Die Aussaat

Seit dem Mittelalter baut man in Ungarn überwiegend Weizen (búza = Triticum aestivum) an, wobei früher Sommer- und Winterweizen unterschieden wurden. Der Roggen (rozs = Secale cereale) wird vor allem in den bergigen und sandigen Gebieten angebaut. Es kommt aber auch vor, daß die zwei wichtigsten Brotgetreidearten gemischt ausgesät werden; so erhält man das in einigen Gegenden besonders beliebte Doppelte (kétszeres), auch abajdóc genannt. Hinzu kamen früher noch gewisse Getreidearten, die heute fast vollkommen ausgestorben sind, so der Dinkel (tönköly = Triticum spelta) und das Einkorn (alakor = Triticum monococcum), dessen Anbau im Karpatenbecken bis zur Jungsteinzeit zurückverfolgt werden kann. Auch die Rispenhirse (köles = Panicum miliaceum) gehörte lange Zeit zu den üblichen Getreidearten, da sie eine kurze Vegetationsperiode hat, in frisch umgebrochenem Grasland gedeiht und einen ausgezeichneten Brei ergibt. Der Buchweizen (tatárka oder hajdina = Poligonum fagopyrum) wurde besonders im hohen Bergland angebaut, da er die Kälte gut verträgt. Er ergibt einen schmackhaften Brei, den man lange Zeit im Szeklerland und im westlichen Grenzgebiet schätzte.

Einige Getreidearten dienen vorwiegend zur Fütterung der Tiere. Die bedeutendste unter ihnen ist die Gerste (árpa = Hordeum vulgare), eine der ältesten Kulturpflanzen im Karpatenbecken. Der Hafer (zab = Avena sativa) wurde viel später heimisch und ist aus den Ländern nördlich von Ungarn eingeführt worden. Beide Getreidearten sind vor allem Viehfutter und nur zur Not Brotgetreide für den Menschen.

Das Saatgut wurde stets sorgfältig ausgewählt. Beim Reinigen und Aussondern legte man die Körner zu Saatzwecken beiseite, die gegen den Wind am weitesten flogen, denn das waren die reifsten und schwersten, die sich am besten für die Saat eigneten. Ein anderes Mal breitete man auf dem Wagenboden beim Einfahren eine Plane aus und bewahrte die herausgerieselten Körner für die Saat auf, weil sie die besten waren. Das Saatgut wurde auch in Wasser geschüttet; die Körner, die sich setzten, ergaben den reichsten Ertrag.

Der Tag der Aussaat wurde nach beobachteten Naturerscheinungen bestimmt. Der Winterweizen sollte in den Boden kommen, wenn das Eichen- und Eschenlaub von den Bäumen fiel, der Sommerweizen, sobald die ersten Dachse und Krähen erschienen. Als allgemeine Regel galt, „im Herbst im Staub, im Frühjahr im Schlamm zu säen“. Für die Gerste war die Saatzeit gekommen, wenn der Schlehdorn blühte oder der Kuckuck rief.

99. Sämann

99. Sämann
Kazár, Kom. Nógrád

Andere Traditionen knüpften den Tag oder auch das Verbot der {G-223.} Aussaat an den Namenstag irgendeines Heiligen. Der Tag des brandigen Peter soll unbedingt ausgelassen werden, denn was man an diesem Tag säte, wurde brandig. In der Woche des Matthäus war es verboten zu säen, weil aus dieser Saat nur Spreu wurde; deshalb hieß diese Woche auch Spreuwoche.

Statt aus einem Sätuch wurde in jüngerer Zeit an vielen Orten aus einem Sack gesät. Der Sämann ging bei Tagesanbruch aufs Feld und hütete sich dabei, einer Frauensperson zu begegnen, sonst hatte er bei seiner Arbeit kein Glück. Am Ende des Ackers legte er den Hut auf die Erde und erflehte Gottes Segen für die Saat. Danach begann er mit der Aussaat. Dies war eine ruhige, rhythmische Arbeit,, die man nicht übereilen durfte. Es gab Bauern, die „einfüßig“ säten, das {G-224.} heißt, sie streuten das Saatgut bei jedem zweiten Schritt, andere wieder säten bei jedem Schritt. Sie achteten auch darauf, nicht zu weitläufig zu säen, weil die Saat dann dünn aufging. Das Säen war eine der heikelsten Arbeiten, die viel Übung und vor allem ein sicheres Gefühl erforderte. Pflügen und Säen waren Männerarbeit, bei der eine Frau nur selten mithelfen durfte. War die Saat aufgegangen, wurde das Unkraut dazwischen mit einem kleinen schaufelförmigen Eisen, dem Distelstecher (acatoló), herausgestochen. Das war immer die Arbeit der Kinder und der Frauen, höchstens übernahmen Männer auf großen Gütern die Aufsicht.