Lieder der Saisonarbeiter

Die Saisonarbeiter verbrachten meist ein halbes Jahr fern von ihrem Heimatort. In ihrer Freizeit an Sonntagen fanden sie reichlich Zeit auch zum Singen. So hat sich ein reicher und charakteristischer Schatz von Liedern erhalten. Es sind meist Volkslieder neuen Stils, die zusammen mit den Soldatenliedern des Ersten Weltkrieges die jüngsten Triebe der ungarischen Volksdichtung darstellen.

Von der Werbung angefangen bis zur Rückkehr in die Heimat haben die Saisonarbeiter jedes einzelne Moment ihres Lebens besungen, so daß man aus ihren Liedern sozusagen ihre ganze Soziologie rekonstruieren kann. Das Hauptanliegen dieser Lieder aber ist am häufigsten die rohe Behandlung und die schlechte Kost:

Gutsverwalter sitzt im Hof auf einem Stein,
Feldarbeiter stehn vor ihm in langen Reihn.
Gutsverwalter schreit die Leute zornig an:
„Ei, verfluchtes Pack, wann fangt die Arbeit an?“
 
„Herr Verwalter, segne Gott Sie, sein Sie klug,
Von dem Speck, dem schlechten haben wir genug,
Essen Sie ihn selber, diesen Hundefraß.
Wir, Halbjahrsarbeiter, sagen Ihnen das.“.

                           Bélapátfalva (Komitat Borsod)

{G-548.} Nicht nur mit der Kost, auch mit der Unterkunft war es schlecht bestellt. Saisonarbeiter hausten in Ställen, Scheunen oder irgendwelchen Baracken:

Löchrig ist die Scheunentür,
Bläst der Wind rein für und für,
Bläst die eine Melodei:
Wär das Halbjahr schon vorbei.

                           Mezõkövesd (Komitat Borsod)

Die Saisonarbeiter sangen aber ihre Lieder nicht nur zum Vergnügen, sie gebrauchten sie auch als Waffen im Kampf gegen die Arbeitgeber. Die dichterische Form, das Lied, bot eine gewisse Möglichkeit, ihre Beschwerden ohne offenen Aufruhr vorzubringen. Besonders hart wird der Ton dieser Lieder, wenn der Arbeitsvertrag bald abläuft:

Herr Gutsschreiber, auf dem Baum vor ihrer Tür
Hängen wir Sie auf, eh wir fortziehn von hier!
Auch ich gehe zu dem schönen Feste hin,
Ich selbst will den Strick um ihren Nacken festziehn.

                           Sarkad (Komitat Bihar)

Saisonarbeiterlieder kennt man im allgemeinen in den Gegenden,. aus denen sich diese Arbeiter in großer Anzahl rekrutierten, weshalb sie auch ein so stark lokales Gepräge aufweisen. Die meisten hat man in den Komitaten Heves und Borsod aufgezeichnet, um so weniger in Westungarn und im Süden der Großen Tiefebene.