III.

Chaloupecky behauptet, dass aus der Sprache der Sprache der nomadischen Ungarn alle Kulturelemente fehlen und sie sich ihre landwirtschaftlichen, politischen und religiösen Begriffe von den „Tschecho-Slowaken” aneigneten. Auch scheut er sich nicht, das alte Ammenmärchen von den Ungarn aufzufrischen, die „im Sattel geweichtes rohes Fleisch” gegessen haben sollen. Den Ursprung dieses Märchens, das seit dem Erscheinen der Hunnen allen östlichen Reitervölkern angedichtet war, haben deutsche Reisende und ungarische gelehrte seit langem ins reine gebracht.

In, seinen sprachwissenschaftlichen Erörterungen verrät Chaloupecky nur, dass er mit der ungarischen Sprache und Philologie nicht im reinen ist. Die Frage der Lehnwörter unserer Sprache haben die Philologen in den letzten Jahrzehnten völlig aufgeklärt. Aus der finnisch-ugrischen Grundschicht der Sprache fehlen die Begriffe der Landwirtschaft, woraus zu schliessen ist, dass die Ungarn erst später mit diesen Begriffen bekannt wurden. Die Lehrer aber waren nicht Slawen, sondern die türkischen Hunnen oder Alt-bulgaren, die die ugrische Sprache ihrer Untertanen entlehnten und ihnen ihre Kultur und die in der ugrischen Sprache fehlenden Kulturwörter gaben. Die landwirtschaftlichen und anderen Kulturwörter sind grösstenteils der altbulgarischen Sprache entliehen. Zum Beispiel: eke = Pflug, búza = Weizen, árpa = Gerste, arat = ernten, sarló = Sense, szérû = Tenne, õröl = mahlen, dara = Griess, szõlõ = Traube, szûr = seihen, bor = Wein, seprõ = Weinhefe, ács = Zimmermann, szatócs = Krämer, szûcs = Kürschner, usw. Diejenigen slowenischen Wörter, die wir auf dem Gebiete der neuen Heimat übernahmen, bedeuteten nur Differenzierung, nicht Begriffsbereicherung. Wörter slowenischen Ursprungs haben ihre altungarischen Synonyme, zum Beispiel: birka = juh = ürü = kos; gabona = étel; kakas = kantyúk; pecsenye = sült, sülthús. Die gleichzeitigen orientalischen Schriftsteller, die das ungarische Volk wie auch seine Sprache gut kannten, beweisen klar, dass die Ungarn schon in ihrer osteuropäischen Urheimat Viehzüchter und Landwirte waren, aber zu dieser minderwertigen Arbeit ihre slawischen und andere Knechte verwendeten.

Die Begriffe der politischen Organisation, des wirtschaftlichen und geistigen Lebens konnten die Ungarn, die in entwickelter politischen und militärischen Organisationen, unter Erbmonarchen lebten, nicht von Slawen übernehmen, die ja in dieser Zeit, noch kaum organisiert, in rein blutrechtlichem Geschlechtsverband lebten. Die Wörter hadnagy = Heerführer, bíró = Richter, gyûlés = Versammlung, törvény = Gesetz, bakó = Scharfrichter, tanú = Zeuge, falu = Dorf, betû = Buchstaube, ír = schreiben, kölcsön = Anleihe, Isten = Gott, lélek = Seele sind lauter urungarische, das heisst ugrische oder alt-bulgarische Wörter.

Der kulturell umformende Einfluss der altbulgarischen Sprache ist offenkundig. Demgegenüber bedeuten die slawischen Lehnwörter kaum einen wesentlichen kulturellen Zuwachs; es kann höchstens von einer Begriffsbereicherung die Rede sein. Aber auch diese Begriffe wurden nicht etwa von ein und demselben slawischen Volke, sondern aus fünf verschiedenen (der pannonisch-slowenischen, bulgarisch-slawischen, russischen, serbischen, kroatischen) Sprachen entlehnt. Keine dieser Sprachen kann sich in ihrem Einfluss mit dem der altbulgarischen messen, Am wichtigsten sind die slawischen Elemente der kirchlichen Terminologie. Die Wörter sind teils aus der slawischen, teils aus der deutschen und italienischen Sprache übernommen, doch wurden auch Wörter der alten Religion den christlichen Begriffen angepasst. Auch diese kirchlichen Wörter gelangten aus verschiedenen slawischen Sprachen in die ungarische: einige, zum Beispiel: pünkösd = Pfingsten, húsvét = Ostern, apáca = Nonne, von den der westlichen Kirche anhängenden südlichen (pannonischen) Slowenen, andere: mostoha = Stiefmutter, palota = Palast, aus der Sprache der bulgarischen Slawen, die zur griechischen Kirche gehörten. Zur Bezeichnung einiger Begriffe des Staatslebens wurden auch von den slawischen Knechten übernommene Wörter verwendet, so király = König, nádorispán = Pfalzgraf. Doch waren ursprünglich mehrere dieser Wörter in ihrer primitiven slowenischen Bedeutung gebräuchlich (zum Beispiel megye = Grenze) und änderten sie erst in der ungarischen Sprache (megye = Komitat).

Der so laut verkündete slawische Kultureinfluss kann neben dem alten türkisch-bulgarischen, ja selbst neben dem fränkisch-deutschen und italienischen Einfluss gar nicht in Betracht kommen. Es kann höchstens davon die Rede sein, dass die Ungarn von den im neunten Jahrhundert schon christlichen slawischen Knechten einige, zur Bezeichnung westlicher Kulturbegriffe geeignete Wörter übernahmen.

Selbst Chaloupecky muss hervorheben, dass es „für die erste Hälfte des neunten Jahrhunderts an heimischer Tradition und an direkten Quellen mangelte. Nur auf Grund der späteren Nachrichten und der fremden Überlieferung kann man ein Bild der damaligen Zeiten wagen. Die fremden Quellen sind zwar wortkarg, sehr oft unklar, aber sonst verlässlich”. Demgegenüber stützt sich unsere Geschichtswissenschaft auf authentische aus ländische Quellen des neunten und zehnten Jahrhunderts, auf heimische Traditionen des elften Jahrhunderts, auf Dokumente des elften bis dreizehnten Jahrhunderts. Und mit dem historischen Ergebnisse stimmen auch die Resultate der ungarischen Sprachwissenschaft überein. Nach alledem können wir nicht mehr zweifeln, welche von den beiden Parteien genötigt war, zu chauvinistischen Hypothesen, historischen Falsifikaten Zuflucht zu nehmen, um ihr historisches Recht beweisen zu können! Die Böhmen hatten weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart ein Recht auf irgendeinen Teil Ungarns, und unsere slowakischen Landsleute sind auch nicht auf die „Befreiung” der ihnen fremden böhmischen „Brüder” angewiesen. Chaloupeczkys Worte gebrauchend und sie Ungarns tausendjährigen historischen Rechte anpassend: „kann daran auch die Tatsache nichts ändern, dass ein Teil des Vaterlandes vor Jahrhunderten (nämlich zwischen den Jahren 850 und 902) durch eine fremde (mährische) Dynastie okkupiert (und jetzt mit Gewalt und List durch die Böhmen abgerissen) wurde. Denn das historische Unrecht kann nie zu einem historischen Recht werden…”