Das Schuhwerk

Die früher außerordentlich vielfältige Fußbekleidung der Ungarn begann sich seit dem vorigen Jahrhundert immer mehr zu vereinheitlichen und auf wenige Formen zu beschränken. Zu den ältesten Fußbekleidungen gehört die Opanke (bocskor), die, wenn auch nicht in der Form, so doch ihrer Bedeutung nach dem deutschen Bundschuh entspricht. Der Ursprung des ungarischen Wortes ist nicht bekannt; die benachbarten slawischen Völker haben das Wort von den Ungarn entlehnt, was beweist, daß der Bundschuh in ältesten Zeiten bekannt und mit Sicherheit eine uralte Fußbekleidung der Ungarn war. Davon zeugen nicht nur Aufzeichnungen, sondern auch Spielmannslieder, in denen der Bundschuh aus Birkenrinde erwähnt wird, den die Spielleute des ersten ungarischen Königs, Stephan des Heiligen (997–1038), trugen. Die verwandten finno-ugrischen Völker haben diese Opanken oder Bundschuhe bis in die jüngste Zeit getragen. Im 17. Jahrhundert trugen anscheinend auch die Adligen noch verschiedene Bundschuhformen, denn in einer Aufzeichnung wird von dem ungarischen Staatsmann {G-364.} und Dichter Graf Miklós Zrínyi berichtet, daß er auf der verhängnisvollen Jagd, bei der er den Tod fand, Schlaufenbundschuhe (telkes bocskor) getragen habe.

Abb. 171. Ungarische Bundschuhe (Opanke) und Art der Herstellung.

Abb. 171. Ungarische Bundschuhe (Opanke) und Art der Herstellung.
Nagyecsed, Kom. Szatmár, nach 1920

Die Opanken waren in Osteuropa allgemein verbreitet. In der Ungarischen Tiefebene trug man runde Formen, die vorn gefaltet waren. Der Schlaufenbundschuh hatte an der Seite Schlaufen oder Schlitze, durch die Riemen gezogen wurden, mit denen man den Schuh an Fuß und Bein festband. Die meisten siebenbürgischen Bundschuhformen waren spitz und vorn genäht. In den südlichen Gegenden der Ungarischen Tiefebene und Westungarns kannte man den Deckelbundschuh (fedeles bocskor), der aus zwei Teilen bestand und vorn ganz geschlossen war. Die Hirten haben die Bundschuhe am längsten getragen. Die Schnitter fertigten sich solches Schuhwerk aus Stiefelschäften an; es war leicht und schützte die Füße gegen die stechenden Stoppeln auf dem Feld. Die Nachbarvölker der Ungarn (Rumänen, Serben) haben diese alte Form der Fußbekleidung noch länger als die Ungarn beibehalten.

Der Bundschuh wurde nur selten auf den bloßen Fuß gezogen, höchstens im Sommer. Im Winter und bei Regen wickelte man die Füße in Fußlappen (kapca) aus Leder, Wolle oder Leinen. Diese wurden gründlich eingefettet, damit sie gegen Kälte und Feuchtigkeit schützten. In einzelnen Gegenden (Ostungarn und Palotzenland) wickelte man einen Wadenschutz aus Leder über den Bundschuh, in dem durch die Löcher an der einen Seite ein Riemen gezogen wurde, mit dem man den Wadenschutz umwickelte und festband. Das war bereits der Übergang zur Fußbekleidung mit Schaft, zu den späteren Stiefeln.

Abb. 172. Schaftstiefel.

Abb. 172. Schaftstiefel.
a) Roter Frauenstiefel der Matyós mit Hintennaht. Mezõkövesd, Kom. Borsod, erste Hälfte 20. Jahrhundert. b) Stiefel mit genagelter Sohle, Seitennaht. Rimóc, Kom. Nógrád, erste Hälfte 20. Jahrhundert

Die älteste Form dieses Übergangs, die heute kaum noch in der Erinnerung fortlebt, nannte man saru, ein türkisches Lehnwort der ungarischen Sprache aus der Zeit vor dem ungarischen Einzug in das Karpatenbecken. Im Laufe einer langen historischen Entwicklung wurden unter der Bedeutung dieses Wortes viele verschiedene Fußbekleidungen zusammengefaßt (heute meist als Sandale verstanden), doch wahrscheinlich war saru eine Schuhform, die sich für Reiter besonders gut eignete. Anhand von Ausgrabungsfunden und aus schriftlichen Nachrichten wird deutlich, daß diese Art der Fußbekleidung vermutlich immer ein Element aufwies, das sie auch vom Schaftstiefel unterschied: Der Oberteil wurde von außen auf die Sohle genäht, wodurch der Schuh nicht nur eine Sohle, sondern gegebenenfalls auch zwei bis drei Sohlen haben konnte. Diese Lösung ähnelt verschiedenen westlichen Fußbekleidungsarten.

Das ungarische Wort csizma (Stiefel) tauchte zum erstenmal Ende des 15. Jahrhunderts im ungarischen Sprachraum auf; es ist zweifellos osmanisch-türkischen Ursprungs und kam vielleicht durch südslawische Vermittlung nach Ungarn, als man hier auch mit dem Schaftstiefel selbst bekannt wurde. Der Csizma ist ein Stiefel mit hohem Schaft, der ursprünglich an beiden Seiten zusammengenäht wurde, wobei die Spitze vorn oftmals nach oben gebogen war. Die nach oben gekippte Sohle wurde am Rand angenäht. Der Absatz war aus Holz, das Leder wurde darübergezogen, nach unten umgelegt und mit einem Eisen unter dem Absatz befestigt. Zuerst trugen die Adligen {G-365.} solche Stiefel, bevor sie sich im 18. Jahrhundert auch unter den Bauern zu verbreiten begannen. Richtig durchsetzen konnten sie sich aber erst im 19. Jahrhundert, in vielen Gebieten (z. B. im Szeklerland) sogar erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Schaftstiefel gehörten im allgemeinen zur Festtagstracht. Die Männerstiefel waren fast ausnahmslos schwarz, Verzierungen gab es nur vereinzelt. Die Burschen nagelten sich gern Sporen an die Stiefelabsätze, womit sie beim Tanz den Takt schlagen konnten. Anfang dieses Jahrhunderts änderte sich die Technik der Stiefelmacher; jetzt wurden die Schäfte hinten zusammengenäht. Die Frauen trugen Stiefel in vielen Farben, hauptsächlich rote und gelbe. Ihre Stiefelschäfte waren mit Stickereien verziert, die Absätze mit Ziernägeln beschlagen, und unter den Absatz kamen Eisen aus Messing (Kalotaszeg). Erst in den letzten Jahrzehnten wurden die Stiefel durch Schuhe (cipõ) verschiedener Form verdrängt.

Auf dem Fuhrwerk und bei Arbeiten draußen in der Kälte trug man Filzstiefel (botos). Das ungarische Wort stammt vermutlich aus dem Mittelalter; es ist in der Form bottos, Botte, boots usw. in ganz Europa bekannt, möglicherweise haben es französiche Siedler nach Ungarn gebracht. Die Filzstiefel wurden von den Hutmachern aus Filz oder Tuch angefertigt. Später erhielten sie eine Ledersohle, und nur der Schaft blieb weiterhin aus Filz oder Tuch. Die Schnürstiefel (bakancs) tauchten Anfang des 16. Jahrhunderts auf. Ihre ungarische Bezeichnung bakancs stammt wahrscheinlich von dem ungarischen Wort boka (Knöchel). Sie waren bei der Arbeit eine jederzeit praktische Fußbekleidung. Es ist dies die traditionelle Fußbekleidung der Infanteristen, so daß das Wort bakancs fast nur im militärischen Bereich Verwendung findet.

Als leichte Bekleidung der Füße tragen die Frauen, seltener die Männer, Pantoffeln (papucs), die osmanisch-türkischen Ursprungs sind und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum erstenmal im ungarischen Sprachraum auftauchten. Der Oberteil des Pantoffels bedeckt nur vorn den Fuß. Die Pantoffeln der jungen Frauen und Mädchen haben hohe Absätze und sind am Oberteil reich verziert, vor allem in den Gegenden, wo an Feiertagen farbige Strickstrümpfe getragen werden. Die älteren Frauen und Männer tragen Pantoffeln mit niedrigem Absatz oder ohne Absatz. Die Männer binden die Pantoffeln mit Riemen am Fuß fest. Ursprünglich beschränkte sich das Tragen von Pantoffeln auf den südlichen Teil der Ungarischen Tiefebene. Berühmt und besonders hübsch waren die Pantoffeln von Szeged, und von hieraus verbreiteten sie sich im vorigen Jahrhundert im ganzen Land.