 1863/64 in Hermannstadt verabschiedeten Rechtsnormen aussprach. Daraufhin hat die Regierung gegen die Autoren sowie die Redakteure der die Öffentlichkeit informierenden Zeitungen eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet. Ein großangelegter Prozeß, von dem sich einige erhofften, daß er die europäische Öffentlichkeit auf die rumänische Angelegenheit aufmerksam machen werde, blieb jedoch aus, da die Regierung das Verfahren einstellte.
Während der Debatte über das Nationalitätengesetz von 1868 brachten die rumänischen Politiker gemeinsam mit den serbischen Abgeordneten einen Gegenvorschlag ein. Der Mocsonyi-Miletić-Plan betrachtete sämtliche Völker des Landes als eigenständige Nationen und wollte ihnen dementsprechend auch eigene politische und Verwaltungsorganisationen zugestehen, obwohl er die Notwendigkeit einer gewissen territorialen und politischen Einheit des Landes nicht leugnete. Dieser Vorschlag war sogar für die Sympathisanten der Nationalitäten inakzeptabel, und selbst die ungarische {611.} Opposition unter Dániel Irányi war nur zu taktischen Zugeständnissen geneigt. Auch Deák wies in der Parlamentsdebatte erneut ihren Antrag auf einen autonomen Status zurück.
Die Erfolglosigkeit stärkte den Einfluß der ohnehin die parlamentarische Passivität propagierenden Kräfte ebenso wie die Erkenntnis, daß frühere Herrschaftssysteme die nationalpolitischen Bestrebungen der Rumänen hemmungslos ausgenutzt hatten, um sie dann im Stich zu lassen. Aufgrund der Unterschiede im historischen Entwicklungsweg blieben die rumänischen Führer im engeren Ungarn Anhänger einer aktiven Oppositionspolitik und wollten die Garantie ihrer nationalen Rechte zwar gegen die Regierung, aber innerhalb des einheitlichen ungarischen Staates erkämpfen, was ihnen auch eine taktische Zusammenarbeit mit den ungarischen Parteien ermöglichte. Die siebenbürgischen Abgeordneten als Vertreter der anderen Hälfte des Rumänentums jedoch wählten den Weg der Obstruktion, der passiven Resistenz. Nicht nur die Verschlechterung der politischen Lage drängte ihre politisierende Intelligenz in die Passivität, sondern auch ihre innere Spaltung und der Mangel an Organisation.
Im März 1869 wurde die Reußmarkter Versammlung einberufen, nun bereits unter dem Vorsitz einer weltlichen Persönlichkeit, des Parlamentsabgeordneten Elie Măcelariu. Einige Konferenzteilnehmer, Politiker der aktivistischen Gruppe, machten auf die zu erwartenden Gefahren aufmerksam: Die Passivität komme einem Verzicht auf die Verantwortung der Intelligenz gegenüber dem Volk gleich, die bäuerlichen Massen gelangten unter den Einfluß fremder politischer Strömungen; auch das freie Forum gehe verloren, welches das Parlament bedeute. Von den 300 Teilnehmern stimmten jedoch nur vier für eine aktive Haltung, da Şaguna, ihr Anführer, sein eigenes Lager auch jetzt nicht in den Kampf gegen die andere Seite führen wollte. Die große Mehrheit teilte begeistert das Bekenntnis des Domherren Micu-Moldovan zur Passivität: „Im Leben eines Volkes sind 20 oder 30 Jahre soviel wie ein Tropfen im großen Meer. Doch wir wissen, daß wir in einem aufgeklärten, im 19. Jahrhundert leben, in dem es eine Verrücktheit wäre zu glauben, daß das Reich der Ungerechtigkeit Jahrzehnte bestehen bliebe […]* Es wurde jene Denkschrift angenommen, die noch während des Kampfes um Verhinderung des Ausgleichs, Ende 1866 dem Monarchen überreicht worden war; in dieser wurde die Union verurteilt und ein Teil der 1848er Gesetze beanstandet. Ein 25köpfiges Komitee erhielt den Auftrag, die Siebenbürgische Rumänische Nationalpartei zu organisieren. Unter Berufung auf Wahrung der Grundgesetze löste die Regierung das Komitee auf. Ohnehin wurde die Legalität von Parteien, die sich auf der Grundlage ihrer nationalen Ausschließlichkeit organisierten, vom Regime nicht anerkannt.
Damit begann für die Rumänen der für den längeren Abschnitt der dualistischen Periode charakteristische Zustand, daß ihre Partei an der Grenze der Gesetzlichkeit stand, ihre Tätigkeit von Zeit zu Zeit verboten wurde, ohne daß die Regierung dieses Verbot allerdings jemals durchgeführt hätte. Den Wahlen des Jahres 1869 blieben sehr viele rumänische Wähler fern. Somit wurden die Rumänen von 15 „ungarländischen” (der Nationalpartei) und acht Abgeordneten der Regierungspartei vertreten. Diese einen eigenen Klub {612.} bildenden Abgeordneten nahmen aktiv an der Parlamentsarbeit teil und erhoben ihre Stimme im Interesse der rumänischen politisch-kulturellen Bestrebungen, des allgemeinen Wahlrechts, der Entwicklung der Pressefreiheit und einer besseren Verwaltung.
Die siebenbürgischen Passivisten bildeten unter Umgehung der Verbotsmaßnahme der Regierung Anfang 1870 in Thorenburg eine sechsköpfige „Deputation”, die als Parteileitung damit beauftragt wurde, den Widerstand (statt im Parlament) nun bereits in den Komitatsversammlungen zu organisieren. 1872 bat Ministerpräsident Menyhért Lónyay bei seinem Besuch in Siebenbürgen die Repräsentanten der Passivität um den Vortrag ihrer Forderungen. Deren Denkschrift machte ihre Zustimmung zur Union und zum dualistischen System von einer, der Ethnostruktur des Landes folgenden, neuen Verwaltungseinteilung Siebenbürgens, von der Legalisierung des Rumänischen als eigener Amtssprache, von einem demokratischeren Wahlrecht und der Ernennung einer Reihe von rumänischen Beamten abhängig. Für die von Gewaltausbrüchen begleiteten Wahlen im Jahre 1872 war in der Regel das Fernbleiben der Rumänen von den Wahlurnen charakteristisch, wobei jedoch auch die sog. ungarländischen Rumänen eine empfindliche Niederlage erlitten. Die beiden Führungspersönlichkeiten, der Großgrundbesitzer Alexandru Mocsonyi und der Intellektuelle Vincenţiu Babeş, wurden gestürzt. Şaguna war über den allgemeinen Niedergang verbittert und zog sich angesichts der erneuten Schwächung der Aktivisten ganz aus dem politischen Leben zurück; im darauffolgenden Jahr verstarb er. Mit seinem Tode war die rumänische Nationalbewegung im wesentlichen nun von ihrer bisherigen Vormundschaft durch den hohen Klerus befreit.
Der Kampf gegen das Trefort-Schulgesetz vom Jahre 1879, das die Rechte der Träger von Nationalitätenschulen verletzte, schweißte die durch den Unabhängigkeitskrieg Rumäniens von 1877/78 ohnehin selbstbewußter gewordene rumänische Intelligenz in Ungarn auch politisch zusammen. Nach Vorbereitungsversammlungen sowie Sondierungen bei den Staatsmännern in Budapest und Bukarest wurde am 13. Mai 1881 in Hermannstadt unter Teilnahme von 117 siebenbürgischen sowie 34 Delegierten von diesseits des Königsteigs (engeres Ungarn) eine Konferenz abgehalten, auf der für Siebenbürgen die Passivität und für die ungarischen Landesteile die Fortsetzung der politischen Aktivität gebilligt wurde. Gleichzeitig proklamierte die Versammlung die Gründung der einheitlichen Rumänischen Nationalpartei und wählte Partenie Cosma zu ihrem Vorsitzenden, den Rechtsanwalt der Albina-Bank, dem eine große Zukunft vorausgesagt wurde. Das Programm der einheitlichen Partei faßte in erster Linie die in der Autonomie Siebenbürgens gipfelnden alten Forderungen zusammen. „Die rumänische Nation kann sich niemals, unter keinen Umständen” mit dem dualistischen System „aussöhnen” hieß es 1882 in einer mit Unterstützung aus Rumänien in mehreren Sprachen herausgegebenen, die Gravamina resümierenden Denkschrift.* Dieses selbstbewußte, aber introvertierte und wenig Möglichkeiten zum Taktieren bietende Programm blieb bis 1905 das Basisdokument der rumänischen Nationalbewegung.
Die Politik der Passivität basierte auf jener anfangs ziemlich verbreiteten und verständlichen besonders in Österreich geteilten Lagebeurteilung, {613.} daß der Dualismus lediglich ein vorübergehender Versuch von einigen Jahren Dauer bleiben dürfte. Doch zu Anfang der 70er Jahre stabilisierte sich das Ausgleichssystem, alle auf eine Umgestaltung abzielenden Versuche scheiterten. Dadurch wurde die ab 1887 allgemein auf Zustimmung stoßende Politik der Passivität aus einem anfänglichen taktischen Fehler zu einem grundlegenden strategischen Irrtum. Sie vermochte keineswegs die politische Tätigkeit der Regierung, die langsame, jedoch dynamische Magyarisierung der Verwaltung, den Ausbau des neuen Institutionensystems zu verhindern, ja sie spielte ihr mit ihrem Fernbleiben und den feierlichen Protesten geradezu in die Hände. Die demonstrative Abwendung vom Parlament wurde in einem Staat, dessen politisches Leben sich nahezu ausschließlich auf das Parlament konzentrierte, zur Selbsteinschränkung mit schweren Folgen. Weil ihre Wähler mangels eigener Kandidaten ihre Stimmen den Regierungskandidaten gaben, konnte sich die rumänische Opposition auf Dauer praktisch nur auf ein- bis zweitausend Angehörige der Intelligenz stützen.
Die Gesellschaft Rumäniens brachte den rumänischen Einwohnern des ungarischen Staates ein natürliches Interesse und brüderliche Gefühle entgegen. Da Rumänien jedoch in den 60er und 70er Jahren mit den Sorgen um die Erlangung seiner eigenen Unabhängigkeit beschäftigt war, fand die Unterstützung der Siebenbürger Rumänen wenn manchmal auch seitens der Regierung bestimmte Gesten erfolgten in erster Linie in der Intelligenz und Hochschuljugend ihre Basis.
Das staatliche Ansehen Rumäniens wuchs im russisch-türkischen Krieg 1877/78 erheblich, als es die ins Stocken geratene russische Offensive auf dem Balkan mit rumänischer Hilfe, noch dazu in Unterstellung der russischen Armeen unter den Befehl des rumänischen Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen (Carol I.) zum Sieg führte. Aus Siebenbürgen traten nicht wenige rumänische jugendliche in das rumänische Heer ein, die dadurch der in diesem Konflikt formell neutralen Monarchie keine geringen diplomatischen Probleme verursachten. Unter den Rumänen im ungarischen Staat kam es zu begeisterten Bewegungen: Man sammelte Geld, Kleidung und Sanitätsartikel für das rumänische Heer. Die Tisza-Regierung verfolgte den Eifer der Rumänen mit Besorgnis, da sie den von Zeit zu Zeit neu auftauchenden Gedanken zur Kenntnis nehmen mußte, der Anschluß Siebenbürgens an Rumänien sei nur noch eine Frage der Zeit. Sie beschränkte die Sammlungen, ohne sie gänzlich verhindern zu wollen. Unter den Spendern waren, wenn auch nicht in großer Zahl, ebenfalls Sachsen und Magyaren, ein Zeichen für die politisch-psychologische Schizophrenie, mit der die hiesige Gesellschaft diesem Krieg begegnete. Auch die Magyaren Siebenbürgens hielten die Freiheitsbestrebungen der unter türkischer Herrschaft lebenden Völker für einen legitimen Prozeß, andererseits waren sie aber über die zunehmende Einflußnahme Rußlands auf den Balkan besorgt, und so dominierte im Einklang mit der europäischen liberalen Öffentlichkeit die Türkensympathie. Das war der gefühlsmäßige Hintergrund der letzten ungarischen romantischen Verschwörung, deren Organisatoren, die siebenbürgischen {614.} Vertreter der Pester Unabhängigkeitspartei Gábor Ugron, Balázs Orbán und Miklós Bartha, den Versuch unternahmen, eine wenige hundert Mann starke Szekler-Freischar zusammenzutrommeln, um mit ihr wahrscheinlich mit durch englisches Geld beschafften Waffen in die Moldau einzudringen und durch Sprengung einer Sereth-Brücke den russischen Truppen die einzige Eisenbahn-Nachschublinie abzuschneiden. Einige Vertreter der rumänischen Intelligenz dachten bereits auch an eine Gegenaktion, doch ließ Tisza die Organisatoren verhaften und 600 Gewehre beschlagnahmen, womit die Angelegenheit erledigt war.
Als Rumänien seine Unabhängigkeit errungen hatte, schlugen jenseits der Karpaten die Wellen des romantischen Nationalismus höher. Es häuften sich sog. dakorumänische Kalender, Landkarten, welche das Siedlungsgebiet der Rumänen in einer großen territorialen Einheit vom Schwarzen Meer bis an die Theiß darstellten. In den Bukarester Zeitungen wurden immer häufiger Artikel über Siebenbürgen veröffentlicht, die zum Teil diesseits der Karpaten verfaßt wurden. In Bukarest wurden auch einige als unabhängig betrachtete Organisationen gegründet, die die Sache der Rumänen außerhalb der Landesgrenzen aufgriffen, so der Transilvania-Verein (1867) oder der Carpaţi-Verein (1882). Die Leiter des letzteren beschäftigten sich bereits 1882 mit dem Plan eines siebenbürgischen Aufstandes, ihre Emissäre bereisten Siebenbürgen und planten die Einschmuggelung von Proklamationen, die zur Gründung eines großrumänischen Staates und zum Aufstand aufriefen. 1885 forderten sie die Bevölkerung Rumäniens auf, das Banner der Irredenta zu entrollen, und feuerten in einem zündenden Aufruf die rumänischen Untertanen des ungarischen Staates zum bewaffneten Aufstand an.
Diesen Plänen, die nur eine kleine Personengruppe aktivierten, fehlten jedoch nicht nur die gesellschaftliche Basis, sondern auch entsprechend günstige Bedingungen im Rahmen der großen Politik. Das Rumänische Königreich suchte als Gegengewicht gegen Rußland bei Deutschland und der Monarchie Unterstützung. Es trat 1883 in Form eines Geheimvertrages mit der Monarchie dem Dreibund bei, und wenn Bukarest auch keine schriftliche Verpflichtung für eine Unterdrückung der Agitation gegen die Monarchie einging, distanzierte es sich doch stets von einer solchen. Während es den kulturellen und nationalen Bestrebungen der Rumänen im ungarischen Staat mehr oder weniger umfangreiche moralische und materielle Unterstützung zukommen ließ, nahm es zugleich den Carpaţi-Verein unter seine Kontrolle. 1885 wird die irredentistische Verschwörung im Keime erstickt und sechs ihrer Organisatoren werden des Landes verwiesen. Seit den 80er Jahren unterdrückt und moderiert Wien auf diplomatischem Wege einerseits die rumänische Einheitsbewegung, andererseits findet es sich deren vorläufige Harmlosigkeit erkennend mit ihrer bescheidenen Existenz ab.
Die Lage der Siebenbürger Rumänen und die Gestaltung ihrer zukünftigen Entwicklung war in Bukarest inzwischen zu einer verwickelten parteipolitischen Frage geworden. Da die Bewahrung des rumänischen Bündnisses an einem seidenen Faden hing, konnte die Wiener Diplomatie in der siebenbürgischen Frage nicht ihr ganzes Gewicht als Großmacht einsetzen, ohne den Sturz der Bukarester Regierung heraufzubeschwören. Unter Berufung auf ihre daheim gerade in der nationalen Frage leicht zu erschütternde Position und ihre eigene Bündnistreue versuchte die Bukarester Regierung die Führungskreise der Monarchie zu einer mit der Zeit für die Siebenbürger {615.} Rumänen günstigeren Nationalitätenpolitik zu bewegen, wofür sie in Wien geringe, in Berlin hin und wieder ernsthaftere Unterstützung fand.
Der Anschluß an den Dreibund eröffnete der Bukarester Regierung die Möglichkeit, in der Frage der nationalen Entwicklung der Siebenbürger Rumänen offiziell ihre Stimme zu erheben. Gerade als es den Anschein hatte, daß die Monarchie mit Hilfe eines von ihr geschaffenen Unterdrückungsmechanismus Rumänien die siebenbürgische Frage aus den Händen schlagen würde, in dem Augenblick begann deren Bedeutung für die Politik der Siebenbürger Rumänen und damit für die Gestaltung ihres Entwicklungsweges zuzunehmen.
1884 erscheint in Hermannstadt eine moderne rumänische Tageszeitung, die Tribuna, die unter der Leitung des aus Rumänien zurückgekehrten Schriftstellers Ioan Slavici, an der Spitze einer Gruppe junger Intellektueller, in viel schärferem Ton als bisher die Regierung angreift, noch mehr allerdings die gerade vom neuen Hermannstädter Erzbischof gegründete betont gemäßigte rumänische Partei, die bedingungslos auf der Grundlage des Ausgleichs und der Union stand. Innerhalb von anderthalb Jahren war diese Partei in alle Winde zerstreut oder wie die Tribuna ironisch schrieb „der Krankheit der Mäßigung erlegen“.*
Die neue Richtung gab sich nicht mit den altliberalen Methoden der Leiter der Nationalbewegung zufrieden, die nahezu ausschließlich auf Protestdeklarationen und kulturelle Tätigkeit beschränkt blieben, sondern bezog auch die Alltagssorgen breiterer Volksmassen in ihre national-gravaminale Politik ein. Die Tribuna führte bei den Siebenbürger Rumänen die Praxis der modernen Publizistik, Schonungslosigkeit gegen jede gegensätzliche Auffassung und einen den Bukarester oder Budapester großen Tageszeitungen entsprechend energischen Stil ein. Die notwendige Herbeiführung „eines sowohl für uns als auch für unsere Mitbürger anderer Nationalität erträglichen Modus vivendi” nicht leugnend* schrieb die Zeitung bereits ein knappes halbes Jahr später: „Falls die Stärkung des rumänischen Ethnikums im ungarischen Staate unmöglich ist […], bleibt uns keine andere Rettung als die Beseitigung eines solchen ungarischen Staates und der Kampf um diese Beseitigung; das Bündnis mit den Gegnern des ungarischen Ethnikums erscheint uns als eine organische Notwendigkeit.“*
Die neue Strömung versuchte, das Einheitsbewußtsein der rumänischen Nation auf neue Grundlagen zu stellen. Stolz verkündete sie die kulturellen Einheitsbestrebungen der beiderseits der Karpaten lebenden Rumänen und verknüpfte die aktivistische Politik der Siebenbürger Rumänen auch mit der {616.} Bukarester Parteispaltung, was zur Quelle vieler innerer Zwistigkeiten, doch zugleich auch zur neuen Triebkraft der erstarrten alten heimischen Bewegung wurde.
Die Tribuna-Jugend sicherte sich die Position des zweiten Vorsitzenden und des Sekretärs der rumänischen Nationalpartei und erzwang durch deren Druck, frühere Parteibeschlüsse zu verwirklichen und dem Herrscher eine umfangreiche Denkschrift über das kollektive politische Unrecht an den rumänischen Untertanen des ungarischen Staates zu unterbreiten. Die Initiatoren dieses Schrittes erhielten nun bereits auch massive Unterstützung aus Bukarest: 1891 wurde dort ein die kulturelle Einheit der Rumänen fördernder Verband gegründet, die Liga Culturală, welche mit der Zeit auch in Paris, Berlin und Antwerpen Sektionen einrichtete, die mit der internationalen Propagandatätigkeit beauftragt wurden. Die in der Opposition befindliche Bukarester Liberale Partei unter Dimitrie A. Sturdza glaubte in teilweiser Entsprechung zur ungarischen Parlamentstaktik-, in der nationalen Frage das Wundermittel für den Sturz der Regierung gefunden zu haben, und benutzte deshalb die Bewegung der Siebenbürger Rumänen auch als parteipolitische Waffe. Die Partei förderte die Liga, ja stellte diese sogar sehr schnell unter ihre Leitung; noch 1891 veröffentlichte sie eine Denkschrift der Studenten Rumäniens. Diese Flugschrift, bestimmt für die Jugend des Westens, für das Europa der Zukunft, und in 15 000 Exemplaren in rumänischer, französischer, deutscher und italienischer Sprache vertrieben, enthielt nach einer Einleitung über die Geschichte der Rumänen und ihren Platz in der europäischen Entwicklung sämtliche national-kulturellen Beschwerden der Siebenbürger Rumänen nach 1867. Auf offizielle Anregung hin verfaßten die ungarischen Studenten mit Hilfe Grigorie Moldovans, eines rumänischen Universitätsprofessors in Klausenburg und Mitglieds der Regierungspartei, eine apologetische Antwort, auf die wiederum seitens der rumänischen Schuljugend Ungarns der Medizinstudent Aurel C. Popovici eine 1892 in Hermannstadt herausgegebene Replik erarbeitete. Dafür verurteilte ihn das Klausenburger Gericht wegen Aufwiegelung, doch entzog sich Popovici der Strafe durch seine Flucht ins Ausland.
Ioan Raţiu, der zukünftige Parteivorsitzende, äußerte über die Wirkung dieses Flugschriftenkrieges: „Unsere Beschwerden, die dadurch in ganz Europa bekannt wurden, werden alle Nationen hören, als wahr und berechtigt anerkennen, und nicht wir tragen die Schuld dafür, daß die europäische Öffentlichkeit zu der Erkenntnis gelangte, daß etwas faul ist in diesem Staat.“* Man beschloß nun, das große Memorandum unverzüglich dem Herrscher zu überreichen.
Die Umstände waren in der Tat günstig für eine solche Denkschrift-Aktion. Ungarn wurde von einer Regierungskrise und vom Wahlfieber geschüttelt. Anders als die Führungskreise der Monarchie hatte Deutschland Rumänien auf dem Balkan eine wichtige Rolle zugedacht und versuchte auf Budapest Druck auszuüben, um die ungarische Regierung direkt zu Nachgiebigkeit in der Nationalitätenpolitik zu bewegen. Zu dieser Zeit verstärkte sich in Bukarest der Gedanke des „konditionierten Bündnisses”, d. h. als Voraussetzung für das Bündnis Rumäniens eine bessere Behandlungsweise der in der {617.} Monarchie lebenden Rumänen zu verlangen. Im Januar 1892 verhandelte König Karl in Budapest mit Ministerpräsident Graf Szapáry und ersuchte ihn um Erweiterung des siebenbürgischen Wahlrechtes und andererseits um Einstellung der sprachlichen Magyarisierungsversuche, um Beseitigung des die kulturellen Einrichtungen betreffenden Unrechtes in der Verwaltung. Szapáry war nicht gewillt, die erste Forderung zu erfüllen, auf die anderen wagte er aus Angst vor der Opposition nicht einzugehen. Das „non possumus” des Ministerpräsidenten wurde zudem von Franz Joseph bekräftigt. Karl willigte schließlich in die Aktion der Memorandisten ein, was er gegenüber den Verfassern des Textentwurfes auch zum Ausdruck brachte.
Die gesamte umfangreiche Beschwerdeschrift durchzieht die Doppeltaktik der ewigen Oppositionspolitik: Man bezweifelt die Existenzberechtigung des Ausgleichs, der Union, des Nationalitätengesetzes d. h. des gesamten Systems , um dann an anderer Stelle Rechenschaft über die Durchführung einzelner Gesetze zu fordern. Die Abschaffung der Autonomie Siebenbürgens sei „nichts anderes als die offene Negierung des rumänischen Volkes”. Das Dokument verurteilte das Gesetz Nr. XLIV/1868, da „das ganze Gesetz außer im Titel nichts von der großartigen Idee der Gleichberechtigung beinhaltet”; mit der Einführung des Begriffs der politischen Nation verübe es ein offenes Attentat auf die nationale Existenz der Nicht-Magyaren. Das Memorandum erhebt Beschwerde über den höheren siebenbürgischen Wahlzensus und die Wahlmißbräuche, weil diese die Rumänen daran hinderten, eine ihrem Gewicht entsprechende Vertretung zu erreichen. Es verurteilt das strengere siebenbürgische Pressegesetz und die Presseprozesse. Gegenüber der als Periode der rechtlichen Emanzipation betrachteten Zeitspanne von 18481866 sei das System von 1867 bestrebt, „uns alles wegzunehmen, was wir von der einheitlichen Monarchie erhalten haben”. Es beklagt die Magyarisierung der Schulen, den aufgezwungenen ungarischen Sprachunterricht, das Fehlen eines rumänischen Universitätsunterrichtes und staatlicher rumänischer Gymnasien, andererseits die Methode der staatlichen Subventionierung ihrer Pfarrer, da eine solche deren kirchliche Autonomie schmälere. Das System stelle kaum rumänische Beamte ein, es verfolge die Intelligenz, so daß „sie zur Schlußfolgerung gelangen mußten, daß sie in der eigenen Heimat als Fremde angesehen werden”. Sie hätten keine Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Magyarisierungsvereine verletzten ihr nationales Selbstgefühl: „man fordert uns täglich heraus und schmäht uns auf unverschämte Weise”.
Die gesamte Denkschrift folgte in ihrem Tenor der klaren Grundthese: „nach 25jähriger verfassungsmäßiger Existenz stehen sich die Menschen feindlicher gegenüber als jemals zuvor”, und auch die Rumänen „können weiterhin weder dem Budapester Parlament noch der ungarischen Regierung vertrauen”. Eine Wende sei lediglich vom Monarchen zu erwarten, von „seiner natürlichen Vermittlung”, damit „in gesetzlicher Form und unter Mitwirkung der dazu berufenen Faktoren das Regierungssystem unserer Heimat verändert werden kann”.*
{618.} Im Mai 1892, am Vorabend der Feierlichkeiten zum 25Jährigen Bestehen des Dualismus, brachte eine Delegation von 237 Mitgliedern die Denkschrift nach Wien. Auf Wunsch der Regierung wurde sie jedoch nicht vom Monarchen empfangen, weshalb der Parteivorsitzende Raţiu das Memorandum in einem versiegelten Umschlag im Kabinettsbüro hinterlegte. Von hier wurde es ungeöffnet nach Budapest geschickt, und dort sandte es das Amt des Ministerpräsidenten ebenfalls ungeöffnet an die Adresse des „Absenders” Raţiu zurück. Somit war der erste Schritt ein Mißerfolg.
Aus dieser peinlichen Lage wurden die rumänischen Führer durch die ungarische nationalistische Stimmung und durch die Regierung befreit. Ein selbstkritischer rumänischer Politiker schrieb dazu: „Wir konnten keine so große Dummheit vollführen, auf die die Ungarn nicht mit einer noch größeren Dummheit geantwortet hätten.”* In Thorenburg bewarfen Demonstranten das Haus von Raţiu mit Steinen, was in Rumänien eine gewaltige Resonanz auslöste. Und da das Memorandum in 11 000 rumänischen sowie 2000 fremdsprachigen Examplaren gedruckt und teilweise durch die Liga Culturală vertrieben wurde, gab die Regierung nach einigem Schwanken dem nationalistischen Druck nach: Die Staatsanwaltschaft von Klausenburg leitete im Mai 1893 ein Presseprozeßverfahren gegen den Unterzeichner, Raţiu, sowie die gesamte Parteispitze ein, die sich zur geistigen Urheberschaft bekannt hatte.
Die Liga Culturală veranstaltete Sympathiekundgebungen in Rumänien, verstärkte ihre Propaganda in Westeuropa und gab Geld zur Wiederherausgabe der verbotenen-Tribuna. In Bukarest versuchte die oppositionelle liberale Partei diese Angelegenheit zugleich zum Sturz der konservativen Regierung auszunutzen, die zum Verräter der Siebenbürger Rumänen erklärt wurde. Sturdza schlug vor, das gesamte Nationalkomitee solle vor den Prozessen ins Ausland fliehen und seinen Sitz nach Rumänien verlegen, um „dem Kampf europäische Bedeutung zu verleihen”.* Das Komitee durchschaute jedoch die Absicht Sturdzas, lediglich die konservative Regierung zu stürzen. „Was würde die der außenpolitischen Kombinationen unkundige Bauernschaft wohl dazu sagen, wenn ihr ihre Führer den Rücken kehren, dann schließlich in Rumänien in Anerkennung schwelgen, währenddessen die Kleinen, die Armen ins Gefängnis gehen?“* Raţiu fuhr im November nach Bukarest, wo ihn Regierung und König mit zu erwartenden ungarischen Zugeständnissen vertrösteten. Daraufhin reiste er von dort direkt nach Pest, wo man allerdings die angekündigten Zugeständnisse erst für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht stellte, von den Rumänen aber die Aufgabe des Programms von 1881 forderte. Somit blieb diese Unterredung ergebnislos. Inzwischen hatte sich die rumänische Publizistik der Frage angenommen, ob das Nationalkomitee emigrieren oder verbleiben solle, und dies führte unter erneuter Zuspitzung der alten Gegensätze zu einer inneren Verwirrung. Später meinte man {619.} deshalb, daß „Sturdza uns innerhalb eines Jahres stärker demoralisiert hat als die ungarischen Regierungen in 50 Jahren”.*
Der Presseprozeß begann am 7. Mai 1894 in Klausenburg. Beide Seiten bereiteten sich auf ein großes Schauspiel vor. Zur Verteidigung der Angeklagten wurden auch slowakische und serbische Rechtsanwälte aufgeboten. Die Verteidigung stellte, um einheitlich auftreten zu können, Formeln zusammen, die für Verteidiger und Angeklagte verbindlich waren. Raţiu und seine Anhänger wurden bereits während ihrer Anreise auf vielen Bahnhöfen gefeiert, sie erhielten eine Flut von Glückwunschtelegrammen. In den ersten Tagen demonstrierten mehr als 3000 (nach anderen Quellen 25 000) rumänische Sympathisanten in der Stadt, in der bedeutende militärische Kräfte in Bereitschaft gehalten wurden. Auch in der Provinz kam es zu mehreren Sympathieaktionen, die die Behörden bereits mit Besorgnis erfüllten. Die Verhandlung ging schleppend voran, lange Zeit wurde über die Protokollsprache und vor allem die von den Verteidigern zu verwendende Sprache debattiert, da das Gericht den Angeklagten den Gebrauch ihrer Muttersprache nicht verweigern konnte, von den Rechtsanwälten aber den Gebrauch der ungarischen Sprache forderte.
Den Grundgedanken, den Prozeß nicht als einfachen Presseprozeß führen, sondern ihn zu einer großangelegten politischen Polemik werden zu lassen, konnten die Angeklagten nur teilweise verwirklichen. Es gelang nicht, das Memorandum selbst als „historische und staatsrechtliche Dissertation” inhaltlich zur Diskussion zu stellen. Nach der bewußt zurückhaltenden Anklagerede des Oberstaatsanwalts verlas Raţiu im Namen der Angeklagten ein imposantes Plädoyer, das vom Sekretär der Partei und einem Bukarester liberalen Politiker zusammengestellt worden war. Er erklärte, das ganze rumänische Volk habe sie nach Wien geschickt, um im Interesse ihrer mit Füßen getretenen Rechte den Schutz des Thrones zu erbitten. In Wirklichkeit gehe es um einen „jahrhundertealten Prozeß zwischen der ungarischen Nation und der rumänischen Nation”, in dem „das Gericht der gebildeten Welt […] Sie einmal noch mehr und strenger als bisher verurteilen wird. Indem uns der Geist der Intoleranz mit in Europa beispiellosem Rassenfanatismus verurteilt, kann ihm nur gelingen, der Welt zu beweisen, daß die Ungarn einen Mißton im Konzert der Zivilisation darstellen.“*
Nach 17tägiger Verhandlung erklärten die Geschworen die Angeklagten mit großer Mehrheit für schuldig. Das Gericht wollte, gegen die Meinung seines eigenen Vorsitzenden, den gesamten Geist des Memorandums und der Angeklagten verurteilen, womit es zugleich den ungarischen Nationalismus und die Sehnsüchte des nach Konfrontation strebenden rumänischen Nationalkomitees befriedigte. Die Strafen waren außerordentlich hart: 15 Personen wurden für Aufwiegelung in der Presse zu einer Haftstrafe von zwei Monaten bis zweieinhalb Jahren verurteilt. Der Sekretär Lucaciu, der für den Hauptorganisator der Aktion gehalten wurde, erhielt abweichend von der Ansicht des Gerichtsvorsitzenden und des Staatsanwaltes die Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis.
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