{G-105.} Die Gewerbetreibenden

Hinsichtlich Herkunft und Kultur gehörte ein großer Teil der verschiedenen ländlichen Gewerbetreibenden nicht zur bäuerlichen Gemeinschaft des Dorfes, sondern war von anderswoher zugezogen. In der gesellschaftlichen Rangskala standen die Gewerbetreibenden gleich hinter der Dorfintelligenz, doch waren sie an der Leitung und den gemeinsamen Initiativen des Dorfes im allgemeinen nicht beteiligt. Sie waren um gute Beziehungen zu jedermann bemüht, da sie bei ihren Geschäften von den Dorfbewohnern abhängig waren, doch beruhte diese Abhängigkeit oftmals auf Gegenseitigkeit.

Der „Kupec“, der Viehhändler, kaufte in erster Linie das Vieh (Rinder, Schweine, Schafe) auf und verkaufte es auf den Märkten weiter oder gab es manchmal auch an die Fleischer ab. Sein Tätigkeitsbereich war in der Regel nicht auf ein Dorf beschränkt, sondern erstreckte sich über eine größere Region, in der er die Preisschwankungen beobachtete und ausnutzte. Der Getreidehändler war mehr an einen Ort gebunden und verfügte über geeignete Gebäude zur Lagerung größerer Mengen von Getreide. Bereits vom Frühjahr an lieh er den darauf angewiesenen Bauern Getreide und Geld gegen hohe Zinsen und kaufte zugleich zu einem festgelegten Preis die künftige Ernte. Im allgemeinen kaufte er sämtliche Getreidesorten auf und hielt sie nach Möglichkeit bis zum nächsten Frühjahr zurück, um sie sowohl am Ort als auch an größere Händler mit bedeutendem Gewinn abgeben zu können. Oftmals erwarb er auch die Mühle hinzu, oder der Müller dehnte seine Tätigkeit auf den Getreidehandel aus.

Der Krämer fehlte selbst im kleinsten Dorf nicht. Er richtete sich möglichst im Zentrum der Ortschaft ein und unterhielt eine Gemischtwarenhandlung; er verkaufte in erster Linie Gewürze, Zucker, Essig, Petroleum und andere Artikel, die in den bäuerlichen Haushalten täglich gebraucht und von den Bauernwirtschaften nicht produziert wurden. Kleidung, landwirtschaftliches Gerät usw. wurden in den Krämerläden nur selten geführt, weil die Bauern diese Artikel auf den Märkten kauften. Beim Krämer konnte man nicht nur mit Geld, sondern auch mit Naturalien, hauptsächlich mit Eiern, Mehl usw. bezahlen, deren Preis der Krämer allerdings unter dem laufenden Preis festsetzte, so daß er dadurch zusätzlichen Gewinn hatte. An Orten, wo ein Teil der Bevölkerung Geld und Naturalien gleichzeitig bekam (z. B. Deputanten, Saisonarbeiter, Gesinde usw.), schrieb der Krämer auch an, doch berechnete er dafür Zinsen.

Der Gastwirt war im ungarischen Dorf ebenfalls eine wichtige Persönlichkeit. In jedem Dorf gab es wenigstens einen, und selbst in kleineren Dörfern kam es vor, daß mehrere Schenken nebeneinander existierten. Der Schankwirt baute sein Haus immer an der Hauptstraße, damit jeder daran vorbeigehen mußte. Die Gastwirtschaft bestand in der Regel aus einer größeren Trinkstube und einem durch einen Lattenzaun gesicherten Schankraum in der Ecke, in dem die Flaschen und Gläser selbst bei Schlägereien in Sicherheit waren. Die Ungarn haben dafür den treffenden Ausdruck kármentõ, etwa „Schadenschutz“. Die Dorfschenken waren auf den Ausschank von {G-106.} Getränken, Wein und Schnaps, später auch Bier eingerichtet. Essen bekam man dort nur selten. Der Gastwirt gewährte ebenso wie der Krämer Kredit, wofür er aber ebenfalls Zinsen berechnete. Bauernsöhne brachten, wenn sie nicht genügend Geld hatten, einen Sack Weizen mit, den sie oftmals vom Vater gestohlen hatten. Das Wirtshaus war der Treffpunkt der Männer, der Ort, den Frauen nur dann betraten, wenn sie ihre Männer zur Heimkehr bewegen wollten. Im vergangenen Jahrhundert schloß man den Wirtshäusern immer häufiger Kegelbahnen an, wo die Männer am Sonntagnachmittag zu Spiel und Gespräch zusammenkamen.