39. Problematische Druckorte des sechzehnten Jahrhunderts in Ungarn

Gutenberg Jahrbuch 1967. 96–98.

Der Beitrag von Albert Kolb im Gutenberg Jahrbuch 1965[1] brachte mich auf den Gedanken, über die problematischen Druckorte des sechzehnten Jahrhunderts in Ungarn zu schreiben. Die wichtigsten historischen Kenntnisse über die ungarischen Drucker des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts sind kürzlich von mir zusammengefaßt worden[2]. Im folgenden möchte ich die problematischen Druckorte ergänzen. Dazu gehören einmal die Orte, in denen die Tätigkeit einer Presse unsicher war (mit + bezeichnet) oder noch ist (mit ? bezeichnet), zum zweiten die, die in der Fachliteratur fälschlich als Druckorte angesehen worden sind (mit – bezeichnet).

Abrudbánya (heute Abrud in Rumänien) 1569 +

Ein einziges Druckwerk ist aus Abrudbánya, einer kleinen Bergstadt in Siebenbürgen, bekannt, das folgendes Impressum trägt: Abrudbanyan 1569 Karadi Pal[3]. Karádi war dort seit 1567 unitarischer Prediger und schrieb und druckte mit dem angegebenen Impressum eine zündende politische Schmähschrift, die seine Verfolgung nach sich zog: so mußte er bald nach Erscheinen des Pamphlets fliehen. Da das ominöse Libell der einzige erhaltene Druck aus Abrudbánya ist, wurde in der ungarischen Fachliteratur bezweifelt, daß sich das genannte Datum auf den Druck bezieht; es wurde als Entstehungsjahr des ihm zugrunde liegenden Manuskripts angesehen und der Druckort in Gyulafehérvár (Alba Julia) gesucht. Die neuen Forschungen (s. u. Simánd) konnten aber die Existenz der Offizin nachweisen. Auch die eigenartige typographische Gestaltung des Drucks spricht dafür, daß 1569 eine Druckerei von Karádi in Abrudbánya arbeitete.

Simánd (heute ªimand in Rumänien) 1570/71 +

Von der Existenz einer Druckerei in Simánd sind wir durch einen Bericht des Heidelberger arianischen Predigers Adam Neuser unterrichtet, der von Gotthold Ephraim Lessing 1774 publiziert[4] und von Anton Pirnát unlängst ausgewertet[5] wurde. Díe Angaben Neusers, ergänzt durch frühere Kenntnisse über den Drucker, sagen folgendes aus: Der unitarische Prediger Karádi mußte – wie oben erwähnt – 1569 oder Anfang 1570 wegen seiner Schmähschrift aus Abrudbánya nach Simánd fliehen. Dieser kleine Ort zwischen Gyula und Arad am Südostrand der ungarischen Tiefebene gehörte damals zu den Gebieten, die von den Türken erobert waren. Hier war Karádi mit einer Druckerei in den Jahren 1570/71 tätig. Aus seiner Presse zu Simánd sind jedoch bis heute keine Druckwerke bekannt geworden. 1572 mußte er auch aus Simánd flüchten. Diesmal waren es religiöse Unruhen, die ihn dazu zwangen. Adam Neuser und Karádi begegneten sich in der damals zu Siebenbürgen gehörenden Stadt Lugos. Von da aus gingen sie gemeinsam nach Temesvár, wo sie von dem dort residierenden türkischen Pascha festgenommen wurden. Danach ist nichts mehr von Karádi oder seiner Druckerei zu ermitteln.

Kassa, Kaschau (heute Košice in der Tschechoslowakei) 1560?

Der lutherische Prediger Gál Huszár übersiedelte im Frühjahr 1560 aus Óvár (ung. Altenburg) nach Kassa. Über seine typographische Tätigkeit dort sind keine Dokumente erhalten, aber nach einigermaßen zuverlässigen Angaben[6] nimmt man an, daß er dort als Prediger der protestantischen Gemeinde ein geistliches Gesangbuch druckte. Er wurde seiner Religion wegen von den Behörden verfolgt, so daß er noch am Ende desselben Jahres 1560 nach Debrecen (Debrezin) flüchten mußte, wo er weitere Werke druckte.

Paul Deschamps gibt auf Sp. 279 seines Werkes[7] einen „Modus praedicandi synonymus” von Matthias Heinzelius mit dem Jahr „M.DC” aus Kassa an. Tatsächlich ist ein solches Druckwerk bekannt[8]. Aber der Name des Druckers „apud Johann. David. Türsch” verrät, daß es sich bei der Jahresangabe um einen Druckfehler handelt: Türsch arbeitete zwischen 1663 und 1668 in Kassa. Die erste, tatsächlich nachweisbare Druckerei dort wirkte zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.

Szeged 1567?

Nach zwei verhältnismäßig zuverlässigen Quellen aus dem achtzehnten Jahrhundert[9] soll in Szeged 1567 ein Neues Testament kalvinistischer Konfession in ungarischer Sprache gedruckt worden sein. Die Existenz einer Offizin in dieser Stadt, die damals von den Türken besetzt war, wurde bis heute aber noch nicht ganz überzeugend nachgewiesen.

Pozsony, Preßburg (heute Bratislava in der Tschechoslowakei) 1594 ?

Aus dem Jahre 1594 gibt es eine „Neue Zeitung” mit folgendem Kolophon: „Erstlich gedrucket zu Pressburgk, bey Johann Walo, Anno 94”[10]. Der Drucker Walo ist in Pozsony wie in Ungarn überhaupt unbekannt. Es besteht die Möglichkeit, daß Walo kein Drucker, sondern Briefmaler oder Buchhändler war. Da die „Neue Zeitung” von einem Sieg der Christen über die Türken in Ungarn berichtet, kann man auch in Erwägung ziehen, daß „Pressburgk” fingiert ist.

Vimpác (heute Wimpassing im Burgenland/Öst.) 1593 +

Moriz Grolig berichtete über die Tätigkeit einer Klosterdruckerei in Wimpassing 1599[11]. Er identifizierte den Ort mit Wimpassing bei Neunkirchen in Niederösterreich, was von der Fachliteratur übernommen worden ist[12]. Unlängst tauchte ein Sammelband auf, in dem sich drei Drucke aus dem Jahr 1593 mit folgendem Kolophon befinden: „Gedruckt in Wimpaissing an der Leytta, im neu gegründeten Barfusser Closter.” Archivalische Quellen beweisen, daß 1593 tatsächlich das Franziskanerkloster in diesem Ort, der damals zu Ungarn gehörte, gegründet worden ist.

Eperjes (heute Prešov in der Tschechoslowakei) 1573 –

Es ist ein kleines lateinisches Schulbuch bekannt, das auf dem Titelblatt folgende Angaben trägt: „Eperies, Anno M.D.LXXIII”[13]. In der Literatur wurde dieser Ort deshalb als Druckort angesehen. Neulich konnte ich jedoch mit Hilfe von Vergleichsmaterial nachweisen[14], daß der Druck nicht in Eperjes, sondern in Neisse (Nysa) in Schlesien hergestellt wurde. Der Drucker Hans Creutziger, der dort zwischen 1553 und 1585 arbeitete, stammte aus Eperjes. Dadurch läßt sich die Beziehung zwischen dem kleinen Buch für die Schule in Eperjes und der Druckerei in Schlesien leicht erklären.

Nagybánya (heute Baia Mare in Rumänien) 1586 –

Veturia Jugãreanu hat in ihrer Bibliographie[15] die „15 Predigten über den 91. Psalm Davids” von David Reuss als Druck aufgenommen, der 1586 in Nagybánya erschienen sei. Mit Hilfe des Exemplars aus dem Brukenthalschen Museum zu Hermannstadt, auf das sich die Publikation stützte, war es möglich, festzustellen[16], daß die Angaben aus der Vorrede herrühren. Das Exemplar hat kein Titelblatt und stammt in Wirklichkeit aus der Leipziger Offizin Johann Beyers.

Alsósebes –

Im folgenden sind einige Angaben von Paul Deschamps7 zu korrigieren. Nach Sp. 50 seines „Dictionnaire de Geographie ancienne et moderne” wurde der Verfasser von der ihm unbekannten ungarischen Sprache irre geführt, wonach er folgende Wörter als siebenbürgischen Druckort annahm: „Also, Also Sclavoniai Ban, Also Sebes.” Noch dazu bot er die Möglichkeit einer Identität mit „Alsólindva” an. Es genügt, die erwähnten Wörter zu erklären, um den Irrtum zu beheben. „Also” bedeutet bei geographischen Bezeichnungen „niedere” oder „untere”; „Also Sclavoniai Ban” war der Banus (eine hohe staatliche Würde) von Niederslawonien; „Alsósebes” ist ein Ortsname, es heißen sogar drei Orte so, in denen aber vor Erscheinen des Werkes von Deschamps nie eine Druckerei arbeitete.

In AIsólindva (heute Dolnja Lendava in Jugoslawien) arbeitete 1573/74 Rudolf Hoffhalter mit einer Presse unter finanzieller und ideeller Unterstützung der Familien Bánfi und Zrínyi. Mehrere Mitglieder beider Familien trugen im Laufe der Jahrhunderte den obengenannten Titel „also sclavóniai bán”.

Beszterce, Bistritz (Siebenbürgen) –

Auf Sp. 188 seines Werkes suchte Deschamps7 die Auflösung des Druckorts „Bistrovitsium” in der siebenbürgischen Stadt Beszterce. Mit dieser Ortsbezeichnung arbeitete aber eine hebräische Druckerei unter der Leitung von Kalonymus ben Mordecai Jafe in den letzten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts in Polen[17].

Esztergom, Gran 1586 –

Auf Sp. 12 wie auch 1202 schrieb Deschamps7 über die Anfänge des Buchdrucks in der Stadt Esztergom 1586, ohne einen Druck oder eine Quelle zu nennen. Dagegen ist zu sagen, daß keine Offizin vor Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in dieser Stadt arbeitete, die, übrigens 1586 als Grenzburg von den Türken besetzt, inmitten ständiger Kriegsereignisse stand.

Selmecbánya, Schemnitz (heute Banská Štiavnica in der Tschechoslowakei) 1591 –

Auf Sp. 1151 bringt Deschamps7 unter Selmecbánya aus einem Frankfurter Meßkatalog folgenden Druck: „Danielis Solomonis Tractatus, vom wort PERSON. In Scheimnitz der H. Dreyfaltigkait. 1591, in 8°.” Für den französischen Autor war das Kolophon vielleicht noch annehmbar, für einen Deutschen weniger: was soll „In Scheimnitz der H. Dreyfaltigkait” heißen? Die Lösung kann man in dem Sammelband Frankfurter Meßkataloge für die Jahre 1580–1597 finden[18], wo folgender Titel steht: „1591. Von Wort Person in Geheimnuss der Heyligen Treyfaltigkeit …” Das Wort „Geheimnuss” wurde demnach zu „Scheimnitz” verballhornt. In Selmecbánya begann die erste Druckerei ihre Tätigkeit erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts.


[1] Kolb, Albert: Der französische Buchdruck des 16. Jahrhunderts in bibliographisch nicht erfaßten Orten. In: Gutenberg Jahrbuch 1965. 150–154.

[2] Borsa Gedeon: Die Buchdrucker des XV. und XVI. Jahrhunderts in Ungarn. In: Bibliothek und Wissenschaft (Heidelberg) 2. 1–33.

[3] RMK I. Nr. 70.

[4] Lessing, Gotthold Ephraim: Zur Geschichte der Literatur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. III. Beitrag. Braunschweig 1774. XVII.

[5] Pirnát Antal: Die Ideologie der Siebenbürger Antitrinitarier in den 1570-er Jahren. Budapest 1961. 117–127.

[6] RMK I. Nr. 40.

[7] [Deschamps, Pierre:] Dictionnaire de géographie ancienne et moderne. Paris 1870. Sp. 279.

[8] RMK II. Nr. 1081.

[9] RMK I. Nr. 63.

[10] RMK II. Nr. 249.

[11] Archiv für Bibliographie, Buch- und Bibliothekswesen 2. (1929) 20.

[12] Benzing, Josef: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Wiesbaden 1963. 463.

[13] RMK II. Nr. 131.

[14] Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1965. 347.

[15] Jugãreanu, Veturia: Bibliographie der siebenbürgischen Frühdrucke. Baden-Baden 1959. Nr. 294.

[16] Magyar Könyvszemle (Ungarische Bücherschau) 1965. 349.

[17] Freimann, Aron: A gazetteer of hebrew printing. In: Bulletin of the New York Public Library  1945. 366.

[18] Laut der liebenswürdigen Mitteilung von Herrn Dr. Helmut Kind, Universitätsbibliothek  Göttingen.




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