45. Eine typographische Offizin ohne Blei und ohne Druckpresse
(Siebenbürgen 1640 bis 1642)

Gutenberg Jahrbuch 1993. 131–139. – mit V. Ecsedy Judit.

Das Karpatenbecken in Ost-Mitteleuropa ist eine markante geographische Einheit. Seine Bevölkerung dagegen zeigt noch heute wie auch in der Vergangenheit eine bunte Vielfalt. Wenn man die Sprache der heute hier lebenden Völker betrachtet, so sind auffallend vielerlei Sprachen Europas in diesem Raum vorhanden. Die drei größten Zweige der indoeuropäischen Sprachfamilie sind hier seit langer Zeit vertreten: die Slawen durch die Slowaken im Norden und durch die Kroaten und Serben im Süden, die um das 6. Jahrhundert hierher kamen; die Germanen durch die Deutschen, die ab Mitte des 12. Jahrhunderts zur Verteidigung der Karpaten gegen die letzten Wellen der Völkerwanderung im Norden (Zipser) und im Südosten (die sogenannten Sachsen) angesiedelt wurden; die Neulateiner durch die Rumänen im Osten, die von der Balkan-Halbinsel aus ab dem Beginn des 13. Jahrhunderts einwanderten. Die im letzten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts aus Osten kommenden Ungarn, die diesen Raum vor tausend Jahren staatlich organisierten und sich vor allem in der Mitte und im Osten des Karpatenbeckens niederließen, haben eine vollkommen andere Sprache. Das Ungarische gehört nämlich zur finnisch-ugrischen Sprachfamilie wie die Finnen und die Esten. Ein sprachgeographisches Kuriosum also in der Mitte Europas.

Aber nicht nur sprachlich, sondern auch konfessionell und dementsprechend auch kulturell sieht das Karpatenbecken äußerst bunt aus. Schon seit dem großen Schisma zwischen Rom und Byzanz (1054) gehören die Rumänen und Serben zur orthodoxen Kirche. Nach der Reformation verbreiteten sich hier auch mehrere Religionen.

Die Schlacht von Mohács (1526) bedeutete den Untergang des mittelalterlichen Ungarn. Das Land zerfiel in drei Teile: die westlichen und nördlichen Gebiete haben als sogenanntes königliches Ungarn die Habsburger geerbt. Vom Süden aus haben die Türken, als ein Keil nach Norden, die Mitte des Karpatenbeckens für etwa anderthalb Jahrhunderte besetzt. Im Osten ist das Fürstentum Siebenbürgen für diesen Zeitraum als Pufferstaat zwischen den zwei Weltmächten (dem Habsburger Reich und der Türkei) quasi selbständig geworden. Die Fürsten und die Amtssprache waren ungarisch (in Ungarn blieb dagegen die Amtssprache das Lateinische bis ins 19. Jahrhundert). Die Glanzzeit dieses Fürstentums war das zweite Viertel des 17. Jahrhunderts.

Die siebenbürgischen Fürsten waren meistens kalvinistisch wie auch die Mehrzahl der dortigen Ungarn. Ein Teil (vor allem bei den Széklern) ist katholisch geblieben, und ein anderer Teil unitarisch geworden. Auch das Sabbatariertum war bei ihnen vertreten. Die Deutschen von Siebenbürgen, die sogenannten Sachsen, folgten schon ab Mitte des 16. Jahrhunderts fast einstimmig der Lehre Luthers. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts lebten demnach – vereinfacht gesagt –  die kalvinistischen Ungarn mit dem Fürst an ihrer Spitze, die lutherischen Deutschen (Sachsen) und die orthodoxen Rumänen in Siebenbürgen nebeneinander.

Die Bevölkerung von Siebenbürgen war also wie noch heute – zwischen dem westlichen und östlichen Christentum aufgeteilt. Diese Trennung war damals auch am Gebrauch des Alphabets zu erkennen: die Rumänen, obwohl sie keine Slawen sind, benutzten bis in das 19. Jahrhundert die kyrillischen Buchstaben. Die orthodoxe Kirche auf der Balkan Halbinsel gebrauchte für ihre Liturgie damals Kirchenslawisch. Auch die Rumänen haben diese für sie unverständliche Sprache in der Liturgie benutzt, wie zum Beispiel Latein in der Westkirche verwendet wurde. Parallel dazu haben aber die Rumänen, vor allem für die seelsorgerische Tätigkeit, auch ihre eigene neulateinische Muttersprache genommen[1].

Die ersten Druckereien wurden in Siebenbürgen im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts gegründet, und zwar vor allem in den Städten mit deutscher Bevölkerung: 1529 Hermannstadt (Nagyszeben – heute Sibiu)[2] 1539 Kronstadt (Brassó – heute Braºov)[3] und 1550 Klausenburg (Kolozsvár – heute Cluj-Napoca). Diese Offizinen besaßen Typen vor allem für die lateinische (und dadurch auch für die ungarische), aber manchmal auch für die deutsche und griechische Sprache. Die oben erwähnten zwei ersten Orte, also die führenden Städte der Sachsen in Siebenbürgen, pflegten sehr enge Handelsbeziehungen mit den rumänischen Fürstentümern von Moldau und Walachei. Die geschäftstüchtigen Deutschen haben die Marktlücke von orthodoxen liturgischen Büchern um die Mitte des 16. Jahrhunderts sowohl bei den Rumänen als auch bei den Bulgaren und Serben erkannt. So ist es zu erklären, daß im Jahre 1544 unter der Leitung des dortigen Stadtschreibers, Philips aus Moldau, in Hermannstadt[4] und 1557 unter der Leitung des griechischen Diakons Coresi[5] in Kronstadt[6] je eine Offizin mit kyrillischen Buchstaben ihre Tätigkeit begann. Insgesamt wurden im 16. Jahrhundert (1544 bis 1588) etwa 40 Druckwerke mit kyrillischen Buchstaben in Siebenbürgen hergestellt[7].

In der Periode zwischen 1588 und 1635 wurden weder in Siebenbürgen noch in der Walachei oder im Fürstentum Moldau Bücher mit kyrillischen Buchstaben für die orthodoxe Kirche gedruckt. Abgesehen von den fast ständig unruhigen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ereignissen dieser Zeit[8] kann man den Stillstand der Typographie für die rumänische orthodoxe Kirche vielleicht mit der vorübergehenden Übersättigung des Marktes mit solchen Druckprodukten erklären.

Anfang der 30er Jahre des 17. Jahrhunderts zeigte sich aber schon ein Mangel an solchen Büchern. Mit der Unterstützung des zuständigen Fürsten wurde eine Offizin zur Herstellung dieser Werke 1635 in der Walachei (Cîmpulung) bzw. im Kloster Govora 1639 und 1642 im Fürstentum Moldau (Iaºi) gegründet. Auch in Siebenbürgen beklagte der ungarische Fürst György I. Rákóczi dieses Fehlen von rumänischen Kirchenbüchern. Die Fürsten hatten schon seit 1623 eine eigene Offizin in ihrer Residenzstadt Gyulafehérvár (Weissenburg, später Karlsburg – heute Alba Iulia), doch besaß sie keine kyrillischen Lettern. Ein Buch mit lateinischen Buchstaben war damals für die Rumänen schon von vornherein unlesbar.

Der Metropolit von Gyulafehérvár, Ghenadie II., hat dann konkrete Schritte unternommen für die siebenbürgische Herstellung der damals schon besonders selten gewordenen und von den Geistlichen gern benutzten „Evangelie cu învãþãtura”, einer Postille, die den Text der Evangelien für die Sonn und Feiertage des Jahres mit einer Predigt in rumänischer Sprache enthielt. Der schon erwähnte Coresi hat dieses Buch aus der kirchenslawischen Sprache übersetzt und 1581 in Kronstadt gedruckt[9] So lud der Metropolit den Pope „Dobre dascal” (Lehrer) aus der Walachei ein, um dieses Postillenbuch in Siebenbürgen herzustellen. Dazu gab auch Fürst Rákóczi die Genehmigung.

Die obigen Einzelheiten kann man aus dem Vorwort der „Evangelie” erfahren, die Dobre dann tatsächlich herstellte[10]. Davon ist kein vollständiges Exemplar erhalten geblieben: von den heute bekannten drei Exemplaren fehlen sowohl das Titelblatt als auch das Kolophon. Nach dem Vorwort kann man diese „Evangelie” datieren, weil dort der Metropolit Ghenadie II. (1628–1640) schon als Verstorbener genannt wird. Das Papier wurde in der Mühle von Lámkerék (Lantendorf – heute Lancrãm) hergestellt und ist wahrscheinlich auf das Jahr 1641 zu datieren[11].

Dobre stellte noch ein zweites Buch 1642 her, und zwar einen kalvinistischen Katechismus auch in rumänischer Sprache[12] Das ist ein eindeutiges Zeichen der Bemühungen des Fürsten und des reformierten Bischofs von Siebenbürgen um eine Bekehrung der orthodoxen Rumänen. Von diesem Katechismus ist kein einziges Exemplar erhalten geblieben, doch die scharfe Antwort der orthodoxen Kirche durch den moldauischen Metropolit Varlaam „Raspunsul” aus dem Jahre 1645[13] enthält die originalen Druckdaten: Prisaca 1642 Dobre. Aus der zitierten Einführung kann man sogar den genauen Zeitraum der Herstellung von diesem Katechismus erfahren: 5. bis 25. Juli. Dobre war nach der Veröffentlichung dieses Buches, was sicher unter dem Druck des Hofes von Gyulafehérvár geschah, samt seiner Offizin spurlos verschwunden.

Von Dobre ist also allein seine „Evangelie” heute erhalten geblieben. Ein Exemplar, von welchem der Anfang und das Ende fehlen, wird in der ungarischen Nationalbibliothek aufbewahrt[14] Aufgrund dieses Buches war es möglich, auf etliche Einzelheiten der Offizin von Dobre zu schließen. Es wurde mit einer Auszeichnungstype (Letterngröße etwa 8 bis 10 mm) und einer Texttype (die Höhe von 20 Zeilen macht 147 mm aus) gesetzt. Bei der eingehenden Untersuchung beider Typen kann man fast sogleich erkennen, daß die Buchstaben keineswegs untereinander identisch sind. Die oft ganz auffallenden Abweichungen stammen aber sicher nicht von der Abnutzung der Lettern oder von der unterschiedlichen Färbung. Die Buchstaben wurden einfach anders geschnitten: ihre Größe und Formen sind nicht identisch. Um das Obige zu veranschaulichen, werden von einer Seite (K6a) der dort 32mal vorkommende Buchstabe ш (kyrillisches „s”) – etwas vergrößert – in allen seinen Varianten nebeneinander als Illustration vorgeführt (Abb. 1). Auch bei der Auszeichnungstype ist dieselbe Erscheinung zu beobachten, wenn man denselben Text von verschiedenen Stellen des Buches miteinander vergleicht (Abb. 2).



Abb. 1.





Abb. 2.

Die einzige Erklärung für dieses Phänomen ist die Vermutung, daß die Lettern nicht gegossen, sondern einzeln aus Holz geschnitten wurden. Mit solchen Buchstaben hat Dobre sein ganzes Buch gesetzt.

Seit Gutenberg wurde als Material zur Herstellung der Lettern – wohl begründet – das Metall gewählt und benutzt, das Holz diente – abgesehen von den kurzlebigen Blockbüchern – allgemein als Grundmaterial nur zu den Holzschnitten für Illustrationen und für Buchschmuck. Jedoch tauchte früher in Fachkreisen als Gespenst immer wieder die Idee auf, daß die Frühdrucker – statt Metall – mit Holzlettern gearbeitet haben[15]

Man kann sich die Herstellung der frühen Holzlettern folgendermaßen vorstellen: Auf einen Holzstock wurden die Konturen der Buchstaben gezeichnet, dann alle weiteren Teile der Originalfläche etwas vertieft. Dadurch entstanden die sogenannten Patrizen. Diese stempelte man dann mit Farbe auf Holztafeln, deren Höhe immer genau dieselbe war, um die zur gleichmäßigen Einfärbung der Buchstaben unerläßliche Niveaugleichheit der Lettern zu sichern. Von den selten verwendeten Buchstaben stempelte man weniger, von den häufigeren mehr. (So, wie man es in den vergangenen Jahrhunderten mit dem Gießzettel tat.) Dann wurde auf der Originalfläche der Holztafeln außerhalb der Buchstabenkonturen, die hier natürlich im Spiegelbild zu sehen waren, alles mit einem Meißel in geringer Tiefe entfernt. Danach wurden die Holztafeln zuerst in waagerechte Richtung zersägt, und zwar immer im gleichen Abstand, wodurch die Kegelhöhe, also die Zeilenhöhe, gesichert wurde. Die so entstandenen Latten wurden dann senkrecht zu den einzelnen Lettern zersägt. Wenn dem Drucker später beim Setzen eventuell die Buchstaben ausgingen, konnte er diese Schwierigkeit mit der Wiederholung des obigen Verfahrens immer wieder überwinden, und seinen Vorrat ständig den jeweiligen Anforderungen anpassen. Es ist anzunehmen, daß der Typograph gleichzeitig der Hersteller von Holzlettern war. Obwohl der Stempel einen ziemlich sicheren Anhalt für die Größe und für die Form der einzelnen Buchstaben dem Schriftschneider sicherte, war es fast unmöglich, die Konturen der Buchstaben mit dem Meißel immer haargenau herauszuarbeiten. Dadurch entstanden die kleineren oder größeren Abweichungen unter den einzelnen Lettern.

Um zu beweisen, daß das oben Geschilderte über die Holzlettern keine reine Theorie bildet, kann man dafür bereits aus dem Jahre 1477 ein Beispiel aus Italien vorführen. Es handelt sich um das sogenannte „Chorale di Lodi”, das von Dietrich Reichling 1908 zum ersten Mal bibliographisch beschrieben wurde[16]. Domenico Fava hat einen Artikel über die technischen Errungenschaften verfaßt, die von dem Kalligraphen und späteren Typographen Damiano Moille in Parma durchgeführt wurden[17] Zwischen seiner Tätigkeit als Kalligraph und als Typograph (ab 1482) beschrieb er auch das „Chorale di Lodi” mit einer Reproduktion der großformatigen Kolophonzeilen.

Wenn man die Reproduktion von Fava etwas eingehender untersucht, so läßt sich feststellen, daß die Buchstaben voneinander – wenigstens in feinen Einzelheiten – abweichen (Abb. 3). Das „a” ist in dieser Abbildung in zehn Fällen zu finden. Wenn man sie vergrößert, so fallen diese Differenzen noch eindeutiger auf. Sie sind besonders gut bei dem kleinen Viereck (links unten) und bei dem Auslauf des senkrechten Stiels (rechts unten) zu beobachten. Diese Erscheinung kann man allein mit den Holzlettern erklären, da sie – wie es oben schon erwähnt wurde – einzeln und dadurch immer ein wenig individuell hergestellt worden sind, im Gegensatz zu den gegossenen Lettern, die untereinander – abgesehen von den wenigen, zufällig etwas verstümmelten Lettern – vollkommen identisch sind.

Daß diese Type von keinem anderen Drucker, selbst von dem Typograph von Parma später nicht mehr benutzt wurde, kann man teilweise darauf zurückführen, daß diese enorm großen Lettern von über 3 cm ausschließlich für die großformatigen Gradualien geeignet waren. Andererseits bedeutete diese technische Lösung von Holzlettern keineswegs der zur weiteren Entwicklung führende Weg, sondern eine Sackgasse.

Die Offizin des Popen Dobre in Siebenbürgen, um darauf zurückzukommen, arbeitete mit derselben Technik wie man es vor anderthalb Jahrhunderten in Parma tat. Die beiden Offizinen hatten also kein Blei oder besser gesagt überhaupt kein Metall zur Herstellung der Buchstaben verwendet. In Italien sind die Buchstaben 22 bis 37, bei Dobre aber nur 3 bis 7 bzw. 8 bis 10 mm hoch. Natürlich war es wesentlich leichter, fast identische Lettern in einer Größe von 2 bis 3 cm als unter 2 cm in Holz zu schneiden. Dazu noch hatte der Pope eine höchstwahrscheinlich ungeschicktere Hand als der geübtere Kalligraph in Parma. Dementsprechend sieht der Satz in dem kyrillischen Buch ausgesprochen unregelmäßig aus (Abb. 4).




Abb. 3.




Abb. 4.

Der ungünstige Eindruck der „Evangelie” aus Siebenbürgen wird durch das auffallend häufige Schmieren von Druckfarbe noch verstärkt, die man fast auf jeder Seite ringsherum um den Satzspiegel, aber auch nicht selten zwischen den einzelnen Zeilen sehen kann. Besonders charakteristisch sind die linienähnlichen Abdrucke oberhalb der ersten und unterhalb der letzten Zeile, die fast auf jeder Seite erscheinen. Diese Farbstriche gehören immer zu einem Buchstaben. Sie konnten allein dadurch entstehen, daß das Papier nach der Einfärbung des Drucksatzes nicht nur die Farbe von den Konturen der einzelnen Lettern, sondern – natürlich unerwünscht – auch Farbe von der ein wenig niedriger liegenden Schulter des Kegels aufnahm. Das ist unmöglich, wenn das Papier in einem Rahmen einer Druckpresse über dem Satz schwebt und damit lediglich mit dem Tiegel in Berührung kommt, wie es bei den Druckpressen allgemein üblich war. Das befeuchtete Papier scheint also direkt auf den Satz gelegt worden zu sein. Weil die Ränder dabei oben und unten etwas verbogen waren, kamen die Schultern der Lettern, die nicht richtig gereinigt waren, mit dem Papier in Berührung.

Man kann sich das Vervielfältigungsverfahren genau so vorstellen, wie es in der Fachliteratur für den Einblattholzschnitt beschrieben ist: „Mit einer Bürste oder einem Roßhaarballen rieb man über das Papier so lange hinweg, bis es die Farbe gleichmäßig angenommen hatte. Daher kommt auch der Name Reiberdrucke für diese auf primitive Art und ohne Anwendung einer Presse hergestellten Holzschnitte.[18]„ Statt eines Holzschnittes lag bei Dobre ein aus Holzlettern zusammengestellter Satz vor, was jedoch an der Technik überhaupt nichts änderte. So kann man also daraus schließen, daß diese siebenbürgische Offizin keine Druckerpresse besaß und der Abzug in Reibertechnik geschah.

Auch die weiteren Zeichen, die man an der kyrillischen „Evangelie” beobachten kann, unterstützen die Vermutung, daß das Buch mit dieser recht primitiven Methode hergestellt wurde. Die oben beschriebenen Abdrucke der Schultern der Lettern kommen auch bei den uneinheitlichen obersten Zeilen vor, wo sie sich auch reihenmäßig genau nach den einzelnen Buchstaben richten (Abb. 4). So darf man annehmen, daß der Ausschluß niedriger lag als die Schultern der Lettern. Dafür sprechen auch diese „Schulterabdrucke”, die man innen im Satz, und zwar immer unter den Lücken sieht (Abb. 5).



Abb. 5.

Nicht so oft wie oben und unten sind solche unerwünschten linienähnlichen Abdrucke auch auf beiden Seiten des Satzspiegels zu beobachten, und zwar auf der rechten Seite öfter, auf der linken Seite seltener. Etwa 5 mm außerhalb des Druckspiegels sind ab und zu kürzere oder längere, ebenfalls etwa 5 mm breite Balken am linken oder rechten Rand zu sehen, die den sonst schon ungünstigen optischen .Eindruck nur weiter verstärken (Abb. 6). Es handelt sich dabei um weitere unwillkürliche Abdrucke: diesmal höchstwahrscheinlich von dem Rahmen, der etwas tiefer lag als die Buchstaben, die jedoch durch die ungeschickte Einfärbung beschmiert wurden. All dies weist auf die Reibertechnik hin.



Abb. 6.

Wenn man also annimmt, daß die „Evangelie” mit Bürste oder Roßhaarball abgezogen wurde, taucht gleich die wohlbekannte ungünstige Folge dieser Technik auf. Bei der Herstellung von Blockbüchern führte diese Methode zu einem Nachteil, weil der Abdruck des Holzschnitts so tief in den Druckstoff eingedrungen war, daß man die andere Seite des Papiers zum Reiben nicht mehr verwenden könnte. Natürlich ist das Phänomen des Ausbauchens der Linie von Lettern an der anderen Seite des Papiers auch bei diesem kyrillischen Buch zu beobachten, dieser Umstand verhinderte die zweiseitige Herstellung des Buches jedoch nicht. Zur Erklärung könnte man einerseits die Verwendung einer Mangel voraussetzen, die zur Verbesserung des von einer Seite viel zu tief in das Papier eingedrungenen Drucks in anspruchsvollen Offizinen auch noch in diesem Jahrhundert in Anspruch genommen wurdet.[19] Andererseits wurden die nicht selten ziemlich weit auseinanderstehenden Linien des Holzschnitts sicher tiefer in das Papier durch die Reibertechnik eingeprägt als die Holzbuchstaben in der Offizin von Dobre, die einen ziemlich kompakten Block bildeten, wo zwischen den Zeilen bzw. den Buchstaben oft fast kaum ein haarbreiter Leerraum zu finden ist.

Oben wurde erwähnt, daß Dobre den heute unbekannten kalvinistischen Katechismus, von dem uns kein Exemplar erhalten blieb, binnen 20 Tagen herstellte. Der Text dieses Werkes ist aus einer zweiten Ausgabe bekannt, die in der fürstlichen Offizin von Gyulafehérvár 1656 gedruckt wurde, wo eine ziemlich reiche Palette von kyrillischen Lettern ab 1648 zur Verfügung stand. Der Umfang dieses Textes beläuft sich auf etwa 24 000 Buchstaben. Die Katechismen erscheinen immer in einem möglichst kleinen Format: so zum Beispiel die erwähnte zweite Ausgabe aus dem Jahre 1656 in Oktavformat. Die relativ großen Lettern von Dobre machten es aber nicht möglich, diesen Text in einem so kleinen Format herzustellen, so kann man nur mit dem Quartformat rechnen. Dabei war es höchstwahrscheinlich möglich, etwa 800 Buchstaben (in 25 Zeilen mit je 32 Lettern) auf eine Seite zu setzen. Das ergibt für den ganzen Katechismus 32 Seiten, das heißt 16 Blätter, die vier Bogen ausmachen. Wenn man bei den angesetzten 20 Tagen mit 16 bis 17 Werktagen rechnet, so mußte der Pope täglich zwei Seiten fertigstellen (setzen und reiben).

Zum Setzen von zwei Seiten mit etwa 1600 Lettern, zum Abreiben von etwa 200 Exemplaren[20] und zum Zurücklegen der Lettern war ein Arbeitstag von Dobre – natürlich mit mehr als acht Stunden – ungefähr genügend. Höchstwahrscheinlich hatte er aber noch einen Helfer, der sich mit dem Einfeuchten und mit dem Trocknen des Papiers und mit dem Abwaschen der Buchstaben beschäftigte. Vielleicht konnte dieser Mann auch bei der Reiberarbeit eine Hilfe leisten oder sogar die ganze Aufgabe übernehmen, weil diese Arbeitsphase keine besonderen Fachkenntnisse benötigte.

Die Hauptarbeit – inbegriffen das Schneiden der Holzlettern – wurde von Dobre allein durchgeführt. Der Pope hatte Schwierigkeiten bei der Herstellung des ziemlich anspruchsvollen Rot/Schwarzdrucks. Rot wurde im Budapester Exemplar nur einmal, ganz am Anfang (im Bogen 1) verwendet. Aus den etwas abgerutschten Zeilen wird deutlich, daß der Rotdruck in einer anderen Arbeitsphase hergestellt wurde als der Schwarzdruck. Doch nahm der unerfahrene Typograph aus Ungeschicklichkeit keine Maske zur Abdeckung der Satzteile mit der unerwünschten Farbe zu Hilfe, weil die sechs Zeilen des Textes unter dem Rotdruck und rechts von dem roten Lombard – wenn auch nur ganz schwach, doch eindeutig – wiederum auch in rot zu sehen sind. Dobre hat also bei der Arbeitsphase mit dem Rotdruck auch diese sechs Zeilen des sonst mit schwarz hergestellten Textes mit rot eingefärbt, später dann erkannte er seinen Fehler und wischte die rote Farbe ab, aber nicht gründlich genug, so haben sie die schwachen, doch gut erkennbaren Spuren auf dem Papier hinterlassen. Der Amateurtypograph sah wahrscheinlich ein, daß der Schwarz-Rotdruck für ihn ein viel zu hoch gestecktes Ziel war, so gab er seine diesbezüglichen Bemühungen im weiteren auf.

Bei der genaueren Untersuchung des Zeilenregisters ergibt sich, daß die Satzspiegel an den Blattpaaren meistens miteinander parallel verschoben sind. So kann man daraus schließen, daß die Seitenpaare in einer Arbeitsphase abgezogen wurden. Dazu war natürlich unbedingt notwendig, einerseits doppelt so viele Lettern zu besitzen, als bei einem seitenweisen Abzug erforderlich war, andererseits mußte er die genaue Einteilung des Textes innerhalb eines Bogens schon vorher genau bestimmen. Die erste Bedingung war von ihm problemlos durchführbar, weil der Pope früher schon die „Evangelie” in Folioformat gesetzt hatte, so verfügte er sicherlich über genügend Lettern zu den zwei Satzspiegeln in Quartformat. Im Notfall konnte er die eventuell fehlenden produzieren, weil er – mehr als wahrscheinlich – die Lettern eigenhändig herstellte. Auch die zweite Voraussetzung war leicht zu erfüllen, weil Dobre beim Setzen der „Evangelie” der Ausgabe von 1581 seitengenau, meistens sogar zeilentreu folgte. Auch wenn er den Text selten änderte oder kürzte[21], schlossen die letzten Zeilen der Seiten mit abweichendem Text genau so wie es in seinem Muster stand. Der vermutete gleichzeitige Abzug von zwei Seiten harmonisiert sehr gut mit der oben erschlossenen Tagesleistung der Offizin.

Es sieht also so aus, daß eine Einmannoffizin oder „Anderthalbmannoffizin” in den Jahren 1640 bis 1642 in Siebenbürgen Bücher auf möglichst einfache Weise, also ohne Blei und ohne Druckpresse, herstellte, ein Kuriosum in der Druckgeschichte.


[1] Halaski, Karl: Die reformierten Kirchen. Stuttgart 1977. 254 f.

[2] Bibliothek und Wissenschaft (Heidelberg) 3. 1966. 1–12.

[3] Luther und Siebenbürgen. Köln–Wien 1985. 245–255.

[4] Gutenberg Jahrbuch 1966. 195–199.

[5] The Slavonic and East European Review 53. (1975) 161–174.

[6] Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1965. 201–216 (in französischer Sprache).

[7] Badaliæ, Josip: Jugoslavica usque ad annum MDC. 2. Aufl. Aureliae Aquensis 1966. Nr. 125–130.

[8] The Slavonic and East European Review 60. (1982) 491 f.

[9] Bianu, Ioan – Hodoº, Nerva: Bibliografia româneascã veche 1508–1830. I. Bucureºti 1903. Nr. 29. – RMNY Nr. 1102.

[10] Bianu, Ioan – Hodoº, Nerva: Bibliografia româneascã veche 1508–1830. I. Bucureºti 1903. Nr. 40.

[11] Studia Universitatis Babeº–Bolyai. Series Historia (Cluj) 1962. Fasc. II. 71–74.

[12] Bianu, Ioan – Hodoº, Nerva – Simonescu, Dan: Bibliografia româneascã veche 1508–1830. I–IV. Bucureºti 1903–1944. I. Nr. 38, IV. Nr. 188.

[13] Bianu, Ioan – Hodoº, Nerva – Simonescu, Dan: Bibliografia româneascã veche 1508–1830. I–IV. Bucureºti 1903–1944. I. Nr. 48, IV. Nr. 190–194.

[14] Budapest, Ungarische Nationalbibliothek Széchényi: RMK II. 573a.

[15] Gutenberg Jahrbuch 1929. 31 f.

[16] R 1176. – GW 10982/5.

[17] Gutenberg Jahrbuch 1940. 147–156.

[18] Bockwitz, Hans H.: Beiträge zur Kulturgeschichte des Buches. Leipzig 1956. 116.

[19] Für diese Information gilt Herrn Prof. György Haiman ein aufrichtiger Dank.

[20] Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1968. 343–450 (in deutscher Sprache).

[21] Bianu, Ioan – Hodoº, Nerva: Bibliografia româneascã veche 1508–1830. I. Bucureºti 1903. Nr. 40.




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