{G-161.} Dachkonstruktion und Dachbedeckung

Wohnhäuser ohne Dachboden sind im ungarischen Sprachgebiet unbekannt, doch gibt es Wirtschaftsgebäude, die mit waagerecht gelegten Balken gedeckt sind, worauf 2–3 Meter hoch Stroh oder Heu geschichtet wird (Hühnerstall, Miete usw.). Schon in der frühesten Zeit dürften die ungarischen Häuser Dachstuhl und Dach gehabt haben, worauf die kaum noch gebrauchten Wörter héj (Dach) und hiu (Dachboden) deuten, die beide ugrischer, vielleicht finnougrischer Herkunft sind.

Hinsichtlich des Daches ungarischer Wohnhäuser sind drei Gruppen klar zu unterscheiden: das Pfettendach, das Sparrendach und das Kehlbalkensparrendach. Selbstverständlich gibt es in allen drei Gruppen auch Varianten.

Abb. 29. Die häufigsten Formen der Dachkonstruktion im ungarischen Sprachraum im 19. und 20. Jahrhundert.

Abb. 29. Die häufigsten Formen der Dachkonstruktion im ungarischen Sprachraum im 19. und 20. Jahrhundert.
1. Firstpfosten-Pfetten- ; 2. Halbfirstpfosten-Pfetten- ; 3. Scherenpfosten-Pfetten- ; 4. Sparrendach; 5. Seitenpfettenkonstruktion

Das Wesen des Pfettendachs besteht darin, daß ein Längsholz (die Pfette) unter dem First entlangläuft, das Gewicht des Daches trägt und somit die Wände vom Seitendruck entlastet. Daher begegnet man dieser Dachkonstruktion vornehmlich bei Flechtwerk- und Lehmbauten. Bei der ältesten und zugleich verbreitetsten Form ruht die leichte, meist aus Nadel- oder Lindenholz gezimmerte Pfette auf zwei Gabelhölzern (Firstsäulen), die an den beiden Enden des Hauses in den Boden gerammt sind. Ist das Gebäude besonders lang, kann auch noch in der Mitte ein Gabelholz stehen. An die Pfette werden Dachhölzer (Roofen) gehängt, die manchmal auf der Wand selbst, in der Regel aber auf dem Kronbalken (auch Lehmbalken – sárgerenda genannt) ruhen. Das ganze Haus entlang verläuft, dieses in zwei gleiche Teile teilend, in gleicher Höhe wie der Kronbalken der Unterzug, ein verhältnismäßig junges Element des Dachstuhls.

Es sind noch andere Stützen der Pfette bekannt, die alle vermutlich jüngeren Ursprungs sind. So gibt es die Halbgabelhölzer (verkürzte Firstsäulen, die sich entweder auf den kürzeren Kronbalken oder auf das Ende des Unterzugs stützen. In letzterem Fall müssen sie Stützen im Mauerwerk haben, um der Belastung standzuhalten. In Nordungarn, wo die Palotzen beheimatet sind, ist eine besondere Form der Abstützung bekannt, die Boldoganya (selige Mutter) genannt wird; wahrscheinlich besteht hier ein Zusammenhang zum Hauskult. In Gegenden, wo die Häuser aus Stein gebaut sind, liegt die Pfette von der Giebelwand getragen auf dem First und bedarf keiner weiteren Abstützung. Schließlich kann die Pfette auf einem Scherenstuhl (Andreaskreuzen) stehen, was vor allem im westlichen Ungarn verbreitet war, doch ist diese Bauweise in den letzten hundert Jahren auch nach Osten bis in die Tiefebene vorgedrungen. Die beiden langen Enden der Schere werden auf einen senkrecht in den Kronbalken eingelassenen Träger gestützt, während die oberen kürzeren Enden die Pfette umfassen, und darüber treffen sich dann die in den Kronbalken verzapften Roofenpaare.

Dank dieser doppelten Befestigung ist das Dachgerüst besonders stabil. Die Technik wurde wahrscheinlich aus dem slowenischen Gebiet übernommen, sie fand in Ungarn auch deshalb schnell Verbreitung, weil es immer schwieriger wurde, große Baustämme für die Gabelpfosten zu beschaffen.

Pfettendächer sind bereits seit der Jungsteinzeit bekannt. Das ungarische Wort für Pfette – szelemen – ist slawischen Ursprungs, doch dem Klang nach dürfte es ein sehr frühes Lehnwort sein; möglicherweise {G-162.} sind die Ungarn bereits in den südrussischen Steppen mit dieser Form des Dachwerks bekannt geworden, die übrigens noch heute bei den Südslawen ebenso wie in der Ukraine verbreitet ist und auch von Polen, Slowaken und Tschechen angewendet wird. Diese Tradition der ungarischen Bauernarchitektur weist also auf östliche Beziehungen hin. Heute findet man Pfettendächer nur noch hier und da bei alten Bauernhäusern oder ländlichen Wirtschaftsgebäuden.

Das Sparrendach dürfte ursprünglich ein Element des Holzbaus gewesen sein, verbreitet dort, wo ausgedehnte Wälder die Entwicklung einer hochstehenden Zimmermannstechnik gestatten. Die Sparrenpaare in der Form eines umgekehrten V ruhen auf den Kronbalken und werden im oberen Drittel durch Kehlbalken oder sogenannte Hahnenbalken zusammengehalten. Hat das Haus einen Laubengang, so ist der Sparren auf dieser Seite länger, reicht also über die Wand hinaus und ermöglicht die Überdachung auch des Laubenganges. Werden am Hausende Ecksparren gesetzt, so kann ein Schopfwalm gestaltet werden, vor allem, um die Hausfront gegen Regen zu schützen. Im Gebiet der Palotzen wurde zunächst ein breites, später nur noch ein schmales Wetterdach gebaut. Das Sparrendach kam sicherlich aus dem Westen nach Ungarn und fand besonders in den auf Holzbau eingerichteten Gebieten, so in Siebenbürgen und im Hochland (Slowakei), Verbreitung. In letzter Zeit hat es sich praktisch im ganzen ungarischen Sprachgebiet durchgesetzt.

Das Kehlbalkendach – als Sparrendach mit stehendem Stuhl – gelangte verhältnismäßig später in die ungarische Bauernarchitektur und ist wenig verbreitet. Die Sparren werden bei dieser Dachkonstruktion beidseitig durch Stuhlsäulen gestützt, die oben von Binderpaaren zusammengehalten werden. Dort, wo sich Stuhlsäulen und Binderpaare treffen, verläuft in der Längsachse des Hauses die sogenannte Mittelpfette. Dieses Dachwerk und seine komplizierteren Formen setzen eine höhere Zimmermannsfertigkeit voraus.

Hat der Zimmermann das Dach aufgerichtet, folgt das Dachdecken – im ungarischen Sprachgebiet wieder den Naturgegebenheiten folgend – mit Stroh, Rohr, Schindeln und in neuerer Zeit auch Dachziegeln (Schiefer, Blech usw.).

Am verbreitetsten waren lange Zeit Strohdächer, wobei man zwischen dem von Pferden ausgestampften Wirrstroh (szalma) und dem mit Flegeln gedroschenen Schaubstroh (zsup) unterschied, je nachdem, welche Art des Dreschens in der betreffenden Gegend verbreitet war. Heute sind Stroh- oder Schaubendächer praktisch verschwunden, höchstens im Osten und vereinzelt im Westen des ungarischen Sprachgebiets gibt es noch einige derartige Dächer. Strohdächer wurden wegen erhöhter Feuergefahr auch behördlicherseits verboten.

Bevor man ans Dachdecken ging, wurden quer über die Sparren Latten genagelt und an den Enden, stellenweise auch an den Seiten der Sparren Holznägel befestigt. Auf diese Latten legte man zunächst Erbsenstroh (in Ostungarn) oder Hirsestroh (in Westungarn), die eine feste Grundlage abgaben. Darauf folgte die Strohlage; zu einem Haus mit steilerem Dach wurden 15 bis 20 Fuhren Stroh benötigt. Das Stroh wurde schichtweise festgestampft, um kompakte Lagen zu erhalten, {G-163.} und schließlich mit der Harke geglättet, damit das Regenwasser abfließen konnte. Da die meisten strohgedeckten Häuser keinen Schornstein hatten, zog der Rauch durch das Dach, „zementierte“ gleichsam das Stroh und formte es zu einer festen Masse. Wollte man ein solches Dach abreißen, konnte man es nur mit der Axt aufschlagen. Ein gut gefertigtes Strohdach überdauerte mit geringfügigen Reparaturen gut hundert Jahre.

Abb. 30. Methoden der Abstützung der Pfette (Firstbalken).

Abb. 30. Methoden der Abstützung der Pfette (Firstbalken).
Ende 19. Jahrhundert,
1. Ausschließlich mit Scherenstütze; 2. zumeist Scherenstütze; in wenigen Fällen Gabelstütze; 3. Scheren- und Gabelstützen: 4. zumeist Gabelstützen, selten Scherenstützen; 5. ausschließlich Gabelstützen; 6. Giebelwand

Wollte man Schaubstroh zum Dachdecken gewinnen, band man die Garben beim Drusch nicht auf, sondern drosch sie zusammengebunden aus, ließ sie über den Winter lagern, drosch und schüttelte sie dann noch einmal. Je zwei Garben bildeten einen Schaub. Damit nun konnte man das Dach auf zweierlei Art decken: Entweder wurde die aufgebundene Garbe mit den Ähren nach oben ausgebreitet und in Abständen von 5 bis 6 Zentimetern mit Zweigen beziehungsweise später in Abständen von 50 Zentimetern mit Draht an den Latten befestigt. Die nächsten Schichten folgten jeweils mit etwas höherem Ansatz. War das Stroh entsprechend aufgetragen, wurde es mit einem speziellen Holzgerät so lange geklopft, bis es gleichmäßig auflag. Das andere Verfahren war komplizierter. Die ausgedroschenen Garben wurden nämlich gebündelt, wobei einige Bündel oben mit einem runden Vorsprung versehen, andere zweigeteilt wurden, ohne daß in der Mitte ein Vorsprung gewunden wurde. Bündel von jeweils entgegengesetzter {G-164.} Form wurden an den Rändern, am Ende und zum Anfüllen der Mitte verwendet. Wegen der hohen Feuergefahr versuchte man im 18. Jahrhundert, das Strohdach mit Lehm zu verschmieren, doch setzte sich diese Art nicht überall durch. Hier und dort ist es dagegen Brauch, die Schaubenbündel mit feuchter Erde zu beschmieren, damit sie sich nicht so leicht entzünden können. Am Firstende wurden die Nachbildung eines Menschenkopfes, eine Tierfigur, ein Stern oder ein Kreuz aus Stroh angebracht; ursprünglich hatten diese Figuren wohl die Bestimmung, Dämonen fernzuhalten.

In Sumpf- und Überschwemmungsgebieten nutzte man vor allem Schilfrohr zum Dachdecken. Da aber – besonders vor der Regulierung der Flüsse – in der Tiefebene und auch in Westungarn sehr viel Rohr wuchs, verbreitete sich das Rohrdach auch sonst zunehmend, so daß auch heute noch sehr viele Häuser mit Rohrdach zu finden sind. Im Bodrogköz ist eine ältere und eine jüngere Form des Rohrdaches bekannt. Bei der älteren wurde das Auftragen und Ausbreiten der Garben unten begonnen und nach oben fortgesetzt; die Garben wurden mit Zweigen an den Latten befestigt. Das untere Ende der nächsten Garbe lag etwa auf dem Bund der unteren Garbe, so daß ein Dach in der Regel aus vier Reihen bestand. Auch nach Fertigstellung blieb das Dach abgestuft. Der Ortgang wurde mit Schilf gesäumt, oder man nagelte in der Form eines umgekehrten V zwei Bretter an. Das neuere Verfahren unterscheidet sich von dem älteren dadurch, daß die Stufen von unten nach oben fortschreitend mit einem Gerät flachgeklopft werden. Dadurch wird das Dach nicht nur ansehnlicher, sondern auch kompakter, so daß das Regenwasser nicht durchdringen kann.

Die verschieden geformten Schindeln als Dachdeckung sind natürlich eng mit dem Holzbau verknüpft. Kleinere Schindeln werden gespalten, auf einer Seite eingekerbt und in die Kerbe die verjüngte Kante der nächsten Schindel geschoben. Jede einzelne Schindel wird an die Latten genagelt. Bei den Szeklern in einigen Teilen Siebenbürgens werden als Dachbedeckung meterlange, dicke Buchenbretter übereinandergelegt und befestigt.

In einigen Palotzendörfern sind die Dächer mit Schieferplatten gedeckt, die meist in der Nähe gebrochen wurden. Neuere Dachdeckermaterialien, wie Dachziegel, fabrikmäßig hergestellte Schieferplatten und Blech, verdrängten besonders in unserem Jahrhundert zunehmend die überlieferten Verfahren des Dachdeckens.