Die Schnitzkunst

Das Material für die Schnitzerei kann sehr vielfältig sein. Holz ist am geeignetsten, doch verwendet man auch Horn und Knochen.

203. Schnitzwerkzeuge (aus dem Besitz des Hirten Mihály Tóth)

203. Schnitzwerkzeuge (aus dem Besitz des Hirten Mihály Tóth)
Felsõsegesd-Lászlómajor, Kom. Somogy

Oben sind wir schon mit zweierlei Holzschnitzereien großen Formats bekannt geworden, den Szeklertoren und den Grabhölzern oder Grabkreuzen auf den Friedhöfen. Monumentale Schnitzereien sind auch an einzelnen Holzbestandteilen des Wohnhauses zu finden. So pflegte man in den Hauptbalken meist unter Zuhilfenahme des Zirkels geometrische Muster zu schneiden, während Rankenornamente oder Lebewesen auf dem Balken seltener dargestellt werden. Die geometrischen Muster, die zeitlich als die älteste Schicht anzusehen sind, hielten sich am längsten in Siebenbürgen und im Donau-Theiß-Gebiet. Im Kalotaszeg verzierte man so zum Beispiel den Spinnrockenfuß. Die schönsten Stücke haben die Burschen ihren auserwählten Mädchen beziehungsweise die jungen Ehemänner ihren Frauen als Liebesgabe geschnitzt. Und wenn sie selbst nicht geschickt im Schnitzen waren, wandten sie sich an einen bewährten Meister. Sogar die Hackenputzer (Hölzer zum Entfernen der angeklebten Erde) verzierte man {G-406.} im Kalotaszeg mit geometrischen Schnitzornamenten. Dieser älteste Stil ist vermutlich irgendwann im ganzen ungarischen Sprachraum allgemein üblich gewesen, was dadurch bewiesen wird, daß in ungarischen Museen einige prächtige in dieser Art geschnitzte Mangelhölzer auch aus Westungarn aufbewahrt werden. Die geometrischen Verzierungen waren in ganz Europa bekannt und werden allgemein für die älteste Schicht gehalten. Charakteristischerweise hielten sie sich in dem an Holzbeständen reichen Siebenbürgen am längsten; dort sind sie unter den Ungarn und Rumänen noch heute bekannt und üblich. Mit derartigen Schnitzereien verzierte Gegenstände haben sich die meisten Bauern selbst hergestellt, doch gab es auch Spezialisten, die sich besonders aufs Schnitzen verstanden. Zimmerleute und Müller waren für ihre Schnitzkunst oft weithin berühmt im Land.

Besonders schöne Denkmäler hinterließen die Windmüller im Donau-Theiß-Gebiet, die nicht nur die komplizierte Konstruktion der gesamten Windmühle ausführten, sondern auch die innere Holzeinrichtung der Mühle mit herrlichen Schnitzereien verzierten. Es waren gewöhnlich Reliefverzierungen mit Ranken und Blumen sowie dem Namen des Schnitzers und des Eigentümers darin. Als Meister der Holzschnitzerei waren auch die Lebküchler bekannt, die ihre Lebkuchenformen oft selbst aus Holz schnitten. Sie arbeiteten mit Stichel und Messer und schnitten das Muster – Puppen, Husaren, Herzen – gewandt und mit künstlerischem Gefühl 6 bis 8 mm tief ein. Die Lebkuchenbäckerei ist ebenso wie das Blaudruckhandwerk von Westen nach Ungarn gekommen, so daß sie in ihrem Formengut viele österreichische und deutsche Züge bewahrt hat. Künstlerisch sind die religiösen Figuren, denen wahrscheinlich alte Stiche als Vorlage dienten, die schönsten. Die Modeln, die weltliche Gegenstände darstellen, sind dagegen viel bewegter verziert; sie zeigen die Figur eines Hirten oder Betyaren, ein Herz, einen Blumenstrauß, einen Husaren oder ein tanzendes Paar. Auf herzförmigen Schlaghölzern ist oft die Zahl 3 oder 8 zu sehen; sie steht symbolisch für die Zusammengehörigkeit des Burschen und des Mädchens.

Die Baumrinde (Ulmen-, Linden-, Kiefern-, Birken-, Pappelrinde usw.) eignet sich zur Herstellung verschiedener Gefäße. Unter anderem sind die kleinen zylindrischen Salzfäßchen erwähnenswert, deren schönste Exemplare in Siebenbürgen zum Vorschein kamen, die in ähnlicher Form aber auch aus dem Oberland und Westungarn bekannt sind. Die streifenförmig abgespaltene Rinde wird an beiden Enden so abgeschnitten, daß sie gebogen und ineinander gesteckt fest zusammengehalten werden kann. Oben und unten wird das Fäßchen mit einem Holzstöpsel verschlossen. An der Seite werden Ornamente aus Linien und Kreisen eingeschnitten. Derartige Verzierungen und auch die Technik des Zusammenfügens finden wir bei den verschiedenen finno-ugrischen Völkern. So ist anzunehmen, daß sie zur ältesten Schicht der dekorativen Volkskunst gehören.

Die Hirten wurden schon in den ältesten Zeiten für ausgezeichnete Schnitzer gehalten, zumal sie stets mehr Zeit hatten als das Gesinde auf den großen Gütern oder die Bauern, die ihr eigenes Feld bestellten. Wenn sie hinter der Viehherde gingen oder das Vieh ruhig weidete {G-407.} oder rastete, holten sie aus der Tiefe ihres Beutels ein Messer hervor, nahmen ein Stück Holz, und bald entstand unter ihren geübten Händen eine großartige Schnitzerei. Allerdings mußten sie das meistens heimlich tun, denn der Gutsherr, der Gutsverwalter oder andere Standespersonen des Dorfes sahen es nicht gern, wenn sich die Hirten mit der Schnitzkunst befaßten; solche Hirten galten als unzuverlässig und konnten leicht ihren Arbeitsplatz verlieren. Zum Glück lagen die Weiden weit entfernt, und auch der Aufseher begab sich nur selten in das endlose Weideland, so daß der Hirt ruhig seiner Freizeitbeschäftigung nachgehen konnte. So wurde die Hirtenkunst noch in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts gepflegt, als man im Dorf die Gegenstände schon lange nicht mehr verzierte.

204. Schnitzbank

204. Schnitzbank
Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

205. Mangelholz, 1829

205. Mangelholz, 1829
Kom. Gyõr-Sopron

Abb 173. Drei Salzfässer aus Birkenrinde, darunter das mittlere Stück aufgerollt.

Abb 173. Drei Salzfässer aus Birkenrinde, darunter das mittlere Stück aufgerollt.
Szeklerland, ehem. Kom. Csík, Mitte 20. Jahrhundert

206. Verziertes Hirtentrinkhorn

206. Verziertes Hirtentrinkhorn
Ehem. Kom. Ung

Das wichtigste Material der Hirtenschnitzer waren Holz und Knochen (Horn). Aus Holz stellte der Hirt die meisten seiner Gebrauchsgegenstände {G-408.} her: den reich verzierten Hirtenstab, den Peitschengriff, Schäferkrummstab, Axtgriff, Rührlöffel, Messergriff, Spiegelhalter, Trinkkelle, Rasiermesserbehälter, Streichholzschachtel, Flöte und Pfeifenstiel. Aus Holz wurden auch die kleinen Haushaltsgegenstände wie Stampfer, Mangel, Wandsalzfaß und Kinderspielzeug gefertigt. Aus Horn entstanden Blashorn, Trinkhorn und Behälter für den Sensenwetzstein. Dabei brauchte das Horn nicht groß verändert zu werden, es behielt seine natürliche Form. Bei der Herstellung kleiner Gegenstände wie {G-409.} Salzfäßchen, Räudefettbehälter und Streichholzschachtel dagegen mußte das Horn zersägt werden.

In Siebenbürgen herrschte die geometrische Verzierung vor, während sich in Westungarn, im Oberland und im Theißgebiet drei gut voneinander zu unterscheidende Stile herausbildeten.

Die frühesten uns bekannten Hirtenschnitzereien aus Westungarn stammen vom Ende des 18. Jahrhunderts. Sie sind graviert und zeigen geometrische Ornamente. Erst Anfang des vorigen Jahrhunderts tauchen dann die ersten gravierten Gegenstände auf, deren Vertiefungen mit einem Gemisch von Öl und Ruß beziehungsweise Schießpulver und Wachs ausgefüllt wurden, damit sich die Linien des Ornaments besser abhoben. Aus dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts stammen die frühesten Siegellackverzierungen. Man schnitt die Vertiefungen der gravierten Ornamente etwas breiter aus, drückte mit dem Rücken eines im Feuer erhitzten Messers schwarzen, grünen, blauen oder roten Siegellack in die Rillen, polierte dann die rauhe Oberfläche mit Schachtelhalmkraut oder Glasscherben und schmierte sie mit Bienenwachs ein. Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die Siegellackverzierung und die übrigen Techniken immer mehr von der Reliefschnitzerei verdrängt, die möglichst die ganze Oberfläche des {G-410.} verzierten Gegenstandes bedeckte. Im westlichen Raum des ungarischen Sprachgebietes war dies die am meisten verbreitete Schnitztechnik.

Die Hirtenschnitzereien aus Westungarn geben ein getreues Bild von der Welt der Hirten. Bunte Blumen, Bäume, Sträucher und auch die Tierwelt bilden die üblichen Schmuckelemente; Schafe, Schweine, Füchse, Hasen, Eulen und Tauben sind mit bewundernswertem Stilgefühl dargestellt. Der Schäfer geht hinter seiner Herde her; ein Pferdehirt zähmt sein Pferd; der Schweinehirt hat das glänzende Beil in der Hand, der Rinderhirt trägt den verzierten Szûrmantel, der Wirt und die Wirtin schenken Wein aus, und die Zigeuner spielen zum Tanz auf.

207. Detail eines Mangelholzes

207. Detail eines Mangelholzes
Ungarn

208. Trinkkelle

208. Trinkkelle
Monostorapáti, Kom. Zala

Außer den genannten ist auch der Strauchdieb, der Betyar, eine beliebte {G-411.} Figur der westungarischen Schnitzereien. Die ungarischen Betyaren des 19. Jahrhunderts waren ihres Bodens beraubte Bauern, geflohene Soldaten oder Fronbauern, die die Willkür ihres Grundherrn nicht länger ertragen wollten. Der Betyár genoß beim Volk beinahe Heldenverehrung, weil er der armen Bevölkerung nie etwas zu leide tat, ihr oft sogar half:

Was ich mir erräubert habe,
reicher Herren Gut und Habe,
nahm ich alles ohn Erbarmen,
schenkt’ es hinterher den Armen…

So heißt es in einer Ballade über Andris Juhász, den großen Räuber aus dem Komitat Somogy. Im Freiheitskampf von 1848/49 haben viele Betyaren mit den Aufständischen gegen die Unterdrückung gekämpft ; das steigerte natürlich ihre Volkstümlichkeit, so daß sie nicht nur in der Volksdichtung, sondern auch in den Darstellungen der Hirtenschnitzereien zu einer beliebten Gestalt wurden.

Abb. 174. Zierschnitzereien an einem Hirtenstab.

Abb. 174. Zierschnitzereien an einem Hirtenstab.
Hortobágy, Kom. Hajdú, um 1920

Die westungarischen Hornverzierungen wurden ursprünglich geritzt und mit Scheidewasser gefärbt, später ging man auch bei Horn zur Reliefschnitzerei über. Auch die Verzierung der als Wasserbehälter dienenden Kürbisflaschen erreichte in Westungarn einen hohen künstlerischen Grad. Hier ist eine Beziehung zu den benachbarten kroatischen Gebieten zu erkennen. Der Flaschenkürbis wurde sorgfältig gepflegt, man ließ ihn an einem Gestell hochranken und formte ihn in einem Lattenrahmen oder Glas, und erst wenn er ganz ausgereift war, wurde er verziert. Seine geritzten Ornamente sind den Verzierungen der Spiegelrahmen oder der Salzfäßchen aus Horn nahe verwandt. Der Hirt trug eine wassergefüllte Kürbisflasche an seinem Gurtriemen, und auch auf der Weide hatte er sie immer bei sich.

209. Pulverhorn

209. Pulverhorn
Kom. Veszprém

Unter den Palotzen des Oberlandes waren vor allem die Schäfer große Meister der Schnitzkunst. Zu ihren typischen Schnitzarbeiten gehörte die Trinkkelle (csanak). Die Hirten auf der Weide, die Jäger im Wald und die Bauern auff dem Feld hängten sich die Kelle an ihren Beutel, {G-412.} damit sie sie immer zur Hand hatten. Die Palotzen verzierten vor allem den Griff der Kelle, dem oft die Form eines Hundes, einer Schlange oder eines Lamms gegeben wurde. Die Ornamente zeigen eine enge Beziehung zu den Hirtenschnitzereien der benachbarten slowakischen Gebiete. An den Seiten der Trinkbecher sind oft Bäume oder Blumen eingeritzt, am häufigsten aber Szenen aus dem Jäger- und Hirtenleben oder aus dem Ackerbau. Der Stock und der Axtschaft wurden mit Blei- und Zinneinlagen verziert, indem man die ausgeschnittenen und ausgezackten Rillen im Holz mit geschmolzenem Metall ausfüllte; wenn es ausgekühlt war, wurden die zumeist geometrischen Ornamente abgeschliffen.

210. Pulverhorn

210. Pulverhorn
Kom. Veszprém

Abb. 175. Trinkhorn, aufgerolltes Schema.

Abb. 175. Trinkhorn, aufgerolltes Schema.
Kom. Zemplén, zweite Hälfte 19. Jahrhundert

Einst konnte man auf den öden Pußten der Ungarischen Tiefebene einen Tagesmarsch lang keinen einzigen brauchbaren Baum finden, dennoch sind uns auch aus dieser Gegend Meisterwerke der Holzschnitzerei überliefert. Die Hirten plünderten meistens die Pflaumenbäume in den Wein- und Obstgärten am Rande der Dörfer, um ein {G-414.} entsprechendes Stück Holz für ihren Peitschengriff zu finden. Beliebt war es in der Tiefebene, die Holzschnitzerei mit Knochen-, Kupfer- oder neuerdings auch Kautschukeinlagen zu verzieren. Sorgfältig geschnitzte Figuren wurden ins Holz eingelassen und mit kleinen Kupfernägeln befestigt. In dieser Technik verzierten die Hirten der Theißgegend Peitschengriff, Stock, Stockbeil (fokos), Axtgriff und hier und da auch den Rasiermesserbehälter. Die Holzschnitzereien stellen oft Szenen aus dem Hirtenleben dar oder sind ganze epische Kompositionen. Andere Verzierungen reihen Gegenstände und Dinge aus dem Hirtenleben wie Axt, Messer, Gabel, Kochkessel, Mond, Sonne, Sterne oder Gewehr und Pistole, die auf den einstigen Betyarenkult verweisen, und anderes mehr ohne besonderen Zusammenhang aneinander. Fast jede Schnitzerei, vor allem auf Peitschengriffen und Stöcken, gibt auch den Namen – zumindest die Anfangsbuchstaben – des Schnitzers und des Eigentümers sowie das Entstehungsjahr an.

Abb. 176. Menschenfiguren an Pulverhörnern aus Hirschgeweih.

Abb. 176. Menschenfiguren an Pulverhörnern aus Hirschgeweih.
Siebenbürgen, 17.–18. Jahrhundert

In der Theißgegend haben die Horn- und Knochenschnitzereien eine bedeutende Vergangenheit. Die Hirten ritzten die Ornamente mit der Messerspitze ein, wobei sie die wichtigen und hervorstehenden Teile häufig mit Scheidewasser gelb färbten. Die Muster sind zum Teil geometrisch, oder es handelt sich um Pflanzenranken; Gegenstände der Hirten und Szenen aus ihrem Leben oder Betyarendarstellungen kommen seltener vor. Im Norden der Theißgegend wurden die riesigen Hörner der grauen ungarischen Rinder mit pflanzlichen und geometrischen Ornamenten reich geschmückt. Typisch für diese hervorragenden Volkskunstwerke ist das zentrale Kreisornament, von dem Ranken und Blumen abzweigen. Ähnliche Muster findet man bei den Slowaken und den Ruthenen.

Besonders müssen wir auf die Verwendung und Verzierung von Knochen eingehen, denn darin zeigen sich viele archaische Züge bewahrt. Die Hirten haben Knochenwürfel mit geometrischen Ornamenten und verschieden geformten geschnitzten Perlen – ebenfalls aus Schafs- und Hundeknochen – an ihrem Riemen befestigt Die geometrischen Einritzungen füllten sie mit körnigem Talg aus. Derartiger Perlenschmuck wurde auch in den Gräbern aus der Zeit der Völkerwanderung gefunden, so daß diese Verzierung mit Recht als eine der ältesten in der ungarischen dekorativen Volkskunst angesehen werden kann.

Abb. 177. Zierkämme, Knochenschnitzerei, aus der Gegend östlich der Theiß.

Abb. 177. Zierkämme, Knochenschnitzerei, aus der Gegend östlich der Theiß.
Zweite Hälfte 19. Jahrhundert

Noch weiter zurück gehen vielfach die zumeist aus dem Osten des ungarischen Sprachraumes kommenden Pulverhörner, in denen die Jäger seit dem 16./17. Jahrhundert ihr Schießpulver gegen Feuchtigkeit schützten. Die Hörner wurden aus einem gegabelten Geweihstück gefertigt und konnten unten oder oben mit einem Knochenstöpsel verschlossen werden. Die beiden Schlaufen an der Seite weisen daräuf hin, daß sich der Jäger das Pulverhorn um den Leib schnallte, weshalb auch gewöhnlich die unverzierte Seite des Pulverhorns abgewetzt ist. Was vor der Erfindung des Schießpulvers in diesen Hörnern aufbewahrt wurde, ist nicht genau bekannt, wahrscheinlich Salz, das ebenso vor Feuchtigkeit geschützt werden sollte. In Gräbern aus der Zeit der Völkerwanderung, vornehmlich in awarischen Gräbern, {G-415.} wurden häufig ähnliche Gegenstände mit zentralen Kreisornamenten gefunden. Beispiele für diese Verzierung gibt es auch aus dem 17. und 18. Jahrhundert; sie zeigen jedoch zugleich eine ganze Reihe von noch altertümlicheren Ornamenten. So bildete den Mittelpunkt der Verzierung oftmals eine Swastika (Sonnenrad), deren verschiedene Formen bis in die Urzeit zurückzuverfolgen sind. Besonders interessant ist eine dreieckige Menschendarstellung, die um den unteren Teil der beiden Sprossen herumläuft und in bezug auf die formale Lösung genau der Hallstätter Menschendarstellung (frühe Eisenzeit, 10.–5. Jahrhundert v. Chr.) entspricht. Es soll noch erwähnt werden, daß die Hirten aus dem südlichen Teil Westungarns Ende des vorigen Jahrhunderts ähnliche Gestalten in ihre Spiegelrahmen schnitten. Auf Spundtruhen und Schränken findet man sie auch noch in unserem Jahrhundert. All das ist ein klarer Beweis dafür, daß einzelne Darstellungsarten nicht nur jahrhundertelang, sondern jahrtausendelang erhalten bleiben können. Die Rankenornamente einzelner Schnitzereien erinnern an die Taschenplatten aus der Zeit der ungarischen Landnahme. Häufig wurden einfache Tierdarstellungen, hauptsächlich Hirsche, und neben ihnen eine Fahne eingeritzt. Diese Verzierung deutet auf einen Zauber, mit dem der Erfolg der Jagd beeinflußt werden sollte.

Ein berufener Meister der Hornbearbeitung war der Kammacher. Seine Erzeugnisse zeigen aber keineswegs so archaische Züge wie etwa die Hirtenschnitzereien, denn die Meister der Kammacherzunft sind als Gesellen vorwiegend durch westliche Länder gezogen und haben den größten Teil ihrer Muster von dort mitgebracht. Vielfach eigneten sie sich aber auch das Formengut der Hirtenkunst und der Szûrschneiderei an und vermittelten dieses nach dem Westen. Die am reichsten verzierten Kämme trugen die Frauen in ihren Haarknoten, während ein vergleichbares dekoratives Stück der gebogenen Männerkämme bis jetzt noch nicht gefunden worden ist. Der Kammacher zeichnete die Muster auf Papier, kopierte sie dann auf das Horn und schnitt schließlich mit einer Säge und verschiedenen anderen Werkzeugen die durchbrochene, hauchzarte Verzierung aus. Einzelne Meister verfügten oft über mehr als hundert Muster, die sie je nach der wechselnden Mode zu ergänzen und zu bereichern suchten.