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Die Asternrevolution

Der Sieg der russischen Oktoberrevolution 1917 veränderte die politischen Verhältnisse in Ostmitteleuropa radikal. Solange ein starkes Rußland existierte, bestand die historische Mission des Habsburgerreiches darin, im Interesse des Gleichgewichtes die russische Expansion zu verhindern. Mit dem Sturz des Zarenreiches und der Schwächung Deutschlands durch den Krieg verlor jedoch diese Mission ihre traditionelle Bedeutung. Der Fortbestand des Reiches mit seinen 50 Millionen Menschen wurde zu einer offenen Frage.

Der Entente fiel die Entscheidung über das Schicksal der Monarchie sehr schwer. Die Franzosen hielten eine vollständige Auflösung des Habsburgerreiches für zweckdienlicher, die Engländer und Amerikaner anfangs eher seine Rettung. Im Frühjahr 1918 entstand wegen des Bukarester Sonderfriedens der Eindruck, daß die Entente den rumänischen Geheimvertrag von 1916 als ungültig betrachtete. Doch bis zum Herbst hatten der britische und französische Ministerpräsident dem Pariser „Rumänischen Einheitsrat“ bereits versprochen, eine Union aller Rumänen zu unterstützen. Demgegenüber hielt Wilson am 18. Oktober in seiner Antwort auf das Friedensangebot der Monarchie lediglich die Befriedigung der tschechischen und südslawischen Ansprüche für wichtig, während er die Rumänen gar nicht erwähnte.

Anfang Herbst begann sich die Politik stark zu beleben. Im Wiener Reichsrat forderten die Rumänen aus der Bukowina und im Budapester Parlament die rumänischen Politiker Siebenbürgens für sich einen autonomen Staat innerhalb des Reiches. Das Nationalkomitee erklärte im Anschluß an seine Beratung am 12. Oktober der Presse, „[…] man wird eine Erklärung abgeben, daß die Rumänen in Ungarn keinerlei Abfallsbestrebungen haben […], sondern lediglich das Selbstbestimmungsrecht der Rumänen auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons verlangen“.* Aradi Hírlap, 12. Oktober 1918; Gazeta Poporului, 27. Oktober 1918. Vaida-Voevod forderte im Parlament die „volle nationale Freiheit“ für alle Rumänen.

Die Mehrheit der ungarischen Politiker Siebenbürgens bestand auf Erhaltung der alten Staatseinheit und war lediglich zu sprachlichen und administrativen Zugeständnissen (so zur Ernennung eines eigenen rumänischen Ministers) bereit. „Daß wir [Rumänien] Komitate überlassen, davon {641.} kann natürlich keine Rede sein, aber auch nicht von der Umgestaltung Ungarns in Selbstverwaltungsgebiete.* OSzK Kézirattára, Apáthy-iratok (Handschriftensammlung. Apáthy-Schriften). Quart. Hung. 2955.

Am 18. Oktober verhandelten Károlyi und Jászi (als Vertreter einer Art Schattenregierung) erstmals mit den Beauftragten des rumänischen Komitees. Károlyi wollte eine Volksabstimmung über das Schicksal Siebenbürgens entscheiden lassen. Das Komitee verlangte vor allem eine Garantie dafür, daß die künftige Károlyi-Regierung der Durchführung einer großen rumänischer. Nationalversammlung zustimmen werde. Auf dem Budapester Kongreß der Sozialdemokraten verlautbarte der rumänische Delegierte am 13. Oktober, „wir unterstützen im eigenen Interesse den Kampf für die Demokratisierung Ungarns, denn wenn wir nun einmal in diesem Lande die uns zustehenden Rechte erreicht haben, dürfen wir sie selbst dann nicht verlieren, wenn wir einem anderen Land angeschlossen werden“.* Adevĕrul, 20. Oktober 1918. Gleichzeitig jedoch kündigte er seinen Vorbehalt gegen die Rumänische Nationalpartei an.

Der Ungarische Nationalrat, der aus der Übereinkunft der Unabhängigkeitspartei, der Radikalen und der Sozialdemokratischen Partei hervorging, erklärte in seinem Manifest vom 26. Oktober über die Nationalitätenfrage: Die Selbstbestimmung im Sinne der Wilsonschen Prinzipien ist den Nationalitäten ohne Verzögerung zu gewähren („in der Hoffnung, daß diese Elemente die territoriale Integrität Ungarns […] auf sicherere Grundlagen stellen* MMTVD V. Budapest 1956, 267.). Es wurde auch ein Siebenbürgisches Komitee des Ungarischen Nationalrates gegründet. Zu seinem Vorsitzenden wurde István Apáthy, der europaweit bekannte Rektor der Klausenburger Universität, gewählt, der aber seines Nationalismus wegen auf die rumänische Intelligenz seit langem wie ein rotes Tuch wirkte. Seine Stellvertreter waren der Theater- und Filmregisseur Jenõ Janovics sowie der Sozialdemokrat Sándor Vincze.

Gleichzeitig mit der Ausweitung der Revolution im Oktober in der Hauptstadt traten die rumänischen Sozialdemokraten nach dem Beispiel ihrer ungarischen Kollegen sofort mit der Rumänischen Nationalpartei in Kontakt, und auf ihr Drängen hin wurde noch am 31. Oktober in Budapest der Rumänische Nationalrat gebildet. Die Nationalpartei stellte auf jeden Fall die Bedingung, daß nur solche Sozialdemokraten in den Rat delegiert werden dürften, die „die Entscheidungsfindung nicht behindern“, sich also nicht gegen den nationalen Kurs stellen.

In den Tagen der Budapester bürgerlich-demokratischen Revolution kam es auch in Siebenbürgen zu Unruhen und am 30. und 31. Oktober in Klausenburg zu ernstzunehmenden Demonstrationen. Die politischen Gefangenen wurden freigelassen, die Zensur abgeschafft.

Die mit der Revolution am 1. November an die Macht gekommene Károlyi-Regierung ließ sofort die restlichen Internierten frei, genehmigte die verbotenen Zeitungen, hob die Vermögenssperre der Verurteilten auf, öffnete sämtliche Nationalitätenschulen, ersuchte um die Meinung der Nationalitäten bei der Ernennung neuer Obergespane, ergänzte die allgemeine politische Amnestie durch eine generelle Begnadigung im Militär und kündigte Hilfsaktionen für alle siebenbürgischen Komitate an.

{642.} In Temeschwar und bald darauf im Schil-Tal entstand eine unabhängige Arbeiter-und-Soldatenmacht, in den Komitaten Hermannstadt, Bihar und Szilágy entwickelten sich revolutionäre Bewegungen. Auf Betreiben der Arbeiter- und Soldatenbewegungen wurden die in den ersten Novembertagen noch bestehenden Militäreinheiten aufgelöst, womit das wirksamste Mittel der Unterdrückung, die Armee, im wesentlichen aufhörte zu existieren. An einigen Orten setzte die Sozialdemokratische Partei die organisierte Arbeiterschaft zur Aufrechterhaltung der Ordnung ein, so auch in Klausenburg und Arad.

Förderliche Momente einer revolutionären Umwälzung des Dorfes, wo die Lage wegen der sozialen Gegensätze gespannt war, boten in erster Linie die Budapester Revolution und die nach ihr einsetzenden Arbeiterbewegungen in der Provinz. Das größte Unruhepotential stellten die in den ersten Novembertagen massenweise von der Front heimkehrenden Zehntausende von geschwächten, aber zugleich revolutionär gesinnten Soldaten dar. Der Obergespan von Krassó-Szörény meldete am 7. November: „Die zügellose Masse, die anfangs nur aus Soldaten bestand, hat langsam auch das zuhause gebliebene Volk für ihre Ziele gewonnen und stellt sich gegen all jene Faktoren, in denen sie wegen des begüterten Wohlstandes einen Gegner sah […] Auch kann nicht behauptet werden, daß dies eine gegen irgendeine Nation gerichtete Spitze hätte, da es auch in rein rumänischen Gemeinden Plünderungen gab.“* OL, Nemzetiségi Ügyek Minisztériuma (Ministerium für Nationalitätenbelange). 1918. IX. t. 27.

Großgrundbesitze und Staatsdomänen wurden reihenweise angegriffen, die Einrichtungen einzelner Schlösser zertrümmert und die Waren aus den Lagern fortgeschleppt. Der bäuerliche Klassenkampf entbrannte in den entwickelteren Gegenden – in den Komitaten Arad, Temes, Krassó-Szörény, teilweise auch in Bihar und Kolozs – am schärfsten. „[…] in allen Kreisen des Komitats Kolozs, man könnte sagen, mit ganz wenigen Ausnahmen, kamen die Negation des Besitzes, der Bolschewismus und die tatsächliche Durchsetzung der Landverteilung oder auf eine solche ausgerichte Taten vor“ – hieß es in einem offiziellen Bericht.* Ebd., t. 839. Echten nationalen Charakter hatten diese Bewegungen nicht. In den Berichten finden sich regelmäßig solche Sätze wie folgende: „den rumänischen Pfarrer, Notar hat man hier ebenso vertrieben wie (den ungarischen) in der rein ungarischen Tiefebene“, oder „Rumäne und Ungar haben nicht nur einmal gemeinsam zerstört“.* Erdély története (Geschichte Siebenbürgens). II, Bukarest 1964, 425; Aradi Hírlap, 2.–5. November 1918. Die rumänischen Bauern verschonten auch das Vermögen „ihrer eigenen Führer“ nicht. Sie griffen den 3000-Morgen-Besitz von Gheorghe Pop, dem greisen Vorsitzenden der rumänischen Partei, die Großgrundbesitze der Familie Mocsonyi und die Wirtschaften des griechisch-katholischen Bistums Großwardein an. Der Großgrundbesitzer und Parteiführer Mihali ließ in Nagyilonda auf die rumänischen Bauern schießen-um sein Leben und seinen Besitz zu schützen.

Der Staat erwies sich gegen die Volksbewegungen als völlig machtlos. Die ohnehin nicht sehr starke Gendarmerie zog sich in die Zentren zurück, um wenigstens das Leben ihrer Mannschaften zu schützen. In Kenntnis der {643.} Schwierigkeiten wandte sich die Regierung an die Nationalräte um Hilfe. Bereits bei Ausbruch der Revolution wurde ein gemeinsames ungarisch-rumänisch-sächsisches Manifest mit dem Aufruf an die Völker Siebenbürgens veröffentlicht, „Kontakte zueinander zur Wahrung der persönlichen und Vermögenssicherheit zu suchen“. Als Ergebnis der Verhandlungen am 2. November zwischen Jászi und der in Vertretung der siebenbürgischen nichtmagyarischen Völker erscheinenden Personen verordnete der Minister für Unterricht die Abschaffung der kurzlebigen „Kulturzone“. Jászi erklärte jedoch darüber hinaus: „zuvor haben wir darüber konferiert, wie Ordnung und Ruhe in den siebenbürgischen Teilen erhalten werden können. In dieser Frage herrschte zwischen uns volle Übereinstimmung“.* Aradi Hírlap, 3. November 1918.

Auf Anregung der Regierung und der örtlichen Behörden entstanden auch dort Räte, wo die Volksbewegung keine solchen geschaffen hatte. Die konservativen wie auch die radikalen Nationalräte waren bestrebt, die sozialen Bewegungen mittels nationaler Parolen zu mäßigen. Rumänische Nationalräte und Regierung gleicherweise waren im Falle eventueller Gewalttätigkeiten zwischen den Nationen um ihren guten Ruf und Einfluß besorgt.

Das ungarische Bürgertum war unzufrieden mit der Schwäche der Zentralgewalt und forderte, daß „die Regierung, wenn es erforderlich ist, auch nicht vor der Einführung des Standrechts zurückschrecken soll. Diese Maßnahme steht, wenn sie gegen Verbrecher an der Vermögenssicherheit eingeführt wird, nicht im Gegensatz zur gesellschaftlichen Befreiung“.* Aradi Hírlap, 5. November 1918. Ausschreitungen und Übergriffe forderten auch ihre Opfer. Die frühere Geschichtsschreibung benutzte vor allem die beiden bekanntesten Fälle zur nationalen Verleumdung. In Fatschet drangen am 6. November Bauern in einige geschlossene Geschäfte ein und zerstreuten sich trotz der Warnsalven der Gendarmerie nicht. Sie brachen die Getreidelager und den Laden der Genossenschaft auf. Schließlich traf ein Flugzeug aus Arad ein und warf Bomben in die Menge; angeblich sollen dabei 104 Menschen den Tod gefunden haben. Arader Blätter fanden es unter dem Gesichtspunkt der Pazifizierung als beruhigend, daß die Flugzeuge ständig in der Luft kreisten. In Jósikafalva verwüsteten italienische Kriegsgefangene und zu ihnen gestoßene rumänische Bauern ein Sägewerk und das Schloß. Das vom Bruder des Besitzers gebildete private Sonderkommando richtete einige Tage später etwa 20 Bauern hin und verbrannte ihre Leichname. Am 12. November erreichte sie hier der zur Untersuchung der Geschehnisse entsandte gemischte Ausschuß der Klausenburger rumänischen und ungarischen Nationalräte, der die Aktion selbstverständlich verurteilte.

Ausbau der Machtorganisation des rumänischen Bürgertums

Revolution und Massenbewegungen zerbrachen die alte Ordnung, sie neutralisierten oder vertrieben viele von jenen, die über Jahrzehnte hinweg der Rumänischen Nationalpartei den Weg zur Macht versperrt hatten, und ermöglichten ihr jetzt den Versuch, auch die politische Macht zu übernehmen.

{644.} Die Károlyi-Regierung behandelte das rumänische Bürgertum grundsätzlich demokratisch – anderes hätte sie auch kaum tun können. Budapest „erlaubte auch den Rumänen nicht nur die Organisation von Nationalräten und Nationalgarden, sondern regte sie direkt dazu an, da die Regierung diese zwar als autonom, doch zugleich als Organ des Staates betrachtete“,* Les négociations de la paix hongroise I. [Budapest 1920], 384. und ließ rumänischen Nationalgarden auch bedeutende Geldsummen zukommen. Die rumänischen Garden trugen zur Wiederherstellung der Ordnung bei, und Mitte November waren sie zweifellos schon die wirksamsten Einheiten der Ordnungskräfte.

In der Anfangsperiode war die Beziehung zwischen den ungarischen Organen und den rumänischen Räten freundschaftlich. Die erstarkende republikanische Bewegung und die fortgesetzte Radikalisierung der ungarischen Gesellschaft scheinen den Verselbständigungsprozeß des rumänischen Bürgertums beschleunigt zu haben. „Was uns Rumänen anbelangt, muß [die Revolution – Z. Sz.] als nationale Katastrophe betrachtet werden. Mit allen nur möglichen Mitteln müssen wir danach streben, daß wir der Revolution in erster Linie nationalen Charakter verleihen“ – schrieb ihr Zentralorgan, wobei gleichfalls betont wurde, daß „der Rumänische Nationalrat nicht der Sprößling einer Revolution ist“. „Niemand soll von uns erwarten, daß wir dem Beispiel der Budapester folgen und zu Republikanern, zu Dynastiefeinden, zu Revolutionären werden; solche sind wir auch bisher nicht gewesen und haben keinen Grund, künftig solche zu werden.“ […] „Wir trennen uns […] und gehen unseren eigenen Weg […] uns dabei vor dem Schicksal der Budapester hütend, da wir nicht die Absicht haben, uns dahin führen zu lassen, wohin wir uns nicht führen lassen wollen, und dort anzukommen, wohin wir nicht gehen wollten.“* Românul, 7. Dezember 1918; 12. November 1918; Drapelul, 19. November 1918. Siehe auch V. LIVEANU, 918. Din istoria luptelor revoluţionare din Romînia (ígí8. Aus der Geschichte der revolutionären Kämpfe in Rumänien). Bucureşti 1960, 507, 510, 547–548.

Der indessen von Budapest nach Arad übersiedelte Zentrale Rumänische Nationalrat unternahm den Versuch, eine größere selbständige Streitmacht zu organisieren. Der Sitz des zentralen Offiziers- und Soldatenrates war Wien, wo Maniu aus etwa 100 Offizieren den Wiener rumänischen Soldatenrat bildete, der sich auf ein aus 5000 Mann (rumänischer Nationalität) bestehendes Infanterieregiment stützte und auch in Wiener-Neustadt Soldaten hatte. Das Ziel der Wiener Aktion bestand darin, die rumänischen Soldaten der von der Front heimkehrenden Armee, in Einheiten organisiert, nach Siebenbürgen zurückzuschicken. Dadurch wäre der Rumänische Rat in den Besitz einer zur damaligen Zeit als enorm geltenden, aus ungefähr 50 000 Soldaten bestehenden Streitmacht gelangt, was das Gewicht Arads gegenüber Budapest und vielleicht sogar Bukarest in einem nicht abzusehenden Maße verändert hätte. Alle Soldaten trafen auch in Siebenbürgen ein, doch gerade die aus Böhmen auf Umwegen heimkehrende, gut ausgerüstete „Prager Rumänische Legion“ wurde auf Befehl der serbischen Kommandantur – wegen der noch unbestimmten Zugehörigkeit des Banats – aufgelöst. Die Hoffnungen auf eine eigene Armee waren in Rauch aufgegangen.

Nach dem Ausbruch der Revolution war am 5. November die sog. Lansing-Botschaft veröffentlicht worden, derzufolge der amerikanische Präsident „mit {645.} dem Gedanken der nationalen Einheit der überall lebenden Rumänen sympathisiert. Die USA werden nicht versäumen, zu gegebener Zeit ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß das rumänische Volk seine berechtigten politischen und Gebietsansprüche durchsetzt“.* B. JANCSÓ, A román irrendentista mozgalmak története, 123. Damit hatten bereits alle Siegermächte Rumänien die Unterstützung bei seinen Gebietsforderungen zugesichert, und damit war auch entschieden, daß die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien auf dem Wege der Macht erfolgen werde. Am 9. November ließ schließlich auch Berlin der rumänischen Regierung die Botschaft überbringen, daß es „die Bestrebungen Rumäniens in Siebenbürgen wohlwollend behandelt“, wenn die von dort abmarschierende Mackensen-Armee nicht behelligt werde.

Die neuen Umstände bewogen die rumänischen Politiker Siebenbürgens zum Handeln. Sie wollten den zu erwartenden Prozeß beschleunigen, gleichzeitig aber ihre eigenen Positionen so festigen, daß sie ihre Selbständigkeit mit jedem neuen Tage zu wahren und zu stärken vermochten. Am 9. November ging jenes „Ultimatum“ von Arad nach Budapest ab, in dem der Rumänische Nationalrat aufgrund der nationalen Selbstbestimmung und unter dem Vorwand einer Sicherung bzw. Erhaltung der Vermögenswerte und der öffentlichen Sicherheit die „Regierung des Ungarischen Nationalrates“ aufforderte, ihm die Souveränität über Ostungarn zuzuerkennen. Das beanspruchte Territorium umfaßte neben dem historischen Siebenbürgen auch die Komitate Torontál, Temes, Krassó-Szörény, Arad, Bihar, Szilágy, Sathmar, Marmarosch, „ferner die rumänischen Gebiete von Csanád, Békés und Ugocsa“.* Der Brief des Rumänischen Nationalrates s. OL, Ministerium für Nationalitätenbelange 1918. IX. t. 240. Der rumänische Rat wollte die Macht aufgrund der vollen Rechtskontinuität übernehmen, er forderte die Regierung auf, alle Institutionen und Behörden seiner Macht zu unterstellen und dies zugleich in einer Proklamation dem Volk des Landes mitzuteilen.

In einem erweiterten Ministerrat behandelte die ungarische Regierung das Memorandum. Der überzeugte Nationalist Apáthy und auch Graf István Bethlen waren zur Annahme des Entwurfes des Ministers für Nationalitätenangelegenheiten Jászi bereit, der die siebenbürgische Frage durch Verhandlungen mit den Rumänen über die Einrichtung einer kantonalen Konföderation nach Schweizer Vorbild zu lösen gedachte. Die ungarische Öffentlichkeit sah Jászis Reise nach Arad mit großen Erwartungen entgegen, obwohl die siebenbürgischen Zeitungen bereits am 9. November die Frage aufwarfen, ob ein Teil Siebenbürgens evakuiert werden sollte. Falls diese Verhandlungen zu einem Ergebnis führten, „dann können wir den Anschluß Siebenbürgens an Rumänien verhindern und auch unsere territoriale Integrität den Tschechen gegenüber retten, die Grundlage für die Entwicklung eines föderativen Staates schaffen“-diktierte der amtliche Optimismus der Regierungskreise.* Magyarország, 12. November 1918.

Die Regierungsdelegation traf gemeinsam mit siebenbürgischen Ausschußmitgliedern sowie Delegierten der sächsischen und schwäbischen Nationalräte am 13. November in Arad ein. Jászi erklärte vor Journalisten: „wenn die Rumänen tatsächlich Frieden wollen, dann stellen wir ihn auf solide Grundlagen, damit sie ihn nicht umgehen können“.* J. KOMÁROMI, Jászi Aradon (Jászi in Arad) (Új Magyar Szemle, 1920. 1), 27–35.

{646.} Wegen des Protestes der Rumänen konnten die Vertreter der nichtrumänischen Räte aus Siebenbürgen nur als Beobachter an den Verhandlungen teilnehmen, obwohl (laut Jászis Berechnungen) von den 6,8 Millionen Menschen in dem beanspruchten Gebiet nur etwa 2,9 Millionen rumänischer Nationalität waren. Diese Ausschlußforderung deutete bereits an, daß die rumänischen Führer das Selbstbestimmungsrecht einseitig interpretierten.

Jászi unterbreitete in Arad den Vorschlag, gemeinsam einen neuen demokratischen Staat einzurichten. Er bot das Selbstbestimmungsrecht an und die volle Regierungsgewalt über all jene Gebiete, in denen die Rumänen geschlossen siedelten oder in absoluter Mehrheit waren. Diese sollten sich auch bei den Friedensverhandlungen vertreten lassen können. Sein Plan beschnitt die territorialen Ansprüche des rumänischen Partners erheblich. Die Grenze des nach dem Schweizer Modell zu übergebenden Territoriums sollte die Linie Orschowa–Élesd–Zillenmarkt–Visóvölgy sein, außerdem sollte ein kompliziertes Enklavensystem entsprechend den Nationalitätenverhältnissen Siebenbürgens geschaffen werden. (Eine ungarische Enklave wäre das Szeklerland, die Gegend um Klausenburg geworden, ungarische Autonomie plante man für Petroscheni, Eisenmarkt, Reschitza und Lugosch, während der Plan auch drei rumänische Enklaven auf ungarischem Gebiet vorsah.) Jászis Angebot enthielt auch den Vorschlag, ein internationaler Ausschuß solle die Richtigkeit der ethnischen Angaben des Statistischen Zentralamtes vor Ort kontrollieren. Er versprach den Rumänen Regierungsbeteiligung und wollte gemeinsame Organe für die Erledigung der gemeinsamen Angelegenheiten schaffen. All das weckte in den rumänischen Führern den berechtigten Verdacht, Jászi wolle in Wirklichkeit mit vollendeten Tatsachen in die Friedensverhandlungen eintreten, in denen er sich dann auf sie berufen könne. Sie wollten die Lösung in einer anderen Richtung suchen.

Am kommenden Tag traf die Nachricht von der Unterzeichnung des Belgrader Waffenstillstandsabkommens vom 13. November zwischen der Károlyi-Regierung und Franchet d’Esperey ein, das die gesamte Verwaltung Ungarns im Kompetenzbereich der Budapester Regierung beließ, obwohl das Militär der Entente bis zum Mieresch vordringen könnte. Dies ermutigte die ungarische Delegation, änderte aber nichts am Verhandlungsverlauf. Der ungarischen Delegation wurde die abweisende Antwort der Rumänen mitgeteilt, daß „provisorische Lösungen“ keinerlei Garantien für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den von ihnen beanspruchten Gebieten darstellten. Nach erneuten, vergeblichen Unterhandlungen fragte Jászi schließlich, was die Rumänen denn eigentlich wollten? Die totale Abtrennung – antwortete Maniu.

Die Gespräche blieben ergebnislos. Die Károlyi-Regierung wollte offensichtlich tatsächlich eine demokratische Lösung der Nationalitätenfrage erreichen. Sie wollte die Integrität erhalten, aber nicht auf den alten, sondern auf völlig neuen, föderativen Grundlagen. Der totalen Abtrennung eines ganzen Landesteiles konnte sie jedoch nicht zustimmen.

Die rumänischen Führer überließen die endgültige Entscheidung der Armee des rumänischen Staates und den Friedensverhandlungen. Sie verzichteten auf eine rasche einseitige Proklamation der Machtübernahme, da dies „zu einer ungeheuren Verwirrung unter der Völkern Ungarns führen und {647.} die Verwirrung dazu führen würde, die ohnehin auf schwachen Grundlagen ruhende Ordnung gänzlich ins Wanken zu bringen“.* Aradi Hírlap, 15. November 1918. Die stufenweise Machtübernahme hatte ja bereits begonnen.

Die rumänische Versammlung in Karlsburg

Parallel zu den Verhandlungen von Arad hatte Maniu ein Memorandum nach Paris gesandt, in dem er, abweichend vom Belgrader Waffenstillstandsabkommen, die Genehmigung für ein Vordringen der rumänischen Armee diesseits des Mieresch erbat. Deren Eingreifen verlangte man auch von der rumänischen Regierung und überzeugte König Ferdinand davon, daß seine Truppen in Siebenbürgen ausreichend Lebensmittel, Schuhe und Kleidung vorfinden würden – Widerstand dagegen nicht, so daß es keinerlei Hindernis für ihr Vordringen gebe. Die Frage der militärischen Einmischung war damit endgültig entschieden.

Der Rumänische Nationalrat bekannte sich am 20. November in einem Manifest „an die Völker der Welt“ zur Eigenstaatlichkeit und brachte dabei zum Ausdruck, daß „die Regierung mit der ganzen Macht des Staates der Unterdrücker den der rumänischen Nation billigerweise zustehenden Bestrebungen die Stirn bietet“. Gemäß den Intentionen der rumänischen Regierung wurde am folgenden Tag in einem erneuten Manifest ein Aufruf zur Abhaltung einer Nationalversammlung verkündet und außerdem die Proklamation des rumänischen Generalstabschefs anläßlich des Einmarsches seiner Truppen in Siebenbürgen mitgeteilt. Das Nationalkomitee forderte am 24. November in einem vertraulichen Rundschreiben die örtlichen Räte auf, in möglichst vielen Gemeinden „den bedingungslosen Anschluß an das rumänische Königreich zu proklamieren, unter der Herrschaft der gegenwärtigen Dynastie“.* Im Namen des alten Nationalkomitees herausgegebener vervielfältigter Rundbrief s. OL, Ministerium für Nationalitätenbelange 1918. X. t. 242. Es wurde auch ein Musterexemplar der Erklärung verschickt, mit dem Hinweis, die Erklärung in mehreren Exemplaren auszufertigen, da auch die rumänische Diplomatie sie benötige. „Somit wird eine Volksabstimmung wahrscheinlich vermeidbar sein“ – resümiert das Rundschreiben das Ziel der Aktion.* L. NAGY, A kisebbségek alkotmányjogi helyzete Romániában (Verfassungsrechtliche Lage der Minderheiten in Rumänien). Kolozsvár 1944, 18–19. Die ungarische Regierung unternahm nichts, um die rumänische Nationalversammlung zu verhindern, die Ungarischen Staatsbahnen setzten sogar Sonderzüge für die am 1. Dezember zur Versammlung nach Karlsburg anreisenden Rumänen ein.

Diese Versammlung bereitete den rumänischen Sozialdemokraten viele Probleme. Der Standpunkt des linken Flügels war eindeutig: „Wir werden uns mit Rumänien vereinen, müssen jedoch Bedingungen dafür festlegen. Wir müssen mit der Zeit gehen und die Tyrannen vertreiben, und das rumänische Volk soll als freies Volk, ebenso wie wir jetzt, unsere Hand ergreifen, dann wollen wir gemeinsam ein großes, freies und demokratisches Land schaffen. Wir brauchen von nun an weder Bojaren noch das Symbol ihrer Macht (den {648.} König).“* Adevĕrul, 24. November 1918; T. ALBANI, Douăzeci de ani la Unire (20 Jahre nach der Vereinigung). Oradea 1938, 206. Auch die rechten Sozialisten waren dieser Überzeugung: „Die Nationalversammlung in Karlsburg muß feierlich erklären, ob sie die Autonomie des freien Siebenbürgens solange aufrechterhält, bis sich in Rumänien die gegenwärtigen herrschenden traurigen Zustände verändern.“* Adevĕrul, 1. Dezember 1918. Schließlich wurde ein Kompromiß geboren: Der rechte Flügel der Sozialisten verzichtete auf die Agitation für die Republik, während die Nationalpartei eine verzögerte Union akzeptierte und die Verwirklichung von demokratischen Reformen garantierte. An ein autonomes Siebenbürgen innerhalb Rumäniens dachten auch angesehene bürgerliche Politiker.

Am 30. November hatte eine kleinere Kommission unter Abstimmung der verschiedenen Bestrebungen den neuen Resolutionsentwurf erarbeitet, der bereits ohne ein Wort über die Institution des Königtums solche demokratischen Grundprinzipien fixierte, wie das allgemeine und geheime Wahlrecht, die volle Anerkennung der Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die Agrarreform sowie die Ausweitung der politischen Rechte der Arbeiter. Punkt III der Resolution behandelte die „nationalen Minderheiten“: „Volle nationale Freiheit für die mitwohnenden Völker. Jedes Volk hat das Recht auf eigene Erziehung und Regierung in seiner Muttersprache, mit eigenständiger Verwaltung durch aus den eigenen Reihen gewählte Personen.“* Der vollständige Text der Resolution s. I. CLOPOŢEL, Revoluţia din 1918 şi unirea Ardealului cu România (Die Revolution von 1918 und die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien). Cluj 1926, 121–123; I. MIKÓ, Huszonkét év (22 Jahre). Budapest 1941, 265–267. Dieser Satz kündigt bereits an, daß die rumänischen Führer aus dem früheren Nationalitätenschicksal zweifellos gelernt hatten, daß sie anläßlich des historischen Rollentausches den Siebenbürger Magyaren und Sachsen umfangreichere Rechte versprechen müßten, als die Rumänen im dualistischen ungarischen Staat genossen hatten.

Am 1. Dezember 1918 nahmen die 1228 Delegierten der Konferenz in Karlsburg die Vereinigung unter der Bedingung an, daß „unsere spezifischen Institutionen die Aufrechterhaltung einer provisorischen Autonomie erfordern, was keineswegs etwas an der Tatsache der bedingungslosen Union ändert“.* T. ALBANI, a.a.O., 236. Die Beratung wählte einen aus 200 Mitgliedern bestehenden Großen Nationalrat, in dem auch 30 Sozialdemokraten Platz fanden (neben den automatisch zu Ratsmitgliedern gewählten Bischöfen und herausragenden Vertretern der Intelligenz sowie ausgewählten reichen Bürgern).

Die große Massenversammlung fand auf dem Burgglacis statt, auf dem die große Masse der Bauern und eine kleinere Gruppe von Arbeitern über die Resolution informiert wurden. Die Versammelten – der rumänischen Tradition nach 100 000 Menschen – nahmen die verkündete Resolution mit Andacht und einhelliger Begeisterung auf. Der progressive Charakter der Grundprinzipien stimmte alle zuversichtlich.

Am 2. Dezember nominierte der Große Nationalrat die Mitglieder des aus 15 Personen bestehenden Regierungsrates (Consiliul Dirigent) – unter ihnen zwei Sozialisten – und sandte ein Huldigungs-Telegramm sowie eine Delegation nach Bukarest zur feierlichen Übergabe der Unionsresolution. Am 24. Dezember wurde in Bukarest gesetzlich verankert, daß „die im Beschluß {649.} der Karlsburger Konferenz vom 1. Dezember 1918 enthaltenen Gebiete ein für allemal mit dem Rumänischen Königreich vereinigt werden“,* Verordnung mit Gesetzeskraft 3631/1918. Monitorul Oficial, 13. Dezember 1918. wobei lediglich die örtliche Verwaltung in der Kompetenz des Regierungsrates verblieb, der drei Spitzenpositionen in der Bukarester Regierung erhielt.

Wegen der Form, in der die rumänische Einheit entstanden war, kam es im rumänischen Fortschrittslager zu einem tiefen Riß. Auch die Gedankenwelt des linken Bürgertums war (für einige Jahre) fast völlig vom bislang kaum erhofften Traum eines Großrumäniens erfüllt. Die rechten Sozialdemokraten erwarteten von ihrer Unterstützung der nationalen Vereinigung die Integration der Arbeiterbewegung in das rumänische politische Leben, die Stärkung ihrer Partei. Demgegenüber war der langsam in Zentristen und Kommunisten zerfallende linke Flügel der Sozialisten von Anfang an nicht mit der engen Zusammenarbeit zwischen Rechten und Nationalisten einverstanden. Es wurde die „internationalistische Fraktion der rumänischen Sozialisten“ gebildet und eine ernsthafte Propagandatätigkeit entfaltet, vor allem in den Randgebieten der Großen Ungarischen Tiefebene sowie unter den rumänischen Arbeitern in der Umgebung von Budapest. Der linke Flügel berief für den 31. Dezember den Kongreß der „österreichischen, ungarischen und siebenbürgisch-rumänischen internationalistischen Sozialisten“ nach Budapest ein, der „seine Stimme gegen den in Karlsburg gefaßten Beschluß über den Anschluß an das rumänische Königreich erhob“.* Glasul Poporului, 2. Februar 1919. Er forderte für alle Rumänen Ungarns, Siebenbürgens und des Banats das Recht, einen unabhängigen Staat zu gründen, und zwar mittels Volksabstimmungen unter allen Nationalitäten. Diese Richtung folgte der internationalistischen Tradition, welche noch im Frühling 1918 von den sich in russischer Kriegsgefangenschaft befindlichen Magyaren und Rumänen in den ersten Monaten der Sowjetmacht entwickelt worden war.

Die schwächeren rumänischen rechten Sozialdemokraten hielten im Januar 1919 in Hermannstadt einen Gegenkongreß ab, von dem die Teilnehmer am Budapester Kongreß der Linken – gerade die Arbeitervertreter der Großbetriebe – ausgeschlossen blieben. Auf dem Kongreß wurde die Gründung der Sozialdemokratischen Partei Siebenbürgens und des Banats verkündet.

Der größte Teil des organisierten Proletariats Siebenbürgens im weiteren Sinn bestand bekanntlicherweise aus Magyaren und Deutschen, die selbstverständlich ihre historische Aufgabe nicht in einer Vereinigung mit Rumänien, sondern in der Errichtung einer demokratischen, sozial orientierten Gesellschaft sahen.

Das Ende des ungarischen Imperiums in Siebenbürgen

Die Magyaren Siebenbürgens vermochten sich weder mit dem Gedanken der Auflösung ihres jahrtausendalten Staates binnen weniger Wochen noch mit der Aussicht abzufinden, daß sie durch den Anschluß an ein wirtschaftlich und gesellschaftlich weniger entwickeltes fremdes Land ein Minderheitenschicksal erwartet. Im ungarischen Bürgertum war eine aus starrem Entsetzen {650.} resultierende Untätigkeit vorherrschend, die fallweise in eine verzweifelte Hast umschlug. Neben den ungarischen Nationalräten wurden Ende November zunächst in Neumarkt und dann in Klausenburg „Szekler“ Nationalräte gebildet, die angesichts der aussichtslosen Zukunft den Akzent einmal auf die Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, ein andermal auf das Selbstbestimmungsrecht der Magyaren legten. Selbst die Regierung schwankte zwischen ihrem eigenen Maximalprogramm – unter Anerkennung der Selbstbestimmung aller Nationalitäten einen föderativen Staat auszubauen – und ihrem Minimalprogramm, wonach die völlige Trennung nicht verhindert werden könnte und die nationalen Rechte der in die Minderheit geratenden Magyaren auf friedlichem Wege garantiert werden müßten. Den Beschluß von Karlsburg betrachtete sie nicht als endgültig. Es wurde mit der Aufstellung einer siebenbürgischen Armee begonnen, zu deren Kern sich die unter dem Namen Szekler Abteilung in Klausenburg organisierte Formation entwickelte. Diese Streitkräfte hätten zwar ausgereicht, die rumänische Armee an der Demarkationslinie vorübergehend aufzuhalten, doch drohte ein solcher Schritt die Gefahr unabsehbarer internationaler Verwicklungen auszulösen, weshalb sich die Regierung nicht auf eine Verteidigung einzulassen wagte. Von welchen Absichten Paris geleitet wurde, war niemals genau zu erfahren, da die in Belgrad und Bukarest selbstherrlich auftretenden französischen Generäle oder die Offiziere der Budapester Ententemission das Durcheinander nicht selten mit einander widersprechenden Schritten und Äußerungen noch vergrößerten. General Henri Berthelot, der Kommandeur der französischen Donautruppen, erteilte bereits in den ersten Dezembertagen den rumänischen Truppen die Genehmigung zum Überschreiten des Mieresch (von Arad bis Sigeth) und für die Besetzung von acht Städten, worüber die ungarische Regierung jedoch lange Zeit nicht einmal informiert wurde.

Am 8. Dezember ernannte die Regierung Professor Apáthy zum „Oberregierungskommissar für Ostungarn“, der vom darauffolgenden Tag an mit Hilfe einer Art Regierungsbehörde von Klausenburg aus die Verwaltungsaufgaben in dem immer kleiner werdenden Gebiet erfüllte. In diesen Tagen nahm auch der rumänische Regierungsrat in Hermannstadt seine tatsächliche Arbeit auf, der sich selbst als provisorische Regierung Siebenbürgens betrachtete.

Die ungarischen Räte Siebenbürgens betrachteten das Selbstbestimmungsprinzip natürlich auch für die Magyaren als gültig und wollten dies auf ihrer Großversammlung am 22. Dezember in Klausenburg deutlich machen. Der Kommandeur der in Siebenbürgen einrückenden rumänischen Truppen, General Moşoiu, protestierte gegen diese geplante Volksversammlung und kündigte an, er werde sie mit seinen Kanonen auseinanderjagen. Dennoch versammelte sich eine Menge von fast 40 000 Menschen unter Nationalflaggen und roten Fahnen auf dem Hauptplatz von Klausenburg, dem Ring, unter ihnen auch die Vertreter der rumänischen Linkssozialisten und Banater Schwaben, welche ebenso wie die Sachsen vorerst im Rahmen des ungarischen Staates verbleiben wollten. Entsprechend der Natur der Einheitsfront reichten die Reden von der Erhaltung der staatlichen Einheit bis hin zum Schutz der Rechte des Proletariats. Der von den ungarischen Sozialisten unterbreitete und gebilligte Beschlußentwurf besagte, daß „wir auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts in einer Staatengemeinschaft mit der ungarischen Volksrepublik leben wollen. Im Rahmen des einheitlichen und unverstümmelten Ungarn fordern wir für jede hier lebende Nation die {651.} volle Gleichberechtigung, Freiheit und Selbstregierung.“* Den Text s. bei I. MIKÓ, a.a.O., 12. Am übernächsten Tag zogen die rumänischen königlichen Truppen in Klausenburg ein.

Das Oberregierungskommissariat blieb am Ort, um auch jetzt den Anschein einer Aufrechterhaltung der Rechte zu wahren, nachdem das ungarische Militär Klausenburg verlassen hatte. Die rumänische Kommandantur führte den Belagerungszustand, die Internierung, die Zensur und die Prügelstrafe ein, verbot die Tätigkeit der politischen Organisationen und schaffte die Versammlungs- und selbst die Reisefreiheit ab. Man begann die linksstehenden politischen Kräfte zu verfolgen, in einzelnen Gegenden unter Einsatz sehr harter Mittel. Später wurde – unter der Beschuldigung bolschewistischer Propagandatätigkeit – auch der Oberregierungskommissar Universitätsprofessor Apáthy verhaftet.

Der langsame Vormarsch der rumänischen Truppen nach der Besetzung Klausenburgs wurde unter der dreifachen Parole der nationalen Ziele, des Auftrags der Entente und des Kampfes gegen den Bolschewismus fortgesetzt. Bis zum 22. Januar erreichte man bereits die Linie Sigeth–Csucsa–Sameschdorf, womit König Ferdinands Armee das historische Siebenbürgen kampflos in Besitz genommen hatte.

Die Vertreter des sächsischen und schwäbischen Bürgertums suchten in den ersten Tagen des Zusammenbruchs der Monarchie ihre Zukunft noch ausdrücklich im Rahmen des ungarischen Staates. Als sich die Umrisse Großrumäniens abzuzeichnen begannen, waren sie gezwungen, sich den neuen Realitäten anzupassen. Nach der rumänischen Versammlung in Karlsburg forderten sie die Garantie ihres eigenen Selbstbestimmungsrechtes, die Autonomie der sächsischen Gebiete (Munizipium Sachsenland mit 212 Gemeinden) und wollten Siebenbürgen in Form ethnisch bestimmter autonomer Gebiete aufbauen, entsprechend der Konzeption Jászis.

Auf Wunsch Bukarester, ja sogar auch einzelner französischer Kreise suchte der rumänische Regierungsrat, eine Vereinbarung mit der sächsischen Intelligenz zu erreichen, woraufhin sich die Sachsen mit den neuen Machtverhältnissen abfanden und am 8. Januar 1919 auf der Mediascher Sitzung des Sächsischen Nationalrates erklärten, daß auch das sächsische Volk Siebenbürgens in der Hoffnung auf eine Garantie seiner nationalen Zukunft für die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien stimme. Dieser Beschluß wurde dem Vorsitzenden des Regierungsrates Maniu überreicht, der „die Einhaltung und den Schutz der nationalen Rechte des fleißigen sächsischen Volkes“* Desăvîrşirea unificării statului national romăn (Vollendung des rumänischen Nationalstaates). Red. M. CONTANTINESCU U. ŞT. PASCU. Bucareşti 1968, 446–447. versprach.

In den Teilen des Banats, in dem der Wunsch nach einer lokalen Republik innerhalb Ungarns sehr lebendig war, vertraten weder die deutschen noch die ungarischen Arbeiter den Anschluß an Rumänien. Am 2. Dezember wurde in Temeschwar unter der Leitung des Sozialisten Dr. Ottó Roth die Autonomie des Banats ausgerufen, und die Károlyi-Regierung arbeitete im Einvernehmen mit dem deutschen Nationalrat ein autonomes Gebietssystem für das Banat aus, das in der Budapester Regierung von Johann Junker vertreten wurde. Diesem Versuch setzte der Einmarsch der serbischen Truppen in Temeschwar ein Ende.

{652.} Ab Mitte Dezember begann bereits im Rücken der Okkupationstruppen in Siebenbürgen eine neue Welle sozialer Bewegungen. Die Bewohner der rumänischen Dörfer befürchteten das Ausbleiben der versprochenen Bodenaufteilung. Die Räte der Bergleute im Schiltal wollten eine eigene Arbeiterrepublik schaffen. Die immer wieder aufflammende Bewegung der Bergarbeiter führte hin und wieder zu Feuergefechten mit der rumänischen Armee. Im Anschluß an die Bergleute traten am 23. Januar die mehrheitlich ungarischen Eisenbahner in den Generalstreik, weiterhin streikten Postangestellte, Drucker, Beamte und auch Fabrikarbeiter.

Beim Proletariat genossen weder die Überbleibsel des alten Staatsapparats noch die neuen, bürgerlich geprägten Nationalräte irgendwelches Ansehen. Es fürchtete nicht einmal die rumänische Armee, die auch nicht als sein Hauptgegner betrachtet wurde. Diese historisch neue Verhaltensform desorientierte das Bürgertum. Ungarische Bürger sahen in der sozialistischen Arbeiterschaft entweder die letzten Kämpfer für die Rettung der ungarischstaatlichen Integrität oder zynische Verräter der nationalen Interessen, während die rumänische militärische Abwehr in ihr die Verkörperung des Bolschewismus wie des ungarischen Nationalismus zugleich erblickte; sie ließ dabei völlig außer acht, daß allein die kommunistische Partei voll mit dem traditionellen Prinzip der staatlichen Integrität gebrochen hatte. Die Profiliertesten aus dem Proletariat legten die alten politischen Wertkategorien langsam ab und marschierten gemeinsam mit Budapest auf eine neue Gesellschaft, eine soziale Revolution zu.

Parallel mit diesem neuen revolutionären Aufschwung, als eine Art Pendant, begann der Ausbau der neuen rumänischen Staatlichkeit. Bereits im Januar schritt die rumänische Armee zur Auflösung der Nationalgarden, doch vor allem der Arbeitergarden. Der rumänische Regierungsrat wies Mitte des Monats den Vorschlag der ungarischen Intelligenz von Klausenburg zurück, daß in den ungarischen Gegenden die Verwaltung ungarisch bleiben und in den von Rumänen bewohnten Gebieten selbstverständlich rumänisch sein sollte.

Der Regierungsrat verordnete am 24. Januar die Wiedereinführung und Beibehaltung der alten (ungarischen) Gesetze und Behörden, hob aber zugleich die Selbstverwaltung der Komitate und Gemeinden auf. Für die Komitate ernannte er rumänische Präfekten, die von den Beamten und Staatsangestellten den Eid auf König Ferdinand forderten. Die rumänischen Nationalräte wurden aufgelöst, so daß solche paradoxerweise nur in dem von der ungarischen Armee kontrollierten Gebiet bestehen blieben.

Da die Entente keine der früheren Vereinbarungen einhielt und die rumänischen Truppen immer weiter vorstießen, plante die ungarische Regierung, den bewaffneten Widerstand zu versuchen. Am 2. März erklärte Károlyi: „wenn die Pariser Friedenskonferenz gegen die Wilsonschen Prinzipien, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Vereinbarungsfrieden für eine Zerstückelung Ungarns stimmen sollte, werden wir im Falle äußerster Not dieses Land sogar mit den Waffen befreien“.* M. KÁROLYI, Az új Magyarországért (Für das neue Ungarn). Ausgewählte Schriften und Reden, 1908–1919. Hrsg. von GY. LITVÁN. Budapest 1968, 294.

Die Pariser Friedenskonferenz beschloß auf Druck Rumäniens am 26. Februar eine weitere Veränderung der ungarisch-rumänischen Demarkationslinie, {653.} in Wirklichkeit eine Gebietsabtretung. Die Umgebung von Sathmar, Großwardein und Arad wurde den rumänischen Truppen zugesprochen und westlich von dort ein neutraler Streifen beansprucht, zu dem auch Debreczin und Szegedin gehörten und in dem die ungarische Verwaltung unter französischer Kontrolle stehen sollte. Die französische Politik wollte auf diese Weise den rumänischen Streitkräften, die gegen Sowjetrußland eingesetzt werden sollten, eine Rückendeckung und damit zugleich die Eisenbahnverbindung Temeschwar-Sathmar-Csap sichern, der sie als Transportstrecke von Kriegsmaterial für Polen Bedeutung beimaß.

Dies alles enthielt die am 20. März übergebene sog. Vix-Note, deren Annahme die ungarische Regierung verweigerte. Ihre bisherige Politik der bereitwilligen Zusammenarbeit mit der Entente wurde von der Friedenskonferenz keineswegs gewürdigt; die Aussicht auf einen annehmbaren Friedensvertrag verflüchtigte sich, Károlyi und seine Regierung traten zurück. Das ententefreundliche demokratische Bürgertum und die Koalition der gemäßigten Sozialdemokratie waren moralisch-politisch bankrott, ihre Reserven erschöpft.

Die Räterepublik als sozialistische Alternative

Am 21. März 1919 wurde in Budapest die Räterepublik als nach Rußland zweiter Proletarierstaat der Welt ausgerufen, der den Nationen des Donaubeckens eine historische Wende versprach. Die linken Sozialdemokraten und die Kommunisten, welche in der russischen Revolution die Feuertaufe erhalten hatten, vereinten sich in der Sozialistischen Partei. Ihre anerkannte Führungspersönlichkeit des „Revolutionären Regierungsrates“ war der in der Arbeiterbewegung in Klausenburg aufgewachsene Volkskommissar für Äußere Angelegenheiten, Béla Kun.

Die Räterepublik vertrat eine neue Außen- und Nationalitätenpolitik. Sie stand nicht auf der Grundlage der traditionellen staatlichen Integrität – grenzte sich auch offen von der Nationalitätenpolitik des demokratischen Károlyi-Regimes ab –, war aber auch nicht bereit, bedingungslos einzelne Teile des Landes den Armeen der Nachbarstaaten zu überlassen, die zu jener Zeit bereits ungeschminkt imperialistische Ziele verfolgten oder solchen dienten. Die Räterepublik wies die Vix-Note zurück, in ihren ersten Manifesten kündigte sie den Kampf für die Befreiung der Bergwerke und der lebensmittelproduzierenden Gegenden des Landes an, versprach den Kampf u. a. „gegen die rumänischen Bojaren“, rief aber zugleich das Proletariat Rumäniens zu einem Bündnis auf. Die Führer der Räterepublik vertrauten fest darauf, daß die revolutionäre Arbeiterbewegung schließlich im Rahmen des Sozialismus die Grenzen beseitigen und einen einheitlichen internationalen Staat schaffen werde; dessen Vorstufe sollte „das brüderliche Bündnis der Werktätigen, die föderative Republik“ sein. Eine Verordnung schrieb jeder Nation vor, eigene Nationalräte zu bilden. Die Deutschen und Ruthenen erhielten das volle nationale Selbstbestimmungsrecht, in den Ämtern war der Gebrauch jeder Sprache in Wort und Schrift gleicherweise berechtigt. Die Verfassung besagte: „Die Räterepublik is: das freie Bündnis freier Völker“.

Als die Räteregierung die Macht übernahm, befand sich bereits das gesamte historische Siebenbürgen unter der Herrschaft der rumänischen königlichen {654.} Armee und des rumänischen Regierungsorgans von Hermannstadt. Dem heutigen Forschungsstand nach wissen wir nicht, welchen Einfluß die Diktatur des Proletariats auf Siebenbürgen hatte, wie stark das dortige Echo war. Wir wissen, daß sich auch dort seit Dezember der Einfluß der Kommunisten verstärkt hatte, daß rumänische Soldaten desertierten, um in die ungarische Rote Armee einzutreten, daß unter den späteren Arbeiterführern Siebenbürgens sich mehrere Rotgardisten befanden. Als Anzeichen für eine Resonanz kann auch gelten, daß die Eisenbahner in den ersten Apriltagen in Generalstreik traten. In den noch nicht besetzten Städten Großwardein, Karol und Sathmar, doch auch in mehreren Dörfern entstanden die mit der Sachverwaltung beauftragten Direktorien sowie selbständige Ortsorganisationen der neuen Partei. In Großwardein wurden binnen einer Woche mehrere Arbeiterbataillone für die im Aufbau begriffene Rote Armee aufgestellt. Als Anfang April die Rätewahlen durchgeführt wurden, gaben dort 42 % der Bürger ihre Stimmen ab, ungefähr ebensoviel wie in der Hauptstadt.

Anders entwickelte sich die politische Situation in den Dörfern. In der Mehrheit der rumänischen Gemeinden konnte die in Großwardein tätige rumänische kommunistische Fraktion keine Linkswende herbeiführen, obwohl sie nicht selten sogar in den von der rumänischen Armee besetzten Gebieten eine ernstzunehmende Propagandatätigkeit ausübte. Ein bedeutender Teil der noch unter ungarischer Hoheit lebenden ungefähr 500 000 Rumänen betrachtete die rote Macht gleichgültig oder geradezu feindselig, da diese für sie vielenorts nur durch die Präsenz der städtischen Agitatoren bzw. Anwesenheit der Szekler Division verkörpert wurde.

Die Ententemächte – wenn auch nicht in voller Übereinstimmung – waren der Räterepublik von Anfang an höchst feindlich gesinnt, die sich jedoch mit ihrem entschlossenen Auftreten größeres internationales Ansehen erkämpfte als das Károlyi-Regime. Béla Kun empfahl am 24. März in einer Note den Großmächten die Regelung der Grenzfragen auf der Grundlage der tatsächlichen Selbstbestimmung der Völker. Als Gesandter der Friedenskonferenz reiste General Smuts nach Budapest, wo er eine gegenüber der Vix-Note etwas günstigere, neue Demarkationslinie vorschlug. Dieser Vorschlag übergab die Städte Großwardein und Sathmar bereits nicht mehr der rumänischen Heeresleitung, entzog sie jedoch unter dem Deckmantel einer Neutralisierung der tatsächlichen Herrschaft der Räterepublik. In seinem Gegenvorschlag ersuchte Kun auf der Grundlage des Belgrader Abkommens um eine günstigere Lösung, wichtiger war aber sein Wunsch nach einer Beratung der Vertreter Ungarns mit den Nachbarländern, um Grenzfragen sowie zukünftige Formen der Wirschaftskooperation bilateral zu behandeln. Der kompromißbereiten angelsächsischen Politik gegenüber setzte sich jedoch die eher kämpferische französische Linie durch.

Am 15. April begann auf der ganzen Länge der ungarisch-rumänischen Demarkationslinie unter Einsatz bedeutender Kräfte die rumänische Offensive. Der Hauptschlag war gegen die auf einer Strecke von 130 km auseinandergezogene Szekler Division gerichtet. (Bei der Ausrufung der Diktatur war sie mit 12 000 Soldaten und 649 Offizieren die einzige aktionsfähige, einigermaßen ausgerüstete und zugleich größte Formation. Von Anfang an wurde sie zumeist von apolitischen, in der gegebenen historischen Situation also konterrevolutionär gesinnten Offizieren geführt, {655.} hinter denen auch gleichgesinnte Politiker standen. Zwischen der neuen politischen Führung und der Division bestand ein gegenseitiges Mißtrauen.) Sathmar und Großwardein und am 23. auch Debreczin mußten aufgegeben werden. Die Szekler Division zog sich anfangs kämpfend und unter schweren Verlusten zurück und brach dann die Verbindung mit Budapest ab. Ihre Führer vereinbarten am 26. April mit einer rumänischen Kavalleriedivision, die Waffen niederzulegen und sich sogar internieren zu lassen, wenn die rumänische Armee als Gegenleistung ihre Angehörigen in Siebenbürgen frei lasse und diese in ihre Heimat zurückkehren dürften.

Am 27. April wurden auch die Franzosen aktiv: Sie besetzten Makó und Hódmezõvásárhely. Die in Marsch gesetzten tschechoslowakischen Truppen trafen mit der rumänischen Streitmacht zusammen. Am 30. April wandte sich Kun verzweifelt in einem Telegramm zunächst an Wilson, dann an die Regierungen der Tschechoslowakei, Jugoslawiens und Rumäniens und erkannte ohne Vorbehalte „alle Gebiets- und nationalen Forderungen“ der Nachbarn an, sich davon eine Atempause erhoffend. Am 1. Mai erreichte die rumänische Armee die Theiß und stellte auch unter Gewaltanwendung überall die traditionelle Ordnung der Klassengesellschaft wieder her.

An der Theiß kam schließlich die Front zum Stehen. Der rumänische Generalstab bot sich wohl der Entente zu einem weiter Angriff an, wollte aber allein das Risiko nicht eingehen. Auch die Friedenskonferenz verbot jeden weiteren Vorstoß, die Verteidigung verstärkte sich, wobei eine wichtige Rolle spielte, daß Sowjetrußland – einziger Verbündeter der Räterepublik – zur Entlastung der ungarischen Revolution einen Generalangriff am Dnjestr vorbereitete.

Am 30. Mai begann die ungarische Rote Armee an der tschechoslowakischen Front ihre Offensive in Richtung Kaschau. Auf die Siege der Rotgardisten hin zeigte sich die Friedenskonferenz anfangs geneigt, auch Ungarn zu den Friedensverhandlungen einzuladen. Am 13. Juni verkündete Clemenceau als Diktat die noch im März festgelegten endgültigen Grenzen, versprach allerdings, die rumänischen Truppen weiter von der Theiß zurückziehen zu lassen, sobald die Räterepublik die neubesetzten nordöstlichen Gebiete verlasse. Kun erklärte in seiner Antwortnote die Unmöglichkeit der festgelegten Grenzlinien, lehnte jedoch ihre Anerkennung nicht ab. Die Räumung der nördlichen Gebiete wurde tatsächlich durchgeführt, die Rumänen zogen sich jedoch nicht von der Theiß zurück, da die Brătianu-Regierung mit den neuen Grenzen unzufrieden war, weil sie weniger erhalten hatte, als im Geheimvertrag von 1916 festgelegt worden war. Um die von Paris versprochene Zone jenseits der Theiß zu befreien, begann die Rote Armee am 20. Juli eine Offensive, mußte aber nach Anfangserfolgen vor der Übermacht den Rückzug antreten. Am 30. Juli überquerte die rumänische Armee die Theiß und stieß in Richtung auf die ungarische Hauptstadt vor. Die Rote Armee fiel auseinander, und der revolutionäre Regierungsrat trat zurück. Der offene Kampf für eine neue Welt, eine Gesellschaft im Donaubecken, in der die nationalen Gegensätze und Grenzfragen im Zusammenleben der Völker an die Peripherie verdrängt würden, war zu Ende.

{656.} Konterrevolution und Friedensvertrag von Trianon

Am 4. August zog die rumänische Armee in Budapest ein, obwohl die Entente diesen Schritt mißbilligte. Zwei Tage darauf wurde die provisorische „Gewerkschaftsregierung“ gestürzt und ein bürgerliches konterrevolutionäres Kabinett unter beinahe vollständiger Kontrolle der rumänischen Heeresleitung gebildet. Damit war aber der Regierung eine Stabilisierung der Lage unmöglich gemacht, sie konnte keine Streitkräfte aufstellen, da die Besatzer dies verhinderten. Als die rumänische Armee sich schließlich unter dem Druck des Ultimatums der Friedenskonferenz Mitte November aus der Hauptstadt und dem Gebiet zwischen Donau und Theiß zurückzog, konnte die ursprünglich unbedeutende, zur Zeit der Räterepublik aus insgesamt einigen hundert Mann bestehende und sich unter französischem Schutz vorbereitende ungarische „Nationalarmee“ Horthys in Budapest einziehen. Mit dessen eigentlich durch die Entente zur Macht verholfenem extremistisch konterrevolutionären Regime wurde der ungarische Friedensvertrag abgeschlossen.

Im Januar 1920 riefen die Sieger die nach Paris reisende ungarische Friedensdelegation unter Graf Albert Apponyi nicht zu substantiellen Verhandlungen, sondern zur Übernahme der fertigen Friedensbedingungen auf. Die Konferenz bot Apponyi lediglich die Möglichkeit, am 16. Januar eine Rede über die Lage Ungarns und den Standpunkt der ungarischen Regierung zu halten. Sein Vortrag faßte all jene Argumente zusammen, die der ungarische Ausschuß für Friedensvorbereitung (vor allem unter Leitung Graf Pál Telekis) erarbeitet hatte. Man versuchte die Sieger davon zu überzeugen, daß die festgelegten Grenzen in ihren Details weder dem nationalen Selbstbestimmungsrecht noch dem ethnischen Prinzip entsprächen, wobei letzteres im Karpatenbecken gar nicht gerecht verwirklicht werden könne. Man betonte die Wirtschaftseinheit des alten Ungarn mit nachdrücklichen Argumenten aus dem Verkehr, der Wasserwirtschaft, der Arbeitskräftewanderung bis hin zur Abhängigkeit einzelner Regionen voneinander.

In der Frage Siebenbürgens unterbreitete die ungarische Delegation einen Sondervorschlag mit mehreren Varianten; Siebenbürgen solle entweder eine autonome Provinz innerhalb Ungarns oder ein völlig unabhängiges, auch das ethnische Gleichgewicht garantierendes neutrales Land ähnlich der Schweiz werden. Die Garantie für die inneren siebenbürgischen Nationalitätenrechte suchte man in der Entwicklung dreier überwiegend ethnisch bestimmter Gebiete und eines vierten gemischtsprachlich verwalteten autonomen Gebietes. Schließlich ersuchte die ungarische Delegation für Siebenbürgen – wie für die übrigen umstrittenen Gebiete – um eine Volksabstimmung und erklärte, „wir unterwerfen uns bereits im voraus dem Ergebnis der Volksabstimmung, gleich wie sie ausgehen sollte“.* A. Apponyis Rede auf der Friedenskonferenz am 16. Januar 1920 s. A magyar béketárgyalások (Die ungarischen Friedensverhandlungen). I, Budapest 1920, 278.

Alle Vorschläge der ungarischen Delegation wurden abgelehnt; der diese Entscheidung mitteilende Millerand-Brief erkannte indirekt, versteckt einzelne Ungerechtigkeiten und die inhärente Zerbrechlichkeit der Regelung an, indem er argumentierte, die kleinste Veränderung würde das gesamte System unsinnig machen.

Karte 24. Expertenvorschläge und beschlossene Grenzlinie bei der Pariser Friedensverhandlung (nach V. V. Tilea)

{657.} Karte 24. Expertenvorschläge und beschlossene Grenzlinie bei der Pariser Friedensverhandlung (nach V. V. Tilea)

{658.} Die ungarisch-rumänische Grenze wurde auf der Linie belassen, die durch den Kompromiß zwischen den Großmächten festgelegt worden war. Rumänien erhielt etwas weniger als 1916 versprochen, jedoch mehr, als beispielsweise die amerikanische oder italienische Politik empfahl. Am 4. Juni 1920 wurde in Trianon das Friedensdokument unterzeichnet. 102 200 km2 (außer dem historischen Siebenbürgen das Randgebiet der Großen Ungarischen Tiefebene), 31,7 %, des alten Staatsterritoriums mit 5 257 476 Einwohnern (unter ihnen 1 704 851 Ungarn und 559 824 Deutsche), 25,2 % der Bevölkerung des altungarischen Staates, waren auch nach internationalem Recht in die Kompetenz des rumänischen Staates übergegangen. Damit wurde ein Kapitel in der Geschichte der Völker Siebenbürgens abgeschlossen.

Das imperialistische Friedenssystem, das auch schweres nationales Unrecht enthielt, wurde nicht nur durch das von Revisionsverlangen getriebene Bürgertum der betroffenen Länder abgelehnt, sondern auch von der internationalen kommunistischen Bewegung aufgrund ihres Ideals der gesellschaftlich-revolutionären Umgestaltung verurteilt und zurückgewiesen, und auch seine wichtigsten Schöpfer wurden sehr bald von ihm enttäuscht.

Als die Politiker der Entente statt der überholten Verhältnisse der Habsburgermonarchie eine modernere Regelung durchführen wollten, haben sie in Wirklichkeit auch im Donau-Becken Spannungen hervorgerufen, die weit größer waren als jene vor dem Wellenbrand, indem sie die dortigen Länder der Interessenpolitik der Großmächte auslieferten. Auf die Lebensverhältnisse des in einen neuen Staat überführten Siebenbürgen blieben diese ungünstigen außenpolitischen Rahmenbedingungen nicht ohne Auswirkungen.