Die Handwerker

Im folgenden betrachten wir einige mit der Bauernkultur verbundene Gewerbezweige (Zimmermann, Müller, Gerber, Leineweber, Kürschner, Stiefelmacher, Szûrschneider, Tuchwalker, Tischler, Töpfer usw.), wobei wir angesichts der Bedeutung, die ihnen in den ungarischen Dörfern und Marktflecken sowie allgemein im Leben der ungarischen Bauernschaft zukam, auch von ihrer Organisation sprechen müssen.

In einigen Gegenden blieb die gewerbliche Tätigkeit auf Heimarbeit beschränkt (z. B. Spinnen und Weben, Holzbearbeitung – und dgl. m.), während sie in anderen auch als selbständiges Gewerbe ausgeübt wurde (z. B. Leineweberei, Lederverarbeitung usw.). Außerdem aber gab es auch eine beachtliche Zahl von Berufszweigen, die bereits vom 12.–13. Jahrhundert an von Handwerkern ausgeübt wurden (Töpfer, Schmied, Müller usw.). Ganz natürlich war das Bestreben der Handwerker, ihren Beruf, das Produktionsniveau und ihre materiellen Interessen vor jenen zu schützen, die die betreffende Arbeit nur gelegentlich und stümperhaft ausübten und sich jeglicher Kontrolle, Abgabe und Besteuerung entzogen. Deshalb schlossen sich die Handwerker in Zünften zusammen, deren Organisationsform zusammen mit der österreichisch-bayerischen Bezeichnung aus dem Westen, in erster Linie aus dem deutschsprachigen Raum, nach Ungarn kam.

Von den ersten Zünften haben wir aus dem 14./15. Jahrhundert Kenntnis. Diese faßten anfangs lediglich die in den größeren Städten auf demselben oder einem verwandten Gebiet arbeitenden Handwerker zusammen. Die Zahl der Zünfte erhöhte sich vor allem nach der Vertreibung der Türken aus Ungarn, also vom 18. Jahrhundert an, als sich auch die dörflichen Handwerker der entsprechenden Zunft in einer nahe gelegenen Stadt anschlossen. 1872 wurden die Zünfte zwar durch eine Verfügung abgeschafft, und an ihrer Stelle wurde eine andere Organisationsform gegründet, doch bestanden sie an den meisten Orten in der althergebrachten Form bis zur Jahrhundertwende fort.

29. Aushängeschild eines Töpfers

29. Aushängeschild eines Töpfers
Nagyatád, Kom. Somogy

Die Rechte und Pflichten der einzelnen Zünfte wurden durch das Privileg geregelt, das im Zunftbrief niedergelegt war. Von Zeit zu Zeit wurde dieser Zunftbrief entsprechend den Erfordernissen ergänzt und erneuert. Der Zunftbrief und seine Modifizierungen wurden als wichtigste Urkunde ebenso in der Zunftlade aufbewahrt wie das Protokoll und das Siegel, auf dem die Werkzeuge des jeweiligen Handwerks {G-102.} als Wahrzeichen der Zunft abgebildet waren, weiterhin die Tafel, auf der zur Versammlung aufgerufen wurde, und natürlich auch das aus Schenkungen und Bußen eingenommene Geld.

Die Prozedur der Aufnahme in die Zunft unterlag strengen Regelungen, die im ganzen Land einheitlich waren und im Laufe der Jahrhunderte nur wenig Veränderungen erfuhren. Selbst für einen Lehrling war der Eintritt in die Zunft nicht einfach, weil außer den Eltern noch zwei Zunftmitglieder für den jungen bürgen mußten. Die Verdingung erfolgte im allgemeinen für drei Jahre, doch wurde sie zeitweise und lokal auch verlängert. Der Lehrling erhielt keinerlei Entlohnung, vielmehr mußten seine Eltern der Zunft oder direkt dem Meister Lehrgeld zahlen. Vom Meister erhielt er höchstens das eine oder andere Kleidungsstück. Rechte hatte er überhaupt keine, dafür um so mehr Pflichten. Neben den Arbeiten, die der Ausbildung dienten, mußte er auch die Werkstatt des Meisters sauberhalten, in der Küche und im Garten zur Hand gehen, Wasser tragen, die fertigen Waren ausliefern und das Material holen. Für die viele Arbeit bekam er eine sehr bescheidene Verköstigung, und auch die körperliche Züchtigung fehlte nicht bei der Erziehung. Nachdem der Lehrling ausgelernt hatte, wurde er „freigesprochen“, er wurde Geselle, und aus diesem Anlaß lud er alle Gesellen der Zunft zu einem Zechgelage ein, womit er in ihre Reihen aufgenommen war.

Von diesem Zeitpunkt an durfte er sich nicht mehr mit den Lehrlingen anfreunden, er gehörte nun zum Kreis der Handwerksgesellen, deren Oberältester bemüht war, die Rechte der Gesellen gegenüber dem Meister wahrzunehmen. Der Geselle erhielt außer der Verköstigung einen Wochenlohn, doch arbeitete er dafür von früh bis spät, mußte für angerichteten Schaden aufkommen und war seinem Meister für alles Tun und Lassen rechenschaftspflichtig. Der Geselle war verpflichtet, für eine mehr oder weniger lange Zeit auf Wanderschaft zu gehen, teils im Land, teils außerhalb der heimatlichen Grenzen. Aus den erhalten gebliebenen Wanderbüchern geht klar hervor, daß die ungarischen Gesellen oftmals bis weit nach Westeuropa gelangten. Hierdurch lernten sie neue Arbeitsverfahren und Materialien sowie {G-103.} die jeweils neue europäische Mode kennen. So war die Wanderschaft ein sehr wichtiger Faktor bei der Entwicklung des Handwerks.

Nachdem sich der Geselle bei seinem Meister und auf der Wanderschaft sämtliche Kunstgriffe seines Handwerks angeeignet hatte, konnte er sich zur Meisterprüfung melden. Aus diesem Anlaß fertigte er ein besonders schönes und wertvolles Stück an, das von den Zunftmeistern gründlich geprüft wurde. Wenn das Meisterstück den Anforderungen entsprach, wurde der Geselle nach Bezahlung einer bestimmten Taxe in die Reihen der Meister aufgenommen. Von diesem Zeitpunkt an durfte er selbst Arbeitsaufträge annehmen, Gesellen einstellen und Lehrlinge ausbilden, das heißt, er wurde vollberechtigtes Zunftmitglied.

30. Zunftlade der Schuster (Deckel), 1800,

30. Zunftlade der Schuster (Deckel), 1800,
Miskolc

31. Einberufungstafel der Schneiderzunft, 1645

31. Einberufungstafel der Schneiderzunft, 1645
Fertõszentmiklós, Kom. Gyõr-Sopron

32. Einberufungstafel der Schneiderzunft (Rückseite), 1645

32. Einberufungstafel der Schneiderzunft (Rückseite), 1645
Fertõszentmiklós, Kom. Gyõr-Sopron

Der Zunftaldermann oder Zunftmeister wurde von den Meistern gewählt. Er hielt sämtliche Fäden der Zunft in seiner Hand. Er schützte die Interessen der Zunftmitglieder, verwahrte das Geld und die Urkunden, {G-104.} präsidierte auf Versammlungen und Festgelagen, kontrollierte die Arbeit der Meister, ahndete Verstöße gegen die Zunftstatuten und vertrat die Zunft gegenüber den Behörden und Käufern. Hierbei halfen ihm sein Stellvertreter und der Zunftschreiber.

Von Zeit zu Zeit wurden Sitzungen abgehalten, die mit der Öffnung der Zunftlade begannen. Solange diese nicht geschlossen wurde, war die Sitzung nicht beendet. Dabei wurde über die Verwendung der Gelder und über die Aufnahme von Meistern beschlossen, es wurde Recht gesprochen, und es wurden Bußen verhängt. Der interne Zunftbrauch sowie die Statuten schrieben eine vielseitige Unterstützung der Mitglieder vor. So stellte man dem kranken Gesellen Tag und Nacht eine Pflegeperson zur Seite, unterstützte die verarmten und alten Mitglieder finanziell und ging gemeinsam zur Beerdigung der verstorbenen Mitglieder oder deren Angehörigen. Während der Faschingszeit veranstalteten die meisten Zünfte einen Ball, auf dem auch die Jugend Gelegenheit hatte, miteinander bekannt zu werden.

Die in den Zünften vereinigten Handwerker spielten auch im Leben der Stadt und des Dorfes eine bedeutende Rolle. Die Meister erhielten einen Platz unter den führenden Persönlichkeiten der kommunalen Verwaltung. Bei außergewöhnlicher Besteuerung wurden sie einheitlich belastet, und gemeinsam beteiligten sie sich an öffentlichen Arbeiten. In ummauerten Städten waren sie für die Instandhaltung und Verteidigung je einer Bastei und eines Mauerabschnitts verantwortlich. Eine Rolle kam ihnen auch im kirchlichen Leben zu. Ihre Zunftfahnen wurden meist in der Kirche aufbewahrt. An den Prozessionen nahmen sie gemeinsam teil. Jedes Zunftmitglied war zur Teilnahme an den sonntäglichen Gottesdiensten verpflichtet.