{G-706.} Bräuche ohne festen Termin

Mit Bräuchen, die an keinen bestimmten Zeitpunkt gebunden sind, haben wir uns hier schon mehrmals beschäftigt. Es sollen jetzt noch einige behandelt werden, die bisher überhaupt nicht oder nicht in ihrer Brauchtumsfunktion Erwähnung gefunden haben.

Die frühjährliche Flurbegehung erfolgte, wenn der Schnee bereits geschmolzen war, die Frühjahrsarbeiten aber noch nicht begonnen hatten. Teilnehmer waren die Vorsteher der Gemeinde, die Vertreter der Grundbesitzer und einige alte Männer mit gutem Gedächtnis; dazu kamen noch einige junge Leute, um ihrerseits in der Zukunft Zeugenschaft leisten zu können. Eine der wichtigsten Aufgaben der Flurbegeher war die genaue Festsetzung der Raine, der Grenzhügel und Grenzsteine. Diese wurden nämlich zuweilen aus Eigensucht von Einzelpersonen, ja von ganzen Dörfern unkenntlich gemacht, um so die eigene Flur zu vergrößern. In solchen Fällen mußte die Grenze neu festgelegt werden, und die jungen Männer warfen Grenzhügel auf, auf die gegebenenfalls ein Grenzstein gestellt wurde. Nach Beendigung dieser Arbeit wurden die jungen Männer nach allen Regeln der Kunst verhauen und am frischen Hügel gründlich mit Ruten gestrichen, damit sie sich auch noch im Alter an den Vorfall erinnerten und die Stelle zeigen konnten.

An anderen Orten begnügte man sich nicht mit Grenzhügeln, sondern zog mit einem eigens zu diesem Zweck bestimmten, besonders großen Pflug noch eine Furche um die Flur. Diese Sitte hat sich am längsten in der Landschaft Kalotaszeg erhalten, wo im Ort Körösfõ ein mächtiger, drei Meter langer Pflug von acht Paar Büffeln gezogen wurde. Dieser Pflug wurde Anfang Mai unter großen Festlichkeiten hinausgebracht. Groß und klein des Dorfes folgte im Festgewand. Die Büffel wurden von den wohlhabenderen Bauern zur Verfügung gestellt, den Pflugsterz hielten zwei ausgewählte Burschen. Nach vollzogenem Rundpflügen folgte ein fröhliches Gelage.

Der Segenstrunk (áldomás) ist der Abschlußakt bei größeren Arbeiten und bedeutenderen Käufen und Verkäufen. Die Teilnehmer werden meist mit Speise und Trank bewirtet. Gastgeber ist derjenige, für den die Arbeit geleistet wurde, beziehungsweise der Verkäufer. Zur Teilnahme am Gelage ist nicht nur der Käufer berechtigt, sondern in der Regel auch jeder, der offiziell oder als Helfer an der Angelegenheit teilgenommen hat. So gebührte zum Beispiel in der Gegend von Tokaj-Hegyalja der „Gesetzestrunk“ auch den Mitgliedern des Gemeinderates, wenn der neue Eigentümer des verkauften Weinbergs in das Protokoll (Grundbuch) der Stadt oder des Dorfes eingetragen wurde.

Man kennt auch Bräuche, die dazu bestimmt sind, die Menschen zum Einhalten der Regeln eines gesitteten Zusammenlebens zu zwingen. Hierher gehört das in einigen Dörfern des Komitates Bihar bekannte „Radanschlagen“ (zángózás oder kongózás). Wenn Eheleute auseinandergehen und dann wieder zusammenziehen oder wenn sie, ohne getraut zu sein, miteinander leben oder wenn sie sich gegenseitig betrügen, findet sich eine größere Menge unter ihren Fenstern ein. Unter lautem Kuhglockengeläut und Geschrei werden alle Sünden ausgerufen, die das betreffende Paar begangen hat oder begangen haben soll. In anderen Fällen wird eine Trauung vorgespielt, und der {G-707.} „Geistliche“ zählt in Ausdrücken, die keine Druckerschwärze vertragen, auf, wessen sich das Ehepaar angeblich schuldig gemacht hat. Mancher versucht, die schweren Beleidigungen handgreiflich zu rächen, während andere lieber aus dem Dorf wegziehen.

Viele Bräuche knüpfen sich an den Hausbau. Wenn die Mauern ihre volle Höhe erreicht haben, wird das Richtfest gefeiert, und der Bauherr bewirtet die Bauarbeiter. Die schönste balladenhafte Gestaltung des Bauopfers haben wir bereits kennengelernt. Eine harmlosere Variante ist es, wenn im neuen Gebäude eine Haarlocke eingemauert wird, wie dies in einem mittelalterlichen Gebäude der Burg von Eger geschah. Beim Abreißen alter Häuser wird heutzutage oft das Gerippe eingemauerter oder unter die Schwelle gelegter kleinerer oder größerer Tiere gefunden. Besonders in Siebenbürgen wird das Bauopfer oft erwähnt, nicht nur bei Bauernhäusern, sondern auch bei Schlössern. Nach einer Sage bemerkten die Maurer, die in Gerend (ehem. Komitat Torda-Aranyos) dem Grundbesitzer ein Haus bauten, zu ihrem Schrecken, daß die Mauern nicht nur Sprünge aufwiesen, sondern hier und dort auch einstürzten. Sie meinten mit der Einmauerung einiger Schafe oder eines Kalbes den Zauber abwehren zu können; die geizige Herrschaft aber erklärte, das stehe nicht in der Vereinbarung. Was sollten sie tun? Die armen Maurer fingen in der Nachbarschaft eine Katze und einen Hund und mauerten diese in das neue Gebäude ein. Damit war zwar die Stärke der Mauern für Jahrhunderte gesichert, aber die gräfliche Familie, die das Haus bewohnte, stritt sich wie Hund und Katze, und auf den Bewohnern des Hauses ruhte kein Segen.

Nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (1868) war die Musterung in jedem Dorf ein großes Ereignis. Die Betroffenen bereiteten sich darauf vor, schmückten ihre Hüte mit Bändern und gingen oder fuhren meist zusammen in die nächste Stadt oder in eine größere Gemeinde, wo sie sich der Musterungskommission zu stellen hatten. Unterwegs wurden der Gelegenheit angepaßte Lieder gesungen:

Gelb verputzt das Rathaus ist in Szegedin,
Dort muß ich zur Assentierung heute hin.
Hemd und Hose laß ich liegen vor der Tür,
Unter Tränen zeig ich mich dem Offizier.
 
„Tauglich“, sagt der Arzt und blickt mich an so scheel
„Tauglich ist der Bursche“, sagt er, „ohne Fehl’”.
Würd’ ich sagen, was mir fehlt, er nähm’s für Scherz,
Daß für meinen liebsten Schatz mir bricht das Herz.

                           (Szeged, Komitat Csongrád)

Die für tauglich befundenen Burschen kehrten mit viel Gesang in ihr Dorf zurück, während die Untauglichen sich einzeln hinter den Gärten zurückschlichen; denn wenn der dreijährige Militärdienst auch eine bittere Prüfung war, so war es doch eine Schande, untauglich zu sein. Das Einrücken erfolgte im Herbst und wurde mit einem Abschiedsball gefeiert. Die Frauen und Mädchen begleiteten ihre Söhne und Liebsten klagend bis ans Ende des Dorfes oder bis zur nächsten Bahnstation. Die Burschen nahmen mit Liedern Abschied:

{G-708.} Dreimal fährt der Wagen rund um Hof, ums Haus.
Liebe Mutter, bring mir meine Kiste raus,
Bring mir von dem Tisch den Einberufungsschein,
Soll mein Name in Kászon vergessen sein.
 
Kümmern mußt du dich nicht mehr um mich ab morgen,
Nur um meinen kleinen Bruder sollst du sorgen.
Ein Soldat soll aus ihm werden brav und tüchtig,
Daß er vorm Husarenpferde niemals fürcht sich.

                           (Kászon, ehem. Komitat Csík)

Auch über kirchliches Brauchtum ist bereits gesprochen worden. Hier soll noch die frühjährliche Flurweihe erwähnt werden. Sie wurde nur von den Katholiken vorgenommen, die mit Kirchenfahnen singend in einer Prozession auf die Felder zogen, um gute Ernte und glückliche Einbringung zu erflehen.

Die Aufnahme der herangewachsenen Kinder in die Kirche war ebenfalls mit Feierlichkeiten und mit Volksbräuchen verbunden. Bei den Katholiken wurde die Kirche zur ersten Kommunion und zur Firmung mit Blumen geschmückt; die Knaben bekamen einen Ansteckstrauß, die Mädchen einen Blumenkranz. Dann wurden die Kinder von den Taufpaten beschenkt. Bei den Protestanten wurde nach der Konfirmation dem Geistlichen der Dank für die Vorbereitung und für den geistlichen Unterricht ausgesprochen; er bekam kleine Geschenke, Blumenkörbe und einige rot gefärbte Eier.

Gewisse Formen der Pfingstköniginwahl leben in kirchlichen Bräuchen weiter. Die „Marien-Mädchen“ in neuen, reichgestickten Matyó-Kleidern hoben den äußeren Pomp des Festes. Eine ähnliche Rolle spielten die „Rosen-Mädchen“, unter denen der Geistliche eine Königin auswählte und ihr einen Kranz aus Rosen und Weizenähren aufs Haupt setzte. Gegen Abend wurde zu ihren Ehren eine Tanzfeier veranstaltet, dann wurde sie von der ganzen Gesellschaft nach Hause begleitet und ihr das Geld, die Mitgift, die man für sie gesammelt hatte, übergeben.

Die Zünfte übten zahlreiche Bräuche. Dazu gehörten in erster Linie die Tanzvergnügen, die zum Beispiel in Baja lakozás (etwa Gelage) genannt wurden und im allgemeinen zu Fasching abgehalten wurden. Früh am Morgen wohnte man einer Messe bei, dann marschierten die Gesellen mit den Fahnen und Abzeichen der Zunft unter lauter Musik auf und luden die Meister samt ihren Familien ein. Am Nachmittag versammelte man sich am Aufbewahrungsort der Zunftlade, und die Meister bewirteten die Gesellen mit Wein. Dann zog man zusammen an den Ort des Vergnügens, der mit den Zunftabzeichen dekoriert wurde. Man tanzte schon am späten Nachmittag, aber so richtig erst ab acht Uhr nach dem Abendessen. Die einzelnen Gänge meldete der Küchenmeister in Reimen an, wobei er zuvor mit einem Schellenstock an die Tür schlug, wie es bei Hochzeitsmahlen der erste Brautführer tat. Solche Vergnügungen dauerten oft bis zum Mittag des nächsten Tages; ja bei den wohlhabenderen Zünften, so zum Beispiel bei den Müllern, konnte es sogar sein, daß sie zwei Tage anhielten.