Das Gutsgesinde

Oben war bereits vom Gesinde der Bauernwirtschaften die Rede, gleiches gilt von den verschiedenen Schichten des Gesindes auf den Wirtschaftshöfen der Großgüter. Sie waren vom Gutsherrn völlig abhängig und hatten unter sehr schweren materiellen Bedingungen zu leiden. Die Schichten des Gutsgesindes hatten im großen und ganzen im gesamten ungarischen Sprachraum die gleiche Struktur, da sich auch die Verwaltung der Großgüter annähernd gleich entwickelte.

Der Inspektor verwaltete eine größere Wirtschaftseinheit, während die Verwalter die unmittelbare Aufsicht über kleinere Einheiten ausübten. Ihnen unterstanden die Aufseher, die Inspizienten, die dem Gesinde, den Tagelöhnern und den Saisonarbeitern direkt die Arbeit zuteilten. Die Masse des Gesindes machten die Ochsenknechte und die Pferdekutscher aus. Ihr Anführer war der Großknecht beziehungsweise der erste Kutscher, der die Arbeit – an der er mitwirkte – unmittelbar dirigierte und deshalb jährlich 2 bis 3 Doppelzentner mehr Getreide als die anderen erhielt.

Die Anstellung des Gesindes galt stets für ein Jahr, und wer den Anforderungen entsprach, durfte für ein weiteres Jahr bleiben. Gab es allerdings gegen jemanden irgendeine Beanstandung, durfte der Betreffende im nächsten Jahr nicht mehr bleiben. (Als eines der schwersten Vergehen galt die Widerrede.) In solch einem Fall erhielt der Entlassene einige Tage frei, um sich auf den Nachbarhöfen nach Arbeit umzusehen. Doch wenn ihm der Ruf vorauseilte, daß er widerspenstig sei, das heißt auf seinen Rechten bestand, dann wurde er nirgendwo angestellt. Nach Ablauf des Jahres aber setzte man ihn, gegebenenfalls auch gewaltsam, aus der Wohnung, so daß er sich mit seiner Familie bei Verwandten in irgendeinem Dorf eine kärgliche Unterkunft suchen mußte, solange er nicht irgendwo Arbeit fand.

Die Form der Gesindewohnungen war vom Anfang des 19. Jahrhunderts an im ganzen Land ähnlich. In den ältesten Gesindewohnungen gelangte man von einer großen gemeinsamen Küche aus in vier angrenzende Zimmer. Je zwei Familien teilten sich in ein Zimmer. Das bedeutete, daß auf engem Raum oft mehr als fünfzig Menschen – {G-97.} Erwachsene und Kinder – zusammengedrängt lebten. Später wohnte nur noch eine Familie in einem Zimmer. Auch gab es später Wohnungen, bei denen nur zwei Zimmer zu einer Küche gehörten. Doch im wesentlichen blieb die gemeinsame Küche bis 1945 erhalten. Gegenüber der Wohnung befanden sich der Schweine- und der Hühnerstall, und wo die Rinderhaltung erlaubt war, auch der Kuhstall. Vielerorts erhielt das Gesinde einen halben Hektar oder ein etwas größeres Stück Land, auf dem man gewöhnlich Kartoffeln und Mais anbaute, weil dies die Geflügel- und Schweinehaltung ermöglichte.

Menge und Art des Jahresdeputats des Gesindes waren zeitlich und regional sehr unterschiedlich. Wir wollen an dieser Stelle lediglich andeuten, worauf sich das Gesindedeputat erstrecken konnte. Der wichtigste Teil des Lohns waren die 12–16 dz Getreide (Weizen, Roggen), die in Raten, meistens vierteljährlich, zugeteilt wurden. Hinzu kam eine bestimmte Geldsumme, deren Wert wesentlich unter dem des Getreides lag. In der Regel wurden auch ein Paar Schaftstiefel gegeben, später Schnürstiefel, eine gewisse Menge Salz und außerdem je nach den lokalen Gegebenheiten Heizmaterial. Hinzu kamen früher noch die Haltung einer Kuh auf Wirtschaftskosten (diese Leistung wurde zwischen den beiden Weltkriegen vielerorts abgeschafft), eine gewisse Menge Land, eventuell ein Hanf- und Gemüsegarten. Das Stückchen Land und der Garten wurden mit Hilfe von Frau und Kindern bestellt.

Sommer wie Winter wurde eine strenge Arbeitsordnung festgelegt. Vom Frühjahr an wurde das Gesinde morgens gegen drei oder vier Uhr zur Arbeit geweckt. Der Knecht und der Kutscher versorgten zuerst die Tiere, dann konnten sie eine kurze Frühstückspause machen, danach fuhren die Ochsen- und Pferdegespanne aufs Feld hinaus. Hier hatten sie genau festgelegte Arbeiten zu verrichten; zwischendurch gab es eine Mittagspause, danach ging die Arbeit bis zum späten Nachmittag weiter. Nach der Rückkehr vom Feld mußten die Tiere gestriegelt, gefüttert und getränkt werden. Das heißt, daß die Leute erst abends gegen acht Uhr nach Hause kamen und die Männer so bei der zu Hause anfallenden Arbeit kaum noch helfen konnten.

Im Winter ertönte die Gesindeglocke oder die Viehglocke später zum Wecken, doch auch dann war für Arbeit gesorgt. Man mußte die landwirtschaftlichen Produkte zum Markt oder zur Eisenbahnstation fahren, früher oft über große Entfernungen. In dieser ruhigeren Jahreszeit wurden die Fuhrwerke und das landwirtschaftliche Arbeitsgerät ausgebessert, das Korn auf dem Speicher gewendet, der Mais abgekörnt, im Wald Bäume gefällt und auf den Hof gebracht. Dennoch blieb im Winter mehr Zeit zur Unterhaltung. Die Männer kamen im Stall zusammen und erzählten sich gern Geschichten und Märchen.

Abb. 10. Aufriß und Grundriß einer Gesindewohnung.

Abb. 10. Aufriß und Grundriß einer Gesindewohnung.
Tiefebene. Allgemein. Anfang 20. Jahrhundert

Selbst am Sonntag war der Knecht nicht vollkommen frei von der Arbeit, da auch an diesem Tag morgens und abends das Vieh versorgt werden mußte. Tagsüber half er bei der Bestellung beziehungsweise Aberntung des Deputatlandes. An den meisten Orten verpflichtete die Herrschaft das Gesinde vertraglich zum Kirchgang, der streng kontrolliert wurde. Alles in allem war der Sonntag ein etwas leichterer Tag. Die Jugend kam am Sonntag zusammen, um sich zu unterhalten, {G-98.} Lieder zu singen, manchmal auch, um zu tanzen. Die Siedlungen und Wirtschaftshöfe lagen in der Regel weitab von den Dörfern, so daß ein Kontakt mit den Dorfbewohnern kaum möglich war. Auch war das Gesinde in den Dörfern gar nicht so gern gesehen, dort verachtete man es, so daß ein großer Teil des Gesindes das ganze Leben abseits des Dorfes verbrachte. Die Zahl der Analphabeten war beim Gesinde beträchtlich höher als in den Gemeinden, obwohl die Großgrundbesitzer stellenweise – vor allem im 20. Jahrhundert – bereits Schulen unterhielten.

Die traditionelle Kultur des Gesindes stimmte zu einem guten Teil mit der der Umgebung überein, sie war gewissermaßen eine farblosere Variante davon. Die Wohnungseinrichtung bestand aus ebensolchen Möbelstücken, jedoch reichte es beim Gesinde meist nur zu einfärbigen Ausführungen. Die traditionelle Raumordnung fiel der übermäßigen Enge zum Opfer. Auf die Volkstracht verzichtete das Gesinde als erste Schicht der ländlichen Bevölkerung. Seine Eßgewohnheiten waren denen im Dorf ähnlich, nur bescheidener. Gesindemitglieder heirateten gewöhnlich untereinander, und die Hochzeit richteten sie möglichst feierlich aus. Sie hielten an den Traditionen fest und bewahrten alte Glaubensvorstellungen am längsten. Damit läßt sich vielleicht erklären, daß sich bei ihnen im 20. Jahrhundert verschiedene religiöse Sekten stark ausbreiteten. Gleichzeitig finden wir bei den Angehörigen des Gesindes nur selten die Spur einer Organisation zum Schutz ihrer Interessen, da sie in einem völligen Abhängigkeitsverhältnis lebten und in verstreuten Siedlungen wohnten.

Unter dem Gutsgesinde kam dem Paradekutscher, der die Kutsche der Herrschaft oder des Inspektors fuhr, eine besondere Bedeutung zu. Ebenfalls zum Gesinde gehörten die Hirten des Großgrundbesitzers, doch erhielten sie einen höheren Lohn und sonderten sich infolge ihres größeren Wirkungskreises von dem übrigen Gesinde ab. Den höchsten Rang bekleidete meist der Rinderhirt, der oft auch die Arbeit {G-99.} der anderen Hirten kontrollierte und lenkte. Der Jäger und der Förster erhielten zwar ebenfalls ein Deputat, doch sonderten sie sich durch ihren Aufgabenbereich von dem übrigen Gutsgesinde vollkommen ab.

Vom letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts an wurden auch auf den ungarischen Großgütern Maschinen eingesetzt. So tauchten neben den früheren Handwerkern (Schmied, Stellmacher usw.) auch bald der Maschinist und der Schlosser auf. Die Handwerker bekamen mehr Lohn und Deputat als das übrige Gesinde, wurden von den anderen mit „Herr“ angeredet und wohnten in ihrer Wohnung mit niemandem zusammen. Gegen Entgelt arbeiteten sie auch für andere, und all dies garantierte ihnen im Vergleich zu den Knechten und Kutschern einen gewissen materiellen Wohlstand. Die meisten von ihnen hatten zur traditionellen Kultur wenig Bindung.