Komische Balladen

Es gibt ungarische komische Balladen vom betrogenen Ehemann, deren schwerfälliges literarisches Vorbild bekannt ist. Die im ganzen Land verbreitete lustige volkstümliche Variante ist aber nicht nur bedeutend wertvoller, sondern zeigt auch, wie die Stilmerkmale der literarischen Formen volkstümlich verwertet werden. Oder man denke an den wohltuenden Unterschied, der sich trotz des bestehenden Zusammenhanges zwischen den oft scherzhaft-sinnlos wiederholten Zeilen beziehungsweise den kehrreimartigen Abschnitten einerseits und den entsprechenden Stilmitteln der Dichter des 17. Jahrhunderts andererseits zeigt. In diesen Tanzballaden ist auch der Versuch wahrnehmbar, sich aus der geschlossenen Struktur des Feudalsystems zu lösen und das Thema in einem neuen Ton und in einem verbürgerlichten, freieren Sinn zu behandeln. Ironisch wird der Zusammenprall der ganzen Gesellschaft – und in ihr auch der Fronbauernschaft – mit den aufsteigenden neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften angedeutet. All dies wird natürlich nur mittelbar ausgedrückt, aber innerhalb der allgemeinen Entwicklung der Ballade ist es gerade die {G-583.} Tanzballade, die das Vorhandensein eines Willens zum Wandel ahnen läßt. Die Gattung der Tanzballaden führt uns also gleichsam von der Balladendichtung der vorhergehenden Jahrhunderte zu den im 19. Jahrhundert entstehenden Gruppen. Überflüssig zu sagen, daß auch die Volksballaden des 19. Jahrhunderts durch zahllose Bande mit der in den vorangegangenen Perioden entwickelten Tradition verbunden sind, gleichzeitig aber durch ihre neu entwickelte Art und ihre Stilmerkmale sich von dieser absondern. Diese Gruppe pflegt man – nach dem Muster der Einteilung der Volkslieder – als Ballade neuen Stils zu bezeichnen.

Die erste und wichtigste Gruppe dieser Balladen neuen Stils, die der Betyárenballaden, schlägt noch mehrfach den Ton der Balladen des 18. Jahrhunderts an. Der hauptsächliche Grund ihrer weiten Verbreitung und Beliebtheit ist bereits früher dargelegt worden: Das arme, unterdrückte Volk sah in den Helden dieser Balladen seine eigenen Helden, die die Armen beschützten und die Herren schröpften, ergötzte sich gerne an ihren übermütigen Heldentaten und gedachte ihrer mit tiefem Mitgefühl, wenn sie in Ketten zum Galgen geführt wurden. Diese Balladen verlangen indessen nach einer neuen poetischen Sprache und bedienen sich neuer Darstellungsmethoden.

Sándor Rózsa sattelt seinen Gaul
 
Sándor Rózsa sattelt seinen Gaul geschwind,
Der Gendarmen dreißig auf der Spur ihm sind.
Sándor Rózsa sitzt in Bársons Sattel schon,
Nein, das ist kein Spaß, er sprengt blitzschnell davon.
 
„Schöne Wirtin, liebe Freundin, guten Tag!
Sind Gendarmen heute hier gewesen? Sag!“
„Nein, Gendarmen waren heute keine da,
Aber Betyáren aus Szeged, diese ja.“
 
„Wirtin, liebe, gib mir einen Becher Wein,
Deine Magd soll draußen Aufpasserin sein.“
Kommt die Magd gar bald und ruft erschrocken sehr:
„Neun Gendarmen reiten übers Feld hierher!“
 
Sándor Rózsa weiß Bescheid, er schimpft und flucht,
In die Pußta Kamric nimmt er seine Flucht,
Stolpert Bárson, stürzt samt Sándor Rózsa hin,
Auf dem Boden fassen die Gendarmen ihn.
 
„Darf ich untertänig bitten, Herr Gendarm,
Macht mir frei den rechten eingeklemmten Arm.“
Die Gendarmen gehn nicht ein auf solch ein Spiel,
Alle neune nehmen diesen Arm aufs Ziel.
 
Sándor Rózsa wird gefesselt mit dem Strick,
So bringt man den armen in die Stadt zurück.
O du Stadt, wie gelb, wie traurig siehst du aus!
Gelb ist auch, wo er gefangen sitzt, das Haus.

{G-584.} Sándor Rózsa (1813–1878) war der bekannteste ungarische Betyár. Balladen und Lieder, deren Held er ist, finden sich im gesamten ungarischen Sprachraum. Schon im Alter von 23 Jahren saß er als Gefangener im berüchtigten Kerker von Szeged ein. Aus diesem Kerker flüchtete er und wurde Held einer ganzen Reihe von Abenteuern. Im Freiheitskampf von 1848/1849 gründete er eine „Freischar“ und kämpfte an ihrer Spitze gegen die österreichischen Unterdrücker, was seine frühere Volkstümlichkeit nur noch steigerte. Nach dem mißlungenen Ende des Freiheitskampfes setzte er mit seinen Genossen das Betyárenleben fort und brandschatzte hauptsächlich die Reichen. Er wurde zweimal gefangengenommen und beide Male zum Tode verurteilt, obwohl ihm kaum eine Straftat nachgewiesen werden konnte. Seine Strafe wurde in beiden Fällen zu lebenslänglichem Kerker gemildert, in dem er sein Leben beschloß.

Der episch-lyrische Ton ist in die Betyárenballaden zurückgekehrt. Der Held wird aber nicht mit dramatischer Prägnanz, sondern in realistischer Darstellungsweise besungen. Oft ist man über den nüchtern-realen Ton betroffen, in dem die grausamsten Geschichten erzählt werden. Es ist wirklich ein neuer, man könnte sagen ein lockerer, ungebundener Ton, in dem die atemraubende Spannung und Bündigkeit der Balladen früherer Epochen fehlt. Übrigens ist es gerade dieser ungebundene Ton, diese klare, fast renommierende Art der Darstellung, die die ungarischen Betyárenballaden von ihren russischen und ukrainischen Verwandten, von den grausamen spanischen Räuber- und den englischen Robin-Hood-Balladen unterscheidet. Die Betyárenballaden verleugnen zwar nicht ihre Verwandtschaft mit der anderen Gruppe der Balladen ihrer Zeit, den Jahrmarktsballaden und aus den gedruckten Heften wieder zum Volk gelangten Moritaten, sind aber viel reifere und künstlerischere, durch das Sieb der mündlichen Tradition gegangene Schöpfungen als die früheren:

Armer Peter Barna
 
Armer Peter Barna, kriegt heut keinen Bissen,
Wird am Waldrand sich sein Speckstück braten müssen.
 
Armer Peter Barna, großer Pferdestehler,
Románs schöne Töchter waren seine Hehler.
 
Armen Peter Barna faßten die Gendarmen,
Románs Töchter schaun: da bringen sie, den Armen.
 
Armen Peter Barna zum Verhör sie führen,
Románs schöne Töchter lauschen an den Türen.
 
„Oh, ihr stolzen Damen, was braucht ihr zu hören?
Habt ihr ja verstanden, mein Herz zu betören.“
 
Vierundzwanzig Herren jetzt zu Rate sitzen,
Wen die eingefangen, der muß tüchtig schwitzen.
 
Vierundzwanzig Herren peinlich ihn befragen,
Armer Peter Barna muß gar viel ertragen.
 
{G-585.} Einer sagt: „Am Galgen soll der Schurke schmoren!“
Sagt der andre: „Ach was, laßt ihn ungeschoren!“
 
Als die vierundzwanzig zum Urteilsspruch kamen,
Fragten sie die Mädchen nach des Burschen Namen.
 
„Feine Damen, wie ich heiß’, ihr müßt es wissen,
Denn ihr beide habt mein Los auf dem Gewissen.“

Die Ballade ist wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie beschreibt das Leben und Schicksal des einsamen Betyáren ohne jede Romantik. In den meisten Fällen entgeht er nicht der Todesstrafe.