Tiefebene

Die gestickten, farbigen Trachten der Tiefebene, zu denen viel Fabrikmaterial verwendet wurde, sind nicht so reich wie die in Westungarn oder im Oberland. Vielfältigere gibt es eher in den Randgebieten der Tiefebene, unter anderem der Donau entlang.

Am bekanntesten ist die relativ junge, farbenfreudige Volkstracht von Kalocsa und Szakmár. Die Mädchen tragen über dem aufgesteckten Haar ein rosa oder hellblaues Band, das um den ganzen Kopf geschlungen und vorn zu mehrfachen Schleifen gebunden ist. Die Frauen setzen sich eine weißleinene, bestickte Haube auf. Im vorigen Jahrhundert trugen sie noch einfache Blaudruckkleider. Nach der Jahrhundertwende begannen sie die Hemdsärmel mit dunkelblauem und schwarzem Garn zu besticken und verzierten dann auch das Leibchen mit weißen und später mit andersfarbigen Blumen. In den dreißiger Jahren ging man immer mutiger zu roten, grünen, gelben, blauen und lila Farben über, so daß die bunten Stickereien heute bereits die einzelnen Kleidungsstücke ganz bedecken. Der blaue oder grüne, in dichte Falten gelegte Überrock wird über mehrere Unterröcke gezogen; davor binden die Frauen eine mit weißen Spitzen eingefaßte Schürze. Sie tragen bunte Strümpfe und farbige Pantoffeln. Eine Merkwürdigkeit ist, daß in Szakmár wie auch an einigen anderen Orten des ungarischen Sprachraumes die Braut früher ein dunkles oder gar schwarzes Kleid trug.

Einen besonderen Entwicklungsweg ging die Volkstracht der Marktflecken zwischen Donau und Theiß im vorigen Jahrhundert. Dieses Gebiet wurde relativ früh in die kapitalistische Marktwirtschaft einbezogen, und die wohlhabenden Schichten der Bevölkerung konnten damit auch leichter Fabrikerzeugnisse erwerben. Die Frauen begannen hier als erste, auf die Volkstracht zu verzichten, ganz im Gegensatz zu anderen Gebieten, wo es sich eher umgekehrt verhielt. Deutlich geht das aus einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1845 hervor, die sich auf Kecskemét bezieht: „Die bäuerlichen Damen erscheinen in modischen Seidenkleidern oder teuren Stoffkleidern mit dem Sonnenschirm in der behandschuhten Hand in der Kirche oder auf der Promenade, während die Männer an ihrer Seite Gatyahosen oder blaue Tuchhosen und einen Suba (Bauernpelz) tragen.“

196. Mädchen

196. Mädchen
Kalocsa

197. Junge Frau

197. Junge Frau
Kalocsa

Die Tracht der Hirten von der Pußta Bugac und allgemein im Kiskunság (Kleinkumanien) hat bis in die heutige Zeit viele alte Elemente bewahrt. Ihre hohen Hüte erinnern an die Kopfbedeckung der Kumanen (süveg), haben aber Krempen. Sie trugen weite weißleinene Gatyahosen und Hemden, über dem Hemd eine schwarze Weste (lajbi), die {G-384.} mit silbernen Knöpfen reich verziert war. Die Rinderhirten hängten sich einen Suba um, wovon die schönsten Stücke gerade im Kiskunság zu finden sind. Die ärmeren Hirten in Kiskunhalas trugen eher einen Szûr. Die kurzen Szûrmäntel nannten sie Szûrdolman oder kankó; diese hielten zwar nicht so warm, aber man konnte sich leichter darin bewegen. Der Ködmön oder dakuködmön, eine Jacke bis unter die Taille, war am Rand ringsum mit 3 bis 4 Finger breitem, farbig mit Blumen besticktem, rotem Schaffell eingefaßt. Die Hosen der Schäfer (rajthuzli) {G-385.} hatten unterhalb des Knies weite Hosenbeine, die auch aufgeknöpft werden konnten und seitlich mit einer Reihe Messingknöpfen verziert waren. Spitze, hochhackige Hirtenstiefel vervollständigten die Tracht.

Die Tracht der Hirten der Pußta Hortobágy sah in vieler Hinsicht anders aus, da sie der Kleidung der Hirten im Nagykunság (Großkumanien) näherstand. Ihren breitkrempigen Hut tragen die Hirten bis heute. Durch ständiges Einfetten wird er nicht nur wasserdicht, sondern auch so schwer, daß der Hirt damit einem widerspenstigen Pferd oder Rind nur auf die Nase schlagen muß, um es zu zähmen. An der linken Seite schmücken die Hirten ihren Hut mit einer Vogelfeder – die Gegend hat einen außerordentlich reichen Vogelbestand, so daß sie nicht lange {G-386.} nach einer schönen Feder suchen müssen. Trappen- und Reiherfedern waren Rangbezeichnungen der Hirten, vor allem die Seidenreiherfeder, für die ein hoher Preis gezahlt werden mußte. Hemd und Gatyahose der Pferdehirten waren in dieser Gegend blau. Die blaue Kleidung verbreitete sich Mitte des vorigen Jahrhunderts, da einige Reitertruppen im ungarischen Freiheitskampf 1848/49 dunkelblaue Hemden und Gatyahosen getragen hatten. Pferde- und Rinderhirten trugen Schaftstiefel, während die Schweinehirten meistens in Bundschuhen gingen. Als Oberkleidung waren der Szûr und im Winter vor allem der Suba und der Ködmön in jüngster Zeit allgemein verbreitet. Der Schäfer trug Hemden und Gatyahosen aus Leinen, später aus Feinleinen. Zur Garderobe eines jeden Schäfers gehörten zwei weiße und zwei eingefettete Gatyahosen. Letztere wurden in Aschenlauge gelegt und mit Talg präpariert, damit sie dem Regen standhielten. Der Schäfer zog sie bei der Schur und anderen schmutzigen Arbeiten an. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich auch auf der Hortobágy die rajthuzli aus Leder oder Tuch, die die Hirten besonders im Winter über die leinene Gatyahose zogen. Die einfachsten Pelz- und Lederkleidungsstücke waren das Brustfell (melles) und die Lederweste (bõrlajbi), die vorn zu knöpfen war. Im allgemeinen trugen die Schäfer einen einfachen Pelzmantel aus sechs Fellen und einen kragenlosen Szûrmantel.

Die Tracht der Hortobágyer Hirten hat fast den ganzen mittleren und nördlichen Teil der Theißgegend beeinflußt, ebenso wie Debrecen für die Mode in breiten Kreisen der Städte und Dörfer maßgebend war. Die Mädchen trugen einen Zopf mit eingeflochtenem breitem Band, auf dem Haar einen Jungfernkranz aus Perlen und um den Hals eine Granatperlenkette. Die Frauen banden ein Tuch um den Kopf, Rock und Leibchen waren gewöhnlich aus dunkelblauem oder schwarzem Stoff. Im Winter trugen sie einen kurzen Pelzmantel, dessen äußere Lederseite braun gegerbt und mit schwarzem Seiden- oder Lederfaden bestickt war. Im Sommer legten sie sich eine ärmellose Tuchpelerine um, die sie mit Tuchapplikationen verzierten. Neben den Festtagsstiefeln aus Korduan wurden auch bald die Halbschuhe üblich. Die Männer trugen im vorigen Jahrhundert im allgemeinen den hohen, sogenannten Viehhändlerhut. Ihre Gatyahose war aus Baumwolle, und über das Hemd zogen sie eine mit Silber- oder Zinnknöpfen verzierte Weste. Im Winter trugen sie eine dunkelblaue Tuchhose nach engem ungarischem Schnitt und eine Jacke aus demselben Stoff, darüber einen Suba oder einen Szûrmantel. Ihre Schaftstiefel waren aus Korduan oder anderem Leder; an den Stiefelabsätzen trugen sie spitze oder Knopfsporen. Diese Tracht ist in ihren wichtigsten Elementen bis zum Ersten Weltkrieg lebendig geblieben.

198. Pußtahirten

198. Pußtahirten
Bugac

In der östlichen Theißgegend hat sich die Volkstracht der Frauen mit den vielen übereinander getragenen Röcken nur an einigen Orten eingebürgert, zum Beispiel in Ajak (Komitat Szabolcs). Hier trugen die Frauen im vorigen Jahrhundert nur wenige Unterröcke, und der Überrock reichte ihnen bis halb über die Waden. Je mehr an der Zahl, um so kürzer wurden die Röcke. Über die vielen Röcke wurde zuletzt noch eine Schürze mit Blumenmuster gebunden. Taillierte Blusen nähten sich die Frauen von Ajak schon in frühester Zeit; die kleinen {G-387.} Mädchen trugen Blusen mit einer Halskrause, die größeren Mädchen mit zweien. Ende des vorigen Jahrhunderts gingen die Mädchen im allgemeinen von Allerseelen bis Palmsonntag in Stiefeln und die übrige Zeit in Halbschuhen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte die Braut in Ajak zur Hochzeit noch ein schwarzes Schultertuch getragen. Die Tracht der Männer bestand aus Leinenhemd und Gatyahose, während die Tuchhose hier erst Ende des vorigen Jahrhunderts eingeführt wurde. Als Mantel diente ein grauer, später ein schwarzer Guba. Die Männer gingen in eingefetteten Schaftstiefeln und im Sommer auch in Bundschuhen.

Im isoliert gelegenen Bodrogköz entwickelte sich keine sehr anspruchsvolle Tracht. Die Mädchen flochten ihr Haar früher zu drei, Ende {G-388.} des vorigen Jahrhunderts zu zwei mit bunten Bändern geschmückten Zöpfen. Über dem Leibchen aus Feinleinen trugen sie ein Jäckchen (litya) aus buntem Stoff. Über 5 bis 6 gestärkte Unterröcke – hier merkwürdigerweise kabát genannt, was sonst Mantel bedeutet – zogen sie einen Rock aus Seide oder Kaschmir. Um die Schultern banden sie ein Tuch (zsalikendõ). Die Absätze ihrer schwarzen Stiefel waren mit Messingnägeln verziert und vorn mit „ blaßlungenfarbenen“ Schnüren geschmückt. Der Ködmön der Frauen war reich bestickt. Die Burschen trugen weitärmlige Feinleinenhemden und weite Gatyahosen. Um die Taille banden sie sich einen Gürtel mit Knöpfen, von denen farbige Fransen und Bänder bis zu ihren Stiefelabsätzen herabhingen. Ihre Weste aus schwarzem Stoff zierten breite Borten und Schnüre. Die wohlhabenderen Bauern trugen einen in Ungvár oder Debrecen gekauften Guba.