Haus und Hof in Süd- und Westungarn

Zu Südwestungarn gehört das südlich vom Balaton gelegene, bis zur Drau reichende, einst stark bewaldete Hügelland. Es war dicht besiedelt. In den meist kleinen Ortschaften mit wenigen Einwohnern gab es stellenweise die aus zwei Teilen, dem Wohnhof und dem gesonderten Wirtschaftshof, bestehende Siedlungsform, die sich teilweise bis in die jüngste Zeit erhalten hat. Die meisten Dörfer waren mit Ausnahme der im 18. Jahrhundert errichteten Neusiedlerdörfer Haufendörfer, die erst in der ersten Hälfte des i9. Jahrhunderts durch Regulierung der Besitzverhältnisse in Gemarkung und Dorf zu Straßen- und teilweise Reihendörfern wurden. Im i9. Jahrhundert, hier und da sogar noch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, wurde ein großer Teil der landwirtschaftlichen Arbeit im getrennt gelegenen Scheunenhof verrichtet; nur die wichtigsten und wertvollsten Endprodukte, vor allem Lebensmittel, bewahrte man in Haus und Hof auf.

Einst war Holz hier der wichtigste Baustoff, doch haben die zu Bohlenständerbauten verwendeten Flechtwerkwände immer eine große Rolle gespielt. Die auf mächtigen Schwellen ruhenden Gebäude besaßen fast ausnahmslos ein Schaubendach, am Balaton sowie in Flußniederungen und Sumpfgebieten ein Schilfdach. Die Lehmbauweise ist hier neueren Datums, Lehmziegel werden erst seit etwa hundert Jahren allgemein verwendet. In den Komitaten Somogy und Baranya kannte man eine Bauweise mit Stabwerkwänden. Vermutlich hat man früher in diesem Gebiet auch Rasenziegel (Erdschollen) als Baumaterial bevorzugt ; sogar Backöfen wurden daraus errichtet. Die ausgestochenen Erdschollen fügte man in Backofenform zusammen und bestrich sie außen mit Lehm, der mit Hilfe von Brettern angepreßt wurde. Sobald der Lehmüberzug trocken war, wurden die Bretter entfernt; vorn schnitt man eine Öffnung für die Feuerung und zum Einschieben der Brotlaibe ein.

85. Wirtschaftsgebäude und Wohnhaus

85. Wirtschaftsgebäude und Wohnhaus
Szalafõ, Pityerszer, Kom. Vas

Abb. 51. Grundriß eines Wohnhauses mit Laubengang.

Abb. 51. Grundriß eines Wohnhauses mit Laubengang.
Zádor, Kom. Baranya, 19. Jahrhundert.
1. Kammer; 2. Küche; 3. Wohnzimmer

Das Kernstück des westungarischen Wohnhauses war die Feuerstelle, sie bestimmte Grundriß und Einteilung des Hauses. Ursprünglich bestand das Haus nur aus einem Raum. Auf der einen Seite des Raumes befand sich die runde, stellenweise auch eckige Feuerstelle mit einer Lehmbank, darüber baumelte an einem Balken ein kupferner Kessel. {G-193.} Dieser Raum war in erster Linie Aufenthaltsort des Altbauern und seiner Frau, während die jungen Leute in einer getrennten Schlafkammer am Haus schliefen. Dieses „Kohlenhaus“ mit der offenen Feuerstelle wurde später zu einem separaten Raum im Haus, behielt aber den Namen, um so mehr, als im Ungarischen Haus und Stube mit demselben Wort (ház) bezeichnet werden. Wie urtümlich die „Kohlenstube“ ist, zeigt auch der ungarische Brauch der Brautwerbung, bei dem der Vater und der Pate des werbenden Burschen an drei aufeinanderfolgenden Tagen in der „Kohlenstube“ empfangen und erst danach in die (gute) Stube geführt wurden. Auch die Tatsache, daß beide Räume eine Tür ins Freie hatten, zeigt, daß sie zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden sind. Auf dieser Entwicklungsstufe gab es in der Stube bereits einen geschlossenen Ofen, der von der Küche aus beheizt wurde. Mit der weiteren Entwicklung des Hauses wurde auch an der anderen Seite der Küche noch eine Kammer angebaut, wodurch vielfach die getrennt stehende Schlafkammer auf dem Hof oder ein Teil der Kammer überflüssig wurden.

86. Wohnhaus

86. Wohnhaus
Szalafõ, Pityerszer, Kom. Vas

Das aus einem Raum bestehende „Kohlenhaus“ weist Beziehungen zum balkanischen Haustyp und gewisse römerzeitliche Züge auf. Balkanische Züge zeigen nicht nur die Herdform, sondern auch das Zubehör (Backglocke, Kupferkessel usw.). Mit der Verbreitung der verschiedenen {G-195.} Formen von Kachelöfen und der Entwicklung der Grundrißaufteilung des Hauses haben andererseits die Ungarn ihre südlichen Nachbarn beeinflußt. Diese Form des Hauses, die viele archaische Züge bewahrt, wird in der ungarischen ethnographischen Literatur als pannonisch-balkanische Form bezeichnet.

Die größten Wirtschaftsgebäude dieser Gegend waren die inner- oder außerhalb der Siedlungen stehenden Scheunen auf massivem Sockel mit Flechtwerkwänden. Im Ormánság wurde vermutlich erst in neuerer Zeit eine Hälfte der Scheune als Stall benutzt. Die mächtigen Maiskörbe, das heißt Speicher mit Flechtwerkwänden, sind im ganzen Gebiet zu finden, die schönsten im Komitat Somogy.