Die Erdarbeiter

In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts begann man mit der großangelegten Regulierung der Flüsse und mit dem allgemeinen Ausbau des Eisenbahnnetzes, was mit umfangreichen Erdarbeiten verbunden war. Diese Arbeiten wurden von Erdarbeitern (kubikos) aus dem Süden der Ungarischen Tiefebene durchgeführt. Die kubikos besaßen kein oder nur wenig Ackerland. Ihr ungarischer Name kommt von Kubik(meter) und deutet darauf hin, daß sie ihre Bezahlung nach der Kubikmetermenge ausgehobener Erde erhielten. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Beschäftigungsgruppen erhielten sie ihre Bezahlung im allgemeinen in Geld.

Die Erdarbeiter arbeiteten ebenfalls in Gruppen (Trupps). Sie wurden vom Truppführer angeführt, der den Trupp zusammengestellt hatte. Wenn er aus der Zeitung oder auf andere Weise von einem größeren Unternehmen hörte, reiste er auf eigene oder gemeinsame Kosten an den Ort und prüfte die Arbeitsbedingungen und die Verdienstmöglichkeiten. Wenn sie ihm zusagten, begann er die Arbeitergruppe zusammenzustellen, wobei er zuerst den guten Bekannten und Verwandten einen Platz sicherte. Unter ihnen suchte er auch die Vorarbeiter und seine Stellvertreter aus.

Abb. 9. Schubkarre der Erdarbeiter, Seitenansicht.

Abb. 9. Schubkarre der Erdarbeiter, Seitenansicht.
Die Gegend von Szentes, Kom. Csongrád, erste Hälfte 20. Jahrhundert

Der Truppführer der Erdarbeiter arbeitete mit den anderen zusammen, karrte die Erde, doch kontrollierte er gleichzeitig auch die Abrechnung der Ingenieure, damit die Arbeiter von ihnen nicht betrogen wurden. Im allgemeinen erhielt der Anführer keine Zulage und nahm eine solche auch nicht an. Er trat immer für die eigenen Rechte und für die seiner Kameraden ein und vertrat deren Interessen gegenüber dem Arbeitgeber. All dies zeigt, daß gut organisierte und miteinander solidarische Erdarbeitertruppen bereits den Industriearbeitern näherstanden als den Landarbeitern.

27. Auf Arbeit wartende Erdarbeiter, um 1930

27. Auf Arbeit wartende Erdarbeiter, um 1930
Budapest, Teleki-Platz

Die wichtigsten Arbeitsgeräte des Erdarbeiters waren Spaten, Schaufel und Schubkarre. Diese Gerätschaften brachte er mit und hielt sie als sein Eigentum auch in Ordnung. Die Schubkarre war {G-94.} ein einrädriges, aus Brettern zusammengefügtes Fahrzeug, mit dessen Hilfe die ausgehobene Erde abtransportiert werden konnte. Auf ebenem Boden war die Arbeit leichter, und dementsprechend konnte mehr geleistet werden. In einem stark hügeligen Gelände war zum Schieben der mit Erde beladenen Schubkarre Hilfe erforderlich. In einem solchen Fall spannte der Erdarbeiter seinen 10 bis 14 Jahre alten Sohn vor die Schubkarre. Die Kinder wurden oftmals zu weit entfernten Arbeitsstellen mitgenommen. Extra Bezahlung erhielten sie dafür nicht, doch machte sich ihre Leistung im Verdienst des Vaters bemerkbar. Dies war eine Möglichkeit, die Kinder als Erdarbeiter anzulernen. Mitunter gab es auch Ziehkarrenbesitzer, die die ausgehobene Erde auf zweirädrigen von je einem Pferd gezogenen Kastenkarren an die gewünschte Stelle transportierten. Zu den Ziehkarren gehörte meist nur ein Kutscher, der sich von den Knaben helfen ließ.

Bei größeren Erdarbeiten wurde für die Erdarbeiter eine Baracke oder ein anderes provisorisches Quartier errichtet, doch in den meisten Fällen bauten sie sich selbst vor Beginn der Arbeit ihre Hütte. Hierzu suchten sie sich einen möglichst windgeschützten Platz am Fuß des Bahndamms, am Waldrand aus und verwendeten alles mögliche Material, das sie an Ort und Stelle vorfanden (Baumstämme und -äste, Schilf, Rohr, Stroh usw.). Blieben sie längere Zeit, errichteten sie eine in die Erde eingelassene Hütte, ähnlich wie die Hirten und Flurhüter sie haben. Die Erdarbeiter führten gewöhnlich auch eine Rohrmatte mit, die sie über den Spatenstiel hängten, um sich vor Regen und Sonne {G-95.} einigermaßen zu schützen. Im Sommer wurde die Feuerstelle außerhalb der Hütte angelegt, im Winter mußte dafür auch im Hütteninneren Platz geschaffen werden.

Für das Essen mußte jeder selbst sorgen. Die meisten Grundnahrungsmittel brachten die Erdarbeiter von zu Hause mit. Dazu gehörten Brot, Speck, verschiedene Teigwaren und Zwiebeln. Tagsüber aßen die Erdarbeiter Speck, weil sie im Leistungslohn standen und deshalb die Ruhepausen möglichst knapphielten. Warmes Essen nahmen sie im allgemeinen abends zu sich, wenn ein jeder in seinem eigenen Kessel Eiergraupen- oder Fleckerlsuppe mit viel Zwiebeln und, wenn es der Vorrat erlaubte, mit Speck kochte.

Der Sonntag war für sie ein Ruhetag. Arbeiteten sie in der Nähe, gingen sie nach Hause, um ihren Lebensmittelvorrat aufzufrischen, Unterwäsche zu wechseln, mit der Familie zusammenzusein und notwendige Arbeiten im Hause zu verrichten. Konnten sie wegen des weiten Weges nicht nach Hause gehen, nutzten sie den Tag zur Körperpflege, zum Wäschewaschen und Nähen, zumal die Erdarbeiter selbst unter ihren schweren Lebensbedingungen viel auf Sauberkeit gaben. Arbeiteten sie in der Nähe einer Siedlung, dann gingen sie am Sonntag auch dorthin, um sich umzusehen und eventuell nützliche Dinge von den Bewohnern zu lernen. Aus diesem Grund spielten die Erdarbeiter bei der Verbreitung von Elementen der materiellen und geistigen Kultur eine wichtige Rolle.

28. Erdarbeiter

28. Erdarbeiter
Tiefebene

Märchen wurden bei den Erdarbeitern seltener erzählt, sie gaben {G-96.} eher Witze zum besten, erzählten Geschichten und persönliche Erlebnisse. Neben den zeitgenössischen Volksliedern kannten sie bereits viele Arbeiter- und Marschlieder, sie selbst bereicherten dieses Liedgut und auch die volkstümlichen Reime mit eigenen Zutaten. Hiervon wurde zwar nicht viel aufgezeichnet, doch erinnert man sich in den Erdarbeiterdörfern der südlichen Tiefebene noch an viele derartige Lieder und Sprüche. Der überwiegende Teil davon erzählt von der schweren Arbeit, vom Kampf mit den Naturelementen, von der Armut, der Trennung von der Familie und dem harten Leben:

Der Spaten frißt an unserer Kraft,
Die Erde unsere Säfte rafft,
Das Hemd, die Hose lauter Flicken,
Der Herrgott selbst mag uns nicht blicken.