19. Die Illustrationen der ältesten ungarischen Perikopenbücher. Teil IV

Gutenberg Jahrbuch (Mainz) 1982. 236–240.

In den drei vorangegangenen Beiträgen wurden die Illustrationen der Druckereien der Familien Heltai und Hoffhalter und der Druckerei von Joannes Manlius beschrieben[1]. Diese drei Offizinen waren im Westen und Osten von Ungarn sowie in Siebenbürgen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tätig. Die zwei folgenden Aufsätze von dieser Serie werden sich mit in Holz geschnittenen kleinformatigen Szenen aus dem Neuen Testament beschäftigen, hergestellt in zwei Städten in Nordungarn, in Bartfeld (Bártfa – Bardejov CS) und in Leutschau (Lõcse – Levoèa CS).

Zunächst sei ein kurzer Überblick über die damalige geographische Verbreitung des Buchdrucks im Karpatenbecken vorangeschickt[2]. Unter den schweren Schlägen der Türken war Ungarn nach der Schlacht von Mohács (1526) für etwa anderthalb Jahrhunderte dreigeteilt: Mitte und Süden wurde von den Türken besetzt, Westen und Norden gehörten als Rest des Königreichs von Ungarn zu den Habsburgern. Im Osten entstand das Fürstentum Siebenbürgen, das eigentlich einen Pufferstaat zwischen den deutschen und türkischen Reichen bildete und wegen der Abschnürung seiner natürlichen Verkehrswege durch die Türken in eine gewisse Isolation geraten war. So entstand ein spürbarer Drang nach Autarkie in Siebenbürgen. Daher ist es zu verstehen, daß eben in diesem östlichen Teil von Ungarn die ersten Offizinen des 16. Jahrhunderts entstanden – nach den zwei Inkunabeldruckereien[3]: 1529–1530, dann 1544 bis 1552, ab 1575 ohne Unterbrechung Hermannstadt (Szeben – Sibiu R); 1539–1594 Kronstadt (Brassó – Braºov R); ab 1550 Klausenburg (Kolozsvár – Cluj R); ab 1561 Debrecen (H); 1565–1568, 1584–1585 Grosswardein (Várad – Oradea R); 1567–1569, 1578–1579 Weissenburg (Karlsburg – Gyulafehérvár – Alba Iulia R); 1569 Gross–Schlatten (Abrudbánya – Abrud R) usw.

Im sog. königlichen Ungarn, also in den zu den Habsburgern gehörigen westlichen und nördlichen Teilen des Landes begann der Buchdruck mit deutlichem zeitlichen Abstand. Die Bevölkerung mit deutscher und slawischer Muttersprache konnte ihren Buchbedarf aus den westlichen und nördlichen Nachbarländern (Österreich, Mähren und Polen) decken, allein die Ungarn mußten sich selbst versorgen. Im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts wurden die Bücher in ungarischer Sprache in den beiden Universitätsstädten Wien und Krakau (Kraków PL) eine Tagreise weit von der ungarischen Grenze hergestellt, nur kurz (1539 bis 1541) existierte die sonst sehr bedeutende Offizin von Sárvár in Westungarn, wo das Neue Testament zum ersten Mal vollständig in ungarischer Sprache erschien. Im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts ist dann eine Reihe von weiteren Druckereien im königlichen Ungarn entstanden, die ihre Produkte in erster Linie in ungarischer Sprache hergestellt haben: 1558–1560 Ung. Altenburg (Óvár H); 1560 Kaschau (Kassa – Košice CS); 1573–1574 Komjáti (Komjatice CS); 1573–1574 Nedelic (Nedelišæe YU); 1573–1574 Alsólendva (Dolnaja Lendava YU); 1573–1578 Schintau (Sempte – Šintava CS); 1577 Pápa (H).

Erst im Jahre 1577 wurde die erste Offizin in einer Stadt im königlichen Ungarn gegründet, die nicht vorwiegend im Dienste der Einwohner mit ungarischer Sprache stand, in Bartfeld, deren Einwohner damals überwiegend deutsch gesprochen haben. Die deutschen Kolonisten spielten – in erster Linie in den Städten von West- und Nordungarn – seit der Mitte des 12. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Die erste Druckerei von Bartfeld stand aber von Anfang an (also ab 1577) nicht nur im Dienste der deutschen Bürger, sondern stellte auch Werke in lateinischer und ungarischer Sprache her und außerdem – wenn auch selten – in der „Bibliètina”, in der kirchentschechischen Sprache also, die damals auch von den Slowaken in Nordungarn benutzt wurde. David Gutgesell war der erste Drucker von Bartfeld, er arbeitete von 1577 bis 1599. Fast eine Ausnahme im Ungarn des 16. Jahrhunderts bildet es, daß im Jahr 1597 ein zweiter Typograph seine Tätigkeit innerhalb derselben Stadt aufnahm: Jakob Klöss. Nach dem Tod von Gutgesell im Jahre 1599 war Klöss wieder der einzige Drucker in Bartfeld. Sein Nachfolger war ab 1622 sein gleichnamiger Sohn, der bis 1664 tätig war.

In dem von den Türken besetzten Gebiet von Mittel- und Südungarn kam bis heute kein einziges Druckwerk zum Vorschein. Weniger die religiöse islamische Vorschrift als vielmehr die vollkommene wirtschaftliche und kulturelle Unsicherheit verhinderte hier die Tätigkeit der Druckereien. Von hier aus strömten die Ungarn nach Norden, so tauchten sie auch in den sonst vorwiegend deutschsprachigen Städten in immer größerer Zahl auf. Noch dazu war die Offizin von Bartfeld bis zum Beginn der Druckereien von Kaschau (ab 1610) und von Leutschau (ab 1625) die einzige typographische Werkstatt in Nordostungarn. So ist es zu verstehen, daß – unter anderem – auch Perikopenbücher in ungarischer Sprache mehrmals in Bartfeld hergestellt wurden.

Aus der Offizin der Familie Klöss von Bartfeld sind zwei Ausgaben von ungarischen Perikopenbüchern bekannt, worin man die von uns untersuchten Illustrationen finden kann: die erste aus dem Jahre 1616[4] und die zweite von 1630[5]. In der „Epistola dedicatoria” vom 1. Juli 1616 der ersten Ausgabe ist zu lesen, daß dieses ungarische Perikopenbuch von Klöss bereits etlichemal gedruckt worden war. Von diesen früheren Ausgaben ist uns jedoch bis heute kein einziges Exemplar bekannt[6].

Die Ausgaben von 1616 und von 1630 sind abgesehen vom Titelblatt – identisch. Die Restauf-lage des Buches aus dem Jahre 1616 – jedoch ohne Vorrede – wurde also später mit einem neuen Titelblatt versehen und in dieser Form publiziert. So sind auch die Illustrationen in beiden Auflagen identisch. Die Holzschnitte sind im Durchschnitt 24–25 x 29 mm groß, bilden also im Gegensatz zu den früher behandelten Serien nicht ein Quadrat, sondern ein etwas waagrecht liegendes Rechteck. Vorbild war auch für diese Bilder die große Illustrationsserie zum Neuen Testament von Hans Sebald Beham. Im Perikopenbuch von Bartfeld stehen insgesamt 47 hier abgebildete Holzschnitte an den folgenden Stellen:

1. A1b

2. A3a

3. A5a

4. A8a, C2b

5. C4a

6. C5a

7. C6b

8. C8b

9. D2a, X4a

10. D3b

11. E1a

12. E4a, A6b

13. E7b

14. F1b

15. F3b

16. G1b

17. G3a

18. G4b

19. G6b

20. L4b

21. L6a

22. M3b

23. N1b

24. N3a, Q4b, R6b

25. N5b

26. N8b

27. O2a

28. O4b

29. P4b

30. P7a

31. Q1b, X2a

32. Q3a

33. R2a

34. R4a, T6b, N4a

35. R5b

36. R8a

37. S2a

38. S3b

39. T1a

40. T2b

41. T4b

42. T8a

43. V1b

44. V3a

45. V4b

46. X6a

47. Y1a

 

Die 47 verschiedenen Holzschnitte kommen also an 55 Stellen vor: 39 einmal, 4 zweimal und 2 dreimal.

Auch hier ist zu beobachten, daß einige Illustrationen von Beham beim Nachschnitt besonders beliebt waren. So ist es leicht, eine Reihe von Illustrationen bei allen vier bis jetzt untersuchten Druckereien von Ungarn zu finden, die man ohne Schwierigkeit auf das Vorbild von Beham[7] zurückführen kann:

Geisberg-Nr.

Heltai

Hoffhalter

Manlius

Klöss

36

12

 4

11

10

51

35

39

32

33

129

44

12

41

45

166

13

 5

20

13

188

10

54

18

 8

Innerhalb der von Klöss in Bartfeld gebrauchten Serie ist noch eine andere Erscheinung zu beobachten: das Vorbild von Beham kommt mit identischer Körperstellung in zwei verschiedenen Holzschnitten vor: Bei der wunderbaren Brotvermehrung (Geisberg-Nr. 53) unter Abb. 18 und 35 und beim Einzug Christi in Jerusalem (Geisberg-Nr. 77) unter Abb. 1 und 20. Auch diese Erscheinung ist ein Beweis dafür, wie oft und in wievielen Variationen die Illustrationen von Beham verbreiteten Motiven nachgeschnitten wurden.

Dasselbe Phänomen wird auch durch einen anderen Holzschnitt erhärtet, der sich in einem Druckwerk von Rudolf Hofhalter befindet. Seine große Illustrationsserie zum Neuen Testament wurde schon früher untersucht[8]. Im Jahre 1574 druckte er in Südwestungarn (Alsólendva) eine Predigtsammlung in ungarischer Sprache[9]. Hier steht ein Holzschnitt von 25 x 29 mm[10], der von der erwähnten Serie sowohl in der Größe als auch in der Ausführung abweicht (Abb. 48). Wenn man diese Illustration mit der Abb. 38 von Klöss vergleicht, so ist die Ähnlichkeit verblüffend, ist die eine doch das Spiegelbild der anderen. Es ist also die Spur einer weiteren Illustrationsserie, nachgestochen dem Vorbild von Beham, die in einer Druckerei von Ungarn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts benutzt wurde.


 [1]   Gutenberg Jahrbuch 1979. 283–290. – 1980. 246–257. – 1981. 229–233.

 [2]   Ausführlicher darüber in: Bibliothek und Wissenschaft (Heidelberg) 2. 1965. 1–33.

 [3]   Buda: Hess 1473. – 1477–1480: Typographie von Antoninus Florentinus: Confessionale.

 [4]   RMK I. Nr. 459.

 [5]   Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1929. 215.

 [6]   Èaploviè, Ján: Bibliografia tlaèí vydaných na Slovensku do roku 1700. I. Martin 1972. Nr. 127.

 [7]   Geisberg, Max: Die deutsche Buchillustration in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 2. Folge, 9. Heft. München 1932. Nr. 907–1139. [Zitiert: Geisberg Nr. 1–233.]

 [8]   Gutenberg Jahrbuch 1980. 246–257.

 [9]   RMNy Nr. 334.

 [10]   RMNy Nr. 334. 459b. – Soltész Zoltánné: A magyarországi könyvdíszítés a XVI. században (Buchschmuck in Ungarn im XVI. Jahrhundert). Budapest 1961. 140, Nr. 49.




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