{G-709.} Arbeitsbrauchtum

Mit Bräuchen, die an einzelne Arbeiten gebunden sind, haben wir uns schon weiter oben beschäftigt. Deswegen soll hier mehr von den Zusammenhängen zwischen Arbeit und Brauchtum, Ritus und Glaubensvorstellungen die Rede sein. Im allgemeinen knüpfen sich gewisse Zeremonien an den Beginn und den Abschluß der Arbeit. Bei Beginn überwiegen die von Glaubensvorstellungen genährten Bräuche, die den Erfolg der Arbeit sichern sollen, während beim Abschluß die reine Freude, die Erleichterung über das Gelingen der Arbeit in ihre Rechte tritt. Es lohnt sich, einige Beispiele von diesem Blickpunkt aus zu untersuchen.

Während der Saat wurde versucht, die zu erwartende Ernte durch die verschiedensten Zeremonien zu beeinflussen. Wenn der Wagen im Frühling zum ersten Mal aufs Feld fuhr, wurde er bespritzt. Das sollte eine reiche Ernte ebenso sichern wie das Ei, das in die erste Furche eingeackert wurde. Für diese Zeit schrieb die Tradition eine besondere Kost vor und andererseits gewisse Speisen, deren man sich enthalten mußte. Außer diesen Bräuchen vergaß man aber nicht, den Segen der Kirche zu erlangen: Der Sämann nahm seinen Hut ab und bat in einem kurzen Gebet um den Segen Gottes. Ganz anders verlief das Erntefest und der Abschluß des Drusches. Da gab es keine verbotenen Speisen mehr – mit reichhaltigem Abendessen und anschließendem Gesang und Tanz wurde gefeiert, es gab Scherze, Hänseleien und Volksspiele. Dasselbe gilt für den Weinbau, dessen Abschluß das Freudenfest der Weinlese bildete.

Auch das Austreiben des Viehes auf die Weide im Frühling ging unter verschiedenen glaubensmäßig bedingten Bräuchen vor sich. Auf der Pußta und den Almen war das Vieh den verschiedensten Gefahren ausgesetzt, und man versuchte, dies durch verschiedene Handlungen abzuwehren, wie das ein Hirtenlied aus dem ehemaligen Komitat Csík (Siebenbürgen) schön zusammenfaßt:

Sammelt, sammelt schon die Herden
– Klingel, Klang, Gebimmel –
Kälber, Färsen, und die Farren
– Klingel, Klang, Gebimmel –
Unruhig auf der Straße harren.
 
Kette leget auf die Schwelle
- Klingel, Klang, Gebimmel –
Daß im Herbst sie find die Stelle
– Klingel, Klang, Gebimmel –.
Auch ein schöner Kalbsschwanz nützt,
Weil vor Wolf und Dieb er schützt
– Klingel, Klang, Gebimmel –,
Heim der Herde hilft der Himmel.
 
Reichlich wachse ihnen Gras
– Klingel, Klang, Gebimmel –
Unbeschwert von Seuch und Aas
– Klingel, Klang, Gebimmel –
{G-710.} Wächst das Jungvieh groß und stark.
Ist im Herbst der Preis nicht karg
– Klingel, Klang, Gebimmel –
Für Jungvieh und Schimmel.

                           (Ehem. Komitat Csík)

Anders ist die Stimmung bei Winterbeginn, wenn das Heimtreiben der Herden für den Andreastag (30. November) oder für der ersten Schneefall festgesetzt wird, was die Hirten schon sehr herbeisehnen:

Blas der Wind, Schneeregenfall,
Rein die Herden in den Stall!
Rechnet ab der Oberhirt,
Wir, die Jungen, gehn zum Wirt.

                           (Györgytarló, Komitat Zemplén)

Ja, denn jetzt folgt der Segenstrunk, die Feier. Allgemein ist die Freude, daß es gelungen ist, das Vieh vor den verschiedensten Gefahren zu schützen.

Ähnliche Beobachtungen kann man beim Hausbau machen. Das Ausheben der ersten Erde für das Fundament und das bereits erwähnte Bauopfer sollen den Erfolg des Hausbaus sichern. Sobald die Mauern und der Dachstuhl stehen, ist die erste Gelegenheit zum Feiern gekommen. Der Höhepunkt wird erreicht, wenn das Haus fertig ist und nach dem Einzug der Familie die Hausweihe abgehalten wird – ein Fest erleichterter Freude über die gelungene Arbeit.

Es sollen auch Bräuche erwähnt werden, die nicht unmittelbar mit der Arbeit, sondern eher mit der Landwirtschaft allgemein zusammenhängen. Es lohnt sich, hier einige Tage aufzuführen, die zur Wettervoraussage und zu Prophezeiungen über die zu erwartenden Ernteergebnisse dienten. Einige solche waren:

Der Vinzenztag (22. Januar), da ziehen die Weinbauern, wenn Tauwetter ist, den Schluß, sie würden eine reiche Lese haben, während Sonnenschein zu Lichtmeß (2. Februar) auf einen langen Winter schließen läßt. Das besagt folgender kleiner Reimspruch:

Wenn zu Lichtmeß Sonne scheint,
Ist noch lang kein Lenz gemeint.

                           (Báránd, Komitat Bihar)

Wenn am Tage Matthíä, des Eisbrechers (24. Februar), das Eis noch steht, erwarten die Fischer reiche Beute, besonders derjenige, dem es gelingt, an diesem Tage einen Hecht zu fangen. zu Sankt Josephi (19. März), das der erste warme Tag zu sein pflegt, soll jedermann mit dem Ackern beginnen.

Sankt Georgii (24. April) ist seit uralten Zeiten der Tag des beginnenden Frühjahrs. An diesem Tage wurden die Herden ausgetrieben und der frühjährliche Gesindemarkt abgehalten. Nach der Tradition müssen an diesem Tage die Kühe vor den Hexen beschützt werden, denn diese sammeln den Tau von den Feldern und sichern sich so den Milchertrag der Kühe. Der Tag des heiligen Markus (25. April) gehörte den Schweinehirten, an dem diese von ihren Arbeitgebern mit Strudel bewirtet wurden.

308. Erntefest

308. Erntefest
Kazár, Kom. Nógrád

{G-712.} Der Tag Johannis von Nepomuk (16. Mai) ist das Fest all derer, die mit dem Wasser zu tun haben: Fischer, Schiffer und Müller. An diesem Tage wurden zum Beispiel auf der Donau (in Baja) große Feierlichkeiten und ein Aufzug beleuchteter Schiffe veranstaltet.

Urban (25. Mai) ist der Patron der Imker, denn an diesem Tage beginnen die Bienen zu schwärmen. Urban wurde aber auch von den Winzern zusammen mit dem heiligen Donat verehrt. Ihre Statuen standen auf den Wegen der Weinberge und wurden an diesen Tagen mit Blumen geschmückt, um die Ernte vor Hagel und anderen Schäden zu bewahren. Die gleichen Bräuche erwähnt bereits der siebenbürgische Historiker Peter Bod im 18. Jahrhundert: „Dieser Tag wird für einen dies criticus gehalten, an dem die Unwissenden ihre Voraussagen machen. Wenn die Sonne scheint, wird es eine reiche, wenn es regnet, eine knappe Weinernte geben. Im Elsaß war es Sitte, bei Sonnenschein ein Holzbild des Urbam mit großen Jubel und Gesang durch die Straßen zu tragen; wenn es aber regnete, bekam er einen Strick um den Hals gelegt und wurde so im Straßenschlamm herumgezogen.“

Zu Petri und Pauli (29. Juni) wurde mit dem wichtigsten Ereignis, dem Schnitt des Getreides, begonnen. Aber auch die Fischer begingen den Tag des heiligen Petrus, ihres Schutzpatrons, mit Aufzügen, und die Vorsteher des Dorfes wurden zu einem Fischessen eingeladen.

Der Anfangstag des herbstlichen Wirtschaftsvierteljahrs ist Michaelis (29. September), an dem man die Naturalabgaben entrichten mußte. Die Berghirten hielten an diesem Tag ein Fest ab, mit dem sie den durch Wölfe verursachten Schaden zuvorzukommen hofften. Von diesem Tag an sammelten die Bienen keinen Honig mehr; es durfte mit der Eichelmast begonnen und die Schweineherde in den Wald getrieben werden.

Der heilige Wendelin (20. Oktober) war der Schutzheilige der Hirten. Seine Statue steht – besonders in Westungarn – an vielen Orten, und an seinem Namenstag hielten die Hirten große Festlichkeiten ab. Der Name Wendelin (ungarisch: Vendel) war in den Hirtenfamilien sehr häufig.

Im restlichen Teil des Jahres verschwinden die an bestimmte Berufe gebundenen Feiertage bereits unter der Flut der allgemeinen Fest- und Freudentage. Zu den ersteren gehört noch der Tag des heiligen Martin (11. November), an dem Bürger und Kaufleute sowie an manchen Orten auch die Bauern die Martinsgans schlachten und den neuen Wein kosten. Durch reichliches Essen und Trinken hoffte man, bis zum Frühjahr reichen Lebensmittelsegen zu sichern. Die Hirten besuchten der Reihe nach die Bauern und bekamen von ihnen Kuchen oder Geld als Ablösung geschenkt.

Der Andreastag (30. November) war das letzte Namensfest vor dem Advent, an dem noch Vergnügungen veranstaltet werden durften. Jetzt begannen die Schweineschlachtfeste und die damit zusammenhängenden Geselligkeiten. Ambrosius (7. Dezember) ist der Schutzheilige der Imker und der Lebzelter. Dieser Tag wurde zwischen den zwei Weltkriegen sogar in der Hauptstadt mit Prozessionen unter Kirchenfahnen gefeiert.

309. St. Wendelin, Schutzheiliger der Hirten.

309. St. Wendelin, Schutzheiliger der Hirten.
Statue am Straßenrand Jászberény

{G-713.} Alle diese Volksbräuche deuten auf einen grundlegenden formalen Zug: die Gemeinschaft. Ob es sich um ein Dorf, einen Marktflecken oder nur um eine Gruppe von Gehöften handelte – das unbedingte Einhalten gesellschaftlicher Konventionen war für die Mitglieder dieser Gemeinschaft unerläßlich. Bei der Ermittlung von Bräuchen eines bestimmten Dorfes begegnet man nie Bemerkungen der Art, daß dieser Brauch in einem Hause so, in einem anderen aber anders geübt wurde. Das Sprichwort „Andere Häuser, andere Sitten“ gilt für die hauptsächlichsten Ereignisse im Leben des Dorfes – wozu auch die Begehung der Festtage zählte – durchaus nicht. Es ist vorstellbar und war auch in der Regel so, daß innerhalb eines Dorfes ein Teil der Einwohner anderen ethnischen Gruppen angehörte und verschiedene {G-714.} Überlieferungen befolgte; dies ist verständlich, zeigt aber auch, daß innerhalb eines einzigen Dorfes verschiedene Gemeinschaftskreise vorhanden waren. Auch die gesellschaftlichen Unterschiede konnten so zur Geltung kommen, doch bezog sich dies eher auf die Wohlhabenheit, den Aufwand und die qualitativen Unterschiede der Lebensführung; dennoch waren selbst die Armen bestrebt, Hochzeitsfeiern, Osterfeiern oder Leichenmahle in Einklang mit den entsprechenden Normen des Dorfes in ihrer Art – oft wohl unter bitteren Opfern – zu feiern.

Ungeschriebene Vereinbarungen, was für den Armen schicklich war, wen er zum Gevatter bitten durfte, mit welchem Aufwand er seine Hochzeitsfeier veranstalten, was für Kleider er tragen und wie er sich verpflegen durfte, gab es natürlich, und sie wurden auch streng eingehalten. An vielen Orten wurde es mißbilligt, wenn ein Armer es dem reichen Bauern gleichtun wollte. An anderen Orten waren es wieder die Armen selbst, die sich abschlossen und besondere Formen für die Begehung der Festtage in ihrem Leben entwickelten. Alle diese ethnischen und gesellschaftlichen Abweichungen bezeugen nur, daß das Leben des Bauern auch in den gelösteren Momenten des Feierns der Gemeinschaftsdisziplin unterworfen war. So durfte in mehr als einem Dorf der Bursche nur an bestimmten Tagen das Haus seiner Erwählten besuchen, und auch über die Liebe wachten die Gesetze des Dorfes (also wirtschaftliche und gesellschaftliche Erwägungen und Überlieferungen). Diese durften straflos nicht übertreten werden.