{G-260.} Die Fischerei

Die Ungarn lebten schon in der Urheimat zwischen Gewässern, und das Fischen gehörte zu ihren wichtigsten Beschäftigungen, ebenso wie es im Leben der verwandten Völker und Volksgruppen auch heute noch eine bestimmende Rolle spielt. Viele Fischnamen ugrofinnischer Herkunft wie hal (Fisch), meny (Quappe), tathal (Schlei), keszeg (Blei) und õn (Rapfen) sowie Bezeichnungen für Bauten und Geräte wie háló (Netz), para (Kescher, Hamen), halúsztató fa (Schwemmholz für Fische), vejsze (Raure, Fischwehr), horog (Angel) und hajó (Kahn) beweisen die große Vergangenheit der Fischerei. Im Laufe ihrer Wanderschaft lernten die Magyaren vor allem viel von der Fischfangtechnik der slawischen Völker in der südrussischen Ebene, was die Wörter szégye (Wehre), varsa (Reuse) und der Fachausdruck der Großfischerei, tanya (Fischerhort), bezeugen. Da später auch im Karpatenbecken große Flüsse, Seen, kleinere Bäche und endlose Sümpfe die Fischerei der Ungarn begünstigten, erhielt sie sich bis heute. Urkunden aus dem 11. bis 13. Jahrhundert erwähnen bereits Fischer, die ihren Grundherren eine angemessene Fischmenge ablieferten; es werden sogar Dörfer erwähnt, die ausschließlich vom Fischfang lebten. Das Fischereihandwerk blieb auch in den späteren Jahrhunderten bestehen; zwei Drittel des Fanges hatten die Fischer dem Fronherrn abzuliefern, nur die kleineren Fische durften sie sämtliche für sich behalten. In der Vergangenheit kam dem Fischen als ergänzendem Nahrungsmittelerwerb eine große Rolle zu. Jeder Bauersmann, der in der Nähe eines Gewässers lebte, trieb zumeist Fischfang mit Geräten, die er ohne fremde Hilfe handhaben konnte.

Die einfachste Form des Fischfangs war das Fischen mit der bloßen Hand. Diese älteste Fangart setzte sehr gute Kenntnisse der Gewohnheiten und der Körperstruktur der Fische voraus. Der Fischer stellte sich in den reißenden Gebirgsbächen gegen den Strom, und wenn er einen Fisch erblickte, versuchte er, ihn möglichst an den Kiemen zu fassen und ans Ufer zu schleudern. Im stehenden Gewässer tauchte der Fischer mit offenen Augen unter Wasser und näherte sich mit langsamen Bewegungen dem Fisch. Er strich ihm über den Körper, um die Kiemen genau fassen zu können. Mit der anderen Hand suchte er den zappelnden Fisch festzuhalten, bis er mit der Beute das Ufer erreichte.

Abb. 104. Harpunenspitzen.

Abb. 104. Harpunenspitzen.
1. Nagyvarsány, Kom. Szabolcs; 2. Nagykálló, Kom. Szabolcs; 3. Petneháza, Kom. Szabolcs, Anfang 20. Jahrhundert

Die Harpune oder der Fischspeer (szigony), eines der ältesten und weitestverbreiteten Fischergeräte, war eine Stoßstange mit einer oder mehreren Spitzen, die Widerhaken trugen. Der Speer blieb durch die Widerhaken im Körper des Fisches oder brachte dem Fisch zumindest eine so große Wunde bei, daß er daran verblutete. Der Fischer stand mit der Harpune im Wasser oder am Ufer, meistens hielt er jedoch vom Bug eines Bootes nach auftauchenden Fischen Ausschau. Während der Laichzeit konnten die Fischer mit der Harpune die meisten Fische erbeuten, richteten dabei aber erheblichen Schaden im Fischbestand an. Obwohl seit Ende des vorigen Jahrhunderts der Fischspeer als Fanggerät verboten ist, wird er hier und da auch heute noch benutzt. Die Fischer fahren mit Vorliebe nachts aufs Wasser hinaus, zünden im Bug des Bootes eine Fackel an, und im ungewohnten Licht der Fackel sammeln sich die Fische, so daß der Fischer mit reicher {G-261.} Beute heimkommt. Ein ergänzendes Gerät dieser Fischfangmethode ist der krumme, mit kurzem Stiel versehene Schlaghaken (vágóhorog), mit dem die großen und stark zappelnden Fische ins Boot gehoben werden.

Abb. 105. Rutenreuse.

Abb. 105. Rutenreuse.
Békés, Kom. Békés, um 1930

Das typische Gerät des allein arbeitenden Kleinfischers war der Drehkorb (tapogató), der in Sümpfen, Überschwemmungsgebieten oder am Rande von Flüssen in maximal einen Meter tiefem Wasser benutzt wurde. Die ältesten Formen waren aus Ruten geflochten; in neuerer Zeit bezog man den Rahmen mit einem Netz und befestigte sogar einen langen Stiel daran, damit der Taster nach vorn gestreckt werden konnte, ohne daß der im Wasser watende Fischer die Fische verscheuchte. Für diese Art des Fischfangs eignete sich auch ein bodenloser Weidenkorb oder ein Bienenkorb mit abgeschnittenem Ende. Der Fischfang mit dem Taster hing größtenteils vom Zufall ab. Der Fischer drückte den Taster bald hier, bald dort ins Wasser; wenn er die Bewegung eines Fisches spürte, griff er hinein und hob den Fisch mit der Hand heraus. Diese einfache Art des Fischfangs war vielerorts bekannt, genaue Entsprechungen sind jedoch vor allem im Osten zu finden.

118. Setzen der Großreusen vor das Hauptnetz

118. Setzen der Großreusen vor das Hauptnetz
Kopács, ehem. Kom. Baranya, Jugoslawien

Die Fischerei mit fallenartigen Fangkammern machte sich die Eigenheit der Fische zunutze, ununterbrochen in eine Richtung zu schwimmen und diese nicht zu ändern, wenn ein Hindernis den Weg verstellt. Der Fisch tastet gewöhnlich das Hindernis ab, um einen Durchschlupf oder einen Ausweg zu finden. Damit rechnete der Fischer, wenn er seine Reuse (vejsze) aufstellte. Sie war gewöhnlich aus Schilf und ragte wenigstens einen halben Meter aus dem Wasser heraus. Der Flügel der Reuse lenkte die Fische in einen gewundenen Trichter, der so gebaut war, daß die Fische nicht wieder entkommen konnten. Von Zeit zu Zeit holte der Fischer, in seinem Boot stehend, die Fische mit einem {G-262.} Kescher aus dem Reusentrichter. Reißende Bergströme und größere Bäche wurden mit Fischwehren aus Stein gestaut (Szeklerland). Der Fisch konnte das Wehr nur durch eine Öffnung in der Mitte passieren. Hier war als Fanggerät meist eine aus Ruten geflochtene Reuse angebracht. Durch die kleine Öffnung vermochte sich der Fisch noch irgendwie hindurchzuzwängen, doch den Rückweg fand er nicht mehr. Anderswo baute man die Fischwehre aus dicken Pfählen, deren Zwischenräume mit Flechtwerk abgedichtet wurden. Dieses Hindernis lenkte den Fisch zu einer Öffnung, in der die mit Flügeln versehene Netzreuse aufgestellt war (Bodrogköz).

Abb. 106. Fischwehren.

Abb. 106. Fischwehren.
Balaton (Plattensee), Ende 19. Jahrhundert

Beim Fischfang mit Hebenetz wurde ein Netz ins Wasser gesenkt. Fische, die über dem Netz schwimmen, versuchen meist, wenn sie die Gefahr spüren, nach unten oder seitwärts zu entkommen und verfangen sich so im Netz. Das Tauchnetz (merítõháló) oder der Hamen war das typische Fischfanggerät der allein fischenden armen Leute, während die Berufsfischer es kaum benutzten. Zwei Reifen wurden quer verbunden und an jedem Ende der Zipfel eines viereckigen Netzes befestigt. Nur selten fischte man mit dem Tauchnetz vom Boot aus; zumeist hielt der Fischer es vom Ufer aus ins Wasser. Er mußte warten, bis sich ein Fisch über dem Netz befand; dann wurde dieses blitzschnell angehoben, und der Fisch war gefangen. Diese Art des Fischfangs konnte auch an einem Stauwehr betrieben werden. Der Fischer fischte von einem Hochsitz aus, da er so die Fische, die zur Öffnung des Wehrs getrieben wurden, leichter einfangen konnte.

Abb. 107. Flügelreuse.

Abb. 107. Flügelreuse.
Krasznagegend, Anfang 20. Jahrhundert

119. Kleinfischer mit Hebenetz

119. Kleinfischer mit Hebenetz
Komádi, Kom. Hajdú-Bihar

Das Fischen mit dem Wurfnetz war ebenfalls eine Fischfangmethode des armen Mannes. Man benutzte dazu ein Rund- oder Rocknetz, das rund gewebt oder geschnitten war. Das Rundnetz hatte am Rand Bleigewichte, die den Netzrand schneller ins Wasser tauchen ließen. Der Fischer schlang das aus Roßhaar, in neuerer Zeit aus Hanf gefertigte Seil, das von der Mitte des Rundnetzes ausging, um sein linkes Handgelenk und nahm das Netz über die linke Schulter wie einen Umhang. Ein Stück der Bleiperlen am Netzrand nahm er in den Mund und hielt es mit den Zähnen. Dann drehte er sich am Ufer oder im Bug seines Bootes rasch um und warf das Netz gleichmäßig auf das Wasser. Durch die Bleigewichte sank das Netz rasch {G-263.} herab und schloß sich unten gleich wieder zusammen, so daß die Fische nicht daraus entweichen konnten. Diese Netzform ist bei den Fischern am Mittelmeer bekannt und gelangte auch ans Schwarze Meer, so daß die Vermutung naheliegt, daß die Ungarn das Rundnetz in diesem Gebiet kennengelernt haben.

Beim Fischen mit der Angel wurden gewöhnlich mehrere Geräte an eine einzige Leine geknüpft, die oft 60 bis 80 m lang war und von hohlen Kürbissen an der Wasseroberfläche gehalten wurde. Im Abstand von einem Meter hingen von der Leine Angeln ins Wasser; das eine Ende der Leine war am Ufer befestigt. Mit gewaltigen Angeln wurden die vom Schwarzen Meer heraufrückenden, häufig 1 bis 2 Doppelzentner wiegenden Hausen (Acipenser Huso) gefangen. Quer über die Donau zog man ein Seil, von dem große mehrzweigige Angeln herunterhingen. Das Seil wurde von Holzschwimmern an der Oberfläche gehalten. Es kam auch vor, daß man die Leine der Angel am Ufer oder am Pfosten eines Floßes befestigte und eine Glocke anband. Wenn der Fisch an der Angel zerrte, ertönte die Glocke, und der Fischer konnte sofort zur Stelle sein.

Abb. 108. Fischfang mit Großnetz.

Abb. 108. Fischfang mit Großnetz.
Tiszaörvény, Kom. Szolnok, Anfang 20. Jahrhundert

Von den zahlreichen Netzen, die in der ungarischen Fischerei bekannt sind, sollen nur die erwähnt werden, mit denen die Fische im Wasser umzingelt werden. Das kleinste Netz war das Zweimannsnetz (kétközháló), das selten länger als 6 bis 8 m und breiter als 1 1/2 m war. Zwei Männer arbeiteten damit, und zwar so, daß jeder von ihnen einen am Netzende befestigten Stock hielt. Sobald sie spürten, wie die Fische im Netz zappelten, hoben sie sie mit dem Handnetz heraus. {G-264.} Viel größer ist das Alt- oder Großnetz (öregháló), im wesentlichen eine vergrößerte Kopie des Zweimannsnetzes, das manchmal 80 bis 120 m lang war. Noch größer war das Schnurnetz (gyalom), das sich vom Großnetz darin unterschied, daß die Fische sich in einer Einkehle (Fangsack – káta) am Ende des Schleppnetzes sammelten und so auf einmal herausgehoben werden konnten.

Abb. 109. Eisenhaken zum winterlichen Fischfang.

Abb. 109. Eisenhaken zum winterlichen Fischfang.
Allgemein. Anfang 20. Jahrhundert

120. Kürbisbehälter für Pfuhlfische (Pfuhlkürbis)

120. Kürbisbehälter für Pfuhlfische (Pfuhlkürbis)
Haraszti, ehem. Kom. Verõce, Jugoslawien

121. Fischer mit Eiskescher

121. Fischer mit Eiskescher
Sára, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Das Großnetz und das Schleppnetz waren die größten Fischfangnetze der ungarischen Umzingelungsfischerei. Zum Trocknen und Reparieren befestigte man sie am Ufer an starken Pfosten. Diese großen Netze konnten unmöglich von einem Fischer gehandhabt werden, weshalb sich immer mehrere zusammenfanden, um gemeinsam zu arbeiten; sie legten oft auch das Geld für die Ausrüstung zusammen und teilten sich dann den Fang. Solche Fischergruppen nannten sich Busch (bokor), Bund (kötés) oder gar Glaubensgemeinschaft (felekezet). Die Fischervereinigung war äußerst typisch für die ungarische Fischerei. Größe und Handhabung der Netze erforderten, daß jedes Mitglied des Bundes eine genau abgegrenzte Aufgabe erhielt und sich den Anweisungen {G-265.} des Meisters fügte. Der Meister (auch Wirt genannt) leitete den Fischfang, bestimmte Beginn und Ende und teilte jedem seine Arbeit zu. Er nahm selbst an der Arbeit teil und steuerte das Boot. Sein Stellvertreter war der erste Geselle, der Vizemeister oder Kleinwirt. Er zog den Bug des Bootes und leistete die schwerste Arbeit. Die Zahl der Knechte betrug 4 bis 12, je nach der Netzgröße und der Wasserfläche. Wenn das Netz gemeinsamer Besitz war, wurde der Fang zu gleichen Teilen vergeben. Gehörte das Netz dem Meister, erhielt er 3 bis 5 Anteile, während die Knechte nur je einen Anteil bekamen.

Die ungarischen Fischer nannten alle Stellen im Wasser und am Ufer, wo sie Netze aufstellten oder auswarfen, Lager (tanya). Je nachdem, wie oft das Netz ausgeworfen werden konnte, teilten sie das Gebiet auf. Auf die zu einem Fangplatz gehörenden fischreichen Gewässer erhoben die Mitglieder des Bundes wirtschaftlichen und besitzrechtlichen Anspruch. Diese Organisation und Terminologie der gemeinsamen Fischerei haben die Ungarn wahrscheinlich schon vor der Zeit ihrer Landnahme von den benachbarten Ostslawen übernommen.

Abb. 110. Fischbarke.

Abb. 110. Fischbarke.
Vencsellõ, Kom. Szabolcs, um 1930

Die Fischer arbeiteten auch im Winter, wenn das Wasser zugefroren war. Das dünnere Eis durchschlugen sie mit einer Harpune, oder aber sie schlugen mit einer Axt oder einer Holzkeule so stark durch das Eis, daß sie den betäubten Fisch leicht herausheben konnten. Die Fischer verwendeten jedoch auch Großnetze und Schleppnetze unter dem Eis. Sie banden sich Eissporen unter die Stiefelsohlen, um sich auf dem Eis sicher bewegen zu können. Es wurde ein gewaltiges Loch in die Eisdecke geschlagen und das Netz darin ausgelegt. Ringsherum in einem großen Kreis schlug man kleinere Löcher, durch die man {G-266.} mit einem Stock die Leine des Netzes, das Zugseil, bis zum Ausziehloch zog. So konnte die ganze Wasserfläche unter dem Eis gewöhnlich erfolgreich abgefischt werden.

Das Netz fertigten der Fischer oder seine Frau gewöhnlich selbst aus Hanfgarn mit altmodischen Netznadeln (hálókötõtû) an. Die Größe der viereckigen Maschen hing immer von der Bestimmung des Netzes ab. Es gab auch Netze, deren Wände zweifach waren, damit sich die langköpfigen Fische gut darin verfingen. In bestimmten Gegenden waren die Frauen für ihre Netzherstellung berühmt; ihre Netze waren weit und breit gesucht.

Abb. 111. Einbaumbarke.

Abb. 111. Einbaumbarke.
Balaton (Plattensee), zweite Hälfte 19. Jahrhundert

Die gefangenen Fische mußten mehr oder weniger lange frisch gehalten werden. Diesem Zweck diente die bootsförmige, seitlich durchlöcherte und oben gut verschließbare Barke, das Fischhaus. Früher wurde sie aus Schilf oder Ruten geflochten. Aus demselben Material wurden auch die Trag- und Handkörbe hergestellt, in denen man die Fische nach Hause oder auf den Markt brachte.

Die Fischerboote hatten verschiedene Formen. Der älteste Bootstyp war ein Einbaum, aus einem einzigen Baumstamm ausgehöhlt oder ausgebrannt. Er wurde später von den aus Brettern gezimmerten Kähnen verdrängt, die sicherer im Wasser lagen und auf denen man die größeren Netze leichter unterbringen konnte. In seichtem Wasser wurden die Kähne mit Stangen abgestoßen, in tiefem Wasser mit verschieden geformten Rudern vorwärts bewegt.

Ein charakteristisches Wasserfahrzeug war das aus Holz oder aus Rohrbündeln gezimmerte Floß. Das Holzfloß wurde auf Flüssen eingesetzt, während das Floß aus Rohrbündeln als Fahrzeug in den Sümpfen und Mooren diente. Das Übersetzen auf den Flüssen übernahmen für Personen- und Gütertransport die Fähren, die auch heute noch üblich sind. Es handelt sich um große, flachbödige Seilfähren, die gut vier beladene Fuhrwerke auf das andere Ufer bringen können. Ein Seil ist von einem Ufer zum anderen gespannt, an dem der Fährmann – unter Ausnutzung der Strömung – die Fähre mit der Hand entlangzieht. In seichtem Wasser benutzte man Fährboote, in denen sich der Fährmann mit der Stange vom Grund abstieß.