{G-121.} Kirchweih, Markt, Jahrmarkt

Ein bedeutender Teil der Bevölkerung wanderte zeitweilig weit weg vom Heimatort, um anderswo Saisonarbeit anzunehmen. Auf diese Weise lernte man andere Gegenden, neue Arbeitswerkzeuge, Arbeitsverfahren, Sitten und Bräuche kennen und machte davon manches zu Hause heimisch. Eine andere Möglichkeit zum Austausch von Produkten, Kenntnissen, Sitten und Bräuchen boten Jahrhunderte hindurch Kirchweih und Markt, bei denen sich das Volk aus mehreren Gemeinden, manchmal eines größeres Gebiets, mitunter sogar ganzer Landesteile versammelte, besonders gute Gelegenheiten. Bis in die Gegenwart läßt sich abmessen, welch große Bedeutung diese Begegnungen und Kontaktmöglichkeiten für den Austausch der materiellen und geistigen Güter hatten.

43. Marktplatz

43. Marktplatz
Jászberény

Búcsú mit der Nebenbedeutung „Abschied“ (Kirchweih) ist ein ungarisches Wort alttürkischer Herkunft. Bereits in der Ursprungssprache schloß das Wort auch die Bedeutungen von Lossprechung, Sündenvergebung mit ein. Vom Mittelalter an wurde der Begriff durch die Bedeutung „Ablaß, Wallfahrt, Kirchweihfest“ erweitert. Unter dem Einfluß der katholischen Kirche bildeten sich so Bedeutungsinhalte heraus, die den Teilnehmern Vergebung der Sünden verhießen. Doch {G-122.} finden wir in der Kirmes in vielen Fällen auch vorchristliche Züge. Die Überreste der heidnischen Ungarn huldigten im 11.–12. Jahrhundert in der Tiefe der Wälder an Felsen und Quellen ihren alten Kulten. Die Verehrung der Quellen blieb auch weiterhin bestehen, und auch die Kirche versuchte – wie überall in Europa –, den Glauben an deren wundertätige Kraft zu stärken. Um derartige Quellen rankte sich eine ganze Reihe von Legenden, die in der Regel mit Jesus und Maria in Verbindung gebracht wurden. So hatte im Szeklerland die am St.-Anna-See abgehaltene Kirchweih einen Ruf von Wunderkraft erlangt, doch fanden sich alljährlich Pilger auch an zahlreichen anderen Quellen ein (Székelyudvarhely, Olasztelek, Esztelnek usw.), von denen sie sich Heilung erhofften. lm Palotzenland in Mátraverebély und Hasznos pilgerte man bis in die jüngste Vergangenheit von weither zu den Quellen, und über die Wunder wirkende Kraft der Quelle von Bakonybél waren zahlreiche Legenden im Umlauf. Die Kirche baute an diesen Stellen meist eine Kapelle und versuchte, den Glauben an diese Wunderkräfte den eigenen Zielen entsprechend umzuformen.

Anderswo waren die Kirchweihen mit einem für wundertätig gehaltenen, in einer Kirche untergebrachten Bild oder Standbild verbunden. Als ein solcher Wallfahrtsort galt vor allem bei den griechisch-katholischen Unierten Máriapócs, während die Szegeder nach Radna pilgerten. Am bekanntesten war das Kirchweihfest von Andocs in Südwestungarn. Ein berühmter Wallfahrtsort war die Kirche von Szeged-Unterstadt, zu deren schwarzem Marienbild die Bewohner aus einem Umkreis von 30 bis 40 Kilometern jedes Jahr im August zu Fuß pilgerten. An dem Kirchweihfest von Csíksomlyó (Somleu) nahm nahezu die gesamte katholische Bevölkerung des Szeklerlandes teil. Mit Fahnen und Gesang war man oft tagelang zu dem heiligen Ort unterwegs, wo ihnen die Dorfbewohner umsonst oder höchstens gegen ein geringfügiges Entgelt Kost und Unterkunft gewährten. An manchen Orten wurde auch der Brauch des Schlafens in der Kirche bewahrt, weil man meinte, die wundertätige Heilung erfolge am ehesten im Schlaf. Mit dem Kirchweihfest verbanden sich allerdings viele weltliche Elemente. So galt die Kirmes an nicht wenigen Orten gleichzeitig als Heiratsmarkt, zu dem die Mädchen mit ihrer kompletten Aussteuer erschienen. Die Händler schlugen Zelte auf, in denen sie Andenken und Devotionalien verkauften, doch oftmals wurde hier auch Kleidung feilgeboten. Schausteller und Karussels gehörten ebenso zum Kirchweihfest wie Wirtshäuser, Schankstuben und Bälle. Während die Älteren und Kranken kamen, um in der Kirche die Wunder wirkende Statue, das wundertätige Bild zu berühren und zu küssen, dachten die Jüngeren in erster Linie an das Vergnügen.

Die Kirchweih eines Dorfes, die mit dem Namenstag des Schutzheiligen der Kirche verbunden war, enthielt noch mehr weltliche Elemente. Fremde kamen in der Regel höchstens aus den Nachbardörfern, denn die Dorfkirmes ist bis auf den heutigen Tag in erster Linie ein Fest des Dorfes, zu dem alle nach Möglichkeit kommen, auch wenn sie inzwischen in einem anderen Dorf oder gar in einem anderen Landesteil leben. Bei diesen Zusammenkünften treffen sich die Familien und die gesamte Dorfgemeinschaft. Das Verblassen des religiösen Charakters {G-123.} dieses Fests zeigt sich nicht zuletzt darin, daß an solchen Kirchweihen auch Andersgläubige als Besucher und Gastgeber teilnehmen. Der Kirchenbesuch beschränkt sich vor allem auf die ältere Generation.

Der Kirmes vergleichbare Zusammenkünfte hielten auch die Protestanten, die gewöhnlich an ein bedeutendes historisches Ereignis oder an einen anderen Jahrestag anknüpften. So zogen die Bürger von Debrecen jedes Jahr an dem Tag, an dem ihnen die Befreiung ihrer Frauen und Töchter aus den Händen der türkischen Janitscharen gelungen war, in den Nagyerdõ (Großer Wald) hinaus. Ein solches Volksfest fällt bei den Szekler Unitariern mit dem Anschneiden des ersten Brots nach der Ernte zusammen. Anderswo wird der Tag, an dem die Aufhebung der Leibeigenschaft ausgetrommelt wurde, als Festtag abgehalten.

Während die Grundintention des Kirchweihfestes kirchlicher Natur ist und die weltlichen Elemente nur ein Beiwerk bilden, besitzen piac (Markt) und vásár (Jahrmarkt) vor allem Handelscharakter, doch kommt ihnen in gesellschaftlicher Hinsicht und beim Austausch kultureller Werte eine ebenso große Bedeutung zu. Der Einzugsbereich eines Jahrmarktes fällt auch mit dem Vorkommen gewisser ethnographischer Erscheinungen zusammen.

Im ungarischen Sprachgebrauch wird zwischen piac (Markt) und vásár (großer Markt, Jahrmarkt) unterschieden, weil beide Wörter einen jeweils anderen Begriff decken. Piac ist die Übernahme des italienischen piazza (Platz), und schon seine ursprüngliche Bedeutung zeigt, daß hier von einem relativ oft, ja wöchentlich stattfindenden kleineren Mark auf dem Hauptplatz oder einem anderen Platz der Ortschaft die Rede ist. Solche Verkäufe auf dem Marktplatz dürften schon im Mittelalter stattgefunden haben. Hierauf deuten jene Städteund Dorfnamen hin, die den Namen eines Wochentages enthalten: Tardoskedd (… dienstag), Csíkszereda (… mittwoch), Csütörtökhely (Donnerstag… ), Péntekfalu (Freitag… ), Szombathely (Samstag…) usw. Das Wort vásár dagegen ist ein iranisches Lehnwort aus der Zeit vor der ungarischen Landnahme, das in ungarischen Ortsnamen häufig vorkommt: Kézdivásárhely, Marosvásárhely, Asszonyvásárhely, Martonvásár usw. Der ungarische Name des Sonntags, vasárnap, der ebenfalls das Wort vásár beinhaltet, bedeutet also eigentlich vásár-Tag, Markttag. Im ganzen Mittelalter und auch später kämpfte die Kirche gegen den an Sonn- und Feiertagen abgehaltenen Markt. Vielerorts gab man sich damit zufrieden, daß lediglich vor dem Gottesdienst kein Verkauf stattfinden durfte. In einigen Teilen Siebenbürgens wurde bis in die letzte Zeit am Sonntag Markt gehalten. Für den Jahrmarkt gibt es im Ungarischen schließlich zwei andere Bezeichnungen, die weitere Merkmale des Jahrmarktes hervorheben: Das Wort sokadalom (Zusammenkunft vieler Leute) beweist, daß bei diesen Gelegenheiten viele Menschen aus einem großen Einzugsbereich zusammenkamen, und das Wort szabadság (Freiheit) weist darauf hin, daß hier Kauf und Verkauf in einer zwangloseren Form als sonst allgemein üblich erfolgt sein mögen.

Wo piac (Markt) und vásár (Jahrmarkt) eine große Rolle gespielt haben, läßt sich dies bis zum heutigen Tag in der Siedlungsform nachweisen. {G-124.} Ursprünglich befand sich der Marktplatz im Zentrum der Stadt, das heißt, er lag in der Regel bei der Kirche. Dementsprechend bildete sich hier ein mehr oder weniger großer zentraler Platz heraus. Unter den vielen Beispielen wollen wir nur einige nennen: Kézdivásárhely, Kolozsvár, Hódmezõvásárhely, Kecskemét. Doch selbst in Budapest befinden sich an der Stelle der einstigen Heumärkte – sowohl in Buda als auch in Pest – größere Plätze (Széna-Platz, Kálvin-Platz). Anderswo siedelte sich der Markt nicht auf einem Platz an, sondern in einer zentral gelegenen breiten Straße, wo sich die Händler an beiden Straßenseiten niederließen, während die Straßenmitte für den Verkehr frei gelassen wurde. Die Hauptstraße in Debrecen ist eine solche Straße, lange Zeit hieß sie Piac utca (Marktstraße). Unabhängig davon, ob der Wochenmarkt beziehungsweise der Jahrmarkt nun auf einem Platz oder auf einer Straße stattfand, war dieser Ort von Geschäften, Wirtshäusern und Herbergen umgeben, und in den meisten Fällen lag hier das Zentrum des Handels und auch der Administration.

In den Marktflecken wurde beinahe an jedem Werktag Markt gehalten, in größeren Orten sogar an mehreren Punkten der Stadt zur gleichen Zeit. Der Hauptmarkt fand auch hier, wie in den Dörfern mit Marktrecht, an einem bestimmten Tag statt, und zwar in den meisten Fällen bis in die jüngste Vergangenheit an irgendeiner zentralen Stelle der Siedlung. Die Verlegung des Marktes an die Peripherie ist erst in den letzten Jahrzehnten eingeleitet worden. Auf derartige Wochenmärkte wurden Kleinvieh, Gemüse, Obst, in kleineren Mengen Getreide, Mehl, Speck und andere Lebensmittel gebracht, alles Produkte der Siedlung und der unmittelbaren Umgebung. Die Waren wurden von den ständigen Markthändlern, den Hökerinnen (kofa), auf Schragentischen feilgeboten, während die Gelegenheitshändler ihre Sachen zum Verkauf lediglich auf Matten oder auf der Erde ausbreiteten. Die ortsansässigen Töpfer, Stellmacher und andere Handwerker boten ihre Arbeiten ebenfalls auf dem Markt an. Auf den wöchentlich mehrmals abgehaltenen Märkten wurden auch feste Buden errichtet, in denen die Händler auch Kleider, Kurzwaren und allerlei Flitter und Tand zum Verkauf anboten. Von einer größeren Getreidemenge brachte der Verkäufer nur eine Probe mit, und wenn dem Käufer Qualität und Preis zusagten, ging er mit zum Haus des Verkäufers, um den Handel abzuschließen.

Auf den Märkten boten sich auch freie Arbeitskräfte an. An einer Stelle des Marktes, ember-piac (Menschenmarkt) oder verächtlich köpködõ (Spuckplatz) genannt, lungerten die Arbeit suchenden Tagelöhner herum. Die Bauern dingten hier für einen oder mehrere Tage die Tagelöhner. Wenn die Arbeitsuchenden bis 7 oder 8 Uhr keinen Arbeitgeber gefunden hatten, gingen sie wieder ihrer Wege, weil sie an diesem Tag die Arbeit ohnehin nicht mehr hätten antreten können. Die Marktordnung wurde vom Marktrichter überwacht, der in früheren Jahrhunderten von der Ortsgemeinde das Recht pachtete, Marktgeld zu kassieren. In den letzten Jahrzehnten wurde das Einkassieren des Standgeldes einer Amtsperson übertragen.

Die bekanntesten und größten Märkte, Landesmärkte genannt, {G-125.} wurden in der Regel in Gebieten veranstaltet, in denen Großregionen und Landschaften verschiedenen Charakters aneinanderstießen. So finden sich Märkte, deren Tradition bis in das Mittelalter zurückreicht, am Berührungspunkt von Tiefebene und Gebirge und auch hier in erster Linie in Marktflecken mit entwickelter Industrie. Berühmt waren die Märkte von Debrecen, Gyula, Szatmár und Nagyvárad, die nicht nur für ganze Landesteile Anziehungskraft besaßen, sondern auch Handwerker und Händler von weit her heranführten; mitunter kamen Händler mit ihrem Fuhrwerk sogar aus dem Ausland.

In den Ortschaften mit Marktrecht wurde vom Mittelalter an im allgemeinen jährlich viermal Markt abgehalten, nach Möglichkeit immer an den gleichen Tagen des Jahres. Der Termin wurde zwar auch von den örtlichen Bedingungen beeinflußt, doch wichtig war früher vor allem, daß einer der Markttage auf den Tag des Schutzheiligen der Stadt fiel. Im wesentlichen paßten sich die Märkte an die Gegebenheiten des Wirtschaftslebens an. Unter diesem Aspekt hat die Forschung der letzten Jahre im Zusammenhang mit den Märkten in Siebenbürgen festgestellt, daß sich im Jahresablauf spezialisierte Marktperioden herausgebildet haben: Im Frühjahr, in den Monaten April bis Mai, wechselte vor allem das Vieh seinen Besitzer, noch bevor es auf die Weide getrieben wurde. Ende Juni, Anfang Juli war die Vorbereitungszeit auf die Ernte, dann wurden die zum Schnitt erforderlichen Geräte erworben. Im September und Oktober – noch vor der Umstellung auf den Winter – erfolgten Kauf und Verkauf der Feldfrüchte und des Viehs. Die Winterkleidung wurde in der ersten Hälfte des Monats Dezember erstanden. Die Frühjahrsmärkte brachten im allgemeinen den größten Umsatz.

Abb. 13. Grundriß des Marktgeländes.

Abb. 13. Grundriß des Marktgeländes.
Gyula, Kom. Békés, 1935.
1. Krämer; 2. Tischler und Polsterer; 3. Kürschner ; 4. Riemer und Seiler; 5. Kurzwarenhändler aus Gyula und Csaba; 6. Schnittwarenhändler; 7. Herrenschneider; 8. Kupferschmiede; 9. Tüpfer; 10. Süßwarenhändler; 11. Hutmacher; Kleinkramhändler; Korbflechter; Gläser usw.; 12. Pantoffelmacher: 13. Schlächter; 14. Fotografen; 15. Gaukler; 16. Altwarenhändler; 17. Lebküchler; 18. Schuhmacher

Abb. 14. Grundriß des Viehmarktes.

Abb. 14. Grundriß des Viehmarktes.
Gyula, Kom. Békés. 1894.
1. Tierpaßkontrolle; 2. Pferdemarktplatz; 3. Rindermarktplatz; 4. Schweinmarktplatz; 5. Zollamt; 6. Schlachthof; 7. Tierbad

Die Märkte teilten sich schon früh in zwei selbständige Bereiche. Die {G-126.} Warenmärkte, ungarisch kirakodó vásár (etwa: Auslegemarkt), wurden bis in die letzte Zeit in der Innenstadt abgehalten. Wenn der Platz nicht groß genug war, wich man auch auf die benachbarten Straßen aus. Die Handwerker und die von nah und fern auf ihren Fuhrwerken zum Markt kommenden Händler verkauften hier allerlei Artikel, die in den Dörfern und Marktflecken gebraucht wurden. Der Markt galt als ein Fest, an dem nicht nur die Gemeindeämter, sondern auch die Schulen geschlossen hatten, da bei dieser Gelegenheit die nötigsten Kleidungsstücke für die Kinder angeschafft wurden. Der Produkten- und Viehmarkt dagegen wurde schon im Mittelalter meist an die Peripherie der Siedlung verlegt, da die riesigen Viehbestände in der Innenstadt nicht genügend Platz gehabt hätten. Hier verkauften die Bewohner der Siedlung und der Umgebung die Produkte und das Vieh, und vom Gelderlös erwarben sie dann das Notwendige auf dem Warenmarkt. Zur Abwicklung dieser Geschäfte brauchte man natürlich Zeit, deshalb dauerten die bedeutendsten Märkte zwei bis drei Tage.

Der Platz für die Warenmärkte wurde von der Ortsbehörde bestimmt, die von den Händlern Standgeld kassierte. In früheren Zeiten durften die Plätze im allgemeinen in der Reihenfolge der Ankunft besetzt werden, doch in den letzten Jahrhunderten gruppierten sich die Handwerker und Händler nach Branchen an einer Stelle, wodurch Preisvergleiche viel leichter möglich waren. Die Standplätze unter den Verkäufern der gleichen Branche wurden entweder durch das Los oder nach alter Weise in der Reihenfolge der Ankunft bestimmt. Die größeren Händler schickten oftmals einen ihrer Leute vor, damit dieser den besten Verkaufsplatz sichern konnte.

Die meist mit eigenem Fuhrwerk kommenden Handwerker und Händler bemühten sich, bereits am Nachmittag oder am Abend vor dem Markttag am Ort einzutreffen, wo sie sogleich ihr Planzelt aufschlugen. Vorn wurde der Tisch aufgestellt, auf dem die kleineren Waren ausgebreitet werden konnten, während die größeren Stücke im hinteren Teil des Zeltes Platz fanden. Das Zelt mußte Tag und Nacht vor Dieben bewacht werden, weshalb der Meister oder einer seiner Gesellen dort schlief, während das Fuhrwerk auf dem Hof einer Herberge oder eines ortsansässigen alten Bekannten abgestellt wurde.

Nichts vermag den gesellschaftlichen Charakrer der Märkte besser zu verdeutlichen als die Tatsache, daß die Mehrheit der Besucher weder Kauf- noch Verkaufsabsichten hatte. Man erschien lediglich, um sich mit Bekannten, Freunden und entfernter wohnenden Verwandten zu treffen und um sich über die Preise zu informieren. Dennoch schickte es sich auch für diese Schicht nicht, ohne ein Geschenk, das sogenannte vásárfia (Marktgeschenk, Mitbringsel), das sowohl den Kindern als auch der Ehefrau zustand, nach Hause zurückzukehren. Die Kinder bekamen meist einen Feitel (Klappmesser), eine Pfeife, Süßigkeiten, Lebkuchen oder Spielzeug, während für die Frauen und Mädchen ein Tuch, Schmuck, ein Rosenkranz, Brezeln oder Plätzchen gekauft wurden. Die Markthändler, die solche und ähnliche Waren feilboten, traf man meist im Zentrum des Marktes an, wo sie ihre Sachen mit lauter Stimme und nicht selten gereimt anpriesen. Hier gingen in der Regel auch die fliegenden Händler umher, die selbst dann Bosniaken {G-127.} genannt wurden, wenn sie einer anderen Nation angehörten. Die auf ihrem Bauchladen ausgebreiteten Waren – Schmuck, Klappmesser, Spiegel, Ketten und manchmal Uhren – lockten viele Käufer an.

44. Kuhglockenmarkt auf der Pußta Hortobágy (Der sitzende Verkäufer tragt einen Guba [Mantel] aus zottiger Wolle)

44. Kuhglockenmarkt auf der Pußta Hortobágy (Der sitzende Verkäufer tragt einen Guba [Mantel] aus zottiger Wolle)

Als die Angesehensten auf den Märkten galten die Händler der verschiedenen Bekleidungsartikel, unter ihnen wiederum vor allem die Bauernpelzverkäufer und die einer Zunft angehörenden Kürschner, die sowohl kurze wie lange Schafpelzmäntel anboten. Die Guba-Schneider handelten mit Bauernmänteln aus Flausch, meist schaffellverbrämt, für Männer, Frauen und Kinder. Die Tuchschneider brachten vor allem Kleidungsstücke und Anzüge aus Tuch auf den Markt. Stiefel wurden sowohl von der Stange wie auch in Verkaufszelten angeboten. Die Stiefelmacher, die kein Zelt auf dem Markt aufgeschlagen hatten, hängten die Stiefel über eine Stange; bei ihnen konnte man etwas billiger kaufen. Die Pantoffelmacher legten ihre Waren meist auf dem Erdboden aus, ebenso die Töpfer. Auch das Zelt der Hut- und Mützenmacher wurde von vielen besucht, um eine zeitgemäße und der Jahreszeit entsprechende Kopfbedeckung zu erstehen. {G-128.} Am Rand des Jahrmarkts ließ sich der Flohmarkt nieder, wo gebrauchte Kleidungsstücke abgesetzt wurden.

Einen bedeutenden Platz auf dem Jahrmarkt nahmen die Tischler ein. Dem Geschmack der Umgebung entsprechend stellten sie alle zur kompletten Stubeneinrichtung gehörenden Möbelstücke auf. Den höchsten Umsatz erzielten sie dabei mit Truhen, denn die waren im Haushalt am meisten erforderlich und wurden am schnellsten abgenutzt. Betten, Tische und Bänke wurden seltener gekauft, da diese gut zwei Menschenalter hielten. Die Seiler und Riemer boten die zum Einspannen der Tiere erforderlichen Halfter, das Zaumzeug und das Geschirr an. Die Kupferschmiede stellten ihre Gefäße in der Regel in einer langen Reihe auf.

Der Markt befriedigte nicht nur die materiellen Bedürfnisse, sondern bis zu einem gewissen Grad auch die geistigen. So brachten die Buchhändler ihre Bücher – meist eigene Ausgaben – auf den Markt. Den größten Absatz erzielten hierbei die Gebetbücher, die romanhaften Histörchen und allen voran die Kalender. Letztere enthielten nämlich nicht nur interessante Beiträge und Erzählungen, sondern auch Wettervorhersagen sowie die Orts- und Zeitangaben der großen Märkte. Konkurrenten der Buchhändler waren jene Händler, die ihre Hefte nicht in Zelten, sondern im Freien, auf ausgebreiteten Matten oder Planen feilboten. Sie handelten mit Betyaren-, Räuber- und Heldengeschichten, die man zusammenfassend ponyva-Literatur nannte nach dem ungarischen Wort für Plane (ponyva), eine heute noch gebräuchliche Bezeichnung für Kolportage- beziehungsweise Schundliteratur. Ein besonderer Platz gebührte in dieser Kategorie den Moritatensängern, die ein erfundenes oder tatsächliches, möglicherweise aktuelles Ereignis – Raub, Mord oder ähnliches – in Reimen zum besten gaben. Diese Reimgeschichte ließ man irgendwo in der Provinz drucken und vertrieb sie dann – nachdem man Teile daraus vorgetragen hatte – auf den Märkten.

Vorläufer dieser Händler waren bis zu einem gewissen Grad die Bänkelsänger, die Bilder von Moritaten zeigten und zu jedem Bild mehr oder weniger lange Verse rezitierten, wofür sie dann von den Umherstehenden ein paar Kreuzer einsammelten. Die Herkunft einiger neuzeitlicher Balladen läßt sich mit dem Wirken der Bänkelsänger in Verbindung bringen.

Auf den Märkten in Siebenbürgen und zum Teil in Westungarn hatten auch Glasmaler Marktstände; sie handelten vorwiegend mit Heiligenbildern. Später kamen die papiernen Wandschoner auf, die mit ihren platten, unkünstlerischen Darstellungen zu der am Ende des vergangenen Jahrhunderts einsetzenden Verflachung der bäuerlichen Dekorationskunst beitrugen.

Die Schausteller und Gaukler waren meist an einer bestimmten Stelle des Marktes anzutreffen. Das Karussell mit Reit- und Fahrsitzen für die Kinder fehlte hier beinahe niemals. Es wurde auch von Kindern gedreht, die sich als Gegenleistung dafür nach vier bis fünf Runden auch selbst einmal daraufsetzen durften. Auch der Zirkus bemühte sich darum, sein Zelt nach Möglichkeit schon einen Tag vor Marktbeginn aufzustellen. Dann zog man mit klingendem Spiel durch die Ortschaft, {G-129.} um auf seine Ankunft aufmerksam zu machen. Der Bärenführer führte an einem Nasenring seinen Tanzbären, der zum Trompetenschall, meist unfreiwillig, tanzähnliche Bewegungen vollführte. Die Wahrsager weissagten mit Hilfe eines Wahrsagekalenders, und die Losverkäufer ließen einen Papagei oder ein Meerschweinchen aus einem Kasten Glückszettel ziehen, wovon der Zahlende seine Vergangenheit und noch mehr seine Zukunft ablesen konnte.

Unter den Produktenmärkten hatten die Getreidemärkte die größte Bedeutung. Sie fanden vor allem im Herbst statt, doch auch im Frühjahr wurde Getreide gehandelt, denn wer das Korn bis dahin halten konnte, vermochte einen höheren Preis zu erzielen. Meist hatten diese Märkte ihre festen Plätze, worauf bis zum heutigen Tage die Bezeichnung Kornmarkt (Búza-piac) in vielen Städten (Kronstadt, Miskolc, Nyíregyháza usw.) hinweist. Der Käufer langte tief in die Getreidesäcke auf dem Fuhrwerk hinein, um sich zu vergewissern, daß die besten und saubersten Körner nicht nur obenauf lagen. Wenn der Kauf zustande kam, lud der Käufer die Säcke auf sein Fuhrwerk um. War er ein Ortsansässiger, brachte ihm der Verkäufer das Korn ins Haus, wonach eine kleine Bewirtung nicht ausbleiben konnte. Für die verschiedenen anderen Produkte (Heu, Schilf, Wolle usw.) waren andere Marktplätze festgelegt.

45. Viehmarkt auf der Pußta Hortobágy

45. Viehmarkt auf der Pußta Hortobágy

Um die Viehmärkte außerhalb der Siedlung wurde gewöhnlich ein Graben gezogen, damit die Tiere nicht durchgehen konnten. Obendrein war das Viehmarktgelände noch unterteilt: Rinder, Pferde, Schafe {G-130.} und Schweine bekamen einen besonderen Platz zugewiesen, weil sie sich zusammen nicht vertrugen. Das Vieh wurde größtenteils auf den Markt getrieben, einige Tiere führte man, während die Ferkel und die gemästeten Schweine auf überspannten Fahrzeugen transportiert wurden. Am Rand des Marktplatzes errichtete man eine Viehpaßstelle, wo der schriftliche Teil des Viehverkaufs abgewickelt wurde. Hier befand sich auch meist eine Schmiedewerkstatt, und ebendort ließen sich Garköche nieder. Hier wurden auch die Fuhrwerke, Leiterwagen und im Winter die Schlitten verkauft, und hier konnten die Hersteller von landwirtschaftlichem Gerät (Pflug, Egge, Mistgabel, Harke usw.) ihre Erzeugnisse am leichtesten absetzen.

Die Besucher der Viehmärkte im Gebirge und in den Pußtagebieten waren in der Hauptsache Hirten, die mit ihrer Familie kamen, damit ihre Töchter Gelegenheit hatten, einen heiratswilligen Hirten kennenzulernen. Die am Alexius-, Elias- und Wendelintag abgehaltenen Märkte galten gleichzeitig auch als Hirtenfeste, wo man bei Tanz und Vergnügen bis in die späte Nacht beisammen war. Auf den Viehmärkten zu Michaeli und am Demetrii wurden die Hirten, die zu dieser Zeit ihre Hirtenausrüstung und fehlende Kleidungsstücke kauften oder Stöcke und Peitschen tauschten, in Dienst genommen.

Das Viehtreiben über große Entfernungen erforderte Tüchtigkeit und Fachkenntnisse. Die Viehtreiber hatten bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts für den Viehhandel große Bedeutung, bevor sie von der Eisenbahn immer mehr verdrängt wurden. Das Wissen der Viehtreiber wurde innerhalb der Familie vom Vater an den Sohn weitergegeben. Auch in dieser Berufsgruppe bildeten sich unterschiedliche Schichten heraus. Die Armeren unter ihnen standen ihr ganzes Leben lang bei anderen in Diensten und trieben das von den Händlern gekaufte Vieh oft über eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern. Andere verschafften sich ein kleines Kapital und konnten so das aufgekaufte Vieh mit größerem Nutzen weiterverkaufen, weil sie immer genau wußten, auf welchem Markt ein höherer Preis zu erzielen war. An einem Tag legten sie bis zu dreißig Kilometer zurück, und währenddessen mußten sie ständig darauf achten, daß das Vieh in der Saat und in Schonungen keinen Schaden anrichtete. Gleichzeitig mußten sie es aber auch vor Raubtieren, Dieben und Räubern schützen. Die Bauernschenken, Tscharda genannt, wurden dort errichtet, wo die Viehtreiber mit ihren Herden vorbeikamen. Zwei Schenken lagen im allgemeinen nur so weit auseinander, daß die Entfernung zwischen ihnen an einem Tag zurückgelegt werden konnte. Hier gab es des öfteren auch einen Hürdenschlag, der das Vieh vor dem Entlaufen bewahrte, aber trotzdem wachten die Viehtreiber ständig über die Herde, da ihr stets und überall Gefahr drohte.

Charakteristische Figuren auf den Märkten waren die Roßtäuscher (kupec), die Pferde meistens im Auftrag eines anderen kauften und verkauften. Oft handelte es sich um Zigeuner, die in Scharen kamen. Sie kannten die Eigenschaften der Pferde ausgezeichnet, wußten genau, was sie wert waren, und verstandem es immer abzuschätzen, an wen und zu welchem Zweck sie das ausersehene Tier weiterverkaufen konnten. Die Zigeuner-Roßtäuscher arbeiteten zusammen und hatten ihre {G-131.} Finten, um beim Kauf den Preis zu drücken. Beim Verkauf wiederum verstanden sie es, den Käufer durch verschiedene Praktiken und Methoden zu täuschen.

Auf dem Markt mußte um alles gefeilscht werden. Nur ein Narr zahlte den genannten Preis, hatte doch der Verkäufer seinerseits den Preisnachlaß einkalkuliert. Der Wareneigentümer nannte erst einen Preis für den betreffenden Artikel. Darauf antwortete der Käufer zumeist überhaupt nicht, womit er zu verstehen gab, daß er diesen Preis für zu hoch hielt, und ging weiter. Wenn er die Ware jedoch kaufen wollte, kam er wieder zurück. Erkannte ihn der Verkäufer wieder, ließ dieser ihn ein Angebot machen. Dann begann das Feilschen, das von mehreren Zuschauern mit Interesse verfolgt wurde. Diese Phase des Handelns dauerte so lange, bis sich die Angebote von Verkäufer und Käufer einander genähert hatten. Dann wurde die Differenz meist halbiert und der Handel durch Handschlag abgeschlossen.

Nach dem Viehverkauf kam es immer, nach dem Absatz einer größeren Produktenmenge des öfteren zu einem Kauftrunk, der auf Kosten des Verkäufers ging. Zum Kauftrunk auf dem Markt bedurfte es eines Platzes, wo man sich hinsetzen und ausruhen konnte. Eine solche Möglichkeit war auf den ungarischen Märkten in den Garküchen gegeben, die meist in kleineren oder größeren Zelten am Rand des Marktes untergebracht waren. Hier wurde den Gästen gebratenes Fleisch und Bratwurst serviert, wozu auch verschiedene Sorten Wein bestellt werden konnten. Die Garküche wurde gewöhnlich vom Wirt und dessen Frau betrieben, die kochten, brieten und bedienten. Die Garküchenwirte gehörten zu den ärmeren Leuten, deren Vorräte meist nur für einen Markttag reichten; so zogen sie mitunter im eigenen, meist jedoch im gemieteten Fuhrwerk von Ort zu Ort. Im allgemeinen betrachteten sie diese Tätigkeit als vorübergehende Beschäftigung und waren bestrebt, ein wenig Geld zu sparen, um eine Tscharda oder ein Wirtshaus zu pachten und später eventuell käuflich zu erwerben.

Auch den Gasthäusern, Wirtshäusern und Abstellplätzen für Fuhrwerke kam auf den Märkten eine große Bedeutung zu. Die Fuhrwerke wurden in riesigen offenen Wagenschuppen auf dem Hof der Wirtschaft untergestellt. War Platz vorhanden, kamen die Pferde in den Stall, fraßen aber mitgebrachtes Futter, oder sie wurden vom Gesinde des Gasthofes mit allem versorgt. Von morgens bis abends musizierten im Wirtshaus Zigeuner, und in einem fort wurden warme Speisen aufgetragen, während andere zum bestellten Wein aus dem Proviantsack ihren Hunger stillten. Vielerorts bildeten sich dabei besondere Gastfreundschaften heraus. Die Marktfahrer stiegen immer wieder bei demselben Quartierwirt ab, und beide wurden gute Freunde. In den Marktflecken, in denen die Dorfkinder die Mittelschule besuchten, nahmen die Quartiergeber der Kinder auch deren Eltern während der Marktdauer auf. Mit reichlich mitgebrachten Lebensmitteln verstanden es diese, sich für die erwiesene Gastfreundschaft dankbar zu zeigen.

Die primäre Funktion der Märkte war zweifellos der Produktentausch, der durch die Arbeitsteilung bedingt war. Doch kam dem kulturellen Einfluß des Marktverkehrs eine ebenso große Bedeutung {G-132.} zu. So konnte durch den Warenaustausch eine Kompensation zwischen den großen Territorien beispielsweise in den Trachten, nicht selten auch in den Produktionsinstrumenten zustande kommen. Die Marktfahrer hörten neue Nachrichten, erfuhren zum ersten Mal von dem einen oder anderen bedeutenden Ereignis, das ihnen in Versen, in Wort und Schrift zur Kenntnis gebracht wurde. Sie hatten Gelegenheit, mit Büchern in Berührung zu kommen; sie kauften den Kalender, lange Zeit hindurch eine der wichtigsten geistigen Quellen der Bauernschaft. Die Märkte – ebenso wie die Kirchweihfeste – haben bis in die letzten Jahrzehnte hinein als Treffpunkt der mehr oder weniger voneinander unterschiedenen Volksgruppen, mitunter auch der anderssprachigen Nationalitäten beim Austausch der materiellen und geistigen Kulturgüter eine außerordentlich große Rolle gespielt.