Die Imkerei

Die Imkerei gehört zu den ältesten Beschäftigungen der Ungarn; Wörter wie méh (Biene), méz (Honig), odu (Bienenbehausung) oder ereszt (Bienen schwärmen lassen) weisen aufgrund ihrer finno-ugrischen Abstammung darauf hin. Bereits Quellen aus dem 11. Jahrhundert erwähnen Dörfer oder Familien, die ihren Lehnsherrn mit Honig beliefert haben. Aus derselben Zeit sind im Nordosten des ungarischen Sprachraumes in Felsen gehauene steinerne Bienenbeuten erhalten, in denen Bienen gehalten wurden. Zahlreiche Dorfnamen wie Méhes oder Fedémes (Bienenhaus) zeugen von bedeutender Bienenzucht in einem Großteil des Sprachraumes im 11. bis 13. Jahrhundert.

Abb. 95. Bienenfanghorn.

Abb. 95. Bienenfanghorn.
Domaháza, Kom. Borsod, um 1940

Die einfachste Form der Imkerei hatte ebenfalls nur Sammelcharakter. Der Imker ging hinaus an den Waldrand und sammelte in einem Gefäß aus Horn oder Holz die auf den Blumen Nektar sammelnden Bienen ein. Summten genügend Bienen in seinem Gefäß, ließ er eine wieder heraus und beobachtete nun genau, in welche Richtung sie flog. Er ging ihr nach, bis er sie aus den Augen verlor. Dann ließ er wieder eine frei, und wieder konnte er sie ein Stück verfolgen. Das ging solange, bis er den hohlen Baum erreicht hatte, in dem die Bienen wohnten. Nun räucherte er das Bienenvolk aus und nahm ihm den Honig weg. Wollte er die Bienen nicht töten, sondern ihnen nur von Zeit zu Zeit den Honig wegnehmen, dann schnitt er in 'den Baumstamm ein Zeichen, um sich das Eigentumsrecht zu sichern, und befestigte ein Brett mit Löchern vor der Bienenbehausung, damit die Bienen hinaus- und hineinfliegen konnten. War er der Meinung, daß sie genügend Honig gesammelt hatten, nahm er das Brett heraus, vertrieb die Bienen mit Rauch und nahm ihnen den Honig weg. Soviel allerdings, wie sie für den Winter brauchten, ließ er ihnen immer zurück, damit {G-254.} sie bis zum Frühjahr überlebten. Der bisherigen Literatur zufolge war diese Bienenhaltung im lebenden Baum im Karpatenbecken unbekannt, neuere Forschungen jedoch haben sie an mehreren Orten nachgewiesen.

Abb. 96. Grundriß eines umzäunten Bienengartens.

Abb. 96. Grundriß eines umzäunten Bienengartens.
Györgyfalva, ehem. Kom. Kolozs, Anfang 20. Jahrhundert

116. Bienenkorb

116. Bienenkorb
Vajdácska, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

117. Umschütteln des Bienenschwarms

117. Umschütteln des Bienenschwarms
Komádi, Kom. Hajdú-Bihar

Eine richtige Wartung konnten die Bienen nur dann erhalten, wenn sie in Bienenhäusern (méhes) an einem Platz gehalten wurden. Die Bienenstände legte man an ruhigen Plätzen an, damit das fleißig sammelnde Bienenvolk nicht gestört wurde. So baute man die Bienenstände oft in Wäldern, in Moor- oder Sumpfgegenden oder auf einer kleinen Insel, meistens aber innerhalb der Siedlungen, in umzäunten Teilen der Gärten. Die einfachsten Bienenstände waren die umzäunten Bienengärten, in denen die Bienenkästen auf der Erde oder auf niedrigen Füßen standen. Die umzäunten Bienenhäuser waren gewöhnlich allseitig mit einem Flechtzaun umgeben. Man versah sie innen mit einem halbseitig-runden Dach; darunter standen dem freien Hof zugekehrt die Bienenkörbe (kas) auf Gestellen. Diese Anlage hatte den Vorteil, daß sie von der Außenwelt gut abgeschlossen war. In der Mitte des Hofes befand sich die Bienentränke; der Imker wohnte zumeist in einer Hütte, an der Außenseite der Anlage. Diese (ungarisch kelence genannte) Form konnte bisher nur im Nordosten des ungarischen Sprachraumes nachgewiesen werden. Am häufigsten waren die Bienenhäuser mit Halbdach (féltetõs méhes), bei denen die Öffnungen in den Brettern nach Süden oder Südosten gerichtet waren. Die notdürftig vor Regen schützenden Schuppen hatten meistens an drei Seiten Bretterwände {G-255.} oder waren von einer Hecke umgeben; im Innenraum bewahrte der Bienenzüchter seine Handgeräte auf.

Abb. 97. Bienenstöcke, Machart und Konstruktion.

Abb. 97. Bienenstöcke, Machart und Konstruktion.
Kom. Szatmár, Anfang 20. Jahrhundert.
1. Aushöhlen des inneren Teiles; 2. Bienenstockbereitung mit Brennen; 3. der fertige Bienenstock und seine Konstruktion; 4. Leimrute; 5.–6. Imkergeräte

Unter den Bienenbehausungen gab es vor allem in Waldgegenden die Beuten (köpû), die aus einem ausgehöhlten Baumstamm hergestellt wurden und mit reichen Schnitzereien verziert waren. In holzarmen Gegenden wurden die Körbe (kas) aus Bast oder Stroh geflochten; ihre Größe und Form variierten je nach der Gegend. Anderswo wurde ein Stück Weidenbaum der Korbhöhe entsprechend abgeschnitten und mit Einschnitten versehen. Man spreizte das Holz auseinander, umflocht es mit Weidenruten und verschmierte es mit Lehm und Stallmist, wodurch die Bienen gegen die Winterkälte guten Schutz erhielten. Im westlichen Teil des Sprachraumes bekamen die Körbe einen Bast- oder Strohüberzug, der sie im Winter vor Kälte schützte. Von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an wurden die traditionellen Bienenkörbe langsam {G-256.} von den – zumeist auf westliche Art aus Brettern gebauten – Bienenstöcken (méhkaptár) verdrängt; vereinzelt sind sie aber bis heute noch zu finden.

Abb. 98. Bienenkörbe.

Abb. 98. Bienenkörbe.
a) aus gespalteten Gerten, verputzt, Siebenbürgen; b) aus Matten geflochten, Kom. Borsod, erste Hälfte 20. Jahrhundert

Ein wichtiges Datum in der Imkerei ist der Frühlingsausflug der Bienen. Nach dem Volksglauben muß der Zeitpunkt dafür gut überlegt werden, denn am Montag und am Sonnabend sind die Bienen angeblich kraftlos, am Dienstag, Freitag oder Sonntag neidisch und zänkisch. So empfehlen die meisten den Mittwoch oder den Donnerstag für den Ausflug, dann seien die Bienen im ganzen Jahr gesund und fleißig. Damit sie aber wirklich zahm werden, soll man sie, wenn sie im Frühling den Bienenkorb das erste Mal verlassen, durch die Wolle eines mit Sand gut gereinigten weißen Schafes herauslassen. Ein Bienenzüchter, der gern kampflustige, räuberische Bienen hat, läßt die Bienen durch eine Wolfsgurgel heraus. Man kann die Öffnung des Bienenkorbes auch mit Hahnenblut einschmieren, dann seien die Bienen gegen jeden Eindringling gefeit.

Im Sommer beginnt das Ausschwärmen der Spurbienen, die nach einer neuen Wohnung suchen. Man versuchte mit Peitschenknallen, Schnarren, Wasserspritzen oder durch das Hinaufwerfen von Kleidungsstücken den Schwarm zum Halten zu bringen. Wenn sich der Schwarm auf einen Baum niederließ, wurde an das Ende einer langen Stange ein Bienenkorb gebunden; man schüttelte den Schwarm hinein und brachte ihn zurück zum Bienenhaus, wo er in einem neuen Bienenkorb untergebracht wurde.

In der ungarischen Bauernimkerei war es lange Zeit üblich, den jungen Schwarm für das nächste Jahr zu behalten, während man die alte Königin mit ihrem Volk ausräucherte und ihren Honig wegnahm. Später stülpte man über den vollen Korb einen anderen und klopfte so lange auf den unteren, bis die Bienen, vom Lärm erschreckt, in den oberen Korb gingen. So konnte der Imker den Honig wegnehmen, ohne die Bienen zu vernichten. Im Herbst kamen die Honigkäufer, die den Honig samt den Waben aus dem Korb holten, ihn in Fässer stopften und auf den Markt brachten.

Der Honig spielte als Mittel zum Süßen in der ungarischen Bauernküche eine außerordentlich große Rolle, wurde früher aber auch in der {G-257.} herrschaftlichen Küche verwendet. Er war ein unentbehrlicher Rohstoff der Honigkuchenbäcker, doch stellte man auch Bier aus Honig her. Das Bienenwachs verwendete man zumeist für Kerzen. Nachdem Honig und Bienenwachs als Rohstoffe nicht mehr unbedingt erforderlich waren, ging die Bienenhaltung zurück, aber noch heute gibt es in fast jedem ungarischen Dorf neben der modernen Imkerei die traditionelle bäuerliche Bienenhaltung.