{G-202.} Ländliche Bauweise in der Tiefebene

Abb. 56. Haus mit Laubengang und dessen Grundriß.

Abb. 56. Haus mit Laubengang und dessen Grundriß.
Bihartorda, Kom. Bihar. Anfang 20. Jahrhundert.
Gute Stube; Küche; Wohnzimmer

Die Tiefebene ist die größte Region mit einheitlicher Bauernarchitektur; zu ihr gehören auch die südlichen Ausläufer der Tiefebene, und über den nördlichen Raum Westungarns hinweg erstreckt sie sich bis zur kleinen Tiefebene. Es ist ein Flachland, das lediglich am Rande sanfte Hügel aufweist. In frühester Zeit waren dies größtenteils Überschwemmungsgebiete mit ständigem Sumpfland; zwischen Donau und Theiß sowie im Nyírség überwog der Sandboden. Diese natürlichen Faktoren, zu denen auch ein sehr kalter Winter, ein heißer Sommer und der geringste Niederschlag im ganzen Karpatenbecken gehören, haben die Bauweise stark beeinflußt.

Unter den Dörfern und Städten repräsentieren die Heiduckenstädte (hajdú városok) östlich der Theiß noch heute die klassische Form des zweigeteilten Siedlungstyps mit Wohnhof und Wirtschaftshof. In dem einst von den Türken besetzten Gebiet blieben nur wenige Dörfer bestehen, wobei ein Teil später allerdings neu angelegt wurde. Deshalb gibt es hier so viele Straßendörfer, denn die neuen Siedler mußten nach der neuen Ordnung bauen.

93. Wohnhaus

93. Wohnhaus
Komádi, Kom. Hajdú-Bihar

Abb. 57. Längsschnitt eines Wohnhauses.

Abb. 57. Längsschnitt eines Wohnhauses.
Bihartorda, Kom. Bihar, Anfang 20. Jahrhundert.
In der Küche befindet sich ein Herd aus gestampftem Lehm; die Bauernöfen in den Zimmern werden von der Küche aus geheizt. Über einem der Öfen ist eine Trockenstange angebracht

Abb. 58. Heizbarer Stall.

Abb. 58. Heizbarer Stall.
Karcag-Berek, Kom. Szolnok, 1851

Die architektonische Geschichte dieser Region ist durch archäologische Ausgrabungen bestens bekannt. Vom 10. bis 13. Jahrhundert hat man hier halb in die Erde versenkte, aus einem einzigen Raum von 10 bis 12 m2 Fläche bestehende Häuser gebaut. In der {G-203.} einen Ecke des Raumes stand manchmal ein ebenerdiger Ofen, wie Ausgrabungsfunde belegen. Meistens befand sich der Backofen aber in jener Zeit außerhalb des Hauses, im Freien. Aus dem 13. Jahrhundert haben die Archäologen schon zweiräumige Dorfhäuser mit Ziegelsteinfundament ermittelt. Eines der archäologisch nachgewiesenen Häuser hat wahrscheinlich Flechtwerkwände besessen und ragte zum größten Teil aus der Erde heraus. Von diesem Zeitpunkt an gibt es immer mehr Hinweise für Bauernhäuser mit zwei und später drei Räumen.

Als Baustoff diente in der Tiefebene vor allem Erde. Frühzeitig verwendete man Flechtwerkwände, ihnen folgten die Wände mit Füllung aus gestampften, schwalbenschwanzartig verbundenen Erdschollen; all diese verdrängten in neuerer Zeit Lehmziegelwände. Das Dach war ein Roofendach; die Pfette wurde von zwei oder drei Gabelhölzern getragen. Zum Dachdecken wurde vor allem Schilf verwendet, stellenweise Rohr oder Riedgras. Vereinzelt gab es auch Strohdächer, allerdings aus gestampftem Stroh, denn nur dieses stand nach dem hier üblichen Dreschverfahren zur Verfügung.

Es ist bemerkenswert, daß viele der Öfen, die außerhalb des Hauses standen, jedoch vom Hausinneren aus beheizt wurden, erhalten sind, so unter anderem in der Kleinen Tiefebene. Übrigens hat man in dieser Region am frühesten eine Lösung für den Rauchabzug gefunden. Der Raum in der Mitte wurde in zwei Teile geteilt. Über dem inneren Teil erhob sich ein breiter, über das Dach hinausragender Schornstein – in der Regel aus Rutengeflecht, manchmal mit Lehmbewurf –, der den Rauch über den Dachboden abführte.

Abb. 59. Hof- und Straßenfront und Grundriß eines Wohnhauses.

Abb. 59. Hof- und Straßenfront und Grundriß eines Wohnhauses.
Milota, Kom. Szatmár, 19. Jahrhundert,
1. Zimmer; 2. Vorraum/ Küche; 3. Offener Raum unter der Traufe

In der Küche gab es weiterhin die offene Feuerstelle auf einer Lehmbank, wo im Kessel gekocht wurde. In beiden Stuben stand ein großer Ofen, der jeweils von der Küche aus beheizt wurde. Der Lehmofen wurde eigentlich nie vom Kachelofen abgelöst, da man bis in die jüngste Zeit beim traditionellen Heizmaterial (Schilf, Stroh, Mais- und Sonnenblumenstengel) blieb.

Innerhalb dieser großen Region sollen zwei kleinere Gebiete besonders hervorgehoben werden, zunächst die Kleine Tiefebene beiderseits {G-204.} des west-östlichen Donauverlaufs, südlich der zu Ungarn und nördlich der zur Tschechoslowakei gehörende Teil bis zur Grenze des ungarischen Sprachraums (Zobor-Gebiet). In diesem Gebiet gingen die Türen der zwei seitlichen Räume des dreiteiligen Hauses zum Vorraum (pitvar). Dieser hängt mit der Küche zusammen, an deren hinteren Wand sich die Öffnung des außerhalb des Hauses stehenden Backofens befand, und die Öffnungen für die Stubenheizung mündeten ebenfalls in die Küche; vor diesen standen Lehmbänke. Kochbänke (Tischherde) in der Küchenmitte konnten in dieser Gegend bisher nicht nachgewiesen werden. In den Stuben standen Kachelöfen, hier und da auch große Bauernöfen.

Das andere kleine Gebiet liegt im nordöstlichen Winkel des ungarischen Sprachraums, im Tal der Theiß und ihrer Nebenflüsse. In dieser Gegend kam dem Holz als Baumaterial eine größere Bedeutung zu, Zäune, Tore, Scheunen und Glockentürme waren aus Holz. Eine architektonische Besonderheit war der Laubengang, der auf zwei, manchmal sogar auf drei Seiten um das Haus herumlief. Von den Heizungsanlagen sind besonders die vielen Kaminvarianten mit senkrechtem Rauchfang zu nennen. Überhaupt stellt diese architektonische Gegend einen Übergang zu den Formen der Tiefebene, des Palotzenlandes und noch deutlicher zu Siebenbürgen dar.

In der Tiefebene wurden die meisten mit der Landwirtschaft zusammenhängenden Arbeiten im Freien ausgeführt; daher gab es kaum Scheunen, höchstens in den flachen Landstrichen am Fuße des Berglandes und in den oben gesondert genannten kleinen Gebieten, wo sie Zeichen einer intensiveren Landwirtschaft waren. Auf dem Bauernhof der Tiefebene waren die Ställe in der Regel als Verlängerung des Wohnhauses mit niedrigerem Dach gebaut. Auch kleinere Geflügelställe, Schuppen, Getreidespeicher und Mieten befanden sich auf dem Hof.