Randgruppen und -berufe

Neben den oben erwähnten Schichten und Gruppen, die die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den ungarischen Dörfern, Pußten und Marktflecken darstellen, sind auch einige Randgruppen betrachtenswert. Aus den Reihen der landarmen und besitzlosen Bauern gingen die Feld- und Flurhüter hervor. Sie wurden von der Dorfgemeinde eingestellt und in der Regel in Naturalien entlohnt (Getreide, Mais). Vom Frühjahr bis zum Herbst, doch insbesondere während der Erntezeit, lebten sie draußen in der Flur. Ihre provisorischen Hütten errichteten sie aus Zweigen, Maisstengeln und Schilf. In der Tiefebene kletterten sie auf einen Spähbaum, um auch über die hochgewachsenen Maispflanzen hinaus eine gute Sicht zu haben. Den von Dieben oder durchgegangenem Vieh angerichteten Schaden mußten sie ersetzen, falls sie den Schuldigen nicht benennen konnten. Die Flurhüter der Gutshöfe waren in der Regel alt gewordene Knechte, die bereitwillig, auch gegen ein niedrigeres Deputat, diese schwere und verantwortungsvolle Arbeit übernahmen.

Während die Bienenzucht und die Jagd im letzten Jahrhundert nur als Zusatzbeschäftigungen vorkamen, betrieben die Fischer in den ungarischen Dörfern den Fischfang das ganze Jahr über als selbständige Beschäftigung. Zwei Drittel der in den Gewässern der Großgrundbesitzer gefangenen Qualitätsfische mußten sie im allgemeinen abliefern, während sie über das restliche Drittel und die minderwertigen Fische frei verfügen konnten. Lediglich während der Erntezeit fuhren sie nicht zum Fischfang aus, weil sie sich in dieser Zeit als Deputatsschnitter verdingten, um ihr Korn für den Winter zu verdienen. Die Traditionen der Fischerei wurden über Jahrhunderte vom Vater auf den Sohn vererbt. Nach Möglichkeit wurde untereinander geheiratet, oder man wählte einen Ehepartner aus den Schichten der landarmen Bauern, da die Fischer von den etwas wohlhabenderen Bauern geringgeachtet wurden, wie auch aus einem geflügelten Wort aus der Tiefebene hervorgeht.

Fischer, Vogler, Jägersmann
Elend sind sie alle dran!

{G-100.} Ihre einfachen und in der Regel zweizelligen Häuser lagen an der Peripherie der Siedlung. Wenn es ihnen möglich war, bauten sie am Ufer der Gewässer, um es möglichst nahe zur Arbeit zu haben. Das zum Trocknen oder Ausbessern ausgebreitete Netz sowie in der Tiefebene der rankende Flaschenkürbis, ein wichtiges Vielzweckgefäß der Fischer, verrieten schon von weitem die Beschäftigung der Hausbewohner.

Die Familien der Hirten lebten entweder im Dorf oder auf den Wirtschaftshöfen des Großgrundbesitzes, während das Familienhaupt mit den erwachsenen Söhnen einen großen Teil des Jahres draußen auf der Weide bei dem Vieh verbrachte. Die Hirten mischten sich selten unter die Bauern und das Gesinde, doch selbst innerhalb der Hirtenschaft bewahrten die Hüter der verschiedenen Vieharten ihre Sonderstellung. Unter den Hirten, die es bereits zum Meister gebracht hatten, gab es viele Wohlhabende, die durch geschickte Tausch- und Kaufgeschäfte und zuweilen auch, besonders früher, durch Aufnahme von gestohlenem Vieh in die eigene Herde zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen waren. Zu den Wohlhabendsten gehörten indessen die Schäfer, die ihr eigenes Vieh zusammen mit der Herde der Gemeinde oder des Großgrundbesitzers weideten. Sie hatten Anteil sowohl an der Vermehrung der Herde als auch am Woll- und Milchertrag. Sie machten sich oft völlig selbständig, hatten Standesbewußtsein und nahmen meistens nicht am Gemeindeleben des Dorfes teil. Gewollt oder ungewollt bewahrten sie sich ihre Sonderstellung. Nur selten allerdings betrachteten die Hirten, die Tag für Tag die Viehherde des Dorfes auf die Weide trieben, ihre Arbeit als Lebensaufgabe oder hielten etwa an diesem Beruf innerhalb der Familie fest. Meistens waren sie aus den Reihen der landarmen Bauern und Landarbeiter hervorgegangen, oder diese Beschäftigung diente ruinierten Bauern als Überbrückungsmöglichkeit; mitunter entschieden sich ältere, der Feldarbeit nicht mehr gewachsene Menschen dafür.

Vor dem Bau der Eisenbahnlinien, doch oftmals auch noch später, kam den Fuhrleuten beim Transport der landwirtschaftlichen Produkte eine große Bedeutung zu. Sie gingen teils aus den Reihen der Kleinbauern und teils aus denen der landarmen Bauern hervor. Bei den letzteren wurde diese Arbeit der Hauptberuf. Unter großen Schwierigkeiten kauften sie zwei Pferde und einen Wagen und übernahmen Transporte über mehr oder weniger große Strecken. Doch konnte der Fuhrmann das Futter für seine Pferde nur durch Deputatsarbeit erwerben, da er selbst kein Land besaß. So war er mehr oder weniger gezwungen, sich an den Gutshof zu wenden. Hier verrichtete er die Heumahd für ein Drittel oder Viertel des Ertrages und das Grummet für die Hälfte, doch verpflichtete er sich, teils unentgeltlich, teils gegen einen im voraus festgelegten Tagelohn beim Einbringen der Getreideernte und beim Transport des Korns zur Eisenbahnstation zur Verfügung zu stehen. Den Zeitpunkt dieser Hilfsarbeiten bestimmte immer der Gutsherr. Solche Fuhrleute hoben sich nicht oder doch nur sehr wenig von der landarmen Bauernschaft ab, da sie durch Eingehen eines ihrer Pferde oder durch ein anderes Mißgeschick sogleich wieder auf den Status des Handarbeiters {G-101.} zurückgeworfen werden konnten. Es gab allerdings auch Fuhrleute, die Waren zwischen den verschiedenen Landesteilen und teils auch über die Landesgrenzen hinweg transportierten. Diese wurden meist von Kaufleuten in Anspruch genommen, die ihre Waren zu weit entfernten Jahrmärkten transportieren ließen. Tüchtige Fuhrleute kannten die Handelswege und die lokalen Verhältnisse ausgezeichnet, ebenso die Gasthöfe, in denen man Quartier nehmen konnte, und die eventuellen Gefahren. Dafür wurden sie gut bezahlt. In den verschiedenen Landesteilen gab es ganze Dörfer, in denen der überwiegende Teil der Bevölkerung von Fuhrdiensten lebte.