Siebenbürgen

Der Name Erdély (Siebenbürgen) ist von „erdõ“ (Wald) abgeleitet und weist auf das Gebiet „jenseits“ des Waldes hin. Seit dem 12. Jahrhundert wird diese östliche Gegend, die durch riesige Waldflächen von der Tiefebene abgegrenzt ist, so bezeichnet. Das Territorium Siebenbürgens grenzte sich jedoch nicht nur durch geographische Gegebenheiten ab, auch seine Geschichte nahm im 16. Jahrhundert einen besonderen Verlauf, indem das Gebiet bis 1848 ein politisch selbständiger Teil Ungarns blieb. Die westlichen Landstriche Siebenbürgens wurden zu jener Zeit Partium genannt. Sie standen zwar unter der Botmäßigkeit des siebenbürgischen Fürsten, gehörten aber nicht zu Siebenbürgen. Im folgenden befassen wir uns mit einigen kleineren ungarischen Gruppen, die hinsichtlich ihres Charakters eher zur Ungarischen Tiefebene, politisch aber zur Sozialistischen Republik Rumänien gehören.

15. Reformierte Kirche

15. Reformierte Kirche
Magyarvalkó, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

Das Érmellék (Érnebenland = neben dem Fluß Ér) gehört eigentlich noch zum Biharer Flachland, und auch seine Kultur hat Tieflandcharakter, {G-52.} doch unterscheidet es sich davon durch seinen hervorragenden Weinanbau. Szilágyság ist eine Hügellandschaft im Westen Siebenbürgens. Sie schließt sich in vielerlei Beziehung an die Ungarische Tiefebene an, doch dominieren bereits die siebenbürgischen Merkmale. Nur einige Dörfer bilden eine kompakte Gruppe, andere werden von rumänischen Siedlungen inselartig umgeben (Désháza, Diósad, Tövishát, Várvölgy, Szer usw.). Ihre reiche Dekorationskunst, ihre Traditionen auf dem Gebiet der Volksmusik und Volksdichtung wechseln beinahe von Dorf zu Dorf.

Westlich von Belényes (Beins) findet sich im Tal der Fekete-Körös (Schwarze Körös) eine aus 13 Dörfern bestehende, teils ungarische Sprachinsel, die allein schon wegen ihrer Abgeschlossenheit großes {G-53.} Interesse verdient. In vielerlei Beziehung weist ihre Kultur in das Innere des Kalotaszeg und Siebenbürgens. Die Tracht zeigt eher den Charakter des Tieflandes, wohin sich die Bewohner früher in Trupps als Schnitter verdingten. Bis sie zurückkehrten, war auch hier in dieser kühleren Gegend das Getreide reif. Unter ihren früheren Tätigkeiten verdient ferner die Waldviehhaltung Erwähnung.

Westlich von Klausenburg (Kolozsvár, Cluj-Napoca) erstreckt sich längs der Kalota, der Schnellen Körös (Sebes-Körös) und des Nádasbachs beinahe bis hin zu den Höhenzügen des Bihargebirges der Landstrich Kalotaszeg (Kalotawinkel). Längs der Körös und Kalota leben die Felszeger, die sich für die typischsten Kalotaszeger halten. Im Tal des Almásbaches, im Grenzgebiet zum Komitat Szilágy, liegt der Landstrich Alszeg, während im nach Klausenburg zu immer schmaler werdenden Tal des Nádasbachs die sog. Nádasmenti falvak (Dörfer längs des Nádas) gelegen sind. Kalotaszeg besteht aus etwa 35–40 Dörfern. Zentrum ist Bánffyhunyad, die Siedlung mit der höchsten Einwohnerzahl. Auch von hier verdingten sich einst viele Bauern in die Tiefebene als Schnitter. Ausgedehnte Wiesen und Gebirgsweiden bildeten die Grundlage ihrer Viehhaltung. Die Heimindustrie ist außergewöhnlich entwickelt, insbesondere die Hanfverarbeitung. Die prachtvolle Kalotaszeger Volkstracht übte auch auf die Umgebung Einfluß aus. Die „írásos“ Stickerei, deren Rankenwerk auf dem Leinen vorgezeichnet wird (ír = hier: zeichnen), ist weit verbreitet. In dem einst ausgedehnten Waldgebiet finden sich schöne Denkmäler der Holzschnitzkunst: Portale, Spinnrocken, verzierte Joche und Grabkreuze.

16. Sonntagsspaziergang

16. Sonntagsspaziergang
Jobbágytelke, ehem. Kom. Maros-Torda, Rumänien

{G-54.} Mezõség, ein sanft hügeliger Landstrich, liegt in der Mitte Siebenbürgens. Von den vielerorts verstreuten ungarischen Sprachinseln hat beinahe jede eine von den anderen abweichende bäuerliche Kultur entwickelt. So einige ungarische Dörfer im Borsa-Tal und in Szék, deren reiche und auch heute noch lebendige Gesangs- und Tanzkultur allgemein bekannt ist. Doch selbst im zu Klausenburg gehörenden Hóstát, in Hidelve und den sich anschließenden Dörfern Kolozsmonostor und Szamosfalva hat das Volk viele ethnische Eigenheiten bewahrt. Interessant unter den Diasporagemeinden ist auch Szakadát, das sich durch die spezifischen Merkmale seiner Tracht, Bauweise und Bräuche von den Nachbarn absondert.

Torockó und Torockószentgyörgy im ehemaligen Komitat Torda waren seit dem Mittelalter bedeutende siebenbürgische Zentren der Eisenerzförderung und -verarbeitung. Mit ihrer charakteristischen Tracht und ihren Stickereien unterschieden die Bewohner sich sogar von den Nachbargemeinden.

Die größte ungarische ethnische Gruppe Siebenbürgens bilden die Szekler, deren überwiegende Mehrheit in den Ostkarpaten lebt. Name und Herkunft sind gleichermaßen umstritten. Neueste Forschungen haben ergeben, daß sie auf Wanderungen von der Westgrenze Ungarns im 11.–12. Jahrhundert ihre heutige Heimat als Grenzposten besetzten, um die Ostgrenzen vor Angriffen der Kumanen und Petschenegen zu schützen. Diese militärische Organisation zeigte sich auch in späteren Jahrhunderten noch und wirkte sich bestimmend auf die Lebensumstände der Szekler aus. So teilten sie sich in die Vornehmsten (primor) und die Reisigen (lófõ – equites), die ihnen folgten. Diese beiden Gruppen zogen auf eigenem Pferd und mit eigener Ausrüstung in den Krieg. Die Pixidarii waren freie Szekler, die den Waffendienst als Fußsoldaten ausübten. Es bestanden zwar Besitzunterschiede unter den Szeklern, doch hatte sich hier der Großgrundbesitz weniger herausgebildet als in den anderen Teilen des Landes.

Die einstige Militäradministration gründete innerhalb des Szeklergebietes sogenannte Stühle, Stuhlbezirke (szék). Die Bevölkerung von Udvarhelyszék (die Quellen nennen sie anyaszék = Mutterstuhl) ist meist reformiert und unitarisch. Csíkszék ist rein katholisch, während Háromszék, bestehend aus Kézdi-, Orbai- und Sepsiszék, teils reformiert, teils katholisch ist. Die Dörfer des Marosszék gehören mehreren Konfessionen an. Aranyosszék liegt inselartig westlich vom Szeklerland. Diesen Stuhlgebieten wurden später noch kleinere Landstriche angeschlossen. So wurde Háromszék der aus zehn Gemeinden bestehende Miklósvárfiszék zugeschlagen, und Udvarhelyszék erhielt Bardócfiszék und Keresztúrfiszék. Des weiteren ergeben sich innerhalb der Stuhlgebiete auch kleinere ethnische Gruppen und ethnographische Regionen, die oftmals die Grenzen der Stuhlbereiche kreuzen. So faßt Erdõvidék 17 Dörfer des Bardóc- und Miklósvárfiszék zusammen., und die in kleinen Flußtälern angesiedelten Dörfer des Homoródmente- und des Almásmente-Gebiets bilden Sondergruppen im Udvarhelyszék.

17. Dorfansicht

17. Dorfansicht
Gyimesközéplok, Antalok-pataka, ehem. Kom. Csík, Rumänien

In den Grundlagen und Hauptzügen gleicht die Bauernkultur der Szekler den anderen ethnischen Gruppen der Ungarn ebenso wie ihre Sprache. Lediglich infolge ihrer regionalen Geschichte und territorialen {G-55.} Abgeschiedenheit bewahrten sie zahlreiche Archaismen. Ihre Lebensweise läßt sich mit wenigen Worten umreißen: Wald, Almwirtschaft, Ackerbau. Die Sammeltätigkeit im Wald ist stark entwickelt. Auf die Holzbearbeitung verstehen sich die meisten Szekler. Die gegenseitige Hilfe, die freiwillige und unentgeltliche Gemeinschaftshilfe ist bei ihnen weit verbreitet. So errichten sie ihre Holzhäuser und -scheunen mit Hilfe der Nachbarn, Verwandten und Freunde. Unter den monumentalen Schnitzarbeiten stechen die Szeklertore und die Grabstelen besonders ins Auge. In der Almviehhaltung kam einst dem Pferd und dem Rind die größte Bedeutung zu. Neuerdings werden vor allem Schafe gehalten. Zum Ackerbau geeignet sind das Csíker, das Gyergyóer und das Háromszéker Becken, doch mancherorts wird auch an steilen Berghängen gepflügt, wo es schon allein schwierig ist hinaufzugelangen. Außer den Schnitzarbeiten kommt auch dem bunten gewebten und gestickten Leinen eine wichtige Rolle in der dekorativen Volkskunst zu. Die Trachten der Bewohner unterscheiden sich in den einzelnen Stuhlbezirken.

Die geistige Kultur zeigt einen außerordentlichen Reichtum. Die schönsten Fassungen von Volksliedern und insbesondere von Volksballaden – von der ältesten bis zur jüngsten Schicht – haben die Szekler bewahrt. Das Erzählen von Volksmärchen und -sagen ist bei ihren Zusammenkünften im Dorf auch heute noch beliebt. Volkslied und instrumentale Volksmusik deuten ebenso auf eine große Vergangenheit wie der Volkstanz.

{G-56.} Im Verlauf ihrer Geschichte waren kleinere oder größere Gruppen der Szekler immer wieder gezwungen, ihre Heimat aufzugeben und sich eine neue zu suchen. So flüchteten 1764 nach dem von der kaiserlichen Armee der Habsburger angerichteten grausamen Blutbad Tausende von Szeklern über die Karpaten in die Bukowina, wo sie unter sehr schwierigen Umständen seßhaft wurden. Ein Teil dieser Flüchtlinge siedelte um 1880 an die untere Donau um. 1941 machten sich beinahe alle in der Bukowina zurückgebliebenen Szekler auf den Weg in die Batschka. Später fanden sie dann in Ungarns heutigen Bezirken Tolna und Baranya eine neue Heimat. Eine außerordentlich interessante Aufgabe wäre es, die Auflösungserscheinungen und die Weiterentwicklung der charakteristischen Merkmale ihrer Kultur unter den Bedingungen einer neuen Umgebung zu untersuchen.

Die jenseits der Karpaten, in der Moldau lebenden Ungarn werden Csángó-Magyaren genannt. Im Mittelalter waren sie – in der Mehrzahl aus Nordsiebenbürgen kommend – hier eingewandert. In einer völlig rumänischen Umgebung haben sie sehr viel Archaisches bewahrt, doch ist der rumänische Einfluß sowohl in der Kultur als auch in der Sprache spürbar. Volkspoesie, Volksmusik und Volkstänze hat diese Gruppe in manchen Fällen unverändert in ihrer mittelalterlichen Form bewahrt.

Szekler zogen von den Karpaten auch ins Landesinnere. So treffen wir bei Kronstadt (Brassó) und im Burzenland (Barcaság) auf die Hétfalusi (Siebendörfer) Csángó (evangelischer Konfession), die nicht nur ausgezeichnete Ackerbauern, sondern einst auch Fuhrleute waren, die ihre eigenen Waren und die der Kronstädter Bürger auf den Straßen Rumäniens und Siebenbürgens transportierten. Die Gyimeser Csángó zogen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert zum Gyimes-Paß, in die Umgebung der in die Moldau führenden Straße. Verwaltungsmäßig gehörten sie früher nicht zum Csíkszék (Stuhlbezirk Csík).

Im Anschluß hieran müßten wir auch über die in Amerika und Westeuropa lebenden ungarischen Gruppen sprechen. Das ist uns allerdings aufgrund unserer heutigen Kenntnisse kaum möglich. Die Aussiedler stammen nämlich aus den verschiedensten ethnischen Gruppen und ethnographischen Regionen und repräsentieren verschiedene Klassen und Schichten. So ist es schwierig, über solche Gruppen in traditioneller Weise zu sprechen. Doch auch in diese Richtung gehende ethnographische und Dialektforschungen sind inzwischen in Angriff genommen worden. Bekannt ist uns immerhin bereits heute, daß die Ausgewanderten in der Ernährungsweise an den Traditionen festhalten und auch gewisse geistige Überlieferungen wie Volkslied und Volkstanz bewußt fortsetzen.. Von den Bräuchen wird das meiste im Zusammenhang mit der Taufe, der Hochzeit und der Beerdigung bewahrt.