{G-424.} Bunte Leinwandweberei

Die Herstellung des glatten hausgewebten Leinens wurde schon beschrieben; deshalb soll an dieser Stelle nur von den verzierten Geweben aus Hanf, Flachs und Baumwolle die Rede sein. Für verzierte Stoffe wählte man immer das feinste Material aus, denn diese Leinensachen waren das Aushängeschild der Hausfrau, und zahlreiche Stücke dienten für ganz bestimmte Anlässe.

Im Bodrogköz zum Beispiel gehörte vor gar nicht allzu langer Zeit noch zu allen wichtigen Ereignissen des Lebens ein bestimmtes Leinen von jeweils anderem Format und Muster, das von der Wiege bis zum Grab festgelegt war. Das heiratsfähige Mädchen und seine Mutter begannen schon frühzeitig, aus reich mit Blumen verzierten Geweben verschiedene Tücher für die kleinen und großen Brautführer, die Beistände, den Pfarrer, die Kutscher und sogar die musizierenden Zigeuner anzufertigen, wobei möglichst jedes Stück anders verziert sein sollte, um so die Geschicklichkeit der Weberin unter Beweis zu stellen. Bei einer größeren Hochzeitsfeier wurden mehr als hundert Tücher verteilt. Die junge Frau sorgt dann wieder rechtzeitig für das Patentuch, in dem sie der Wöchnerin das Essen bringt, wenn sie als Patin fungiert. Die Wiege des eigenen Kindes wurde nur mit rot gemustertem Leinen bedeckt, um damit Verwünschungen fernzuhalten. Starb ein Kind, wurde das Leinen wie eine Fahne am Kirchturm gehißt. Bei der Beerdigung lag auf dem Tisch des Pfarrers ein Leinentuch mit schwarzem Muster. Jungverstorbene erhielten ein Bahrtuch aus reich verziertem Leinen.

Die Grundfarbe der ungarischen, gemustert gewebten Hausleinwand ist rot und blau; selten und erst neuerdings kommen andere Farben hinzu. Die Technik des Webens begünstigte von vornherein rechteckige Ornamente, was zusammenhängende Darstellungen recht schwierig machte. Um Abwechslung zu erzielen, stellte man die Ornamente manchmal auch übereck. Neuerdings ist die Weberin aber stets darum bemüht, die in das Leinen gewebte Rose, die Puppe, den Rettich oder eine andere Figur für jeden erkennbar darzustellen. Je besser ihr das gelingt, um so höher wird ihre Arbeit bewertet.

Das Weben von einfachem, glattem Bauernleinen ist verhältnismäßig leicht, um so komplizierter aber die Verzierung des Leinens. Dabei muß das Leinen nämlich „aufgenommen“ werden. Aufgenommene Leinenware wird bereits in mittelalterlichen Quellen erwähnt, denn sie hatte einen viel höheren Wert. Das gesponnene Garn wird ebenso geschert wie beim Weben glatter Leinwand, doch bevor das eigentliche Weben beginnt, müssen die Kettfäden entsprechend dem Muster auf ein Brett aufgenommen werden. Das wiederholt sich, je nachdem, aus wieviel Teilen der Streifen oder das Muster besteht. Beim Weben hilft auch das Kind der Weberin. Es muß das Brett hinter dem Schaft entweder hochstellen oder umlegen, so wie es die Mutter angibt.

224. Handgewebter Kissenbezug, Ausschnitt.

224. Handgewebter Kissenbezug, Ausschnitt.
Sárköz

Mit der Weberei und Stickerei verbindet sich in einzelnen Gegenden, unter anderen im Bodrogköz und im Sárköz, bei den Palotzen und den Matyó auch die Kunst des Fransenbindens. Tischdecken, Schürzen, Handtücher und Patentücher wurden am Rand mit handgeknoteten Fransen verziert. Diese geometrischen Motive waren oft eine Hand {G-425.} spanne breit, und ihr Knüpfen war fast ebenso langwierig wie die Zierweberei.

In Zünften zusammengeschlossene Webermeister (takács) gab es in Ungarn schon im 14. und 15. Jahrhundert. Sie hüteten eifersüchtig die Geheimnisse ihres Handwerks. Die Lehrlinge und Gesellen konnten nur Meister werden, wenn sie sich alle Kunstgriffe des Webens angeeignet hatten und dies mit einem Meisterstück bewiesen. Zuvor mußten sie noch ihre Wanderjahre in fremden Ländern absolvieren, um auch hier alle Handgriffe des Webens zu erlernen. So brachten sie viele neue Muster mit, die sie in Büchern aufzeichneten und die sich dann in der Familie weiter vererbten. Diese Muster gelangten auch zu den Bauernfrauen, vor allem, wenn diese ihr Garn dem Leineweber zum Weben brachten.

225. Handgewebtes Tischtuch, Ausschnitt

225. Handgewebtes Tischtuch, Ausschnitt
Kom. Somogy

{G-426.} In einzelnen Gegenden waren die Frauen hervorragende Meisterinnen der Zier- und Musterweberei. So die Weberinnen vom Sárköz, zu denen man auch aus anderen Dörfern kam, um ein Muster zu erbitten oder fertiges Leinen zu kaufen. Vor der Jahrhundertwende verwendeten sie nur selbstgesponnenes Hanf- oder Flachsgarn. Dann verbreitete sich immer mehr die Baumwolle, die auch früher schon zum Weben der Muster gedient hatte. Zunächst verwendete man nur rotes Garn, später kamen einige ergänzende Farben hinzu. Die Verzierungen bestehen aus einer harmonischen Folge von breiten und schmalen Streifen; das glatte Leinen dazwischen hebt das Muster hervor. Die Streifen selbst schließen nicht jäh ab, sondern lösen sich in Teilmuster auf, um zwanglos in den weißen Untergrund überzugehen. Unter den Mustern kommen häufig Sterne, Blumen und kleine Vögel vor, die von geometrischen Ornamenten umgeben sind. Aus solcher buntgewebten Leinwand wurden meistens die Bezüge der vielen hoch aufgetürmten Kissen auf dem Paradebett, die Handtücher und andere Tücher angefertigt. Die schönsten Webereien waren die Tischdecken, die in ihrer ganzen Fläche verziert waren. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen begann man die Sárközer Weberei zu vernachlässigen, doch 1952 entstand in Decs eine Webereigenossenschaft, deren Mitarbeiter, ausgehend von den alten klassischen Mustern, einen neuen Stil geschaffen haben.

Im südlichen Teil Westungarns gibt es in Somogy und Baranya ebenfalls viel buntgewebtes Leinen. Die Muster der Wollgewebe der Südslawen unterscheiden sich von der rot und schwarz verzierten Flachs- und Hanfleinwand der Ungarn. Aus den Webereien der Slawen werden Tischdecken, Schürzen und Handtücher angefertigt. Der geometrische Dekor aus älterer Zeit – Blumen, Blätter und Sterne – wurde Anfang unseres Jahrhunderts immer mehr zu naturalistischen Formen umgestaltet. Die Muster sind auch hier in Streifen angeordnet, zwischen denen ein fast weißes Leinen die freie Fläche ausfüllt, wodurch die Pracht der Leinwand noch unterstrichen wird.

226. Handgewebtes Tischtuch, Ausschnitt

226. Handgewebtes Tischtuch, Ausschnitt
Kom. Baranya

Die buntgewebte Leinwand der Palotzen, der größten und weit {G-427.} verbreiteten ethnischen Gruppe in Ungarn, ist noch heute in Gebrauch. Ihr Material stimmt mit dem der anderen Volksgruppen überein; die Palotzenwebereien unterscheiden sich nur dadurch, daß ab und zu auch Wollgarn zur Verzierung verwendet wird. Außer Rot verbreiteten sich in jüngerer Zeit bei den Palotzenwebereien auch die Farben Blau, Grün und Rosa, wobei der Wechsel der Farbstreifen ansprechend wirkt. Dadurch, daß die Streifen in verhältnismäßig weiten Abständen angeordnet sind, bekommt dieses Leinen einen anderen Charakter. Aus ihrem Leinen fertigen die Palotzen Kissenbezüge und verschiedene Tücher; Stoffe mit geometrischem Muster nimmt man vor allem für Schürzen. Die Webereigenossenschaften in Szécsény und Heves haben die alten Muster weiterentwickelt und diese schöne buntgewebte ungarische Leinwand weithin bekannt gemacht.

227. Handgewebtes Deckchen (Gevattertuch)

227. Handgewebtes Deckchen (Gevattertuch)
Kom. Baranya

{G-428.} Die Webereien vom Bodrogköz haben im Vergleich zu den oben genannten eine lockere Anordnung. Sie sind sehr reich an Mustern, zum Beispiel gibt es Weiden-, Puppen-, Frosch-, Schnallen-, Maikäfer-, Kirschen-, Hobelspäne-, Stern-, Kiefern-, Harken-, Kerzen-, kleines Pfeifen-, Ketten-, Kleeblatt-, Uhren-, Rosen-, Rettich- und Blumenmuster; sie alle sind den Weberinnen geläufig. An der Art, wie die einzelnen Muster nebeneinander angeordnet sind, erkennt man, wer das Leinen gewebt hat, so daß die Webereien noch Jahrzehnte später mit dem Namen der Weberin verbunden bleiben.

Die Verzierungen der buntgewebten Leinwand in den Landschaften Szabolcs und Szatmár sind ebenfalls rot, wobei vom weißen Grund nur wenig zu sehen ist. Die Muster werden so eng gewebt, daß die einzelnen Schmuckelemente kaum zu unterscheiden sind. Dadurch wird die Komposition einheitlicher, was ihre Wirkung erhöht. Aus der Leinwand werden in der Regel viereckige Tischdecken in doppelter Breite genäht, die Naht verläuft genau in der Mitte der Tischdecke.

228. Wallfahrerranzen

228. Wallfahrerranzen
Kom. Nógrád

Die siebenbürgischen Ungarn weben auch heute noch ihr Leinen am Handwebstuhl. Neben Hanf und Flachs spielt bei ihnen auch die Wolle eine große Rolle. Die Szekler von Kászon weben das Leinen aus reinem {G-429.} Hanf, aus Baumwolle oder aus einem Hanf-Baumwoll-Gemisch und verzieren es mit Teller-, Stern-, Rosen-, Blumen-, Vogel-, Eichenblatt-, Hahnenkamm- oder Streifenmuster. Im vorigen Jahrhundert waren die Verzierungen auch hier ausschließlich rot. Am Ende des Jahrhunderts kam dann die blaue Farbe auf, doch erst in diesem Jahrhundert kamen an einem Stück beide Farben vor. Die Motive wechselten, je nachdem, ob das Leinen für einen Kissenbezug, ein Unterbett, eine Überdecke, ein Handtuch oder etwa ein Kinderlaken verwendet wurde. Leinen für Festtage und feierliche Anlässe wie das Brautführertuch, das Tauflaken, das im Zimmer aufgehängte Stangentuch, der Prunkkissenbezug, die Hochzeitstischdecke usw. wurden besonders verziert. Die Ornamente erinnern oftmals an die der mittelalterlichen schwarzen Trauertücher.

229. Handgewebter Kissenbezug, Ausschnitt

229. Handgewebter Kissenbezug, Ausschnitt
Bukowina-Szekler

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung haben die Ungarn in der Vergangenheit normalerweise keine Teppiche gewebt; hausgewebte Teppiche gibt es nur in Siebenbürgen. Die Kettfäden der Szekler Teppiche, der sogenannten Farbigen (festékes), sind aus Hanf, und gewebt wird mit selbstgefärbter Wolle. Diese Art von Teppichen ähnelt stark den osteuropäischen Teppichen, wie sie unter anderem bei den {G-430.} Russen, Ukrainern und Rumänen fast bis in die heutige Zeit üblich sind, aber auch weit zurückverfolgt werden können. Alle diese Teppiche gleichen sich darin, daß sie zumeist geometrische Muster haben, was sich aus ihrer Webtechnik ergibt. Die Szekler Teppiche waren im 17. und 18. Jahrhundert in ganz Siebenbürgen allgemein verbreitet; oft finden sie sich in Inventarlisten und Testamenten aus jener Zeit angeführt. In Farbe und Einteilung unterscheidet sich der Farbige aber dennoch von den Teppichen der Nachbarvölker. Bei ihm kommt man mit verhältnismäßig wenigen Farben aus und achtet darauf, daß die geometrischen Muster einen wohlgefälligen Anblick bieten. Die zurückhaltende Gestaltung ist auch ein Zeichen dafür, daß diese Teppiche zu den ältesten Schichten der Volkskunst gehören.

In Kászon im Szeklerland wird der Farbige auch heute noch gewebt, und zwar für den eigenen Bedarf und auch zum Verkauf in der benachbarten Landschaft Háromszék, wo es heute keine Teppichweberei mehr gibt. Die ältesten Stücke, die uns bekannt sind, stammen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts und sind in zurückhaltenden Farben gewebt. Die Farbstoffe für die Grundfarben Tabakgelb (ein grünliches Ocker) und Indischrot wurden aus Pflanzen und Blüten der Umgebung gewonnen. Zu den Grundfarben nahm man naturfarbene und blau gefärbte Schurwolle. Neuerdings verwendet man auch feurigrote, grüne und rot-schwarze Kombinationen – die dann allerdings nicht durch pflanzliche Farbstoffe erzeugt werden. Aus dem geometrischen Dekor werden kleinere und größere Einheiten gebildet, so zum Beispiel eine {G-431.} große Rose, die die Mitte des ganzen Teppichs ausfüllt, oder vier kleine Rosen, die als zentrales Motiv von Zierreihen umrahmt werden. Ursprünglich diente der Farbige als Bettdecke, die bis zum Boden herabreichte. Neuerdings wird er auch auf dem Tisch ausgebreitet oder als Wandschmuck aufgehängt.