Oberungarn

Die größte ethnische Einheit des Oberlandes bilden die Palotzen, die sich unter anderem gerade aufgrund ihrer Volkstracht in einzelne Gruppen unterteilen lassen. Einige kleinere Gruppen im Süden, die ebenfalls zu dieser Einheit gehören, zeichnen sich vor allem durch den Reichtum ihrer Tracht aus.

Die wunderschönen Hauben der Palotzenfrauen haben schon viele Bewunderer gefunden; so schrieb unter anderem Sándor Petõfi, der das Palotzenland zu Fuß durchwanderte: „Ich bin von Losonc nach Balassa-Gyarmat gegangen… und kam an der Ortschaft Ludány vorbei, wo ich die schönsten Hauben meines Lebens gesehen habe; wenn ich heirate, dann hole ich meiner Frau von hier eine Haube.“ Das gleiche gilt auch für die Hauben von Õrhalom-Hugyag, die sich sogar untereinander unterscheiden. Kopftücher werden hier seit Beginn des Jahrhunderts nicht mehr getragen. Hier hat man auch das Hausleinen gewalkt und daraus Unterwäsche gefertigt. Auf das Schultertuch verzichtete man bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts, von da an war das Leibchen am Hals hochgeschlossen und reich verziert. Typisch ist der bis zur Hälfte der Waden, oftmals sogar bis zu den Knöcheln reichende schwere Festtagsrock aus Brokat oder Samt, der umsäumt wurde, oder der leichtere Alltagsrock aus Blaudruckstoff, über den man eine rotgemusterte Schürze aus hausgewebtem Leinen band. Vor rund fünfzig Jahren ging man dazu über, die Schürze aus dem gleichen Material wie den Rock zu nähen. Die Tracht der Männer ist sehr viel einfacher; sie besteht aus dem schwarzen Tuchanzug, ferner dem Schafpelz (suba), dem Szûr und den verschiedenen Varianten der Pelzjacke (ködmön). Schaftstiefel gehören dort seit langem zur Festtagskleidung.

189. Einkleidung einer jungen Palotzenfrau

189. Einkleidung einer jungen Palotzenfrau
Kazár, Kom. Nógrád

Die Tracht in einigen Dörfern der Region Szécsény (Hollókõ, Rimóc, Lóc) zeigt zahlreiche übereinstimmende Züge. Die Mädchen schmücken ihre Haarflechten mit bunten Bändern, die Frauen dagegen bedecken mit der Haube und dem darüber geknüpften Tuch sogar die Stirn. Um den Hals tragen die Jugendlichen weiße Perlen, die Frauen mittleren Alters blaue und grüne Perlen; für die Älteren ziemt sich die Halskette nicht mehr. Ihr Hemd ist im allgemeinen aus Leinen, manchmal aber auch aus Tüll. Darüber binden sie ein schmal zusammengefaltetes Tuch, das viel von dem Hemd frei läßt. Die bestickten Lederwesten tragen eher die wohlhabenden Bäuerinnen. Für den Rock verwenden sie gern Blaudruckstoff, dessen dunklere Farbe besonders gut die Schürze betont, die den kurzen Rock fast ringsherum bedeckt. Er ist so zugeschnitten, daß über den Stiefelschäften noch die Waden der Trägerin zu sehen sind. Die Männer von Lóc und Hollókõ tragen Leinenhemden mit bescheidener Stickerei und darüber eine schwarze {G-376.} Weste, die dem Alter entsprechend mit roten, grünen oder schwarzen Knöpfen verziert ist. Allgemein verbreitet ist bei ihnen die schwarze, am unteren Rand farbig bestickte Schürze aus Kloth.

Die Tracht von Buják ist in vieler Hinsicht als extrem anzusehen. Die Mädchen flechten ihr Haar zu einem Zopf und schmücken nur das Zopfende mit einem Band. Die Frauen tragen eine ganz eigenartige Haube, an der sie zuoberst einen Strauß aus Glasperlen und Gold- und Silberfäden befestigen. Um den Hals legen sie viele Reihen von Perlen. Die Bluse ist schinkenärmlig, und die hochstehenden Rüschen des Schultertuches betonen mit den Perlenschnüren den Oberkörper. Am auffallendsten aber sind die vielen Röcke, die oberhalb des Knies enden; es sind die kürzesten Röcke unter allen ungarischen Volkstrachten. Am Rocksaum werden andersfarbige Bänder angesetzt, die wie Rüschen wirken. Schon seit ziemlich langer Zeit werden im Sommer Halbschuhe getragen, im Winter jedoch nach wie vor Schaftstiefel. Dazu ziehen die Frauen Sommer wie Winter weiße Strümpfe an.

190. Junge Palotzenfrauen

190. Junge Palotzenfrauen
Ludány, Kom. Nógrád

191. Frauentracht

191. Frauentracht
Tard, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

192. Mädchen

192. Mädchen
Boldog, Kom. Pest

193. Junge Saisonarbeiterin am Festtag

193. Junge Saisonarbeiterin am Festtag
Tard, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

194. Alte Frau in Ködmön (kurzer Pelzjacke)

194. Alte Frau in Ködmön (kurzer Pelzjacke)
Mezõkövesd

{G-377.} Die schöne Tracht von Kazár-Maconka bietet wieder ein anderes Bild, aber auch hier fällt vor allem der Kopfschmuck der Frauen ins Auge. Ihre Haube besteht aus Rüschen, Perlen und Goldspitzen, die kunstvoll zusammengefügt sind, wobei die farbigen Bänder der Haube bis zum Rocksaum herabhängen. An Feiertagen tragen die Frauen zwei Hemden übereinander. Das eine ist gestärkt, und darüber ziehen sie ein Hemd aus Tüll oder Batist, das von einem über Kreuz gebundenen Schultertuch bedeckt wird. Es werden viele Röcke übereinander getragen; der oberste Rock ist oft aus Kaschmir und wird an das Leibchen angenäht. Vorn wird über den Rock eine bestickte Schürze gebunden, die aus dem gleichen Material wie das obere Hemd ist. Im Winter tragen die Frauen einen bis zur Taille reichenden Ködmön (Pelzjäckchen), der mit Seidengarn reich bestickt ist. Das mente genannte Jäckchen aus Tuch mit Verschnürung und Fuchspelzbesatz, das der Bräutigam der Braut zusammen mit roten Stiefeln als Geschenk überreichte, lebt heute nur noch in der Erinnerung der älteren Frauen. Die Oberkleidung der {G-380.} Männer ist aus Kordsamt, ihr besonderer Schmuck sind Reihen weißer Knöpfe.

Von den zahlreichen Volkstrachtenformen sollte noch die von Karancság erwähnt werden. Die junge Frau trägt als besonderes Symbol eine mit weißer Stickerei, Rosenmustern und Bändern reich geschmückte Haube. Die Schürze ist aus dem gleichen Material wie der Rock genäht, so daß sie nicht besonders auffällt und oft auch ganz wegbleibt. Im allgemeinen sind farbige Schultertücher üblich.

195. Verlobte

195. Verlobte
Mezõkövesd

Die reiche Volkstracht in einigen Gemeinden am Fluß Galga (Boldog, Galgamácsa, Tura) nahm erst in unserem Jahrhundert ihren Aufschwung. Besonders ist die Haube der Frauen von Tura zu erwähnen, die das darübergebundene Tuch an beiden Seiten abstehen läßt. Die Mädchen von Galgamácsa flechten Bänder in ihren dreisträhnigen Zopf; die Haube der Frauen ist mit Goldspitze besetzt, die Jüngeren legen noch einen Schleier darüber. Die Hemdsärmel der Turaer Tracht sind am Rand mit minutiösen kleinen Blumen bestickt, ebenso das Schultertuch. {G-382.} Die Röcke der Frauen aus dunklem Kattun sind plissiert, darüber wird eine Blaudruckschürze gebunden. Die Mädchen von Galgamácsa tragen über 5 bis 6 Unterröcken einen roten Rock mit schwarzem Saum. Zu ihrer Tracht gehören noch eine blaue Schürze und ein buntes Schultertuch, so daß sie insgesamt äußerst bunt und malerisch wirkt. Die älteren Frauen verzieren ihre dunkelblauen Röcke mit einem roten Saum. Im Sommer werden schon seit langem Halbschuhe getragen, doch im Winter sind noch heute Schaftstiefel üblich. Interessant ist die Tracht der Turaer Männer, die aus jüngster Zeit stammt und auf die Eisenbahneruniform zurückgeht, denn viele Männer aus Tura arbeiteten bei der Eisenbahn, was ihnen einen hochgeschätzten gesellschaftlichen Rang gab. Sie trugen Anzüge aus dunkelblauem Tuch mit rotem Kragenspiegel und langen Hosen, zu denen sie Schnürstiefel oder Halbschuhe anzogen. Diese Tracht übernahmen auch diejenigen, die gar nichts mit der Eisenbahn zu tun hatten – ein Zeichen dafür, auf wie viele und verschiedene Quellen die Volkstracht zurückgeht und durch welche Einflüsse sie geformt sein kann.

Die Volkstracht der Volksgruppe der Matyó blühte in den Ortschaften Mezõkövesd und Szentistván, beeinflußte aber mit zahlreichen Zügen, vor allem nach Norden zu, auch einen größeren Bereich. Die Kleidung der Matyó-Frauen hat eine spezielle gotische Linie. Gegenüber dem Schönheitsideal in anderen ungarischen Gegenden möchten die Frauen und Mädchen hier lieber groß und schlank erscheinen. Das wird durch die kegelförmige Haube und den in der Taille engen Rock unterstrichen, der erst am Knöchel weiter wird und glockenartig absteht, was den Gang der Frauen besonders rhythmisch erscheinen läßt. Über das Hemd mit den weiten und kurzen Seidenärmeln trugen sie ein Leibchen und ein Tuch. Bald kamen verschiedene Blusen auf, und das Hemd gehörte nun zur Unterkleidung. Der Rock war aus Kaschmir, Seide oder Atlas, später aus Kunstseide; darunter wurde ein Unterrock getragen, dessen Saum mit Falbeln aus Stoff bis zu hundert Metern besetzt war. Der untere Teil der schmalen, langen Schürze wurde reich bestickt, wodurch die langgestreckten Linien der Tracht noch besonders betont wurden. Das Kleid der Matyó-Frauen war so teuer, daß arme Mädchen jahrelang als Tagelöhnerinnen schwere Arbeit verrichten mußten, um sich prächtig ausstatten zu können. Doch jede erarbeitete sich ihr Kleid, denn auch die Armen wollten nicht hinter den Reichen zurückstehen, und deshalb sagten sie: „Hungern tut mir nicht leid für ein prächtiges Kleid.“

Das Hemd der Matyó-Burschen hatte weite, lange Ärmel, die die Hände völlig verdeckten. Kragen, Schulter und Vorderteil des Hemdes waren mit farbiger Stickerei verziert. Dazu trugen sie weite, bis zum halben Unterschenkel reichende Beinkleider mit Fransen an den Enden. Die Tuchhose kam erst Anfang des Jahrhunderts auf. An Feiertagen ging ein jeder in blanken Schaftstiefeln. Ihren Kopf bedeckte der zylinderförmige sogenannte Barczi-Hut mit großem Strauß und breitem Band. Laut Überlieferung ist der Hut im vorigen Jahrhundert durch den Sohn eines Schulzen dieses Namens in Mode gekommen, der seinen kleinen Wuchs durch einen hohen Hut korrigieren wollte.

Die Matyó-Kinder wurden ähnlich wie die Erwachsenen gekleidet. {G-383.} Das erste, ziemlich reichlich bemessene Kleid erhielt das Kind von den Pateneltern geschenkt. Das Festtagshemd des Knaben, das ebenso weite Ärmel hatte und ebenso bestickt war wie das der Burschen, wurde an die Gatyahose genäht. Auf den Kopf setzte man ihm einen Hut mit Kokarde. Der Rock der Mädchen reichte wie bei den Frauen bis zum Knöchel und stand am Saum ab. Dazu trugen sie an Feiertagen eine kurzärmlige Seidenbluse, und vor den mit Spitzen verzierten Rock banden sie eine bestickte Schürze mit Seidenfransen.