Die Oberbekleidung

Heute wird der Unterschied in der Tracht der Frauen und der Männer hauptsächlich durch den Rock und die Hose bestimmt. Der Rock (szoknya, im Nordosten des ungarischen Sprachgebiets auch kabát) bedeckt den Unterkörper der Frau. Seine Länge ist verschieden; es gibt Röcke, die oberhalb der Knie enden (z. B. in Buják), während andere zur Hälfte die Waden bedecken (Õrhalom) und wieder andere bis zu den Knöcheln reichen (bei den Matyó). Unter dem Rock werden meistens einige – manchmal bis zu zehn – gesteifte Unterröcke getragen. Außerdem stecken sich die Frauen noch Hüftpolster (csípõpárna) unter den Rock, damit sie mit möglichst rundlichen Formen dem bäuerlichen Schönheitsideal recht nahekommen. An den Rock ist manchmal das Leibchen (pruszlik) angenäht, oder es wird mit Trägern befestigt, wodurch es sich nicht nur bequemer trägt, sondern auch leichter angezogen werden kann. In der Länge wurde der Rock nicht immer zusammengenäht, so unter anderem im Kalotaszeg der muszuj oder bagazia, ein Wickelrock, der eigentlich nichts anderes ist als eine hinten getragene Schürze, die vorn zusammengebunden wird. Darüber trägt man eine Schürze, die die vorn auseinanderstehenden Enden des Rockes verdeckt. Diese Übergangsform weist gleichzeitig auf eine der Entstehungswege des Rockes hin. In vielen Gegenden werden die Röcke in viele kleine Falten gelegt, worin es einzelne Frauen zu einer besonderen Fertigkeit gebracht haben.

{G-354.} Der Stoff des Rockes ist sehr verschieden. Im Szeklerland zum Beispiel wird die Schaube (rokolya) aus farbiger Leinwand gefertigt. An der Art des Gewebes und den Farben des Rockes läßt sich leicht feststellen, aus welcher Gegend die Trägerin stammt. Manufakturstoffe spielten vom Ende des 18. Jahrhunderts an eine zunehmende Rolle in der Entwicklung der ungarischen Volkstrachten. Im 17. Jahrhundert waren in Europa die Blaufärber aufgetaucht, die diese aus Ostasien eingeführte Technik des Färbens anwendeten. In den ungarischen Sprachraum drang das Blaufärben von böhmisch-mährischen, österreichischen und deutschen Gebieten über das Oberland und Westungarn ein. Bald waren im ganzen Karpatenbecken kleinere und größere Blaufärberwerkstätten tätig, die teils eigene, teils die von Kunden gebrachten Gewebe mit zumeist aus dem Westen stammenden Mustern bedruckten. Die verschiedenen Blaudruckstoffe wurden sowohl in der täglichen Kleidung wie in der Festtracht immer häufiger. Doch Manufakturerzeugnisse wie Samt, Seidenbrokat, Tuch und zahlreiche andere Stoffe verdrängten von der Mitte des i9. Jahrhunderts an vor allem in reicheren Gegenden beziehungsweise bei den wohlhabenden bäuerlichen Schichten den Blaudruck.

Die Schürze (kötény) ist ein unentbehrliches Zubehör der weiblichen Tracht. Im Alltag schützt sie den Rock, doch wird sie in verfeinerter Ausführung auch an Feiertagen getragen, so daß sie schließlich das reichverzierteste Kleidungsstück der Volkstracht der ungarischen Frauen wurde. Auch im Volksglauben kommt ihr eine wichtige Rolle zu, vor allem der Schürze der Braut, die die junge Frau nach der Hochzeit sorgfältig aufhebt, um ihr Kind, wenn es erkrankt, damit zuzudecken, denn das soll die Heilung beschleunigen. Die breite Schürze (bõ kötény) verdeckt den Rock ringsherum fast völlig, während die schmale Schürze (szûk kötény) nur aus einer Stoffbahn genäht ist und lediglich den vorderen Teil des Rockes verdeckt. Die Festschürzen sind mannigfaltig verziert. Es gibt Schürzen aus hausgewebter Leinwand, doch die meisten sind mit Stickereien bedeckt und am Rand mit Spitzen und Bändern verziert. Die Schürzen der Frauen unterscheiden sich durch Farbe, Material und Verzierung von denen der Mädchen.

Die Frauen tragen über dem Hemd ein Leibchen (pruszlik), von dem zwei verschiedene Formen bekannt sind. Die ältere Form ist das kurze, am Hals weit ausgeschnittene Leibchen, das höchstens bis zur Taille reicht, oft aber noch kürzer ist. Es blieb am längsten im Süden des ungarischen Sprachgebietes erhalten. Die andere Form des Leibchens ist am Hals geschlossen und reicht über die Taille; sie verbreitete sich in den nördlichen Gegenden. Das Leibchen wird meistens reich verziert, vor allem mit Stickereien und schmückendem Beiwerk an den Kanten. Die Verbreitung dieser Form des Leibchens ist von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an mit der Einbürgerung der städtischen Bluse verbunden.

Abb. 165. „Strumpfhose“ der Szekler. Art der Zusammensetzung und die fertige Hose.

Abb. 165. „Strumpfhose“ der Szekler. Art der Zusammensetzung und die fertige Hose.
Csíkszenttamás, ehem. Kom. Csík, um 1930

In der Tracht der Männer wurde die Gatya durch die Tuchhose (nadrág) verdrängt beziehungsweise endgültig zur Unterhose degradiert. Dieser wichtige Wechsel in der Tracht der Bauern begann in vielen Gegenden vor kaum einem Jahrhundert und hatte sich bis Ende des vorigen Jahrhunderts im wesentlichen überall durchgesetzt. Es {G-355.} gibt noch vielerorts Leute, die sich an die ersten Tuchhosen im Dorf (zum Beispiel in Bodrogköz) erinnern. Diese Hosen waren aus schwarzem oder blauem Tuch, vorn herunterzuklappen und früher auch innen gefüttert. Es gibt auch Hinweise, wonach alltags die Hose mit der Innenseite nach außen getragen wurde und nur an Feiertagen die rechte Seite des Stoffes außen war. Die Hose der Szekler (harisnya = Strumpfhose) ist eine der archaischsten Formen. Ihr gegenwärtiger Schnitt entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Uniform der Szekler Grenzwache. Farbe und Form der vorn aufgesetzten schwarzen und roten Borte weisen auf den gesellschaftlichen Rang des Trägers hin. Die Strumpfhose ist im allgemeinen weiß, doch in diesem Jahrhundert kamen auch graue Hosen auf mit denselben Verzierungen wie bei den weißen.

Abb. 166. Männerjacke.

Abb. 166. Männerjacke.
Erked, ehem. Kom. Szilágy, 1916

Die Männer trugen über dem Hemd eine ärmellose Weste (mellény) oder ein Leibchen (lajbi) aus schwarzem oder dunkelblauem Tuch, seltener aus Seide. Vorder- und Rückenteil waren aus dem gleichen Material, im Gegensatz zu den späteren Formen, die unter dem Mantel getragen wurden. Diese waren nur vorn zu sehen, weshalb man sich beim Rückenteil mit billigerem Stoff begnügte. Es gibt bis zum Hals reichende und auch weit ausgeschnittene Westen, die mit Knöpfen und Tressen verziert sind. Oftmals wurden die Knöpfe aus Silber, Zinn oder Nickel in langen Reihen aufgenäht und dienten einzig und allein als Zierde. Im allgemeinen waren Westen die am meisten verzierten Kleidungsstücke der Männer.

Ein wichtiges Stück der Männerkleidung ist der Gürtel (öv), der sowohl zur oberen wie zur unteren Tracht gehören kann. Der Leibgurt (tüszõ oder in Siebenbürgen auch sziju) bestand aus starkem Leder und wurde in der Taille unmittelbar um den Leib gebunden. Er diente als Tasche und stützte, wärmte und schützte zugleich den Körper. Der fast 3 bis 4 Finger breite Gürtel aus dickem Leder wurde im vorigen Jahrhundert in verschiedener Form über der Oberkleidung getragen: bei den Palotzen, bei den Matyó und in Siebenbürgen, wo er die breitesten Formen annahm. In Torockó zum Beispiel waren die Gürtel sogar mit Lederriemen verziert. Sie hatten die Aufgabe, die Kleidung zusammenzuhalten; außerdem konnten in den Gürteltaschen verschiedene Gebrauchsgegenstände wie Messer, Tabakbeutel, Feuerzeugutensilien usw. untergebracht werden, und in der Innenseite des Gürtels ließ sich auch Geld verstecken.

An der Oberkleidung der Frauen und noch mehr der Männer finden sich häufig Verschnürungen, Tressen und Knöpfe aus den Werkstätten der Posamentierer und Knopfmacher. Im 17. und 18. Jahrhundert hatten diese Handwerker noch hauptsächlich für die Herrschaftskleidung dieses wichtige Zubehör hergestellt. Als man aber im 19. Jahrhundert immer mehr Kleidungsstücke der Volkstracht aus Tuch nähte, wurden die Bauern langsam die wichtigsten Kunden der Knopfmacher und Posamentierer. Hose, Leibchen und Mantel der Bauern waren mit einer Vielfalt von Verschnürungen, Tressen und Knöpfen besetzt. Anfang dieses Jahrhunderts allerdings kamen diese Schmuckelemente allmählich aus der Mode, und damit verschwand auch das alte Handwerk der Knopfmacher und Posamentierer.