{G-356.} Mantelartige Überkleider

Einen Überblick über die verschiedenen mantelartigen Überkleider der ungarischen Volkstracht verschaffen wir uns am besten, indem wir die wichtigsten und auf größerem Raum verbreiteten Kleidungsstücke nach ihrem Material einordnen. Ein großer Teil von ihnen wurde aus gewebtem Wollstoff oder gegebenenfalls aus Filz genäht, andere waren aus Leder und Fell, bei den Bauern meistens aus Schaffell.

Abb. 167. Schnittmuster eines „Szûr“.

Abb. 167. Schnittmuster eines „Szûr“.
Kisújszállás, Kom. Szolnok, Anfang 20. Jahrhundert

Das am weitesten verbreitete mantelartige Überkleid war der Szûr, ein Bauernmantel aus gewebter und gewalkter Schafwolle, der, obwohl er mit Ärmeln versehen war, doch nur über die Schulter gehängt wurde. Die Ärmel wurden oft zugenäht und zur Aufbewahrung kleiner Gebrauchsgegenstände verwendet. Stellenweise (Westungarn) schnitt man deshalb die Ärmel auch kürzer zu, so daß sie ihrer eigentlichen Funktion überhaupt nicht mehr entsprachen. Die Bezeichnung szûr stammt vermutlich von der ersten Silbe des ungarischen Wortes szürke (grau), womit wir gleich etwas über die häufigste Farbe des Szûr – hellgrau bis weiß – erfahren. Er wurde nur aus geraden rechteckigen Teilen zusammengenäht. Dieser orientalische Schnitt ist ein Beweis dafür, daß der Szûr zu den ältesten Kleidungsstücken zählt.

Von Westungarn bis zum siebenbürgischen Kalotaszeg wurde der Szûr überall von den Männern getragen, allerdings mit gewissen lokalen Unterschieden.

Die westungarische Form des Szûr ist im allgemeinen kurz und hat einen großen viereckigen Kragen, der bis zur Taille herabhängt. Bei Wind und Regen konnte der Kragen kapuzenartig über den Kopf gestülpt werden. Der Szûr der Palotzen ist am einfachsten und nur sehr bescheiden verziert.

In Ostungarn und im Kalotaszeg wurde der sogenannte Kragenszûr (nyakasszûr), getragen, der seinen Namen nach dem Stehkragen des Mantels erhalten hat. Seit der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde der Szûr bestickt und mit Applikationen verziert, während man ihn vorher nur mit farbigem Stoff eingesäumt hatte.

Die reich mit Rot verzierten Formen des sogenannten Paradeszûrs (cifraszûr) wurden von den Burschen getragen, während die älteren Männer meistens nur einen schwarz verzierten Szûr besaßen. Obwohl der Szûr eines der teuersten Kleidungsstücke der Bauern war, trachtete jeder Bursche, der auf Brautschau gehen wollte, danach, einen zu erwerben. Bei einem Besuch im Hause des auserwählten Mädchens ließ er seinen Szûr nämlich wie zufällig zurück, um dann am anderen Tag ängstlich zu beobachten, ob man ihn vors Haus gehängt hatte; wenn ja, dann war er ein unerwünschter Freier. Wurde der Szûr aber nicht hinausgehängt, dann konnte er die Brautwerber schicken, die dann sicher nicht umsonst anklopften. Daraus ist die bis heute gebräuchliche ungarische Redewendung kitenni a szûrét abzuleiten (wörtlich: seinen Szûr heraustun), das heißt, jemanden vor die Tür setzen oder jemandem den Laufpaß geben. Die Anfertigung und Verzierung der Szûrmäntel war Spezialhandwerkern, den Szûrschneidern (szûrszabó) vorbehalten.

175. Rücken eines Bakonyer Parade-Szûrmantels

175. Rücken eines Bakonyer Parade-Szûrmantels
Kom. Veszprém

Im Szeklerland kannte man den Szûr nicht, statt dessen trug man andere mantelartige Kleidungsstücke: cedele (in Kászon), zeke (in Udvarhely) und bámbán (in Csík und Háromszék), die ebenfalls aus Tuch {G-357.} bestanden und zu einer uralten Schicht der Trachten Südosteuropas gehören. Früher wurden sie aus einem einzigen Stück zugeschnitten, in neuerer Zeit näht man auch ein angesetztes Unterteil dazu. Im vorigen Jahrhundert reichten sie noch bis zur Hälfte der Waden; allmählich wurden sie immer kürzer. Man besetzte sie mit schwarzen Schnüren, und an einzelnen Orten wurden sie auch mit grünem oder dunkelblauem Tuch eingesäumt. Die älteren Formen hatten keinen Kragen, der erst später üblich wurde. Der Feiertagscedele war reicher verziert und mit zwei Schnurreihen besetzt. Bei warmem Wetter wurde der Cedele um die Schulter gehängt; wenn es kalt war, zog man ihn an und hielt ihn in der Taille gewöhnlich noch mit einem Gürtel aus Roßhaar zusammen.

176. Pferdehirt im Szûr

176. Pferdehirt im Szûr
Hortobágy

177. Männer und Frau im Guba (Mantel aus zottiger Wolle)

177. Männer und Frau im Guba (Mantel aus zottiger Wolle)
Tunyog, Kom. Szabolcs-Szatmár

Der guba ist ein Mantel, der aus Wollstoff besteht (das Material selbst heißt ebenfalls Guba), wobei in den Stoff Wollbüschel eingewebt sind. Er ist nur in einem relativ kleinen Gebiet verbreitet, zeigt aber eine enge Verbindung zu verschiedenen Kleidungsstücken aus östlichen und südöstlichen Teilen Europas. Aus dem Gubatuch, einem langwolligen groben Zeug, wurden für den Mantel eckige Teile zugeschnitten und zusammengenäht, wobei man nur für den Kopf eine runde Öffnung ausschnitt. Die Ärmel sind gewöhnlich überlang, sie reichen bis über die Hände und ersetzen auch die Handschuhe. Wenn es sehr kalt ist, zieht man den Guba an, im allgemeinen jedoch wird er nur über die Schulter gehängt. Im 19. Jahrhundert hatte sich der Guba stellenweise bis zur Donaulinie verbreitet, aber nicht darüber {G-359.} hinaus. Die Farbe des Guba war schwarz oder grau. Schwarze Guba trugen vielerorts die reichen Bauern, während die ärmeren nur graue besaßen. Allgemein findet man den Guba aber bei den weniger wohlhabenden Schichten der Bauern, was auch aus der ungarischen Redewendung Guba gubával, suba subával hervorgeht (wörtlich: guba [Tuchmantel] mit guba, suba [Schafpelz] mit suba), das heißt, der Arme halte es mit den Armen, und der Reiche mit den Reichen! Den Guba trugen nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen, wobei der Guba der Frauen jedoch viel kürzer war und oft nur bis zu den Oberschenkeln reichte.

Abb. 168. Schnittmuster eines „Guba“ (Bauernmantel aus zottiger Wolle).

Abb. 168. Schnittmuster eines „Guba“ (Bauernmantel aus zottiger Wolle).
Matolcs, Kom. Szatmár, Anfang 20. Jahrhundert

Die bisher beschriebenen Kleidungsstücke sind alle lang. Es wurden aber auch kürzere Kleidungsstücke aus Tuch hergestellt, die nur bis zur Taille oder wenig darunter gingen. Diese Tuchjacken (posztó ujjas) sind in verschiedenen Formen und Farben in den meisten Gebieten des ungarischen Sprachraumes zu finden. Vielerorts heißen sie Dolman (dolmány). Manchmal haben sie einen Stehkragen, anderswo einen umgeschlagenen Kragen, und meistens sind sie mit Verschnürungen reich besetzt. Einige Varianten der Tuchjacke wie zum Beispiel die Mente werden über die Schulter gehängt, was auf die Husarenuniform zurückgeht.

Abb. 169. Hirt im „Suba“ mit Stock und Mütze.

Abb. 169. Hirt im „Suba“ mit Stock und Mütze.
Debrecen-Balmazújváros, 1740

Abb. 170. Schnittmuster eines „Suba“ (Schafpelz aus 12 Fellen).

Abb. 170. Schnittmuster eines „Suba“ (Schafpelz aus 12 Fellen).
Kecskemét, Kom. Bács, Anfang 20. Jahrhundert

Als Pelzkleidung wurde in der Ungarischen Tiefebene größtenteils der Schafpelz (suba = Schuba) getragen, der ärmellos ist und gleich einer runden Pelerine mit der Fellseite nach innen (bei Regen und warmem Wetter umgekehrt) umgehängt wird. Die Hirten, Fuhrleute {G-360.} und Pußtabauern hatten einfache Schafpelze ohne Verzierung, während die wohlhabenden Bauern des Dorfes mit Stickerei und Applikation reich verzierte Schafpelze trugen. Der Schafpelz schützte nicht nur gegen Kälte und Regen, sondern man konnte auch darauf schlafen oder sich damit zudecken, notfalls diente er sogar, auf der Erde ausgebreitet, als Tisch, auf den man beim Essen die Speisen legte. War es kalt, wurde er den Pferden über den Rücken gelegt, wenn sie verschwitzt nach langem Lauf im Freien stehen mußten. Und war der Schafpelz schon alt und zerschlissen, dann kam er in eine Ecke, auf das Lager oder in den Stall, wo er zum Schlafen noch immer gute Dienste leistete.

178. Schafpelzverzierung

178. Schafpelzverzierung
Kisújszállás, Kom. Szolnok

179. Frauen in Ködmön (kurzer Pelzjacke)

179. Frauen in Ködmön (kurzer Pelzjacke)
Nagycigánd, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Ausgebreitet hat der Schafpelz eine runde Form, in der die einzelnen {G-361.} Felle als Dreiecke aneinander gesetzt sind. Die einfachsten Schafpelze bestehen aus 3 bis 4 Fellen, die die Hirten selbst zuschnitten und zusammennähten. Doch den wirklich schönen Schafpelz für festliche Gelegenheiten fertigte der ungarische Kürschner (magyar szûcs) aus 12 bis 13 Fellen an. Mit seinen Pelzen kam er zu den Jahrmärkten auch in weit entfernte Gegenden. Der wertvolle Schafpelz bestand nicht nur aus vielen Fellen, sondern war auch reich bestickt, und der Kürschner verlangte einen hohen Preis dafür. Der Schafpelz reichte für ein ganzes Leben, doch die Ärmeren, die Tagelöhner und Knechte, konnten ihn sich selten leisten. Der Schafpelz der Männer war gewöhnlich weiß oder gelb, der der Frauen braun. Die gleichen Farben trugen stellenweise auch die Bewohner der Ackerbürgerstädte in Siebenbürgen und Westungarn.

180. Pelzmantel aus der Landschaft

180. Pelzmantel aus der Landschaft
Hajdúság, Debrecen

Die einfachsten Pelzsachen fertigten sich die Hirten selbst. In der Tiefebene besteht das Rückenfell (hátibõr) aus einem einzigen Schaffell, wobei sich der Hirt die beiden Hinterbeine um die Taille und die beiden Vorderbeine um den Hals bindet, so daß der ganze Rücken bedeckt ist. Das Brustfell (mejjes), eine Art Weste, besteht aus zwei Teilen, einem Vorder- und einem Rückenteil. An der Seite wurden beide Fellteile mit einem Band zusammengebunden. Ärmel hatte das Brustfell nicht, und es wurde auch nur selten verziert. Eine Weiterentwicklung {G-363.} dieser Form ist das Brustfell der Szekler und der Csángó, das auf der einen Seite zusammengenäht ist und auf der anderen Seite zugeknöpft werden kann. Das Vorderteil dieser Westen wird reich bestickt. Die verschiedenen Formen werden sowohl von Frauen wie von Männern getragen.

Die Pelzjacke (ködmön) ist im ganzen ungarischen Sprachgebiet bekannt. Einige enden oberhalb der Taille, andere gehen fast bis an die Knie. Es gibt Pelzjacken, die in der Taille gerade geschnitten sind, und andere, die tailliert und nach unten zu gekräuselt sind. Erstere sind oft so kurz, daß sie nicht einmal den ganzen Rücken bedecken (Südwestungarn), in anderen Gegenden jedoch reichten sie früher bis zu den Knien (Tiefebene). Die Frauen tragen häufig ein Tuch unter der Pelzjacke, die deshalb am Hals ausgeschnitten ist. Die Pelzjacken der Männer haben meistens einen Stehkragen. Die nach unten zu angekrausten Pelzjacken, die vor allem in der Tiefebene getragen werden, sind von der Taille ab weiter geschnitten, so daß man darin gut reiten kann. Deshalb wurden sie in der Vergangenheit auch oft beim Militär verwendet. Vermutlich hat König Matthias in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts von Kürschnern der Ungarischen Tiefebene 8000 dieser Pelzjacken nähen lassen, als er sich auf den Feldzug zur Erstürmung von Sabatsch, der berühmten Burg im Süden, vorbereitete. Vorderteil und unterer Rand der Pelzjacken sind nach außen hin mit Pelz verbrämt. Die Jacken der Frauen sind reich bestickt, die der Männer weniger.

Die verschiedenen Pelze wurden von den ungarischen Kürschnern (magyar szûcs) hergestellt, die die Pelzkleidung sowohl nähen wie auch besticken konnten. Sie arbeiteten aber nie mit Tuch. Die sogenannten deutschen Kürschner (német szûcs) dagegen fertigten Kleidungsstücke an, die innen mit Pelz gefüttert und außen aus Tuch waren. Diese Art gab es zuerst in der herrschaftlichen Kleidung, später, vor allem seit Mitte des vorigen Jahrhunderts, setzte sie sich immer mehr bei der Bauernschaft durch.