Das Begräbnis

Brauchtum und Glaubenswelt um Tod und Begräbnis sind bei weitem nicht so mannigfaltig und vielschichtig wie um die Hochzeit, doch haben sich hier ältere Bräuche bewahrt, die in vielen Fällen außerordentlich archaische Züge tragen. Der Grund ist offensichtlich: Man ließ die Bräuche unverändert aus Furcht vor dem spukenden Geist des Verstorbenen. Daß sich dennoch nur weniges erhalten hat, liegt wohl am Einfluß der verschiedenen Kirchen, die bestrebt waren, alle mit ihren religiösen Normen nicht zu vereinbarenden Überlieferungen auszumerzen.

Die auf Tod und Begräbnis bezüglichen Wörter der ungarischen Sprache sind sehr alt. So sind hal, halál = sterben, Tod, sír = Grab, temet, temetõ = begraben, Grabfeld (Friedhof) ugro-finnischen, koporsó = Sarg und vielleicht auch tor = Leichenschmaus alttürkischen Ursprungs, um nur die wichtigsten zu erwähnen. Die Bestattungsweise der Ungarn um die Landnahmezeit ist von archäologischen Ausgrabungen her gut bekannt. Mit dem vornehmen, wohlhabenden Krieger wurden der Kopf und die vier Beine seines Pferdes, der Sattel, die Steigbügel und die Zügel mit dem Gebiß begraben. Von seinen Waffen bekam der tote Krieger in der Regel den Bogen und die dazugehörigen Pfeile mit ins Grab. Auch das Schwert war ein Machtsymbol, ebenso die Taschen mit den reich verzierten Deckplatten, von denen bis jetzt dreiundzwanzig Exemplare ausgegraben wurden. Aus der Zahl der Pfeilspitzen kann man auf die Stellung des Verstorbenen schließen. Auch Frauen konnten Pferdeköpfe und -beine als Grabbeigaben erhalten, allerdings nur sehr selten und wahrscheinlich nur dann, wenn sie nach dem Tode ihres Mannes die Rolle des Familienoberhauptes übernommen hatten. In den Gräbern der einfachen Leute stieß man nur auf {G-673.} bescheidene Funde. Eines aber war allen Gräbern gemeinsam: die ostwestliche Ausrichtung. Das Antlitz des Toten war der aufgehenden Sonne zugewandt. Die Bestattungssitten wiesen viele verwandte oder übereinstimmende Züge mit denen der mittelasiatischen und südosteuropäischen Steppennomaden auf, und einige der Bräuche haben sich fast bis zum heutigen Tage erhalten.

Nachdem sich das Christentum in Ungarn gefestigt hatte, verschwanden die Beigaben alsbald aus den ungarischen Gräbern. Die Bestattung erfolgte mit religiöser Zeremonie, und um diese überwachen zu können, wurde der Tote nun auf dem Hof um die Kirche (dem Kirchhof) beigesetzt. Das früher als Opfer dargebrachte Pferd oder eine Ablösung in Geld fielen der Kirche zu. Unter dem Einfluß des Christentums wandelten sich die Bestattungszeremonien der Ungarn und begannen sich immer mehr denen der benachbarten Völker anzugleichen. Von den alten Überlieferungen haben sich nur Fragmente erhalten.

Man glaubte einst, daß gewisse Anzeichen den Tod im vorhinein ankündigen: Wenn ein Bild oder Spiegel von der Wand fällt, die Uhr ohne Grund stehenbleibt, der Hund winselt oder wiederholt Schreie von Käuzen um das Haus herum gehört werden, dann stirbt ein Mitglied der Familie. Wenn der Zustand des Kranken hoffnungslos erschien, rief man den Geistlichen. Bei den Katholiken versah der Priester, den Kranken mit den Sterbesakramenten, bei den Kalvinisten reichte ihm der Geistliche das Abendmahl. Dann wurde unter dem Hauptbalken auf einer Strohmatte ein Sterbebett hergerichtet, in der Annahme, daß der Tod in Erdnahe leichter sei. Die Fenster wurden geöffnet, die Türen der Schränke und die Schubladen dagegen geschlossen, um der Seele den Weg aus dem Haus freizugeben und sie daran zu hindern, sich irgendwo im Inneren zu verstecken. Wenn der Tod eingetreten war, band man dem Toten das Kinn hoch und drückte ihm die Augen zu. Auf beide Lider legte man je eine Münze oder eine eigens zu diesem Zweck bereitete Tonscherbe. Die Uhren wurden angehalten, die Spiegel bedeckt und jedes Feuer im Hause gelöscht und erst wieder angezündet, wenn der Tote aus dem Haus gebracht worden war. Schlafende wurden aufgeweckt, und der Tod des Bauern oder der Bäuerin wurde im Stall, ja sogar im Bienenhaus verlautbart.

Dann wird der Verstorbene für das Begräbnis hergerichtet. Die Leiche wird gewaschen, was meist Aufgabe der Frauen, ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Toten, ist. Das Waschwasser wird an einem abgelegenen Ort ausgeschüttet und die Seife weggeworfen. Der männliche Verstorbene wird rasiert und sein Gesicht an einzelnen Stellen mit Essig und Wein betupft, damit der natürliche Teint möglichst erhalten bleibt. Dann wird er in seinen besten Anzug gekleidet, Schuhe oder Stiefel allerdings werden ihm nicht mehr angezogen. Die Bahre wird in der Mitte des Zimmers gerichtet ; sie besteht aus zwei bis drei über Stühle oder Böcke gelegten, mit Tüchern bedeckten Brettern, kann aber auch – je nach Sitte – wie ein aufgeschlagenes Bett sein. An anderen Orten wird der Tote auf einem Bett aufgebahrt, doch muß das Bett mit dem Hauptbalken gleichlaufend gestellt sein. Auf den Leib des Verstorbenen wird, um das Aufblähen zu verhindern, eine Sichel gelegt, was um so bemerkenswerter ist, als in einigen Gräbern aus der {G-674.} Zeit der Landnahme – aber nur in Frauengräbern – Sicheln gefunden wurden.

Es ist schicklich, den aufgebahrten Verstorbenen zu besuchen; Verwandte, Bekannte und Nachbarn kommen, sich von ihm zu verabschieden. In der Hajdúság (Debrecener Gegend) pflegt man mit folgendem Spruch einzutreten: „Gott möge die traurigen Hinterbliebenen trösten und den Verstorbenen in sein Himmelreich aufnehmen.“ Die Angehörigen antworten: „Gott erhöre den Wunsch.“ Dann wird das Gesicht des Toten besichtigt; seine guten Eigenschaften, seine Menschlichkeit und seine Taten werden gerühmt. Schließlich wünscht man gute Nacht und entfernt sich.

Die Verwandten, die älteren Frauen und Männer bleiben beisammen, sitzen um den Toten herum, beten und singen in der Regel religiöse Lieder oder zu kirchlichen Melodien gedichtete Strophen. Die Männer sondern sich nach einer Weile ab, sprechen miteinander und spielen Karten, aber schlafen dürfen sie nicht. Dann werden die Angaben zusammengestellt, die dem Geistlichen oder dem Kantor beim Begräbnis die Predigt erleichtern sollen. Einige Aufzeichnungen zeugen davon, daß früher während der Totenwache auch verschiedene Spiele gestattet waren. Eine aus Westungarn stammende Beschreibung aus dem Jahre 1818 deutet darauf: „Zur Totenwache nehmen die Burschen einen Klapperstock mit sich; das ist ein Stock, von dem das eine Ende vier- bis sechsmal gespalten ist, und damit schlagen sie sich zum Spaß gegenseitig auf den Rücken. Einem werden die Augen zugehalten, und ein anderer gibt ihm zwei bis drei Schläge. Wenn der Geschlagene errät, wer ihn geschlagen hat, kommt dieser an die Reihe; wenn er ihn nicht errät, wird er wieder niedergehalten und geschlagen, bis er den Betreffenden errät.“ In anderen Fällen wieder werden unter der Wirkung des getrunkenen Weins oder gar Schnapses nicht nur religiöse, sondern auch weltliche Lieder gesungen, besonders solche, die der Verstorbene selbst gerne gesungen hat.

Für den Sarg nimmt der Tischler das Maß mit einer Rute oder einem Schilfrohr. Der Sarg verjüngt sich gegen das Fußende und wird in der dem Alter des Verstorbenen entsprechenden Farbe gemalt: weiß für Kinder, blau für junge Leute, braun für Leute in mittlerem Alter und schwarz für Alte. In einzelnen Gegenden wurden die Särge junger Leute – ebenso wie ihre Truhe im Zimmer – reich mit Tulpen und Rosen bemalt. Das unter den Kopf des Toten geschobene Kissen wurde mit den bei der Anfertigung des Sarges abgefallenen Spänen gefüllt.

Abb. 221. Konstruktion des Sarges.

Abb. 221. Konstruktion des Sarges.
Désháza, ehem. Kom. Szilágy, um 1950

Dem in den Sarg gelegten Toten gab man verschiedene Gegenstände mit. Männer bekamen ihre Pfeife, den Tabaksbeutel, manchmal ihren gewohnten Stock, Hirten ihre Peitsche, oft ihr Rasiermesser und ihre Seife mit. Frauen erhielten als Beigabe oft Nadeln, Zwirn und Tücher, während Kinder ihr Spielzeug, ihre Bücher und Hefte mitbekamen. Oft werden auch Obst und andere Lebensmittel nicht vergessen, und es gibt Fälle, in denen dem Toten eine Bibel, ein Gebetbuch, Medaillen, Statuetten und Rosenkränze vor die Füße gelegt werden.

290. Totenklage

290. Totenklage
Magyarszovát, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

Eine große Rolle bei der Verabschiedung des Toten spielt die Glocke. Bei den Katholiken wird in der Stunde des Todes die kleinste, die Totenglocke, geläutet. Bei den Protestanten kündigt das Läuten von {G-675.} einer oder mehreren Glocken das Geschlecht des Toten an. Die Glocken laden die Gemeinde zum Begräbnis ein, und ihr Läuten begleitet den Toten auf seinem letzten Wege bis zum Friedhof. Deswegen tragen sie – wie die Glocken in ganz Europa – die Inschrift: „Ich rufe die Lebenden, ich beklage die Toten“

291. Totenklage

291. Totenklage
Rimóc, Kom. Nógrád

Vor Beginn der Beerdigung wird der Tote mit dem Leichentuch bedeckt, in das für das Gesicht eine kleine Öffnung geschnitten wird. Dann wird der Sarg geschlossen, vernagelt und mit den Füßen voraus aus dem Haus getragen, wobei an der Schwelle dreimal daran geklopft wird, damit der Tote nicht zurückfinde. Auf dem Hof wird der Sarg auf ein Gestell – eigentlich zwei Böcke – gestellt, das im Volksmund „St. Michaels Pferd“ heißt. Zu Füßen des Sarges wird für den Geistlichen und den Kantor ein kleiner Tisch aufgestellt. Um den Sarg stehen {G-677.} je nach dem Grad der Verwandtschaft die Familienmitglieder: auf der einen Seite die Männer, auf der anderen die Frauen in der Reihenfolge der Sippe. An vielen Orten werden zwei Tücher auf den Tisch gelegt, die nach der Zeremonie dem Geistlichen und dem Kantor geschenkt werden.

Ein unerläßlicher Teil der Beerdigung war bis in die letzte Zeit die Totenklage. Lautes Klagen ließen nur die Frauen hören, obgleich die Kirchen diese Sitte streng verboten haben. Inhalt der Totenklage ist das Gedenken der zusammen verlebten Zeit und das Abschiednehmen, immer in der ersten Person. Außer dem religiösen enthält die Totenklage auch viel realen Inhalt. Die Form ist ungebunden und paßt sich der momentanen Lage an. Die Totenklage wird teilweise gesungen, teilweise nur rezitiert. Solche Klagelieder wurden schon bei den Soldaten- und Auswandererliedern erwähnt, natürlich mit entsprechend geändertem Inhalt. Auch in der Ferne verstorbene Verwandte werden beklagt, wie folgendes Klagelied zeigt:

O teurer Sohn, lieber Sohn!
Oh, welch traurigen Brief hat uns die Post gebracht!
Oh, wo mußtest du in so großer Ferne enden!
Nur Vögel flattern über dir!
Teurer Sohn, lieber Sohn, mein teures Kind!
O alleswissendes, kluges, verständiges Kind,
Wo soll ich dich suchen, wo kann ich dich finden?
Oh, wie weit bist du von mir, der Tod hat dich mir geraubt!
Nur Gewehrkugeln flogen über dir, teures Kind, lieber Sohn!
O Gevatterin, Gevatterin, wie unglücklich ist dieser Morgen!
Oh, wie traurig scheint die Sonne auf uns herab, wie traurig ist unser Morgen, liebe Gevatterin!
O teures Kind, lieber Sohn, wo soll ich dich suchen, wo soll ich dich suchen?
Nicht klopfst du mehr an meinen Zaun!
Wen soll ich von nun an und immerfort morgens und abends erwarten: „Liebe Mutter, komm doch mal eben heraus!“
Oh, an wen soll ich mich wenden, wen soll ich suchen, auf wen soll ich warten, nach wem aus schauen jeden Morgen, von wo er kommt?
Niemanden habe ich mehr!
O teures Kind, liebes Kind, mein kluger verständiger Sohn!
Oh, der Tod hat dich mir geraubt, wie weit bist du!
Niemand begleitet deinen Sarg, nur die Vögel fliegen über dir, lieber, teurer Sohn!
Oh, als du noch vor einem Jahr hier warst, sagtest du, als wir Zusammen die Rüben hackten: {G-678.} „O Mutter, wie schön rötlich sind diese Kartoffeln, nächstes Jahr, wenn wir’s erleben, werden wir solche setzen.“
Oh, aber du hast es nicht erlebt, mein teures Kind, daß du die schönen rötlichen Kartoffeln genießen konntest!
Oh, wie hast du dich gefreut, als du sie gesehen hast!
Wie hast du dich gewundert: „O liebe Mutter, solche habe ich noch nie gesehen!“
An wen soll ich mich wenden, mit wem soll ich sprechen, mein teures Kind!
Oh, wehe mir, du mein vater- und mutterloser kleiner Vogel, weit in der Ferne, wo dich niemand kennt!
O mein Gott, mein Gott, wo soll ich dich suchen, wo kann ich dich finden?

                           (Cigánd, Komitat Zemplén)

Abb. 222. Notenbeispiel.

Abb. 222. Notenbeispiel.
Teil einer Totenklage.
Cigánd, Kom. Zemplén, 1957

Abb. 223. Notenbeispiel einer Totenklage.

Abb. 223. Notenbeispiel einer Totenklage.
Kapospula, Kom. Somogy, 1961

Die meisten Totenklagen sind zwar Improvisationen in Prosa, doch wiederholen sich in ihnen gewisse ständige Ausdrücke und Wendungen:

„Oh, was habe ich verschuldet, Herrgott, daß du mir meinen vielgeliebten Mann genommen hast? O Ferkó, Ferkó Buda! Oh, was soll aus mir werden, was soll ich tun? Oh, wer tröstet mich? Oh, da sagt man noch, schön ist das Leben einer Witwe – oh, es ist sehr traurig! O weh, ich bin wie ein verlassener Vogel, der von Zweig zu Zweig fliegt. Oh, ich kann auf den Friedhof gehen, dort der Erde mein Leid klagen, sie sagt es niemandem weiter. O mein Gott, mein Gott, wohin soll ich mich wenden, wohin soll ich gehen? Keinen Tröster hab ich, keinen Fürsprecher mehr. Weh mir! Weh mir, o weh, o weh, o weh, o weh usw.“
          (Kapospula, Komitat Somogy)

Schon in dieser Totenklage finden sich zusammenklingende Zeilen, es gibt aber auch viele Klagelieder, die den Schmerz der Zurückgebliebenen in Reimen beklagen. Die folgende gereimte Totenklage hat Zoltán Kodály im Jahre 1917 aufgezeichnet:

Bin allein geblieben
Wie das Stoppelfeld,
Dessen grünen Schmuck
Die Sichel hat gefällt.
 
Danke dir, danke dir,
Tausendmal gepriesen
Seist du für die Güte,
Die du mir erwiesen.
 
Ruhe sanft, ruhe sanft
Bis zu dem Gerichtstag.
Der Herr Jesus kommt bald,
Länger nicht säumen mag.
Kommen ist Herr Jesus
Mit reichlichem Segen.
Wird mit seinem Balsam
Alle Wunden pflegen.

                           (Nagyszalonta, ehem. Komitat Bihar)

Abb. 224. Notenbeispiel einer Totenklage.

Abb. 224. Notenbeispiel einer Totenklage.
Nagyszalonta, ehem. Kom. Bihar, 1917

Einzelne Totenklagen können ihrer Melodie nach bis auf die Zeit zurückgeführt werden, bevor die Ungarn in ihre jetzige Heimat einzogen (9. Jh.), und in den Formeln und Wendungen kann man ebenfalls {G-679.} auf großes Alter hinweisende Bruchstücke finden. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden schon Totenklagen aufgezeichnet, die den jüngsten ganz ähnlich waren.

Nach der Totenklage und der kirchlichen Zeremonie im Sterbehaus bildet sich der Trauerzug. In einem großen Teil des ungarischen Sprachraums wird der Sarg, über Stangen gelegt, von Verwandten und Freunden zu Fuß getragen, während er hauptsächlich in der Großen Ungarischen Tiefebene samt dem Grabholz oder Grabkreuz mit dem Wagen zum Friedhof gefahren wird. An vielen Orten war es üblich, nicht direkt auf den Friedhof zu gehen, sondern vor der Kirche stehenzubleiben und ein Kirchenlied zu singen. Im vorigen Jahrhundert wurde in einigen Gegenden der Sarg in die Kirche getragen, und der Geistliche predigte dort, während an anderen Orten der Sarg während der kirchlichen Zeremonie auf dem Kirchhof gelassen wurde. An der Spitze des Totenzuges gingen der Geistliche und der Kantor, manchmal auch die Kinder, die den ganzen Weg über sangen. Dem Sarg folgten die unmittelbaren Angehörigen, jetzt schon Frauen und Männer zusammen.

292. Leichenzug

292. Leichenzug
Magyarszovát, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

Wurden junge Burschen, Mädchen oder Brautleute zu Grabe getragen, hatte die Zeremonie manche Ähnlichkeit mit einer Hochzeit. Beistände und Brautführer gab es zwar keine, wohl aber Brautjungfern und Burschen, die wie für eine Hochzeit gekleidet an den beiden Seiten des Sarges schritten. Das war zum Beispiel Sitte bei den Tschangos von Hétfalu (ehem. Komitat Brassó). Während der Sarg zwischen dem Spalier der Mädchen und Burschen hinausgetragen wurde, sangen diese:

{G-681.} Schöne(r) Braut (Bräutigam) ich selber war
Auf dem Weg hin zum Altar.
Ach, die lieben Hochzeitsgäste
Kamen zu gar traurigem Feste.
Knospe war ich rein und klar,
Als ich noch am Leben war.
Meine Zeit ist nun verflossen,
In den Sarg bin ich geschlossen.
Rosenstock war ich im Garten,
Mutter pflegte treu den Zarten.
Auf blühn ist mir nicht geglückt,
Denn der Tod hat mich gepflückt.
Ist hinter mir hergegangen,
Hat mich mit dem Netz gefangen,
Hat zu leben mir verboten.
Also bringt mich zu den Toten.

293. Totenklage

293. Totenklage
Átány, Kom. Heves

294. Leichenmahl (Tisch der Männer)

294. Leichenmahl (Tisch der Männer)
Magyarszovát, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

295. Leichenmahl (Tisch der Frauen)

295. Leichenmahl (Tisch der Frauen)
Magyarszovát, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

{G-682.} Das Grab wurde am Tag oder am Vortag der Beerdigung ausgehoben, eine Arbeit, die in den meisten ungarischen Dörfern bis in unsere Tage gemeinsam verrichtet wird. Für Verwandte, Freunde und Nachbarn gehört es sich, mitzutun. Dabei werden sie mit Branntwein, Speck und Brot in der einfachsten Weise bewirtet. Die Gräber sind im ungarischen Sprachraum von verschiedener Form. Das einfachste Grab besteht aus einer 2 bis 2,5 Meter tiefen Grube. Bei den meisten Familiengräbern werden in die beiden Seiten der Grabwände in Bodenhöhe den Maßen eines Sarges entsprechende Höhlungen gegraben. An anderen Orten wird der auf den Boden der Grube gestellte Sarg mit Brettern bedeckt, um später einen zweiten Sarg darauf stellen zu können. Bevor die Gräber in Reihen angeordnet wurden, orientierte man sie ost-westlich, aber auch den Reihen gab man tunlichst dieselbe Richtung. Wenn das Grab die Nacht über offenbleiben sollte, wurde es mit beblätterten Zweigen und Ästen zugedeckt, um den bösen Geistern in der Dunkelheit den Zutritt zu verwehren.

Abb. 225. Grabformen.

Abb. 225. Grabformen.
a) Einfaches Grab mit Grabholz; b–c) Grab mit Vordergrube. Désháza, ehem. Kom. Szilágy; d) Vorder- und Seitengrube. Sámson, ehem. Kom. Szilágy, um 1950

Im Tor des Friedhofs bleibt der Trauerzug eine kurze Zeit stehen. Von hier aus wird der Sarg – unter allen Umständen von den Männern – bis zum frischen Grab getragen und auf die quer darüber gelegten Stangen gestellt. Dann folgen die Verabschiedung und die verschiedenen kirchlichen Zeremonien, endlich wird der Sarg langsam an Seilen ins Grab hinuntergelassen. Dann werfen die Verwandten, oft aber alle Anwesenden eine Handvoll Erde auf den Sarg, an manchen Orten auch die Tücher, mit denen sie ihre Schmerzenstränen getrocknet haben, um die Trauer nicht mit nach Hause zu nehmen. An manchen Orten war es auch Sitte, einmal um das Grab herumzugehen.

Auf die Grabhölzer, Kreuze und Grabsteine wurden seit dem vorigen Jahrhundert nicht nur die Namen der Verstorbenen geschrieben, sondern man gedachte in kürzeren oder längeren Versen auch ihres Lebens und ihrer Vorzüge. Die nur halbvolkstümlichen Strophen bewahrten in vielen Fällen ältere Überlieferungen:

Lange ich gelitten hab,
Jetzt umschließt mich dieses Grab.
Finden Ruh die müden Glieder.
Lebt nun wohl, wir sehen uns wieder.

                           (Kömbrõ, Komitat Szatmár)

Auch Parodien von Grabholzstrophen gab es, und zum Spaß erfundene Gedichte wurden bei abendlichen Gesprächen und Zusammenkünften gerne vorgetragen.

Den Abschluß der Beerdigung bildete das Leichenmahl, die Bewirtung der Trauergäste. Das Leichenmahl wurde im Mittelalter auf dem Friedhof selbst abgehalten, und Erinnerungen an diese Sitte fanden sich da und dort noch in unserem Jahrhundert. Schon im Jahre 1279 verbot die Synode von Buda Unterhaltungen und Tänze auf Friedhöfen. Auch später wurden solche Veranstaltungen von den Kirchen immer mißbilligt. In einem Text vom Beginn des 17. Jahrhunderts steht zu lesen: „Die jährlich für die Verstorbenen veranstalteten Leichenmahle sind Werke des Teufels.“ Um die Mitte des Jahrhunderts geht Comenius noch weiter: „Mit Gejohle beim Leichenmahl wird das Lob des {G-683.} Verstorbenen gesungen.“ Tanz auf dem Friedhof hat sich an Orten erhalten, wo bei dem Begräbnis von Mädchen oder Burschen die einzelnen Momente des Hochzeitszuges nachgebildet werden sollten. An den Leichenschmaus auf dem Friedhof erinnert auch die Sitte, die Bettler am Eingang des Friedhofs mit Speise und Trank zu bewirten.

In unserem Jahrhundert wurde das Leichenmahl im Trauerhaus abgehalten. Man aß Brot und Speck, an anderen Orten Kuchen. In einzelnen Dörfern wurden gekochte Speisen, in der Regel Paprikafleisch, aufgetragen. zum kalten Essen trank man Branntwein, zum warmen Wein. Auch für den Verstorbenen wurde ein Gedeck aufgelegt. Die Zeit verging bei stillem Gespräch und Gesang, dann wurden – unter dem Einfluß des Branntweins und Weins – auch heiterere Lieder gesungen. Meist waren es die Lieblingslieder des Verstorbenen. Wenn das Leichenmahl in vergnügte Unterhaltung auszuarten drohte, erhob sich einer der älteren Verwandten, und die Gesellschaft ging – alle auf einmal – auseinander.

296. Allerseelentag auf dem Friedhof

296. Allerseelentag auf dem Friedhof
Tiszaörs, Kom. Szolnok

Die Farbe der Trauer war früher Weiß oder eine andere helle Farbe. Die Sitte schwarzer Trauerkleidung verbreitete sich vom Westen aus und erreichte durch Vermittlung der höheren Klassen auch die Bauern. Frauen in weißer Trauerkleidung konnte man vor einem halben Jahrhundert noch in der Landschaft Ormánság sehen. Für die Dauer der Trauer gab es unter den ungarischen Bauern keine einheitlichen Normen oder zeitliche Grenzen. Jedenfalls wurde des Verstorbenen mehrere Jahre lang an seinem Namens- und an seinem Todestag gedacht, der Vergnügungen enthielt man sich dabei. Später gedachte man sämtlicher Toter der Familie am Karfreitag und brachte ihre Gräber in Ordnung, ebenso zu Allerseelen (2. November), {G-684.} wenn die Gräber sowohl von Katholiken als auch von Protestanten mit Blumen und Kerzen geschmückt wurden. Zu dieser Zeit kommen die Familienmitglieder aus der Ferne möglichst nach Hause: Die Lebenden sollen sich mit den Toten treffen. Allerseelen zu begehen ist in der Gegenwart nicht nur in den Dörfern, sondern auch in den Städten bereits eine allgemeine Erscheinung, die ihren religiösen Charakter teilweise schon verloren hat.