{G-542.} Soldatenlieder

Nach den Liebes- und Scherzliedern folgen zahlen- und bedeutungsmäßig die Soldatenlieder. Sie sind nahe Verwandte der historischen, der Helden- und Flüchtlingslieder, doch sind sie vor allem von den Klagen des in fremdem Land dienenden Soldaten, seinem Leben und seinem Tod ausgefüllt. Sie entstanden teilweise bereits im 18. Jahrhundert, in ihrer übergroßen Mehrheit jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; nach dem Ersten Weltkrieg kamen keine neuen mehr hinzu. Ihre Stimmung ist trübselig und verbittert, mußten doch die ungarischen Soldaten außer in ihren Freiheitskämpfen stets für fremde Interessen ihr Blut vergießen.

Das Soldatenlied ist sehr vielfältig und schließt sich inhaltlich an die verschiedensten Gattungen an. Ein großer Teil der Soldatenlieder handelt noch vom Ende des Zivillebens, von der Musterung, der Vorbereitung auf das Einrücken. Verbitterung klingt oft heraus, da sich auch hier der soziale Unterschied zeigt:

„Liebe Mutter, sag mir, welchen Grund es hat,
Daß stets nur der arme Bursche wird Soldat?”
„Lieber Sohn, was können wir schon tun dagegen,
Auf den armen Leuten ist nun mal kein Segen.”

                           Magyarszentmárton (ehem. Komitat Torontál)

Daß aus den Armen und den Waisen die besten Soldaten werden, ist nicht viel mehr als Selbsttröstung:

In dem Haus vom Komitat
Stellten sie mich unters Maß,
Stellten sie mich unters Maß
Und da war ich schon Soldat.
 
Birnen nicht Holzäpfel sind,
Landser wird das Waisenkind,
Landser wird das Waisenkind,
Weil es keinen Gönner findt.

                           Hódmezõvásárhely (Komitat Csongrád)

Die Musterung galt noch als Festlichkeit, dort war es noch eine Schande, zurückgestellt zu werden. Beim Einrücken war man aber seiner Sache nicht mehr so sicher, und die Mütter weinten um ihre lieben Söhne, als ob sie schon gestorben wären.

Bin Soldat geworden,
Soll das Land beschützen,
Wer wird meine Mutter,
Die verlaßne, stützen?
 
Schlecht geht’s meiner Mutter,
Schlecht dem Schatz, dem Zarten,
Eine Trauerblume
Wächst bei ihr im Garten.
 
Gott mit dir, mein Liebchen!
Muß dich nun verlassen,
Wollen wir uns treu sein,
In Geduld uns fassen.

                           Egyházaskér (ehem. Komitat Torontál)

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Soldaten noch angeworben, das heißt, man versuchte sie mit Gesang und Musik, meist aber mit Gewalt dazu zu bringen, sich auf sechs, manchmal sogar auf zwölf Jahre zum Militärdienst zu verpflichten:

{G-543.} Trommelwirbel rasselt,
In des Städtchens Mitte
Weht die stolze Fahne
Auf des Turmes Spitze.
 
Arme junge Männer
Müssen in die Ferne,
Arme junge Frauen
Lassen sie nicht gerne.
 
Röslein sollt man lieber
Nicht vom Stock abschneiden,
Vöglein soll sich lieber
Nicht vom Pärchen scheiden.

                           Okorág (Komitat Baranya)

Die Lieder über die Ausbildung in der Kaserne erinnern an die Gefangenenlieder; wieder andere sind den Flüchtlingsliedern eng verwandt, besteht doch eine große Ähnlichkeit zwischen den heimatlosen Flüchtlingen und den in fremden Ländern dienenden Soldaten:

Satt hab ich das Flüchtlingsleben,
Immer in Gefahr zu schweben,
Trägt der Pfaffe seine Bibel,
Ich trag den Kasernenkübel.
 
Kam aus Padua ein Schreiben:
Ich soll nicht zu Hause bleiben,
Weht vom Westen her der Wind,
Feinde schon im Anmarsch sind.
 
Besser ist’s zu Haus im Zimmer,
Aber vielleicht doch nicht immer,
Einmal muß doch jeder sterben,
Leiber nicht im Bett verderben.
 
Wie ein Herr lebt der Soldat
Hochgeehrt von Land und Stadt.
Hat nicht Sorg um Wein und Brot,
Auch ums Grab nicht, ist er tot.
 
Seine Mutter wird’s nicht wissen,
Auch sein Schatz ihn nicht vermissen,
Nur die Kameraden klagen,
Wenn sie ihn zu Grabe tragen.

                           Kisdobsza (Komitat Somogy)

Zum Soldatenleben gehörten auch gereimte Briefe, die sich eigentlich durch gedruckte und handgeschriebene Briefsteller verbreiteten, an deren Text aber dauernd im Stil der Volksdichtung gefeilt wurde. Die Schlachten-, Kriegs-, Marsch- und Kriegsgefangenenlieder waren alle traurig gestimmt. Scherzhafter sind die Soldatenlieder, die den Unterschied zwischen den einzelnen Waffengattungen schildern und in denen sich natürlich – ähnlich wie bei den Hirtenliedern – die Berittenen am höchsten einschätzen:

Ein Husar bin ich, kein Infanterist,
Schnürschuh sind für meine Füße Mist,
Gelbverschnürte Mente, die mich ziert,
Hat schon manches Mädchenherz verführt.
 
Deutsche wollten, daß ich dienen sollte,
Daß im Dreck ich stapfe – das doch keiner wollte.
Weißgestiefelt ist mein Roß, das edle Tier,
Komm auf ihm geritten heut noch, Schatz, zu dir.

                           Köröstarcsa (Komitat Békés)

266. „Die Gefangennahme des Betyáren Jóska Savanyú”.

266. „Die Gefangennahme des Betyáren Jóska Savanyú”.
Verzierung mit Siegellackeinlage auf der Rückseite eines Spiegelbehälters (tükrös), 1885
Nagydobsza-Istvánmajor, Kom. Somogy

{G-544.} In den Soldatenliedern tauchen viele epische Momente auf, manche sind geradezu balladenhaft: Sie erzählen vom gewaltsamen Soldatenfang, von ermüdenden Märschen, schweren Strafen, von Schlachten. Jedermann wartete nur auf den Tag der Entlassung, auf die Befreiung von den Befehlen der Offiziere und Unteroffiziere.

Kleiner guter Brauner, traure nicht um mich,
Drei Jahr hab ich wahrlich gut gesorgt für dich!
Herrn Rittmeister sage ich gehorsamst Dank,
Ich verzichte beim Kommiß auf meinen Rang.
Abgedient hab ich drei Jahre, Offizieren
Werde ich mein Lebtag nicht mehr salutieren.
 
Herr Rittmeister noch einmal befohlen hat,
Striegelt mir die Pferde, Kerle, spiegelglatt.
Striegle seine Hurenmutter, wenn sie’s kann,
Aber nicht ein ausgedienter Reitersmann.

                           Szeged (Komitat Csongrád)

Und wenn es hieß, in den Krieg zu ziehen, wartete jeder nur darauf, daß es aufs Ende zu gehe. Diese Friedenslieder fehlen zum großen Teil in den Sammlungen, standen sie doch inhaltlich im Widerspruch zu den Interessen der herrschenden Klasse. Aus diesem Grunde wurden sie auch nur im geheimen gesungen:

{G-545.} Liegt ein Kriegsschiff vor Odessas Hafen, seht,
Auf des Mastes Spitze unsre Flagge weht,
Wehe, Wind, ach wehe, weh der Heimat zu,
Ungarische Mädchen, fleht um Fried und Ruh.
 
Durch den Boden Rußlands langer Graben läuft,
Mit Lorbeer und Blumen ist er überhäuft.
Wehe, Wind, ach, wehe, weh der Heimat zu,
Für den Friedenskranz ein Blättchen pflück auch du!

                           Áj (Komitat Abaúj)