{G-639.} Redensarten

Betrachten wir nun des näheren die Redensarten im engeren Sinne des Wortes. Es gibt zwei Arten: Die aussagende Redensart und die vergleichende Redensart. Es sind im Vergleich zu anderen Gattungen der Volksdichtung elementarere Formen, die von diesen durch ihre konstante Form und ihre inhaltliche Fülle unverkennbar geschieden sind. Die einfachere Formel ist die aussagende Redensart: Sie ist eingliedrig und enthält anstelle einer einfachen sprachlichen Wendung eine einfallsreiche Formel. Hier zum Beispiel einige ungarische Redensarten, die den Geizhals charakterisieren: „Er klopft jeden Groschen an die Zähne“ -„Er zählt jeden trockenen Schluck“ -„Er würde, wenn er könnte, aus einem Geldstück zwei machen“ -„Er würde sogar den Stein häuten, wenn dieser eine Haut hätte“ -„Er würde sogar die Luft verpachten“ usw.

Auch diesen aussagenden Redensarten kann man entnehmen, daß sie die Denkweise einer Gemeinschaft ausdrücken, und zwar in komplizierteren Formen als es durch die einfache Sprache möglich wäre.

Die andere Art umfaßt die vergleichenden Redensarten. Schon in der Bezeichnung ist enthalten, daß es sich um eine Art Vergleich handelt, der scheinbar auch sprachlich einfach ausgedrückt werden könnte. Nur gehört die vergleichende Redensart nicht zu den einfachen, willkürlichen Vergleichen, die in Sprache und Dichtung in unzähligen Varianten vorkommen, sondern ist ein im Bewußtsein der Gemeinschaft lebender und bei gewissen Gelegenheiten in gebundener Form auflebender Vergleich. Diese Beständigkeit, diese Gebundenheit und dieser Gemeinschaftscharakter liebt die vergleichende Redensart über den gewöhnlichen Vergleich hinaus. Oft gibt es kaum einen wahrnehmbaren Unterschied zwischen gewöhnlichem und redensartlichem Vergleich, doch können die zwei Typen – der sprachliche (einfache) Vergleich und der volksdichterische Vergleich (vergleichende Redensart) – gut voneinander unterschieden werden. Wenn man zum Beispiel sagt „Er blinzelt, als ob ihm ein Staubkorn ins Auge gefallen wäre“, so ist dies ein einfacher Vergleich; wenn man aber sagt: „Er blinzelt wie die Sülze von Miskolc“ (wo nämlich ein Frosch in die Sülze geriet), so bedient man sich bereits eines volkstümlichen redensartlichen Vergleiches, der auf einer konstanten Grundlage beruht und dessen gefühlsmäßig humoristischer Hintergrund der ganzen Gemeinschaft bekannt ist. Beide Gruppen von Redensarten leben natürlich auch in ihrer stabilisierten Form immer erst im Zusammenhang mit einer gewissen Person oder einem gewissen Geschehnis auf und nehmen nur so Gestalt an, sind also an sich unvollständig: „X. Y. schläft wie ein Murmeltier usw.“ – „X. Y. würde selbst den Stein häuten.“ Ohne X. Y. ist die Redensart an sich sinnlos. Sie befindet sich also in offenem Gegensatz zum Sprichwort, das für sich schon eine geschlossene formale und inhaltliche Einheit ist.