Adlige und Grundherren

Da die Adligen und Grundherren das wirtschaftliche Leben der Bauernschaft grundlegend bestimmt haben und ein Teil der feudalen Bindungen auch nach der Aufhebung der Leibeigenschaft bestehen blieb, wollen wir diese Gruppe an den Anfängen stellen und in großen Umrissen skizzieren. Auch der Adel hat sich bereits im Mittelalter stark differenziert. Seine untersten Schichten, der sogenannte niedere Adel, dessen Angehörige wegen ihrer Besitzlosigkeit spöttisch „Siebenzwetschgenbäume-Adlige“ genannt wurden, besaßen im 18. und 19. Jahrhundert in vielen Fällen nur ein Haus und sehr wenig Land, das sie, ebenso wie die Leibeigenen, selbst bestellten. Ihre Privilegien, denen zufolge sie keine Steuern zu zahlen hatten und sich am politischen Leben des Komitats beteiligen durften, verteidigten sie bis zum äußersten. In Kultur und Brauchtum standen sie der Bauernschaft außerordentlich nahe beziehungsweise unterschieden sich von dieser in den meisten Fällen überhaupt nicht. Äußerlich unterschieden sie sich durch Tuchanzug und Degen von den Leibeigenen, die sie ebendarum verachteten und mieden. Die Mittelschicht des Adels, die Gutsbesitzer, besaßen selbständige Ländereien, die sie zu einem großen Teil mit Hilfe von fronpflichtigen Leibeigenen bestellten, die außerdem auch Abgaben in Naturalien zu leisten hatten (siehe auch …). In und mit ihren Herrenhäusern ahmten sie äußerlich und auch in der Inneneinrichtung die Schlösser der hochadligen Gutsbesitzer nach. Auch in den Traditionen orientierten sie sich an der Aristokratie. Der oftmals nicht einmal ungarnstämmige Hochadel lebte in der Regel nicht auf seinen Besitzungen, sondern verbrachte den größten Teil des Jahres in Wien, Budapest, Preßburg oder Westeuropa und ließ sich auf dem Gutsbesitz nur selten sehen, der von Inspektoren verwaltet wurde oder verpachtet {G-82.} war. Kulturell und oft auch sprachlich verband die Aristokratie mit dem Ungartum nicht viel.

Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft ging ein großer Teil des niederen Adels in der Bauernschaft auf. Andere wiederum versuchten nach einer Ausbildung ebenso als Beamte unterzukommen wie auch jene jüngeren Söhne der Adligen, die von ihrem Landbesitz nicht mehr existieren konnten. Die mehrere tausend und mitunter sogar mehrere zehntausend Hektar großen Ländereien des Hochadels, die von einem Millionenheer von Knechten und Agrarproletariern bestellt wurden, blieben nahezu unberührt bis 1945 bestehen.

Die Beziehungen zwischen Fronherren und Bauern basierten in erster Linie – entsprechend den historischen und lokalen Gegebenheiten – auf wirtschaftlicher Abhängigkeit und Ausbeutung. Es ist jedoch auch die kulturelle Seite dieser Beziehungen zu beachten. Die Architektur der Herrenhäuser hatte Einfluß auf die Bauernarchitektur, oftmals schon allein deshalb, weil ein und derselbe Baumeister für beide tätig war. Die wohlhabenderen Schichten der Bauernschaft bemühten sich – wenn auch mit zeitlicher Verspätung – um eine Nachahmung der besseren Arbeitsgeräte der Großgüter. Gewisse Elemente in der Kleidung, Weberei und Stickerei gelangten nach den Vorbildern, die die Bauern bei den „Herren“ beobachtet hatten, in das Dorf. Sogar in der Verbreitung von Literatur lassen sich diese Einflüsse nachweisen, da die Hausdiener und Mägde hier leicht als Vermittler auftreten konnten. Ein ähnlicher Einfluß des Adels läßt sich auch bei der Kochkunst beobachten. Zweifellos bildete die Herrenklasse einen Kanal, über den gewisse europäische Kulturelemente zur ungarischen Bauernschaft gelangten.