32. Salamon Sultzer, ein Typograph und Schriftgiesser
in Mittel- und Osteuropa (1564–1603)

Acta Litteraria Academiae Scientiarum Hungaricae 1971. 43–47.

Zur Verbreitung der Literatur sind die Druckereien unentbehrlich, die Leute aber, die dort beschäftigt sind, wurden oft außer acht gelassen. So ist es vielleicht nicht uninterressant, die Kenntnisse über Salomon Sultzer zusammenzufassen, der am Ende des 16. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas als Drucker und Schriftgießer gearbeitet hat.

Im Stadtarchiv von Leutschau (Lõcse – Levoèa, in der heutigen Slowakei) befindet sich ein Brief von Sultzer, den er am 16. Oktober 1591 in Güns (Kõszeg, in Westungarn) an die Vorsteher der Stadt Leutschau geschrieben hat.[1] In diesem hat er der Stadt seine Dienste angeboten: er war bereit, dort eine Typographie zu gründen. Um seine fachlichen Kenntnisse zu beweisen, hat er seinem Schreiben ein kleines Druckwerk beigegeben. Der Einblattdruck[2] ist, doppelseitig mit demselben Text bedruckt. Im oberen Teil befindet sich das Credo in lateinischer Sprache.[3] Nach der Devise „Soli Deo laus et gloria” gibt Sultzer bekannt, daß die Buchstaben mit den dazu gehörenden Werkzeugen von ihm hergestellt bzw. repariert wurden, die er am 16. November 1589 dem Bartfelder Typografen David Gutgesell übergeben hat. Aus den letzten Zeilen ist zu erfahren, daß Salomon Sultzer in Höchstädt vor 25 Jahren geboren wurde.

Um seine lutheranische Überzeugung zu beweisen, hat er sich in dieser Schrift auf seine Feudalherren, den Pfalzgrafen Philipp Ludwig in Neuburg und die Grafen Veldenz und Sponheim, ferner auf die Universitätsprofessoren zu Lauingen und Tübingen, bzw. auf die kaiserlichen Räte in Prag und in Breslau berufen. Aus Wien kommend ist er dann in Bartfeld (Bártfa – Bardejov, in der heutigen Slowakei) eingetroffen, wo er das typographische Material und die Werkzeuge von David Gutgesell erneuert hat. Er hat dabei die Lettern neu gegossen, drei neue Werkzeuge und die ganze Einrichtung mit einer kompletten Schriftgießerei hergestellt und dem Bartfelder Typographen in seinem Haus übergeben. Sultzer war also in dieser Zeit im Besitz der vollen Kenntnissen aller technischen Einzelheiten, die zu der Buchdruckerkunst gehört haben.

Glücklicherweise ist ein weiterer Brief von ihm erhalten geblieben, den er an den Vorstand der Stadt Bartfeld am 5. Juli 1591 in Lublin (Polen) geschrieben hat.[4] Daraus kann man weitere Einzelheiten über das Leben von Sultzer erfahren. Noch während seines Aufenthaltes in Bartfeld im Jahre 1589 hat er sich mit Hedwig, der Tochter von Michael Geppart[5] verlobt. Er mußte dann wegfahren, um für die Heirat seinen „Geburtsbrief” herbeizuschaffen. Er wollte auch seine „Instrumente und Werkzeuge” aus Breslau (Wroc³aw) abholen. Unterwegs in Krakau (Kraków) ist Sultzer krank geworden. Dort hat Michael Geppart ihm durch zwei Mitbürger mitgeteilt, daß er wegen seiner Tochter nicht nach Bartfeld zurückkommen soll: Geppart hat nämlich seine Hedwig inzwischen mit jemand anderem vermählt. Sultzer kehrte doch nach Bartfeld zurück, Geppart und Hedwig haben aber die Stadt vorzeitig verlasen. So legte Sultzer darüber dem Konsistorium schriftlich eine Klage ein. Er wurde damit an die Stadt verwiesen. Dann ist er seinem „Gewerbe nach auf Debritz [ge]zogen” und von dort aus wieder nach Bartfeld zurückgekehrt, wo er weitere fünf Wochen verbracht hat, ohne die Familie Geppart treffen zu können. Alle diese Ereignisse sollten im Jahre 1590 geschehen seien. Am 5. Juli 1591 hat Sultzer Obiges aus Lublin geschrieben, weil er inzwischen erfahren hatte, daß die Familie Geppart nach Bartfeld zurückgekehrt ist. Nun hat er mit dieser Schrift von der Stadt um juristische Hilfe wegen Verletzung des Eheversprechens gebeten.

Wenn man den Lebenslauf von Sultzer aus den obigen Dokumenten zusammenfassen will, so kann man folgendes feststellen.

Er wurde um 1564 in Höchststädt an der Donau (Schwaben) geboren. Als Lutheraner hatte er Kontakt mit den Professoren der Universitäten Lauingen und Tübingen. In Breslau hatte er seine Tätigkeit als Schriftgießer schon gewiß ausgeübt, weil er seine Werkzeuge im Jahre 1590 von dort abholen wollte. In dieser Stadt haben Crispin Scharffenberg (1553–1577), Johann Scharffenberg (1577–1586) und dann ihre Erben (1586–1590)[6] gearbeitet. Sultzer war bei dieser Familie tätig, die mit der Stadt Bartfeld und vor allen mit David Gutgesell einen regen Kontakt hatte.[7] Im Jahre 1589 war Sultzer in Wien, weil er von dort aus in Bartfeld eingetroffen ist. Prag wurde von ihm wahrscheinlich noch vorher berührt. Höchstwahrscheinlich hat er die Arbeit bei Gutgesell in Bartfeld durch die Breslauer Scharffenberg's angenommen und am 16. November 1589 beendet.[8] Er wollte von hier aus nach Breslau fahren und ist sicher bis Krakau gekommen, doch dann kurz nochmals nach Bartfeld zurückgekehrt. Von hier aus ist er dann – sicher schon im Jahre 1590 – nach Debrezin (Debrecen, Ostungarn) gegangen, wo er gewiß auch mit der Schriftgießerei zu tun hatte. Zu dieser Zeit starb die Witwe Rudolf Hoffhalters und die dortige Druckerei wurde von János Csáktornyai übernommen.[9] So ist die Auffrischung des typographischen Materials dieser Offizin durch Sultzer ganz klar. Nun ist er nochmals nach Bartfeld zurückgekehrt. Am 5. Juli 1591 hat er seinen Brief aus Lublin folgenderweise unterschrieben: „Salomon Sultzer von Höchstet aus Schwaben der hochlöblich Kunstdruckerei Schriftgießer”. Diese „Kunstdruckerei” war die hebräische Typographie von Hajjim ben Qalonimos Jafe, wo Sultzer also auch als Schriftgießer gearbeitet hat.

Am 16. Oktober 1591 war Sultzer schon wieder in Ungarn, diesmal aber im westlichen Teil des Landes, in der Stadt Güns (Kõszeg), von wo er der Stadt Leutschau sein Angebot zur Gründung einer Druckerei machte. Seine Unterschrift lautet diesmal: „Salomon Sulczer Schriftgießer jetziger Zeit zu Günsz in dem Gelbröckl Quartier bei dem Furier”.

Über die Existenz einer Typographie zu dieser Zeit in Leutschau ist nichts bekannt, sein Vorschlag wurde also von der Stadt sicherlich nicht angenommen.

Zu seiner Tätigkeit in Ungarn hat József Fitz einen Beitrag gebracht leider ohne bibliographische Berufung.[10] Laut Fitz sollte Sultzer auch in der oberungarischen Druckerei von Bálint Mantskovit in Vizsoly als Schriftgießer arbeiten. Diese Typographie wurde Anfang des Jahres 1589 hierher übersiedelt und zur Herstellung der ersten kompletten Bibelausgabe in ungarischer Sprache vollkommen neu ausgerüstet.

Nach diesen wenigen, aber recht beweglichen Jahren verschwand Sultzer aus den Augen des heutigen Forschers. Erst aus dem Jahre 1596 hat man wieder konkrete Angaben über ihn, als er nämlich eine Druckerei in Wilna (Vilnius) in der Hauptstadt von Lithauen gegründet hat.[11] L. Abramovicz hat angenommen,[12] daß Sultzer mit seinem Patron, Andrzej Wolan aus Riga in Wilna eingetroffen ist. Leider fehlen aber in Riga alle Spuren einer typographischen Tätigkeit von ihm.[13] In einer Publikation aus dem Jahre 1600 taucht als Mitarbeiter auch der Name eines gewissen Ulrich Sultzer auf, der wahrscheinlich sein Bruder war. In Wilna hat Salomon Sultzer – nach unseren heutigen Kenntnissen – bis zu seinem Tod im Jahre 1603 etwa ein Dutzend Druckwerke hergestellt.[14]

Er war streng lutheranisch eingestellt, aber die unter seinem Namen erschienenen Bücher waren vom in Wilna durch die Jesuiten immer strenger vertretenen katholischer Gesichtspunkt aus neutral. So ist es zu verstehen, daß Sultzer ab 1602 den Titel eines von dem polnischen König Sigismund III privilegisierten Druckers getragen hat. Das Privileg wurde gewiß durch seinen Patron bei dem König erwirkt.

Im Jahre 1895 veröffentlichte János Kluch ein Druckwerk aus der Wiener Hofbibliothek, das von Clemens Polus unter dem Titel Historia confoederationis Polonicae geschrieben und mit den Impressumangaben „Debreceni 1596” publiziert wurde.[15] Sowohl Kluch, als auch Hiador Sztripszky, der Kluch's Angaben übernommen hat,[16] haben angenommen, daß das Buch tatsächlich in Debrecen hergestellt wurde. Auch Pál Gulyás[17] hat diese Vermutung nicht in Zweifel gestellt.

Dagegen hat schon Stanis³aw Estreicher festgestellt, daß das oben angegebene Impressum fingiert ist und das Werk von Salomon Sultzer in Wilna gedruckt wurde.[18] Die Universitätsbibliothek von Göttingen besitzt ein weitere Arbeit desselben Verfassers De pontificibus Romanis, die das Impressum „Debrecini 1592” trägt.[19] Die Typen des Druckwerkes haben mit der Material der Offizin in Debrezin überhaupt nichts zu tun. Dagegen ist die typographische Ausstattung mit dem anderen Polus-Werke identisch. Als wurden die beiden Drucke ihres mit den Katholiken stark polemisierende Inhalts wegen mit fingierten Impressendaten von Sultzer hergestellt.

Im Jahre 1596 war Sultzer schon in Wilna tätig, so ist die Lokalisierung, der Historia confoederationis Polonicae eindeutig. Dagegen ist die Jahreszahl 1592 von De pontificibus Romanis problematisch. Über seine Tätigkeit zu dieser Zeit ist – wie es schon oben erwähnt wurde – heute nichts bekannt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß er noch am 16. Oktober 1591 aus Westungarn wieder nach Polen weitergefahren ist. Dieses zweite Druckwerk hat Clemen Polus dem Rat der Stadt Danzig (Gdañsk) gewidmet. Eine Ausgabe aus den Jahre 1592 ist aus der Königsberger Druckerei von Georg Osterberger bekannt.[20] So besteht die Möglichkeit, daß Sultzer dieses Werk später, also ab 1596 in Wilna, aber mit der Jahreszahl der Königsberger Ausgabe hergestellt hat.

Es ist interressant, daß Sultzer zur Tarnung seiner antikatholischen Tätigkeit als fingierten Druckort einen ungarischen Städtenamen in Anspruch genommen hat. Aus seinem oben schon kurz skizzierten Lebenslauf ist da aber erklärlich. Im Jahre 1590 war er gewiß in Debrezin. Dort konnte er die merkwürdige politische Sonderstellung der Stadt kennenlernen. Sie lag damals zwischen den drei Teilen, die durch die Türkeninvasion aus Ungarn entstanden sind: Nordungarn mit einem Habsburger Herrscher, Mittel– und Südungarn von den Türken besetzt und Ostungarn oder Siebenbürgen als ein selbständiges Fürstentum. Diese Kräfte haben sich in einzelnen Perioden des Geschichte so sehr neutralisiert, daß die Stadt eine gewisse Unabhängigkeite genießen konnte. So gab es für die ungarischen Kalvinisten keine Schwierigkeit, hier ihre Hochburg auszubauen. Sultzer, der diese Situation an Ort und Stelle erfahren konnte, wußte genau, daß ihm die Bezeichnung „Debreceni“, bzw. „Debrecini” eine gute Lösung zur Tarnung des richtigen Druckortes seine Publikationen bieten konnte.


[1] Leutschau Stadtarchiv: Clas. XII. nr. 31. – Veröffentlicht von Iván Hajnóczy in der Zeitschrift Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1905. 187.

[2] Blattgröße: 172x123 mm, Satzspiegel 135x89 mm.

[3] An einer Seite in 13 Zeilen, an der anderen in 12 Zeilen, weil manche Worte aus der zweiten fehlen.

[4] Bardejov (=Bartfeld), Stadtarchiv – Veröffentlicht von Jenõ Ábel in seinem Werk: A bártfai Sz. Egyed templom könyvtárának története (Geschichte der Bibliothek der Hl. Ägidii Kirche von Bartfeld). Budapest 1885. 190–192.

[5] Pál Gulyás schrieb in seinem Werk – A könyvnyomtatás Magyarországon a XV. és XVI. században (Die Buchdruckerei in Ungarn im XV. und XIV. Jahrhundert). Budapest 1931. 201. – irrtümlich „Szeppart”.

[6] Burbianka, Marta: Produkcja typograficzna Scharffenbergów we Wroc³awiu. Wroc³aw 1968.

[7] Ábel Jenõ: A bártfai Sz. Egyed templom könyvtárának története (Die Geschichte der Bibliothek der Hl. Ägidii Kirche von Bartfeld). Budapest 1885. 185–186. – Gulyás Pál: A könyvnyomtatás Magyarországon a XV. és XVI. században (Die Buchdruckerei in Ungarn im XV. und XVI. Jahrhundert). Budapest 1931. 197.

[8] Man kennt aus dem Jahre 1589 kein einziges Druckwerk aus der Offizin von Gutgesell, so besteht die Möglichkeit, daß Sultzer dort ziemlich lange arbeitete.

[9] Gulyás Pál: A könyvnyomtatás Magyarországon a XV. és XVI. században (Die Buchdruckerei in Ungarn im XV. und XVI. Jahrhundert). Budapest 1931. 223.

[10] Fitz József: A magyarországi nyomdászat, könyvkiadás és könyvkereskedelem története (Geschichte der Buchdruckerei, des Verlagswesens und des Buchhandels in Ungarn). II. Budapest 1967. 43.

[11] Drukarze dawnej Polski od XV do XVIII wieku. V. Wroc³aw–Kraków 1959. 235–236, 267.

[12] Abramovicz, Ludwik [Karol]: Cztery wieki drukarstwa w Wilnie 1525–1925. Wilno 1925. 52–53.

[13] Buchholtz, Arend: Geschichte der Buchdruckerkunst in Riga 1588–1888. Riga 1890.

[14] Drukarze dawnej Polski od XV do XVIII wieku. V. Wroc³aw–Kraków 1959. 236.

[15] Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1895. 340.

[16] Sztripszky Hiador: Appendix ad I–II. tomos operis Caroli Szabó Régi magyar könyvtár. Budapestini 1912. Nr. II. 2489/37.

[17] Gulyás Pál: A könyvnyomtatás Magyarországon a XV. és XVI. században (Die Buchdruckerei in Ungarn im XV. und XVI. Jahrhundert). Budapest 1931. 226.

[18] Estreicher, Karol: Bibliografia Polska XXIV. Kraków 1912. 469.

[19] Herr Dr. Helmut Kind hat uns die Angaben darüber freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

[20] British Museum. General catalogue of printed books. 1–263. London 1931–1986. Bd. 192. Sp. 565.




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