Schwankmärchen

270. Titelblatt eines Jahrmarktbüchleins

270. Titelblatt eines Jahrmarktbüchleins
(Der kleine Klaus und der große Klaus)

Eine andere wichtige Gruppe der Volksmärchen, die sogenannten Scherz- oder Schwankmärchen, machen ungefähr 12 Prozent des ungarischen Märchengutes aus. Diese Märchen spielen zwar oft in die wunderdurchwobene Welt der Zaubermärchen hinüber, sind aber derber und realistischer als diese und machen sich oft mit schonungslosem Humor über die Fehler der Schwächeren lustig, und wenn ein Böser den kürzeren zieht, bekommt er im Schwankmärchen obendrein noch gehörig seine Strafe. Es ist ein harter, fast grausamer Humor, und man fühlt sofort, daß diese Scherze nur in der unerträglichen Atmosphäre eines vom Schicksal verfolgten Volkes zustande kommen und Wurzel schlagen konnten. In ihnen herrscht nicht das wunderbare, sondern das groteske Element vor. Oft wird auch in diesen kleinen scherzhaften Geschichten die Welt auf den Kopf gestellt, aber nicht immer, um mit den Symbolen höherer Wahrheiten Trost zu spenden wie in der Sittenlehre der Zaubermärchen, sondern nur um zu verblüffen und zum Lachen zu reizen. Das eine oder andere Märchen dieser Gattung wetteifert mit den ausgeklügeltsten modernen grotesken Novellen. Als Beispiel bringen wir ein vor einem Jahrhundert in Hódmezõvásárhely aufgezeichnetes Lügenmärchen (AaTh 852), das nicht nur die menschliche Eitelkeit verspottet, sondern auch ein gesellschaftliches Urteil fällt, indem es den armen Bauern überlegen sein und schadenfroh lachen läßt.

Jetzt lügst du!

Es war einmal irgendwo auf der Welt, jenseits des großen Meeres ein armer Mann, der hatte drei Söhne. Eines Tages ließ der König im ganzen Land verkünden, er werde seine Tochter demjenigen zur Frau geben, der ihm etwas sagen könne, was er nicht glauben würde. Als Peter, der älteste Sohn des armen Mannes, die Nachricht vernahm, machte er sich sofort auf und ging zum König. Dem Diener am Hofe sagte er, er wolle den König sprechen. Der König dachte sich gleich, weshalb der Bursche gekommen sei, sagte aber nichts, sondern gab nur den Befehl, den Jüngling unverzüglich zu ihm zu führen. Inzwischen hatten schon viele Prinzen und Gott weiß was für große Herren beim König vorgesprochen, die alle die Königstochter zur Frau haben wollten, sie kamen in Scharen, aber keiner von ihnen konnte dem König etwas sagen, was dieser nicht geglaubt hätte. Nun trat Peter vor den König und grüßte ihn:

„Gott zum Gruß, mein König!“

„Gott zum Gruß, mein Sohn! Was führt dich her?“

„Ich möchte heiraten, mein König.“

„Gut, mein Sohn, aber wovon willst du deine Frau ernähren?“

{G-605.} „Das weiß Gott allein, irgendwie werde ich es schon schaffen… Mein Vater hat ein Haus und auch ein Stückchen Land.“

„Ich glaub dir, mein Sohn“, sprach der König.

„Und wir haben auch drei Kühe.“

„Das glaube ich dir auch.“

„Unlängst ist so viel Unkraut auf unserem Hof gewachsen, daß wir uns fast nicht mehr rühren konnten.“

„Ich glaub’s.“

{G-606.} „Da sprach mein Vater zu uns Söhnen: Bringt das Unkraut aufs Feld, vielleicht kann es uns nutzen`.“

„Ich glaub’s.“

„Aus Versehen haben wir aber das ganze Unkraut auf das Feld des Nachbarn gefahren.“

„Ich glaub’s.“

„Als wir den Irrtum bemerkten, ging ich nach Hause und sagte es meinem Vater.“

„Ich glaub’s.“

„Da sind wir, ich, mein Vater und meine beiden Brüder, zu viert aufs Feld gegangen.“

„Ich glaub’s.“

„Wir haben das Feld des Nachbarn wie ein Tischtuch an den vier Ecken gefaßt und das Unkraut auf unser Feld geschüttelt.“

„Ich glaub’s.“

„Dann haben wir Grassamen ausgesät.“

„Ich glaub’s.“

„Der Samen ging auf, und es wuchs ein so dichter Wald, wie ihn noch kaum jemand gesehen hat.“

„Ich glaub’s.“

„Meinem Vater tat es leid, die herrlichen Bäume zu fällen. Er kaufte eine Schweineherde.“

„Ich glaub’s.“

„Dann verdingte er den Großvater Eurer Majestät als Schweinehirten…“

„Du lügst! An den Galgen… “ – plötzlich fiel dem König die Bedingung ein, die er gestellt hatte. Da rief er den Pfarrer und alle Diener des Hofes und gab seine Tochter dem Sohn des armen Mannes zur Frau. Sie feierten ein Hochzeitsfest, von dem man weithin, über sieben Landesgrenzen hinweg sprach. Sogar die Waisenkinder bekamen Kuchen, so groß wie mein Arm. Es gab Suppe, solche Suppe, andere Suppe – nur kein Fleisch.

Hab’ nen Mantel ohne Kragen,
Kann die schönsten Lügen sagen.

Soweit das Schwank- oder Lügenmärchen; sein Abschluß mit einer gereimten Pointe zeigt ebenfalls, daß dieses Märchen nicht von der Atmosphäre der Glaubwürdigkeit eines Zaubermärchens umgeben ist, sondern zum Zweck der Unterhaltung erzählt wird.