{G-276.} Weiden und Tränken

Außer den großen Flächen der Tiefebene (Pußta) und den ständigen Weiden des Berglandes sicherten die Brachfelder der Wechselwirtschaft die Möglichkeit von Weideplätzen für den Viehbestand. In der Tiefebene lagen die Weiden am Rand der Siedlung, so daß das zu Hause übernachtende Vieh jeden Tag hin- und zurückgetrieben werden konnte. Jenseits der Weiden lagen in der Flur die Ackerfelder, und dann kamen die größeren Weidegründe, auf denen das vom Frühling bis zum Herbst oder das ganze Jahr hindurch draußen übernachtende Vieh weidete. Das war so bei den Städten und Dörfern der Tiefebene mit ausgedehnter Gemarkung; an den übrigen Orten wurde das immer enger werdende Weideland in den beiden letzten Jahrhunderten zumeist durch die Brachfelder ergänzt.

128. Schafmelken

128. Schafmelken
Szék, ehem. Kom. Szolnok-Doboka, Rumänien

129. Schafschur

129. Schafschur
Tiefebene

Das Weiden der extensiv gehaltenen Tiere erfolgte nach einer bestimmten Ordnung. Zuerst wurden die Pferde und die Rinder auf das Weideland gelassen, da sie nur die höheren Gräser abweideten. Anschließend kam das Schaf, das das Gras bis zur Wurzel abfraß. Die Schweine wurden nie auf die Gemeindeweide gelassen, weil die anderen Tiere nach dem Schwein nicht weideten. Sie hatten ihren separaten Platz in der Nähe von Flüssen und Sümpfen, wo sie im Schilf wühlen, Fische fressen und an warmen Sommertagen sich im seichten Wasser sielen konnten. Das im Freien überwinternde Vieh hatte stark unter der Kälte zu leiden. Zuerst trieb man die Pferde auf die winterliche Weide, weil diese mit ihren festen Hufen die harte Schneeschicht am leichtesten aufbrechen konnten. Vom ungarischen Schaf erzählt man, daß es selbst das geringste Futter noch unter dem tiefsten Schnee hervorholte. Das Rind hat mit seinem gespaltenen, sehr empfindlichen Klauen am meisten unter Kälte und Schnee zu leiden. Deshalb wurde das Pflanzenfutter zuallererst für diese Tiere aufgehoben. Wenn das Vieh sehr hungerte, fraß es das Korbgeflecht der Schutzwand oder das aus Unkrautbündeln bestehende Dach der Hütten auf. In der {G-277.} ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts waren die Weiden noch nicht streng geteilt, und die Hirten Kleinkumaniens erinnern sich heute noch oft an die glücklichen Zeiten ihrer Vorfahren, als das Vieh eine Woche an der Theiß, eine andere an der Donau getränkt wurde. Die Siebenbürger Hirten begannen mit Anbruch des Winters ihre Wanderung zu den tiefer gelegenen Gegenden. Aufzeichnungen beweisen, daß am Anfang des vorigen Jahrhunderts mehrere solcher Herden viele hundert Kilometer weit in Großkumanien und in der Gegend von Debrecen überwinterten. Es gab auch viele siebenbürgische Hirten, die ihre Herden über die Karpaten in die Walachei trieben und nur im Frühling auf die Almweiden zurückkehrten.

Die Schweinehirten der Tiefebene machten sich gewöhnlich im September zu den Eichenwäldern des Hochlandes auf, um zu Michaeli (29. September), wenn die Eichenwälder betreten werden durften, schon an Ort und Stelle zu sein. Die Eichelmast dauerte zumeist bis zum Tage des hl. Nikolaus (6. Dezember); so konnte zu Weihnachten die gemästete oder wenigstens erholte Herde nach Hause getrieben und dort noch einige Wochen lang gut gefüttert werden. Jene acht bis zehn Wochen verbrachten die Tiere im Freien, nur die Hirten errichteten für sich eine mit Erde bedeckte Holzhütte.

{G-278.} Das erste Austreiben der halbwilden und der täglich zurückkehrenden Tiere war ein richtiges Fest. Da wurde in katholischen Gegenden zu Ehren des hl. Wendelin eine Messe zelebriert und nach einem kurzen Umtrunk das Vieh ausgetrieben. In dieser Zeit übten die Hirten sämtliche Praktiken des Volksglaubens, von denen sie die Gesundheit ihrer Tiere und den Zusammenhalt der Herde erhofften. So wurde um die Weide mit einem Stock eine Linie gezogen und geräuchert, was die Gewähr dafür sein sollte, daß sich kein einziges Tier der Herde verlaufen könne. In der Nacht des St.-Georg-Tages (24. April) trachteten angeblich die Hexen danach, die Kühe als Morgentau einzusammeln und wegzuschaffen.

130. Schafschur

130. Schafschur
Szék, ehem. Kom. Szolnok-Doboka, Rumänien

131. Tränken am Brunnen

131. Tränken am Brunnen
Hortobágy

Neben dem Weiden machte den Hirten das Tränken viel Sorge. Bei Wald- und Hutweiden war die Wasserbeschaffung relativ leicht, da man die Herde nur zum nahen Bach oder zur Quelle zu treiben brauchte. Viel schwieriger war das Tränken im Flachland. Früher tränkten die Hirten der Tiefebene die Tiere aus sogenannten Hunger- und Grabbrunnen (kopolya, sírkút). Ein gewaltiges Loch wurde in den Boden gegraben, bis die Grundwasseroberfläche erreicht wurde; zu {G-279.} diesem führten von beiden Seiten her ein in das Ufer gehauener Abstieg. Auf dem einen trieb man die Herde hinunter, auf dem anderen kletterte sie nach dem Tränken herauf.

Die charakteristische Tränke auf den Weiden der Tiefebene ist der Ziehbrunnen (gémeskút). Er hat einen hohen, gegabelten Pfosten, in dem sich der lange Schwengel bewegt; an dem Ende des Schwengels hängt eine lange Stange und an diesem der Eimer. Der Brunnenschacht hat einen relativ großen Durchmesser, man kann mit mehreren Eimern zugleich Wasser schöpfen. Früher wurde der Brunnen an der Innenseite mit Schilf ausgelegt und dieses mit starken Stöcken festgemacht. In der großen Pußta gab es jedoch nicht genügend Holz, um die Brunnen auf diese Weise herstellen zu können, weshalb die Innenseite mit Schollen und Soden (hant, zsombék) befestigt wurde. Im nassen Brunnen wuchsen und verbanden sich die Graswurzeln derart, daß sie selbst mit einer Axt schwer zu durchschneiden waren. Das Wasserziehen war die schwerste Arbeit der Hirten der Tiefebene. Das Vieh muß an warmen Sommertagen vier- bis fünfmal getränkt werden. Da mußte jeder Hirtenknabe mehrere hundert Eimer Wasser heraufziehen. In manchen Brunnen wurde mit 2 bis 3 Eimern zugleich gearbeitet. Man legte über den Brunnenschacht ein Brett und goß, darauf stehend, das Wasser in den langen Trog, die Tränke.