Brot und Kolatsche (kalács)

Das ungarische Wort für Brot – kenyér – gehört zur frühesten permischen Grundsprache. Entsprechende Wörter findet man in den syrjänischen, wotjakischen und mordwinischen Dialekten, nur daß sie dort die Bedeutung von Grieß, Grießbrei und Grobmehl haben. Das Wort ist im Ungarischen also geblieben, hat aber der historischen Entwicklung gemäß in einem Jahrtausend seine Bedeutung verändert, bis es dann das allbekannte tägliche Brot bedeutete. Das aus Getreidemehl bereitete, mit Sauerteig zum Gären gebrachte Brot blickt also auf eine lange Vergangenheit zurück. Aber die Zubereitungsart ist nicht in sämtlichen Gebieten einheitlich, und in manchen Gegenden – bei den Szeklern im Osten, im Bodrogköz und andernorts – hat das Brot erst in der letzten Zeit die Breispeisen und das ungesäuerte Fladenbrot verdrängt.

Abb. 141. Backtröge zum Kneten auf Gestell.

Abb. 141. Backtröge zum Kneten auf Gestell.
Szalafõ, Kom. Vas, um 1930

Brot wird im mittleren Teil des Karpatenbeckens überwiegend aus Weizenmehl gebacken. Roggenmehl wird vorwiegend in drei Gebieten bevorzugt: im westlichen und mittleren Teil Westungarns, im Donau-Theiß-Zwischenstromland {G-314.} und östlich der Theiß im hügligen Land Nyírség. In diesen und in vielen angrenzenden Gebieten ist auch das sogenannte Doppelmehl (halb Weizen, halb Roggen) beliebt. Aus Gerstenmehl wird Brot nur im Szeklerland gebacken; hier kommt auch die Variante aus Maismehl vor, die man außer in Siebenbürgen nur im Süden Westungarns findet. Das zum Brot verwendete Mehl hängt naturgemäß von dem in den bestimmten Gegenden meist angebauten Getreide ab.

148. Beim Brotteigbereiten

148. Beim Brotteigbereiten
Komádi, Kom. Hajdú-Bihar

149. Beim Brotbacken, Formen der Brotlaibe

149. Beim Brotbacken, Formen der Brotlaibe
Komádi, Kom. Hajdú-Bihar

Das Mehl wird schon am Tag vor dem Backen vorbereitet. Die Bäuerin nimmt aus der Kammer die Menge Mehl, die zu der vorgesehenen Zahl an Brotlaiben nötig ist. Sie siebt das Mehl und schüttet es dann in einen Trog, der früher nur aus Buchenholz, später überwiegend aus Pappel- oder Weidenholz ausgehöhlt war. Nun kommt das Säuern an die Reihe, wofür bei den Ungarn zwei Methoden bekannt sind: Man sondert einen kleinen Teil des Mehls ab und mischt den Sauerteig hinein, deckt ihn mit einer Decke zu und legt das Sauerteigholz darauf. So läßt man den Sauerteig mehrere Stunden lang „reifen“. Ist das Mehl aufgegangen, wird es mit dem übrigen Mehl vermischt und mit Salz und Wasser geknetet. Dann läßt man den ganzen Teig stehen, {G-315.} das heißt weiter „aufgehen“. Somit sind mehrere Vorgänge miteinander verbunden: das Säuern, das Aufgehenlassen, das Kneten und das Aufgehenlassen des fertigen Brotteigs. Eine andere Art des Brotbackens besteht darin, daß man alles – Mehl, Wasser, Salz und Sauerteig – auf einmal zusammenknetet, das heißt, das vorangehende Säuern wegläßt; dieses letztere Verfahren wird im allgemeinen seltener angewendet.

Den Sauerteig zum Säuern bereitet man im allgemeinen für eine längere Zeit – ein halbes oder ein ganzes Jahr – im voraus. Der Kleie mischt man Hopfen, Akazienblüten, Treber und Mostschaum bei, Zutaten, die dem Brot den gewünschten guten Geschmack geben. Seit Ende des vorigen Jahrhunderts hat die in den Läden erhältliche Preßhefe all diese komplizierten Arten von Sauerteigbereitung verdrängt, denn die Preßhefe – vermischt mit Sauerteig – sichert ein vollkommenes Aufgehen des Brotteiges. Eine gute Hausfrau hat immer etwas Sauerteig im Hause, von dem sie nicht gerne etwas abgibt, weil dies – so meint man – das Gelingen des eigenen Brotes gefährdet.

Abb. 142. Sauerteigholz, das man auf die Knetmulde legt.

Abb. 142. Sauerteigholz, das man auf die Knetmulde legt.
Große Tiefebene, Ende 19. Jahrhundert

Brot kneten gehört zu den schwersten Arbeiten der Frau, erschwert auch dadurch, daß es meistens in der Nacht besorgt wird, denn erst um Mitternacht etwa ist der Sauerteig aufgegangen. Dann wird er mit einer entsprechenden Menge lauwarmen Wassers übergossen und zerdrückt. Danach folgt das Kneten auf die Weise, daß vier Finger in den Teig gesteckt, dann zur Faust geballt werden und die Faust vorwärts gestoßen wird. Die Arbeit nimmt etwa zwei Stunden in Anspruch und kann erst beendet werden, wenn sich keine Löcher mehr im Teig {G-316.} zeigen und er sich leicht von den Seiten des Backtrogs lösen läßt. Dann wird er zusammengefaltet, an ein Ende des Backtrogs geschoben und zugedeckt, denn jetzt soll der fertige Teig aufgehen.

150. Brotkorb

150. Brotkorb
Cigánd, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Abb. 143. Brotbackgeräte.

Abb. 143. Brotbackgeräte.
a) Flederwisch; b) Kohlenschieber; c) Backschaufel. Õrség, Kom. Vas, um 1930

Nun ist es Zeit für eine kleine Ruhepause; bald aber muß mit dem Heizen des Backofens begonnen werden. Dabei wird darauf geachtet, daß eine Seite des Backofens immer sauber bleibt. Wenn der Backofen heiß genug ist, holt man mit einem Kohlenschieber die Asche heraus und beginnt den aufgegangenen Brotteig in Stücke zu „zerreißen“-Zu diesem Zweck hat man Bast- oder Strohkörbe, in waldigen Gegenden aus Holz geschnitzte kleine Tröge; in diese legt man ein Brottuch und darauf soviel Teig, wie das Gefäß aufnimmt. Nun bleiben die Brote noch eine Zeitlang stehen, bis sie dann mit Hilfe einer Backschaufel in den Ofen geschoben werden.

Abb. 144. Brotgestell.

Abb. 144. Brotgestell.
Velem, Kom. Vas, Ende 19. Jahrhundert

Das kann aber erst geschehen, wenn der Boden des Ofens so durchglüht ist, daß bei Berührung mit einem Schürholz Funken sprühen. In die Mitte des ersten Brotlaibs steckt man ein brennendes Hölzchen, damit es das Innere des Ofens beleuchtet. Im Tiefland sind die Backöfen groß, und die stets runden Brote benötigen eine Backzeit von drei Stunden. Für die kleineren Wecken genügt eine kürzere Backzeit. Wenn die Brote aus dem Ofen geholt werden, reinigt man die untere Fläche – im Tiefland mit einem Pinsel aus Gänsefedern –, während die obere Fläche mit lauwarmem Wasser bestrichen wird, wovon das Brot einen schönen rotbraunen Glanz erhält.

151. Brotbehälter

151. Brotbehälter
Cigánd, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Abb. 145. Brotkorb, Strohgeflecht.

Abb. 145. Brotkorb, Strohgeflecht.
Jászapáti, Kom. Szolnok, Ende 19. Jahrhundert

152. Brote im Backofen

152. Brote im Backofen
Átány, Kom. Heves

153. Backen von Prügelkuchen

153. Backen von Prügelkuchen
Jobbágytelke, ehem. Kom. Maros-Torda, Rumänien

Im allgemeinen wurde Brot für eine Woche gebacken, und in der Tiefebene galt die Regel: „Die gute Hausfrau backt am Samstag und wäscht am Montag“ (Hódmezõvásárhely). Das samstägliche Backen hatte den Vorteil, daß man sonntags zum Essen frisches Brot geben konnte. Das Brot anzuschneiden, ist das Amt des Hausvaters, der in katholischen Gegenden mit dem Messer zuvor das Kreuzzeichen auf das Brot machte. Das aufgeschnittene Brot blieb gewöhnlich mit einem Tuch zugedeckt in der Stube am Ende der Lehmbank oder in der {G-318.} Tischlade. Die anderen Brote hatten ihren Platz in der Kammer auf verschieden geformten Brotgittern, unter Umständen in Brotkörben, immer bedacht darauf, daß die Maus nicht an das Brot herankonnte.

Ein vom Brotteig weggenommenes Stück und die Reste, die man von den Seiten des Backtrogs abkratzte, ergaben eine faustgroße Semmel (ung. vakaró), ein beliebter Leckerbissen für die Kinder am frühen Morgen. Aus Brotteig wird auch der fladenartige lángos bereitet, den man mit saurer Sahne schmackhaft macht. Die lángos legte man nahe der Ofentür ein, weil sie nach einer halben Stunde bereits gar gebacken waren und dann leicht herausgenommen werden konnten. Lángos ist ein leckeres Essen am Morgen des Backtages.

Aus Hefeteig machte man auch den kalács (Kolatsche, Kuchenbrot) für Feiertage und besondere Gelegenheiten. Zum kalács wurde das feinste Mehl genommen und der Teig mit Milch, Zucker, eventuell auch mit Eiern geknetet. Das Wort stammt aus dem Slawischen und bedeutet Kuchen. Die Kuchenbrote wurden mit der Hand beliebig geformt; so kamen die menschen- oder taubenförmigen Kuchenbrote in Mode. Beliebt sind auch die aus langen Teigsträhnen geflochtenen Kuchenbrote. Kalács mit Fenster oder Flasche backte man zu Hochzeiten als Geschenk für die Hochzeitsgäste. Durch den in der Mitte {G-319.} durchlöcherten runden kalács schob man eine Weinflasche (einen kulacs = Feldflasche) und beschenkte damit den die Trauung vollziehenden Geistlichen. In neuerer Zeit kamen verschiedene Backformen aus Ton oder Blech auf – Fische, Tauben, Rosen usw. –, in die man den Kuchenteig hineindrücken und so backen konnte; eine dieser Arten ist der vornehmlich in Westungarn bekannte kuglóf (Napfkuchen), eine aus dem Österreichischen übernommene Form (Gugelhupf).

Abb. 146. Hölzer zum Prügelkuchenbacken.

Abb. 146. Hölzer zum Prügelkuchenbacken.
a) Szeklerland; b) Kalotaszeg, Ende 19. Jahrhundert

Kuchen aus Hefeteig werden meistens im Backofen gebacken, aber es gibt auch solche, die man auf der Herdplatte bäckt. Zu erwähnen ist der in Siebenbürgen bekannte kürtõskalács (etwa: Prügelkuchen). Der fingerdick ausgezogene Teig wird spiralförmig um eine Holzstange oder ein Ofenrohr gewunden und über offenem Feuer gedreht. Aus Brot- oder Kuchenteig wird auch eine bessere Sorte lángos (Fladen) bereitet, die, in Fett hübsch braun gebacken, nicht nur in den Dörfern, sondern auch in den Städten weit verbreitet ist. In Fett oder Öl werden csöröge – eine Art Krapfen aus Teigstreifen – gebacken, denen man durch Drehen oder Einschneiden phantasievolle Formen gibt.

Aus Hefeteig geknetete Bäckereien sind zwar auch heute noch bei den Bauern verbreitet, aber stark im Abflauen begriffen.