Regionale Tierrassen

Die Ungarn brachten aus dem Osten Haustierarten mit, die das ständige Wander- und Weideleben – die Extensivhaltung – im allgemeinen gut vertrugen. Die Rassen vermischten sich jedoch im Laufe der Zeit, besonders spürbar vom 18.–19. Jahrhundert an. Den wechselnden wirtschaftlichen Umständen entsprechend, überließen sie ihren Platz vollkommen den teils aus dem Westen, teils aus dem Süden stammenden und den neuen Anforderungen besser gerecht werdenden Tierrassen. So wird heute ein historischer Rückblick hauptsächlich aufgrund der in letzter Zeit intensiv betriebenen Ausgrabungen und Bestimmung der Haustierknochen ermöglicht.

Das meistgeschätzte Haustier der Ungarn war das Pferd. Dies wird auch dadurch bewiesen, daß mit dem ungarischen Krieger der Landnahmezeit der Kopf und die vier Beine seines Pferdes begraben wurden, {G-269.} und häufig wurde auch der Sattel mit in das Grab gelegt. Diese Pferde hatten eine geringe Widerristhöhe, einen relativ kleinen Kopf und kräftige Muskulatur; sie waren ausdauernd und genügsam. Im Laufe der Zeit veränderte sich jedoch der Pferdebestand infolge der Einwirkungen italienischer, arabischer, später verschiedener anderer westlicher Pferderassen. Den Körperbau und die einstige Zähigkeit bewahrten am besten das Szekler-Pferd und das in einigen Gegenden der Tiefebene bis zur jüngsten Vergangenheit verbliebene Landpferd.

Das graue ungarische Rind weist bis heute viele angestammte Züge auf. Das grauweiße Rind mit gewaltigen Hörnern und großer Widerristhöhe verfügte über eine bedeutende Zugkraft; man kaufte es aber auch gern wegen seines vorzüglichen Fleisches auf westlichen Märkten des Mittelalters. Es lieferte relativ wenig Milch, aber solche mit hohem Fettgehalt. Es war anspruchslos und kam im Winter mit dem bescheidensten Futter aus. Eine seiner siebenbürgischen Abarten ist etwas kleiner, zeigt sonst jedoch ähnliche Eigenschaften. Gegenstücke hinzu dürften in Richtung der großen russischen Steppe zu finden sein. Die rötliche Kuh (riska) ist von kleinerem Wuchs, gibt aber sehr viel Milch. Sie war hauptsächlich im südlichen Teil Westungarns heimisch. Mutmaßlich kam sie vom Balkan nach Ungarn. Vom 18. Jahrhundert an, als sich der Wert der Milch erhöhte, wurden für die Großgüter verschiedene westliche, hauptsächlich Schweizer Rassen eingeführt, welche die früheren in den Hintergrund drängten; außerdem entstanden durch Kreuzungen Mischrassen.

Das ungarische Schaf (racka) gehört eigentlich zur Rasse der Zackelschafe. Es gab auch hier zwei Unterrassen: die eine war in der Tiefebene, die andere in Siebenbürgen beheimatet. Charakteristisch für die erste ist, daß Bock und Muttertier gleich lange, aufwärtsstehende und gedrehte Hörner haben. Das lange Fell des Rackaschafes eignete sich besonders für starke, dauerhafte Stoffe, seine gegerbte Haut für Pelze. Die siebenbürgische Abart ist mit der moldauischen verwandt. Das gedrehte Gehörn des Bockes liegt fast horizontal nach beiden Seiten. Zu den verschiedenen regionalen Arten kam im 17. Jahrhundert noch das sogenannte Landschaf (parlagi juh) hinzu, das bereits vor den Ungarn in diesem Lande heimisch gewesen zu sein scheint. Vom 18. Jahrhundert an verdrängten die Merinoschafe spanischer Abstammung, die viel mehr und feinere Wolle gaben, die älteren Rassen, erst bei den Gutsherren, dann auch bei den Bauern.

Die alten Rassen des Schweines verschwanden noch früher als die der anderen Tiere, sozusagen spurlos. Es waren zumeist langbeinige, rötliche Tiere, die sich hauptsächlich durch ihre Anspruchslosigkeit auszeichneten. Man unterscheidet zwei Abarten: einmal das Szalontaer oder rote Schwein, das sich hauptsächlich in den Sümpfen der Tiefebene aufhielt und nur im Winter in den Eichenwald getrieben wurde, zum anderen das Bakonyer Schwein, die bergländische Variante des ersteren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitete sich vom Balkan her eine Rasse, die, „Milos" genannt wurde; als eine ihrer Unterrassen entstand im Karpatenbecken das Mangalitzaschwein, bei dem auch Züge der früheren Rassen nachgewiesen werden können. Dieses ist in erster Linie ein Speckschwein mit hellen gekräuselten Borsten, {G-270.} das die Haltung im Freien wie auch das Treiben über große Entfernungen gut verträgt. In den letzten Jahrzehnten hat die Mangalitzazucht stark abgenommen und ist von den englischen Fleischschweinen verdrängt worden.

Der treuste Helfer des Hirten ist der Hund, worunter der große weiße zottige Schäferhund (komondor) hervorgehoben werden soll. Dieser hielt nicht nur die Herde zusammen, sondern wehrte mit seinen Gefährten auch den Angriff des Wolfes ab. Das Wort selbst ist kumanischer Abstammung, was möglicherweise auf seine Herkunft deutet; das wird auch dadurch unterstützt, daß dieser Hund hauptsächlich im kumanischen Siedlungsgebiet der Tiefebene bekannt ist. Der ungarische Schäferhund (kuvasz) ist von ähnlichem Bau, aber etwas kleiner und sein dickes Fell nicht gekräuselt; er kommt zumeist in Siebenbürgen und in südlicheren Gegenden vor. Seine Heimat ist vermutlich die Balkanhalbinsel. Der Puli, ein kleiner ungarischer Schäferhund, ist der bekannteste ungarische Treibhund. Sein zumeist schwarzes, zottiges Haar und sein kleiner Wuchs unterscheiden ihn deutlich vom Komondor und vom Kuvasz.

Der Esel, ein Gehilfe der Hirten, dient in erster Linie dem Transport.

Der Büffel ist ein exotisch anmutendes, sehr kräftiges Rind, das wenig, aber fettreiche Milch gibt. Die Aufzeichnungen erwähnen ihn schon vom Mittelalter an. In größerer Zahl kam er nur im südlichen Westungarn und in Siebenbürgen vor.

Die Haltung von Hausgeflügel (Huhn, Gans, Ente, Truthahn, Perlhuhn usw.) war unter den ungarischen Bauern normalerweise üblich. Während sich mit den größeren Tieren die Männer befaßten, war die Betreuung des Hausgeflügels eine Aufgabe der Frauen.