Das bäuerliche Weltbild

Die ungarischen Bauern hatten ganz bestimmte Vorstellungen und Kenntnisse von der Erde und dem Weltall. Die Gesamtheit dieser Vorstellungen, die auf allen Gebieten des Lebens zur Geltung kamen, bildete das bäuerliche Weltbild. Darunter sind auch all die Dinge zu verstehen, die sich die Bauern aus der Überlieferung und aus eigener Lebenserfahrung aneigneten, die sie in der Schule, im Religionsunterricht oder aus Büchern lernten. Neben diesen rationalen Kenntnissen spielten auch irrationale Elemente eine große Rolle. Darunter sind Schichten zu finden, die bis in finnougrische Zeiten zurückzuverfolgen sind; andere Elemente wiederum stammen aus der alteuropäischen Kultur. Vieles lernten die Ungarn von ihren Nachbarvölkern. Ein Teil ihrer Kenntnisse stammt aus der Literatur des Mittelalters, andere haben sie auf der Grundlage eines vielschichtigen Erbes im Laufe der Jahrhunderte selbst entwickelt. Alle Kenntnisse sind natürlich mehr oder weniger von der christlichen Auffassung gefärbt. Im Rahmen dieses Werkes können wieder nur einzelne typische Züge des bäuerlichen Weltbildes beleuchtet werden.

Nach dem ungarischen Volksglauben ist das ganze Weltall von Wasser umgeben, und auch Erde und Himmel sind von Wasser getragen. Darin sind drei Welten zu unterscheiden, wobei auf der mittleren die Menschheit lebt. Es gibt eine obere Welt, in der sich der Milchsee erstreckt, worin die Engel baden und von wo sie ins Himmelreich gelangen. Der Weg zur Unterwelt, zu der ein Loch führt, wird Drachenland (sárkányország) oder Hölle (pokol) genannt. Wo die Ober- und {G-728.} die Unterwelt zusammenstoßen, ist das Ende der Welt. Dieses in Schichten unterteilte Weltsystem ist im ungarischen Volksglauben weit verbreitet; stellenweise unterscheidet man nicht nur drei, sondern sogar sieben Schichten.

Das wichtigste Element dieses Systems ist die Sonne, die im Osten aufgeht und abends im großen Meer versinkt. Während der Nacht wandert sie unter dem Meer wieder zurück nach Osten, um am Morgen erneut an gewohnter Stelle auftauchen zu können. So ist die wiederkehrende Sonne und ihre wärmende Kraft auf vielfältige Weise mit dem Leben der Bauern verbunden. Im Frühling rufen die Kinder nach der Wärme spendenden Sonne:

Georgstag,
Keine Plag,
Sonne schein
Heute fein,
Laß nicht, daß dem Lamm dem zarten
Beide Ohren frier’n im Garten.
Gott gibt gute Zeit,
Daß sich jeder freut!

                           (Szõreg, ehem. Komitat Torontál)

Der Sonnenaufgang ist auch die beste Zeit für die Vertreibung der Leiden, für das Gesundbeten:

Wie die Sonne aufgeht,
Abends wieder fortgeht,
So vergeh auch du.
Brauch dich nicht zum Glück,
Wo du hergekommen,
Dorthin geh zurück!

                           (Zagyvarékas, Komitat Szolnok)

Mit dem Mond verbinden sich noch weit mehr Glaubensvorstellungen als mit der Sonne, denn der Mond verändert ständig seine Größe. Allgemein verbreitet ist der Glaube, daß der heilige David im Mond sitzt und Geige oder Harfe spielt:

König David sitzt im Mond,
Spielt die Geige wie gewohnt.

                           (Báránd, Komitat Bihar)

heißt es in einem Kinderreim von Sárrét. Anderswo hält man die gut sichtbaren Flecken des Vollmondes für die zum Trocknen aufgehängten Strümpfe des heiligen David. Neumond und Vollmond hatten auch für die Landwirtschaft eine besondere Bedeutung. Diesbezüglich sind weit zurückgehende Überlieferungen bekannt, so schrieb zum Beispiel der große Pädagoge Comenius Mitte des 17. Jahrhunderts: „Damit das Holz nicht wurmstichig werde, fälle man die Bäume nach Vollmond.“ Allgemein verbreitet ist auch der Glaube, daß die Pflanzen, deren Früchte über der Erde gedeihen, bei zunehmendem Mond, und Pflanzen, die unter der Erde wachsen, bei abnehmendem Mond, also wenn sich der Mond unter der Erde befindet, gesät werden müssen. Und der {G-729.} Mond spielt auch für die Wettervoraussage eine entscheidende Rolle. Wenn der Mond einen großen Hof hat, ist Regen zu erwarten. Aus seiner Stellung können sogar Schlußfolgerungen für längere Zeit gezogen werden. Im Jászság beobachtet man den Neumond. Wenn die Spitzen nach oben stehen, wird es im folgenden Monat viel Regen geben; wenn sie sich aber nach unten neigen, ist weniger Regen zu erwarten.

Bei der Erforschung der bäuerlichen Kenntnisse vom Sternenhimmel ist man bisher zu guten Ergebnissen gekommen. Von den Kometen wußte bereits der Csizió (aus dem lateinischen Circumcisio [Christi] = Kalender) von Kolozsvár Ende des 16. Jahrhunderts zu berichten, daß sie Krieg und Unglück brächten. Dieser Glaube ist noch heute allgemein verbreitet, und er beschränkt sich natürlich nicht nur auf das ungarische Sprachgebiet. Die drei nebeneinander stehenden Sterne des Sternbildes Orion (Jäger) werden Kaszás (Sensenmann) oder Három kaszás (die drei Sensenmänner) genannt; im Zusammenhang mit ihnen nennt man den Sirius (Großer Hund) Sánta leány (Lahmes Mädchen) oder Sánta Kata (Lahme Kata). Von ihr heißt es im Volksglauben, daß sie den auf dem Feld arbeitenden drei Sensenmännern das Mittagessen bringe. In Siebenbürgen trägt der Orion den Namen Szent Péter pálcája (Petrusstab). Die ungarischen Bezeichnungen für das Sternbild Orion wurzeln in europäischen Traditionen, in denen auch klassische griechisch-römische Elemente erhalten geblieben sind. Das am meisten bekannte Sternbild ist der Bär oder Himmelswagen (Göncöl, Göncöl[Günzel-] szekér) in dem man eined Ochsenkarren mit vier Rädern und einer Deichsel sieht. An schönen Sommerabenden, wenn auch die Milchstraße am Himmel erscheint, ist neben dem mittleren Stern auch der Jungknecht zu erkennen. Eine Sage aus Szõreg im ehem. Komitat Torontál berichtet: „Der große Himmelswagen gehört Petrus. Er hat einmal mit seinem Fuhrwerk Stroh gestohlen, wobei ihn der Flurwächter erwischt hat und ihm das Stroh wieder wegnehmen wollte. Da hat Petrus die Ochsen angetrieben und ist mit seinem Wagen so schnell gefahren, daß er unterwegs das Stroh verstreute; seitdem sieht man am Himmel die Milchstraße.“ Hier handelt es sich wieder um einen Volksglauben, der weniger europäische als vielmehr nahöstliche Entsprechungen hat.

Der Regenbogen (szivárvány) ist nach den Glaubensvorstellungen des Volkes ein Zeichen dafür, daß Gott die Welt nicht nochmals durch eine Sintflut vernichten wird. Die Stelle, an der der Regenbogen zur Erde herunterreicht, hält man für das Ende der Welt. Wenn jemand mit dem Finger darauf zeigt, muß er sich schnell in den Finger beißen, damit kein Unglück geschieht. Anhand des Regenbogens pflegt man auch die Ernte vorauszusagen: Wenn der erste Frühlingsregenbogen viel Gelb in sich hat, wird es eine reiche Maisernte geben; wenn er einen breiten grünen Streifen hat, gedeiht der Weizen besonders gut, und wenn die rote Farbe überwiegt, kann man mit einer reichen Weinlese rechnen.

Der Wind (szél), sagen die Bauern, kündet sich bereits am Vortag an. Bei Abendrot, wenn die Sonne in roten Wolken versinkt, wird es am nächsten Tag einen starken Wind geben. Das gleiche gilt auch für den {G-730.} Sonnenaufgang. Der Wirbelwind (forgószél) gilt als der gefährlichste, er trägt den táltos (Schamanen), den garabonciás (Zauberer) oder die Hexe von einem Berg zum anderen. Deshalb warf man ein Messer, eine Sense, einen Erdklumpen oder etwas anderes in den Wirbelwind, wobei man allerdings gut aufpassen mußte, denn der darin Fliegende konnte sich rächen. Es wurde auch empfohlen, schnell ein Sieb zu holen; wenn man hindurchsah, konnte man erkennen, welche Hexe vom Wind getragen wurde.

Verschiedene Naturerscheinungen, die man sich auf rationelle Weise nicht erklären konnte, versuchte man mit Hilfe von Glaubensvorstellungen zu deuten, die sich im Laufe der Jahrhunderte nicht nur verwurzelten, sondern auch zunehmend vermehrten. So verhielt es sich mit verschiedenen Metallen, denen man übernatürliche Eigenschaften und Kräfte zusprach. Ein Teil dieser Vorstellungen geht auf die Urzeit zurück, als die Seltenheit den verschiedenen Metallen noch einen besonderen Wert verlieh. Die ungarischen Worte arany (Gold), ezüst (Silber), ón (Zinn), ólom (Blei) und vas (Eisen) stammen aus der finnougrischen und ugrischen Zeit; es verbinden sich mit ihnen also höchstwahrscheinlich außerordentlich weit zurückgehende Traditionen.

In den Glaubensvorstellungen wird Gold oft mit einem Schatz überhaupt gleichgesetzt. Man nahm an, daß sich in der Tiefe verborgenes Gold alle sieben Jahre, am häufigsten in der Nacht des Georgstages (14. April), durch eine kleine blaue Flamme zeige, die auch über der Erde sichtbar sei. Erblickte man eine solche Flamme, mußte man einen Fetzen oder Fußlappen darauf werfen, dann konnte der Schatz nicht wieder in der Tiefe versinken, und man konnte ihn heben. Gewöhnlich aber war das Gold oder der Schatz verflucht, und den Fluch vermochte man nur aufzuheben, indem man ein Opfertier – in der Regel ein Huhn oder einen Hahn – schlachtete. Beim Schatzgraben durfte man keinen Laut von sich geben und erst recht nicht fluchen, sonst versank der Schatz sofort wieder in die Tiefe und war die nächsten sieben Jahre nicht zu finden.

Abb. 233. Auslegungen der Mondflecken.

Abb. 233. Auslegungen der Mondflecken.
1. David musiziert; 2. Cäcilie tanzt (und die beiden zusammen); 3. Holzhauer (David); 4. Stroh-, Heu-, Reben- und Reisigholzbündelträger (David); 4. Fußlappen trocknender Hirte (David); 6. Mit Ochsen pflügender Mann

Die meisten Glaubensvorstellungen verbinden sich mit dem Eisen und verschiedenen Eisengegenständen. Ein Teil dieser Vorstellungen geht noch auf die Zeit zurück, als das neue Metall bei der Herstellung der Gebrauchsgegenstände seinen Siegeszug angetreten und alles andere in den Hintergrund gedrängt hatte. Das Hufeisen zum Beispiel gilt noch heute als glückbringender Gegenstand, den sogar Stadtbewohner auf die Schwelle ihrer Wohnungstür nageln. Zeigen die Spitzen des Hufeisens zur Wohnung und der Bogen nach draußen, dann wendet es alles von draußen kommende Unglück ab; wird es umgekehrt angebracht, dann soll das Glück die Wohnung nie verlassen. Dem Hufeisen schrieb man auch die Fähigkeit zu, eine Verwünschung der Milch aufzuheben oder kranke Tiere zu heilen. Durch Erhitzen des Hufeisens konnte man seine glückbringende Kraft noch erhöhen. Doch eignete sich eigentlich jeder Eisengegenstand dazu, Unglück – unter anderem Sturm oder Hagel – abzuwenden. Deshalb_ warf man bei Hagelschlag eine Axt mit der Schneide nach oben auf den Hof, und wenn es gelang, damit ein Hagelkorn zu spalten, teilten sich auch sogleich die dunklen Wolken. Anderswo legte man bei Blitz und Donner {G-731.} Gabel und Messer über Kreuz auf den Tisch, oder man schleuderte auch eine Sichel in Richtung des Sturms. Denn der Sturm brachte den garabonciás, die Hexe und allerlei böse Geister über den Menschen; man mußte versuchen, sie mit den verschiedenen Eisengegenständen zu verletzen und zu vertreiben.

Das Eisen hatte die Kraft, allerlei Verwünschungen zu entkräften. Es bot Schutz gegen die bösen Geister, denn diese fürchteten sich vor Eisen und Eisengegenständen. So steckte man dem Bräutigam ein Mess er in den Stiefelschaft, damit er nicht krank wurde, und unter dem Bett der Kreißenden versteckte man ein zerlegtes Beil, damit die Geburt leichter verlief. Das Badewasser für die Kinder wurde über die Schneide einer Sense in den Waschtrog gegossen. Von den Kleidern und den Stiefeln der Toten und aus dem Haar der verstorbenen Frauen aber entfernte man alles Eiserne, damit sie im jenseits keine Schwierigkeiten hatten. Dieser Brauch war sicherlich wieder von der Vorstellung bestimmt, daß sich die Geister vor dem Eisen fürchten, weil sie vielleicht einmal von einem Eisengegenstand besiegt worden sind. Eisengegenstände hatten auch die Aufgabe, Verwünschungen von Tieren abzuwenden. In Hexenprozeßakten aus dem Jahre 1731 heißt es: „Sie beauftragte ihn, die Kühe zu ihr zu treiben; als die Kühe dann nach Hause getrieben wurden, legte sie eine Kette übers Tor, und die Kühe wurden darüber getrieben; nun werden sie nie mehr Schaden nehmen.“ Um Verwünschungen der Milch aufzuheben, wurde die Milch im Trog mit einem Messer gestochen oder mit einem Beil zerschnitten; anderswo ließ man die Milch beim Melken über eine glühende Pflugschar, {G-732.} eine Sichel oder ein Hufeisen fließen; dann zeigte sich die bestimmte Hexe, die das Unglück heraufbeschworen hatte.

Dem Feuer (tûz), dessen magische Kraft schon in Verbindung mit glühendem Eisen genannt wurde, schrieb man im allgemeinen eine läuternde Wirkung zu. Deshalb war es vielfach üblich, übers Feuer zu springen. Gewöhnlich hielt man das Feuer für gut, es wärmte, man konnte auf dem Feuer kochen und braten, und es war dem Menschen auch für andere Arbeiten nützlich. Wenn das feuchte Brennholz „weinte“, kündigte das einen Streit im Hause an; man mußte dann ins Feuer spucken, durfte das Feuer aber keinesfalls mit Wasser auslöschen.

Natürlich verband sich auch mit der Person, die mit Eisen und Feuer arbeitete, dem Schmied, vielfältiger Volksglaube. Der Schmied erfreute sich schon bei den landnehmenden Ungarn großer Hochachtung, und die Erinnerung daran bewahren noch heute existierende Ortsnamen. Zahlreiche vornehme Familien aus der Zeit der Landnahme hatten einen Schmied zum Vorfahren. Der Schmied verstand sich nicht nur auf die Eisenbearbeitung, er konnte auch Krankheiten heilen. Das Zahnziehen und Starstechen waren seine Spezialität. Vor allem aber hielt man den Schmied für einen ausgezeichneten Tierheilkundigen. In seinen Handlungen vermischten sich rationale und irrationale Elemente.

Allerlei Irrationales knüpfte sich auch an die Kulturpflanzen. So glaubte man, daß der Weizen brandig werde, wenn man am Tage der Aussaat noch nach dem Abendläuten säte oder während des Säens Pfeife rauchte oder den Hut auf den Tisch legte. Außerdem durfte am Tag der Aussaat und freitags überhaupt kein Brot gebacken werden. Eine gute Ernte aber war zu erwarten, wenn es noch vor dem Georgstag ein Gewitter gegeben oder auf dem Nachhauseweg von der Weihnachtsmesse geregnet hatte. Der Mohn mußte zu Fastnacht ausgesät werden, dann wurde er nicht wurmstichig. Gleichzeitig durfte man aber während der Aussaat mit niemandem reden, nicht einmal den Gruß eines Vorbeikommenden erwidern.

Es gab auch viele Praktiken des Volksglaubens in bezug auf wildwachsende Pflanzen, wobei die meisten wiederum auf den Georgstag bezogen waren. An diesem Tag suchten die Hirten bestimmte Gräser, die sie rund um die Weide oder die Hürde abbrannten, damit das Vieh niemals mehr aus diesem Kreis ausbrechen konnte. Die Frauen pflückten an neun Feldrainen neun verschiedene Gräser und fütterten die Kuh damit, was garantieren sollte, daß die Kuh in diesem Jahr besonders viel Milch geben würde. Eifrig suchte man nach Eisenkraut (Verbene), denn wer dieses Kraut in der Hand hielt, der konnte Fesseln sprengen, alle Schlösser öffneten sich vor ihm, und manche waren sogar überzeugt davon, daß das Eisenkraut seinen Besitzer unsichtbar mache.

Von Wild- und Haustieren hatten die Bauern ebenfalls vielerlei vorwissenschaftliche Kenntnisse verschiedenen Ursprungs. Sie glaubten zum Beispiel, daß die Vögel miteinander reden konnten, und sie wußten auch von Menschen zu berichten, die die Sprache der Tiere verstanden. Die meisten Glaubensvorstellungen verbanden sich zweifellos {G-733.} mit der Schlange (kígyó), deren ungarische Bezeichnung zu den ältesten finnougrischen Worten der Sprache zählt und schon in der Ural-Periode bekannt war. In einzelnen Gegenden Ungarns ist das Wort kígyó allerdings, obwohl bekannt, nicht üblich; man nennt die Schlange hier nach ihrer typischen Bewegungsform csúszó (Gleitende). Beispiele für ähnliche Namensbildungen sind in der ungarischen Sprache gerade bei der Tierwelt zahlreich zu finden. Im Volk nahm man an, daß einige Schlangenarten mit den Drachen in Verbindung stünden; sie waren meistens böse und für Mensch und Tier gleichermaßen gefährlich. Die Hausschlange und die in den Quellen erwähnte weiße Schlange waren gut. So wird zum Beispiel 1805 von einer weißen Schlange berichtet: „Wer das Fleisch einer weißen Schlange ißt oder wenigstens ihre Knochen aussaugt, zu dem sprechen alle Tiere, alles Wild, die Vögel, die Gräser und die Bäume; die weiße Schlange wohnt unter der Wurzel eines Haselnußbaumes, in dessen Krone man Maiglöckchen findet.“ Nach dem Volksglauben soll es auch Schlangen geben, die in den kranken Menschen kriechen und ihn von innen säubern. Im Frühling sammeln sich die Schlangen in großer Menge, und unter Führung des Schlangenkönigs blasen sie einen Stein. Dieser sogenannte Schlangenstein (kígyókõ) hat die Größe eines Diamanten, und er wird vom Schlangenkönig bewacht. Die Menschen können sich den Stein verschaffen, wenn sie ein Wagenrad in den Schlangenhaufen rollen, worauf die Schlangen die Flucht ergreifen und den Stein vergessen. Wer einen Schlangenstein besitzt, kann sich unsichtbar machen.

Besondere Bräuche und Vorstellungen gab es auch hinsichtlich der Bienen. Besaß jemand einen Bienenstock, so durfte er bis zum Josefstag (19. März) nichts aus dem Haus weggeben, sonst hatte er den Ertrag seiner Bienenzucht verspielt. Wurde die Bienenkönigin gestohlen, ging das ganze Bienenvolk zugrunde, denn es weinte der Königin nach. Besonders gut sammelte und vermehrte sich aber das Bienenvolk, das man gestohlen hatte, weshalb ein solcher Diebstahl weniger streng beurteilt wurde.

Bei den Gliedmaßen des Menschen achtete man auf den Unterschied zwischen rechts und links. Rechts bedeutete Glück, deshalb mußte man früh mit dem rechten Fuß aus dem Bett springen. Auch die Redensart „Der ist mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden“ (Er ist schlecht gelaunt) bestätigt das. Die Hexe hantierte mit der linken Hand, und so führte sie alle ihre übernatürlichen Taten aus. Mit dem rechten Fuß zuerst muß man sich auf einen bedeutsamen Weg machen: zur Arbeit, auf die Jagd, zur Hochzeit. Viele dieser Glaubensvorstellungen sind noch heute lebendig.

Dem Haar wurde eine besondere Zauberkraft zugeschrieben. Kleinen Kindern schnitt man eine Locke aus dem Haar und versteckte sie unter der Schwelle. Die Frauen sammelten ihr täglich ausgekämmtes Haar, das man ihnen nach dem Tode in den Sarg legte. Wer sein ausgekämmtes Haar verbrannte, der konnte es bei der Auferstehung nicht zusammensuchen. Ähnlich achtete man auch auf die Nägel. Kleinen Kindern wurden die Nägel bis zum ersten Lebensjahr nicht mit der Schere abgeschnitten, sondern abgebissen. Abgeschnittene Nägel mußten {G-734.} immer gesammelt und verbrannt werden; noch besser aber war es, sie zu vergraben, sonst fand man nach dem Tode keine Ruhe und kam auf die Erde zurück, um seine Nägel zu suchen.

Die erwähnten Glaubensvorstellungen sollen nur eine Kostprobe von der einst das ganze Leben umspannenden Glaubenswelt geben. Andere Vorstellungen waren auch auf Gebäude, Bautätigkeit, Verkehr, Wäsche, Körperpflege, alle möglichen Hausarbeiten, einzelne Berufe, Krankheiten und alle großen Wendepunkte des Lebens bezogen. Lebendige und tote Dinge waren gleichermaßen von guten und bösen Geistern bevölkert, deren Eigenschaften man genau kennen mußte, um sie richtig zu nutzen.