Die Möbelkunst

Im Zusammenhang mit der Einrichtung des Wohnhauses haben wir bereits über die typischen Möbelstücke gesprochen, ohne doch auf ihre Form und ihre Ornamentik einzugehen.

Die einfachsten Möbel fertigte der Bauer, der mit Holz umzugehen verstand, selbst an. Doch bereits seit dem Mittelalter sind uns Tischlerzünfte bekannt, die freilich nicht in erster Linie für die Bauern arbeiteten. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Bauernschaft größtenteils von den in den nahen Marktflecken ansässigen Tischlermeistern versorgt, die ihrerseits immer die Verbindung zu den qualifizierteren Tischlermeistern aufrechterhielten, bei denen sie oft ihre Gesellenzeit verbracht hatten; außerdem hatten sie in ihren Wanderjahren zugelernt und die Kenntnis neuer Möbelformen aus dem Ausland mitgebracht.

Abb. 178. Mehlkasten.

Abb. 178. Mehlkasten.
Székelyvarság, ehem. Kom. Udvarhely, um 1930

{G-416.} Die ältesten Stücke der ungarischen Bauernmöbel wurden geschnitzt und gezimmert. Sie unterscheiden sich von den bemalten Möbeln, deren früheste, eindeutig für Bauern bestimmte Stücke aus dem 18. Jahrhundert bekannt sind.

Für die Stollentruhe (láda, auch szekrény = etwa ,Schrank‘ genannt) sind zwei große Herstellerzentren bekannt. Im südöstlichen Teil Westungarns hat sich eine Truhenform entwickelt, bei der die vier Ecken des Deckels je ein Horn trugen. Die Ornamente wurden meistens mit dem Zirkel oder dem Lineal ausgeführt und schwarz gefärbt; andere Farben kamen nur vereinzelt vor, meistens auf neueren Stücken. Das andere Zentrum lag im Nordosten des Palotzenlandes, im ehemaligen Komitat Gömör. Hier war der auf den Holzpfosten aufliegende Truhendeckel bereits gewölbt, und die vier Hörner fehlten. Die geschnittenen Ornamente waren immer geometrisch. Manchmal kommt auch die oben beschriebene dreieckige Menschendarstellung vor, die von den Pulverhörnern oder den Hirtenschnitzereien bekannt ist. Truhen aus Gömör sind von fahrenden Händlern in die verschiedensten Gegenden der Tiefebene gebracht worden. Die Truhe, deren Geschichte bis in die Zeiten vor unserer Zeitrechnung zurückverfolgt werden kann, ist auch bei den Ungarn das älteste Möbelstück.

211. Truhe,

211. Truhe,
Kom. Baranya

212. Seitenansicht der Truhe

212. Seitenansicht der Truhe
Kom. Baranya

213. Truhe, 1889

213. Truhe, 1889
Kom. Nógrád

Die geschnitzten Möbelstücke der Palotzen erscheinen nicht mehr so archaisch. Die ersten Hersteller in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts waren vermutlich Hirten. Sie bauten Stühle und Bänke aus Weichholz, in das sie als Rückenlehnen durchbrochen geschnitzte Hartholztafeln {G-418.} einsetzten, die verschiedene Szenen darstellten. Da gibt es zum Beispiel ein Bild von äsenden Hirschen im Wald, eine Reihe von Jagdszenen und auch einen Schäfer, der seiner Herde hinterhergeht und dabei auf dem Dudelsack spielt. Ebenso gern schnitzten die Palotzen Husaren und Honvédsoldaten aus dem Freiheitskampf 1848/49. Manchmal erzählen die aufeinander folgenden Tafeln in bäuerlicher Epik ganze Geschichten. Hier und da verzierte man auch die Wiege, die vordere Zarge des Tisches und das Tellerbord auf diese Weise.

Abb. 179. Himmelbett.

Abb. 179. Himmelbett.
Gyirmót, Kom. Gyõr, zweite Hälfte 19. Jahrhundert

In Westungarn, vor allem im Bakony, zimmerte man die Möbel aus Hartholz, schmückte sie aber höchstens mit einfachen Intarsien. Besonders in den sogenannten kleinadligen Dörfern wollten die Bewohner durch den Intarsienschmuck der Möbel ihre Zugehörigkeit zur Herrenklasse unterstreichen. Die Möbel aus dem siebenbürgischen Kalotaszeg unterscheiden sich durch gravierte Verzierungen von denen der Umgebung. Die Ornamente sind zumeist geometrisch, aber in einer gelösteren Form, was ihnen einen speziellen Charakter verleiht.

Das Mustergut der bemalten Möbel wurzelt vielfach in der Renaissancekunst Zweifellos wurden die Dorftischler von der Chor-, Kanzel- und Deckenbemalung der reformierten Kirchen aus dem 18. Jahrhundert – eventuell auch früheren Datums – beeinflußt. Diese Kirchenmalereien waren im ganzen ungarischen Sprachraum verbreitet, die schönsten Blumenrenaissance-Bemalungen findet man jedoch in Siebenbürgen. Ihre Beziehung zu den Bauernmöbeln wird noch durch die Tatsache verdeutlicht, daß die wandernden Kirchenmaler gern auch einmal eine Truhe bemalten, die dann den Dorftischlern unmittelbar als Muster dienen konnte.

214. Truhe mit Schnitzverzierung

214. Truhe mit Schnitzverzierung
Ungarn

215. Detail einer Banklehne

215. Detail einer Banklehne
Kom. Nógrád

216. Geschnitzte und bemalte Rückenlehne einer Bank, 1889

216. Geschnitzte und bemalte Rückenlehne einer Bank, 1889
Kom. Nógrád

217. Geschnitzte Stuhllehne

217. Geschnitzte Stuhllehne
Kom. Veszprém

218. Stuhl

218. Stuhl
Zádor, Kom. Baranya

219. Stuhl, 1838

219. Stuhl, 1838
Tiszafüred, Kom. Szolnok

220. Bemalte Kassettendecke

220. Bemalte Kassettendecke
Magyarvalkó, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

221. Geschnitzte Truhe

221. Geschnitzte Truhe
Komárom

222. Tisch,

222. Tisch,
Mitte 19. Jahrhundert Kom. Nógrád

Im ungarischen Sprachraum haben sich zahlreiche Tischlerzentren {G-422.} für bemalte Möbel herausgebildet, von denen einige bedeutendere hier erwähnt werden sollen. In Westungarn ist Komárom (Komárno) zu nennen. Hier schmückte man die Vorderseite der Truhen mit vertiefter Schnitzerei und brachte neben dem zentralen Motiv kleinere Blumen und Sträuße an; diese erhielten eine Bemalung in blassen, zurückhaltenden Farben. Donauschiffer brachten die Truhen weit nach Süden. Die Komáromer Meister waren berühmte Maler, die nicht nur in Westungarn, sondern auch in der Tiefebene vielfach Kirchendecken und -bänke verzierten.

Das bedeutendste und einflußreichste Zentrum der Tiefebene war Hódmezõvásárhely. Das Motivgut der dortigen Möbeltischler kann in den meisten Fällen von den reichen Spätrenaissance-Ornamenten der reformierten Kirchen der Umgebung abgeleitet werden. Die Grundfarbe der Möbel ist dunkel, überwiegend dunkelblau, worauf – stellenweise mit einer blaßgelben Umrandung – rote Blumen gemalt wurden, deren grüne Blätter fast völlig mit dem dunklen Untergrund verschmelzen. Die Möbel aus dem benachbarten Békés sind lebhafter bemalt und unterscheiden sich besonders auffallend durch die durchbrochen geschnitzten Stühle und Bänke von denen in Vásárhely. Die reichen Schnitzereien und Durchbruchverzierungen sind immer Pflanzenornamente, bei denen häufig barocker Einfluß deutlich wird.

Im Oberland pflegten die Möbeltischler von Miskolc und Eger einen ziemlich ähnlichen Malstil. Die eindrucksvollsten Möbelstücke fertigten sie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Auf braunem, {G-423.} häufiger noch rotem Grund wurden Blumensträuße und -kränze in Rot. Grün, Gelb, Weiß und Blau gemalt. Zwischen die Blumen setzte man oft Weizenähren, eine Spezialität dieses Zentrums der Möbelmalerei. Die Bauernmöbel von Sátoraljaújhely im Nordosten waren mit schwarzer Grundfarbe bemalt; das zentrale Motiv bestand aus einem Blumenstrauß in Grün, Gelb, Rot und Blau, der aus einem Topf oder einem Kasten herausrankte; auf anderen Möbelstücken waren es Girlanden. Hier wurden noch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bemalte Möbel angefertigt.

Unter den vielen Tischlerzentren Siebenbürgens ragt Torockó (Rimetea) mit seiner reichen Ornamentik hervor. Die Grundfarbe der dortigen Möbel ist meistens dunkel, vor allem grün, seltener blau oder braun. Der Blumenschmuck zeigt Barock- und Rokokomuster, die in den Farben Blau, Weiß, Braun, Rot und Orange immer auf die Grundfarbe abgestimmt sind. Die Komposition sollte möglichst die ganze Fläche ausfüllen.

Unter den zahlreichen Tischlerzentren des Széklerlandes zählt Vargyas (Virghis) zu den ältesten. Die Geschichte einer Tischlerfamilie konnte fast bis zum 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Im 19. Jahrhundert bemalte man in Vargyas die Möbel mit rot-blau-gelben Sträußen, die in reichen, an die Renaissance anklingenden Krügen steckten; häufig waren es auch Blumenkränze und -girlanden sowie Vögel. In die Mitte malte man hier wie an anderen Orten das Herstellungsjahr. Die Tischler von Vargyas bemalen noch heute Truhen und andere Möbelstücke.

223. Bemalte Truhe

223. Bemalte Truhe
Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén