Festbräuche im Jahreslauf und Volksschauspiel

Eine gemeinsame Eigenartigkeit der auf den verschiedensten wirtschaftlichen und kulturellen Stufen lebenden menschlichen Gemeinschaften ist, dass sie in bestimmten Jahreszeiten wiederkehrende Feste begehen und auf diesen Festen Szenen und Tänze dramatischen Charakters vorführen. Bei den sogenannten Wildbeuterkulturen sind nicht die „kalendermässigen” Momente das primäre, sondern die biologischen Momente des Lebens der gesammelten Pflanzen, des Wildes und der Fische, die jedoch gleichfalls mit dem Wechsel der Jahreszeiten in Verbindung stehen. Mit der zunehmenden Bedeutung des Ackerbaus und der Viehzucht wächst parallel auch die Bedeutung der jahreszeitlichen Feste; die Entwickhung der Astronomie und die wissenschaftliche Erschaffung von Kalendern setzte auch den Zeitpunkt der Feste genauer fest und ordnete sie in den Rahmen der Kalendersysteme (und zugleich auch der entwickelteren Religionssysteme) ein.

Die Anpassung der Feste und der mit ihnen verbundenen dramatischen Sitten an die wechselnden Phasen der Naturvorgänge, der Witterung bzw. des Ackerbaus und der Viehzucht ist auch bei den europäischen Völkern zu beobachten. Die Feste der Völker Europas wurden zwar seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden von Kirche und Staat festgelegt, jodoch blieben im Rahmen der „offiziellen” Festtage (insbesondere in den Bauernkulturen) sehr beharrlich alte Formen und Vorstellungen erhalten.

Die einleitenden Abschnitte des Buches befassen sich mit der Frage, welche charakteristischen Merkmale die Festgebräuche der hier gelebten und benachbarten Völker in den Jahrhunderten gehabt haben konnten, wo das Ungartum den Boden seiner heutigen Heimat erreicht, sodann das Christentum angenommen und sich die europäische Kultur angeeignet hat? Wie verhielten sich die Festbräuche der hauptsächlich Ackerbau betreibenden indogermanischen Völker zu den Festbräuchen des mit dem Ackerbau vertrauten, doch vor allem viehhaltenden finnisch-ugrischen Ungartums, das über eine ganz andere materielle und geistige Kultur verfügte? Wie machte sich das ungarische Volk die europäischen Sitten zu eigen? Was brachte es in die neue Heimat mit, was übernahm es von den benachbarten Völkern und was bürgerte sich beim Ungartum nicht ein? Womit bereicherten die Ungarn das europäische Brauchtum, welche neuen Formen gestalteten sich hier aus?

Der eine Abschnitt behandelt die theoretischen Fragen des Zusammenhanges zwischen Ritus und Mythos und konkret die Korrelation des europäischen Volksglaubens und der Volksbräuche bzw. die der in diesen vorkommenden übernatürlichen Gestalten. Es wird darin festgestellt, dass die mythischen Gestalten in den Glaubensvorstellungen des ungarischen Volkes mit den dramatischen Bräuchen weniger verknüpft sind als bei den benachbarten indogermanischen Völkern. Beim ungarischen Volke haben sich die einzelnen Momente des religiösen Weltbildes aus der Zeit vor dem Christentum in der Volkserinnerung scheinbar konserviert, nicht aber die sich an diese knüpfende Handlungsreihe, die Riten.

Auch die Frage der Beziehung, die zwischen den Festbräuchen und dem Volksschauspiel besteht, wird in der Einleitung erörtert. Der Begriff des „Volksschauspieles” tauchte in Ungarn erst im 19. Jahrhundert auf. In den früheren Jahrhhunderten erregt in erster Linie die religiös-abergläubische Funktion der Bräuche die Aufmerksamkeit der Beschreiber. Es gibt jedoch auch Grenzfälle (z.B. die kostümierten Fastnachtsspiele), wobei der schauspielartige Charakter der Bräuche auch den Zeitgenossen auffällt.

Der zweite Abschnitt beschreibt die historischen Quellen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts und will auch auf die Frage ein Licht werfen, welcher Meinung die Berichterstatter über diese Gebräuche waren und welchen Standpunkt sie bezüglich der Volkskultur, der Volksdichtung einnahmen, was auch ihr Verhältnis zum Volke, ihre politische Stellungnahme ins rechte Licht stellt.

Der dritte Abschnitt befasst sich mit dem rekonstruierbaren Festbrauchtum des landnehmenden Ungartums, und gliedert sich in folgende Unterabschnitte: Zeitrechnung. Sonnenwende. Jahresbeginn. Die Monaten. Angaben unserer Chroniken im Mittelalter. Schamanistische Spielkunst. Altersgruppen, Einweihung. Masken.

Die Beschreibung der dramatischen Bräuche der Festkreise beginnen wir mit der Fastnacht. Die historischen Angaben berichten viel mehr über die Fastnachtsbräuche als über die anderen Festzyklen; die Fastnachtsbräuche werden nämlich sowohl von den katholischen als auch von den protestantischen Kirchenkreisen mißbilligt, folgedessen wird darüber ausführlich berichtet. Im 15. Jahrhundert hören wir bereits von Faschingsunterhaltungen der Städte, der Dörfer, wie auch des königlichen Hofes.

Von König Matthias I. bis zum Fall von Ofen (1541) liegen Berichte über die Faschingsunterhaltungen, die im köiniglichen Hofe zu Ofen (ung. Buda) stattgefunden haben, und über die Masken und Vermummungen vor. Auch Angaben aus dem 16–17. Jahrhundert weisen häufig auf Maskierungen hin. Die allegorische Personifizierung der Fasten und der Fastnachtszeit geschieht durch die Gestalten Konc und Cibere (die Fleischspeise und die Fastensuppe). Die Quellen berichten auch über scherzhafte Wettspiele, Zunftbräuche und eigentümliche rituelle Tänze. Vom 17. Jahrhundert an sind auch Bräuche bekannt, in welchen die alten Jungfern verspottet werden.

Bei den ungarischen Fastnachtsbräuchen dieser Jahrhunderte war das Hauptgewicht auf dem Essen und Trinken. Auch die Personifizierung der grossen Faschingsfesten, die allegorischen Figuren hängen mit den Speisen zusammen.

Zahlreiche Elemente der dramatischen und anderen Bräuche des Festkreises zur Zeit der Karwoche und Ostern sind kirchlicher Herkunft und kamen aus dem älteren Kult zu den „Volksbräuchen” (Rumpelmette, Judasverbrennen, Bräuche im Zusammenhang mit dem Palmkätzchen, der Feuer- und Wasserweihe, dem Flurgange usw.) Auch das Bespritzen mit Wasser zu Ostern und die sich an das Osterei knüpfenden Spiele und Glaubensvorstellungen können bis ins Mittelalter zurückgeführt werden.

Von den Mai- bzw. Pfingstbräuchen wird bereits im 15. Jahrhundert erwähnt, dass am ersten Mai die Häuser und ihr Bereich mit grünen Zweigen geschmückt werden. – An die Wahl des Pfingstkönigs erinnert vor allem ein bereits im 16. Jahrhundert allgemein bekanntes Sprichwort, in dem die vergängliche Macht des Pfingstkönigs. erwähnt ist. Meine Ansichten über die Herkunft der Wahl des Pfingstkönigs und der Pfingstkönigin welchen vom Ergebnis der bisherigen Forschungen ab. Die Königs- und Königinwahl sind nämlich meiner Ansicht nach in Ungarn nicht unbedingt vom gemeinsamen Ursprung. Auf Grund der historischen und modernen Angaben sind meines Erachterns 1. die Wahl des Pfingstkönigs aus der Altersgruppe der Burschen, mit Wettspielen und Geschicklichkeitsproben, 2. die Königs- und Königinwahl mit Umzugsspiel von Heischecharakter und 3. die Königinwahl aus der Altersgruppe der Mädchen mit Heischeumgang, mit dem Zaubersprüchlein für das Wachstum des Hanfes von je anderem Ursprung. Die historische Vergangenheit dieser Bräuche prüfend, gehe ich auf die sich an den Festkreis des Pfingsten und des Maies knüpfenden Glauben, auf den hexenhaften Charakter der festlichen Periode, auf die Rolle der Rosen und die Verehrung der Hl. Elisabeth ein.

Von den Bräuchen der Sommersonnenwende wird seit dem 15. Jahrhundert überdas Johannisfeuer berichtet. Im 15–16. Jahrhundert wird es zuweilen als ein Kirchenbrauch erwähnt, späterhin steht jedoch für diese ein Verbot der kirchlicher und sonstigen Behörden. Seit dem 16. Jahrhundert ist im ganzen Lande der Spruch über das lange Lied des Hl. Iwan bekannt und wurde im XIX. Jh. auf das beim Anzünden des Johannisfeuers gesungene „rituelle Lied” bezogen; die älteren Sprichwortsammlungen geben eine andere Erklährung. Interessant ist die Bemerkung von Kaspar Heltai (16. Jahrhundert), laut der »das Lied des Heiligen Johannes so lang ist, dass wenn der Teufel es anfing, er es nicht beenden konnte, sondern daran erstickte«. Nach Heltai werfe ich zur Auslegung des Spruches weitere Möglichkeiten auf.

Der Winterfestkreis ist von manchen Gesichtspunkten aus dem Osterfestzyklus ähnlich: die Weihnachten bildeten sozusangen einen Mittelpunkt, um welches sich Bräuche und Vorstellungen ganz verschiedener Herkunft gruppieren. Diese konnten späterhin aus der Kirchenliturgie von neuem ausscheiden und abermals zum »Volks«-bauch werden. (Der Fruchtbarkeitszauber des Pfefferns am Unschuldigen Kinder-Tag ist offenkundig; doch war an diesem Tage im Mittelalter hierzulande das Rutensegnen eine kirchliche Sitte, und von hier gelangte vermutlich das Pfeffern unter die ungarischen Volksbräuche.)

Von den Bräuchen des Winterfestkreises können wir bis zum Mittelalter bzw. dem 16. Jahrhundert die Heischeumzüge zu Weihnachten, am Dreikönigstag, an Johannes- und Stephanstag, die Bescherung am 1. Januar, die abergläubischen Handlungen und Vorstellungen zu Jahresbeginn verfolgen.

In diesem Zeitabschnitt können zwei Hauptgruppen der dramatischen Spiele unterschieden werden. Der christlichen Feier schliessen sich die Weihnachts- und Dreikönigsspiele, das Paradiesspiel an. Im Winterfestkreis pflegte man jedoch in dramatisierter Form nicht nur biblische Geschichten vorzuführen. Ein jedes europäische Volk kennt in dieser Periode dramatische oder halbdramatische, oft mit Tiermasken ausgeführte Bräuche, mit welchen man einerseits den glücklichen Jahresbeginn sichern, andererseits die in den längsten Nächten spukenden übernatürlichen Wesen darstellen wollte. Obwohl die Winterbräuche, wie »regölés«, »hejgetés« und auch noch andere auf eine sehr alte Vergangenheit zurückblicken können, berichten die historischen Angaben viel seltener über diese als über die Bräuche kirchlichen Ursprunges.

Ausser den grossen Festzyklen gibt es auch einzelne Festtage, an welche sich dramatische Bräuche, Vermummungen knüpfen und die in historischen Quellen reichlich erwähnt werden. Zu diesen gehören die Feste der Schulkinder (Heischeumgang am Gregoriustag, Blasiussingen). Auch die Tage, wo die »Bösen« umgehen, wo die europäischen Völker die übernatürlichen Wesen vorzuführen pflegten (Nikolaustag, Luzientag). Ferner die im Mittelalter und im 16–18. Jahrhundert mit Prozessionen gefeierten Kirchenfeste (z. B. Fronleichnam), denen sich gleichfalls dramatische und halbdramatische Bräuche knüpften, zählten zu diesen.

Während wir in den bisherigen Abschnitten des Buches die Angaben bis zum Anfag des 19. Jahrhunderts, also bis zum Einsetzen der systematischen ethnographischen Sammlung analysiert haben, sind im letzten Abschnitt unter dem Titel: Ünnepi szokásaink költészete (Dichtung unserer Festgebräuche) sowohl die historischen als auch die neuzeitlichen Erscheinungen bereits berücksichtigt.

Die sich an die Feste knüpfende Handlungsreihe ist von sehr mannigfaltigem Charakter, zuweilen sind darin alle für die Volksspielkunst charakteristischen Merkmale anzutreffen, es kommt aber auch vor, dass eines dieser Merkmale fehlen mag. Es gibt darunter z. B. von einem einzigen Darsteller vorgetragene Zauber und Wahrsagungshandlungen, in welchen die mimischen Momente völlig fehlen. Auch bei den als »dramatisch« geltenden Brauchformen können z. B. die Zuschauer fehlen (so beim Anzünden des Johannisfeuers); das mimische Spiel ohne Text oder Gesang, dramatische Tänze kommen auch häufig vor (z. B. bei meisten kostümierten Fastnachtsspielen).

Bei einem ansehnlichen Teil des Brauchtums (z. B. bei den lyrischen Heischeliedern) fehlt indessen das Spiel, doch können auch diese nicht aus dem Kreise unserer Untersuchung ausgeschlossen werden, weil in den vollständigeren Formen dieser Bräuche wir auch mimischen Momenten begegnen.

Die Schöpfungen der Volksdichtung, die sich an die Festbräuche knüpfen, können nicht einer einzigen, der Form nach einheitlichen dichterischen Kunstgattung zugewiesen werden. Im grossen und ganzen lassen sich folgende Gruppen unterscheiden:

l. Von mehreren Darstellern mimisch vorgetragene dramatische Texte. Zu diesen sind zu zählen aus dem historischen Material die Volklichen Mysterienspiele, von den neuzeitlichen Spieltypen die Weihnachts- und Dreikönigsspiele, einige heute bereits seltene Typen der Mysterienspiele, wie das Paradies- und Susannaspiel, ferner einige Faschingsspieltypen.

2. Die Heischeumzüge mit Dialogen (Gregorisingen, Blasiussingen).

3. Mit Zauberhandlungen verknüpfte Texte, rituelle Lieder oder Liederreihen, in welche häufig epische Teile eingefügt sind (zeremonielle Lieder bei den Winter- und Frühlingsbräuchen, Winteraustreiben, Johannisfeuer usw.).

4. Umzugsspiele von Heischecharakter, mit Ansingen und Reimen, die nicht dialogisch sind und keine besonderen mimischen Momente enthalten. (Weihnachts-, Neujahrs- und Namenstagsbegrüssungen.)

5. An Kalenderfeste gebundene, mit Sang und Tanz einhergehende Kinder-, hauptsächlich Mädchenspiele.

6. An Feiertage geknüpfte Formeln, Zauber- und Glückwunschsprüche.

Für all diese führt das Buch Beispiele an.




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