Dörfliche Siedlungsformen und Grundstücksordnungen

Oftmals wurde das Dorf von einem Heckenzaun und einem Graben umgeben, die lediglich an den Ausfallstraßen passiert werden konnten. Zur Nacht wurde der Ausgang durch ein eingesetztes Saatentor verschlossen, damit das Vieh nicht in die Flur ausbrechen und in der Saat Schaden anrichten konnte.

Bei der geteilten Siedlungsform waren die Wirtschaftshöfe (kert) von Gräben, Wällen aus Dung und Erdmauern umfriedet. Auf den Erdaufschüttungen pflanzte man Bocksdornhecken an. Dadurch wurde ein Umherstreunen der unbewachten Tiere verhindert. Die Wege der Wirtschaftshöfe verbreiterten sich nach außen zu trichterförmig, damit die allmorgendlich ausgetriebenen und stetig zunehmenden Herden auf dem Weg zur Weide genügend Platz hatten. Diese Wege brauchten nicht durch ein Tor abgeschlossen zu werden, weil sich hier infolge der Flurordnung zunächst die Weiden befanden, die vor dem Vieh nicht geschützt werden mußten.

Abb. 19. Geschnitzte Pforte.

Abb. 19. Geschnitzte Pforte.
Tiszakóród, Kom. Szatmár, Ende 19. Jahrhundert

Die Tatsache, daß das ungarische Wort falu (Dorf) auf finnougrische Herkunft zurückgeht, ist ein Beweis dafür, daß die Urungarn bereits in ihrer Frühzeit eine gewisse Gruppensiedlungsform gekannt haben dürften. Einen näher bestimmbaren Charakter erhielt die dörfliche Siedlungsweise in den Gesetzen König Stephans I. im 11. Jahrhundert, wonach der Bau einer Kirche für je 10 Dörfer zur Pflicht gemacht wurde. Das zeugt nicht nur von einer bestehenden Siedlungsordnung, sondern auch von einer gewissen Organisation der Dörfer. Gleichzeitig dürften die inneren Grundstücke abgegrenzt worden sein, auf denen Wohn, und Wirtschaftsgebäude samt Hof und Garten vereinigt lagen. In großen Teilen des Landes waren die Grundstücke im Mittelalter umzäunt, und in beinahe jeder älteren Beschreibung wird auch das Tor (porta) erwähnt, wonach eine Zeitlang die Steuer bemessen wurde.

Abb. 20. Baumtor.

Abb. 20. Baumtor.
Penyige, Kom. Szatmár, Anfang 20. Jahrhundert

In der von der Volkskunde unmittelbar zu erfassenden Zeit waren die Grundstücke in den meisten Gebieten des ungarischen Sprachraums durch Zäune aus verschiedenem Material und von verschiedener Form voneinander getrennt, je nach den natürlichen Gegebenheiten und den Sitten und Gebräuchen der betreffenden Gegend. So wurden zum Beispiel im Szeklerland Pfosten in die Erde eingelassen und durch drei parallel verlaufende Latten miteinander verbunden, und die Zwischenräume mit zwei bis drei Meter hohen, senkrecht angebrachten Kiefernholzstangen ausgefüllt. In der Tiefebene füllte man den Raum zwischen den feststehenden Pfählen mit Weidenrutengeflecht aus. Die Ärmeren errichteten einen weniger haltbaren Zaun aus Schilf {G-149.} sowie Sonnenblumen- oder Maisstengeln. In neuerer Zeit haben sich Bretter-, Latten- oder sogar Eisenzäune verbreitet.

57. Szeklertor

57. Szeklertor
Máréfalva, ehem. Kom. Udvarhely, Rumänien

Abb. 21. Szeklertor.

Abb. 21. Szeklertor.
Kisborosnyó, ehem. Kom. Háromszék, Ende 19. Jahrhundert

Die schönsten Pfosten- oder Taubenschlagtore findet man im Szeklerland. Diese Tore vereinigen in einzigartig ausgereifter und traditionsreicher Konstruktion die Wageneinfahrt und den kleineren Eingang für die Fußgänger. In früheren Zeiten waren sie nur mit Schnitzwerk versehen, bevor am Ende des 18. Jahrhunderts die ersten bemalten Hoftore aufkamen. Die kleinen, für sich stehenden und überdachten Tore im Kalotaszeg wurden mit Schnitzereien verziert. Entsprechende Beispiele sind auch in der Theißgegend und in der Kleinen Tiefebene zu finden. Eine große Vergangenheit haben die auf Kufen gleitenden einflügligen Heckentore und die am Oberlauf der Theiß bis in die jüngste Zeit erhalten gebliebenen Baumtore, deren breite Torfüllung von einem einzigen Baumstamm gehalten wird. Das Ende des Baumstammes reicht über den als Angelpunkt dienenden Torpfosten hinaus {G-150.} und dient so beim Anheben und Drehen des Torflügels als Gegengewicht.

Abb. 22. Grundrill des Gruppenhofes.

Abb. 22. Grundrill des Gruppenhofes.
Kalotaszeg, Ende 19. Jahrhundert.
1. Wohnhaus; 2. Scheune; 3. Getreidespeicher; 4. Schweinestall; 5. Misthaufen; 6. Blumengarten; 7. Gemüsegarten; 8. Obstgarten: 9. Keller; 10. Latrine; 11. Schafmelkstall

Die Form der Grundstücke und die Anordnung der Gebäude bestimmen die gesamte Siedlungsordnung wesentlich. Die ältesten Grundstücksformen sind unregelmäßig oder quadratisch beziehungsweise rechteckig; ihre Entstehung geht bis ins Mittelalter zurück. Damals waren die Straßendörfer im ungarischen Sprachraum vorherrschend. In der Folgezeit verdichteten sich die Siedlungen infolge der Parzellierung der Grundstücke. Die größer werdenden Familien errichteten neben- und hintereinander zusätzliche Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude. Der Kern der dadurch entstandenen Haufendörfer bildete sich normalerweise in der Nähe der seit dem Mittelalter existierenden Kirche heraus, was selbst durch spätere Regulierungen nicht endgültig beseitigt werden konnte.

Abb. 23. Grundriß eines Reihenhofes.

Abb. 23. Grundriß eines Reihenhofes.
Karcag, Kom. Szolnok, Anfang 20. Jahrhundert.
A Wohnhaus; B Stall und Kammer; C-D Hühner- und Schweinestall; E Misthaufen; F Brunnen: G, I, K Futterschober; H Latrine

58. Einlasspforte

58. Einlasspforte
Szombathely, Dorfmuseum des Kom. Vas

Abb. 24. Grundriß eines Haufendorfes.

Abb. 24. Grundriß eines Haufendorfes.
Zselickislak, Kom. Somogy, 19. Jahrhundert

Abb. 25. Straßendorf mit Zeilengrundstücken.

Abb. 25. Straßendorf mit Zeilengrundstücken.
Szada, Kom. Pest, 1860

Eine andere Siedlungsform, die vor allem in den Gebirgsgegenden erhalten geblieben ist, nennt man Zeilendorf. Sie hängt mit den Normen der feudalen Siedlungsordnung zusammen. Hier sind die Häuser {G-151.} gieblig, mit einem Fenster der Straße zugewandt. In dem Gärtchen davor, das wie die Hausschmalseite zwei bis drei Meter breit ist, werden nur Blumen gepflanzt, deren Pflege Aufgabe der Bäuerin oder der ältesten Tochter ist. Hinter dem Wohnhaus schließen sich Kammer, Stall und eventuell eine Scheune an, durch die der Hof häufig quer abgeschlossen wird, damit das Vieh nicht in den dahinter befindlichen Teil des Grundstückes gelangen kann. Diese Form ist insbesondere für Osteuropa charakteristisch, wo man die feudale Siedlungsordnung viel konsequenter und klarer realisierte als in Mittel- und Westeuropa.

59. Straßendorf

59. Straßendorf
Tab, Kom. Somogy

60. Dorf rings um die mittelalterliche

60. Dorf rings um die mittelalterliche
Burg Nagyvázsony, Kom. Veszprém

61. Straßendorf

61. Straßendorf
Erdõbénye, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Innerhalb dieser Haupttypen lassen sich zahlreiche Varianten unterscheiden, so unter anderen die sogenannten Doppelhofgrundstücke, bei denen der eine Hof, der an der Straße liegt, dem Vieh vorbehalten bleibt, damit die Tiere nicht über das ganze Anwesen getrieben werden müssen. An diesen Hof schließen sich das Wohnhaus und der Wohnhof an, dahinter liegen Scheune, Speicher und gegebenenfalls ein Garten. Diese Form findet sich auch in manchen Gegenden Siebenbürgens, und Varianten lassen sich in der Großen Ungarischen Tiefebene und im Ormánság – einer Landschaft in Südungarn – nachweisen. Die Zeilengrundstücke bilden in ihrer Gesamtheit die sogenannten Reihen- oder Straßendörfer. Sie herrschen überhaupt vor, da besonders {G-153.} die Dorfordnungen seit dem 18. Jahrhundert, als die Dörfer immer dichter besiedelt wurden, in diese Richtung gingen.

Im Zentrum des Dorfes, in der Nähe der Kirche standen die Häuser der Dorfersten und der Wohlhabenden, während die landarmen Bauern und die Agrarproletarier nur am Rand der Siedlung Platz fanden. Die Zigeunerlager befanden sich gewöhnlich außerhalb des Dorfes.