Der Familienverband

Am besten lernen wir die Familie, die Großfamilie, kennen, wenn wir uns die zu leistende Arbeit und die Rechte und Pflichten der einzelnen Mitglieder vor Augen führen.

Der Bauer (der Hausherr), unumschränkter und absoluter Herr über die Familienmitglieder, ist das Oberhaupt der Familie, der Großfamilie. Er konnte die Familienmitglieder aus der Gemeinschaft ausschließen und verstoßen sowie enterben. Das Familienoberhaupt war in der Regel das älteste und erfahrenste Mitglied der Familie. Nach seinem Tod wurde – sofern man in einer erweiterten Großfamilie lebte – nicht sein Sohn Familienoberhaupt, sondern aufgrund des Senioratsprinzips gewöhnlich sein nächstältester Bruder. Dieses Erbrecht hat eine große Vergangenheit, da das analoge Prinzip auch in der Erbfolge der Arpadenkönige im 11. bis 13. Jahrhundert in vielen Fällen zur Geltung kam.

Der Bauer verfügte als Familienoberhaupt über sämtliche materiellen Güter der Familie uneingeschränkt und ohne jegliche Rechenschaftspflicht. Den so ererbten und erworbenen Boden konnte er verkaufen, den Verkaufserlös ausgeben, vertrinken oder sogar verschenken. Die Familienmitglieder hatten keine Möglichkeit, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings waren solche Komplikationen die Ausnahme. Wir erwähnen sie nur, um die uneingeschränkte Macht des Familienvorstands zu verdeutlichen. Die Mehrheit der Bauern war ständig bestrebt, neuen Boden hinzu zu erwerben, sei es durch Kauf oder in früheren Zeiten durch Urbarmachung von nicht verteiltem Brachland. So wurden in der Epoche der Leibeigenschaft von der gesamten Familie Waldstücke gerodet, Sumpfgebiete trockengelegt und Weiden umgepflügt, wofür kein Neunter und Zehnter zu entrichten war. Von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, der Abschaffung der Leibeigenschaft an, bemühte sich der Bauer um Vergrößerung seines Besitzes durch Landaufkauf von ruinierten Wirtschaften und aus Erbschaften. Die zur Zeit des Landkaufs erwachsenen und verheirateten Söhne wurden zwar gefragt, doch vermochte ihre Meinung an dem ursprünglich gefaßten Beschluß des Bauern nichts zu ändern.

Über die Produkte des Feldbaus und selbst über die Erzeugnisse aus dem Hausgarten verfügte der Bauer allein. Er entschied, was zur Ernährung der Familie zurückgelegt werden mußte und was unter der Hand, auf dem Wochenmarkt oder auf dem Jahrmarkt verkauft werden sollte. Den Schlüssel zum Getreidespeicher trug er stets bei sich. Nur in seinem Beisein durfte man dort eintreten. Ähnlich verhielt es sich mit dem Wein und dem Branntwein, die nur von ihm angezapft wurden und über deren Verbrauch beziehungsweise Verkauf er streng {G-62.} wachte. Das aus verschiedenen Quellen eingenommene Geld verwahrte er in einer gut verschließbaren Truhe oder mitunter auch in einem irdenen Gefäß. Uns sind auch Fälle bekannt, in denen der Bauer das Geld in einem an einer Halskette befestigten Beutel ständig bei sich trug.

Mit dem Geld bestritt der Bauer die notwendigen Ausgaben der Großfamilie. Er zahlte die verschiedenen Steuern, erwarb landwirtschaftliche Geräte, ließ sie reparieren und kaufte neues Vieh. Er sorgte allerdings nur für den Erwerb der wichtigsten Bekleidungsstücke der Familienmitglieder: Schaftstiefel, Szûr (ungarischer Bauernmantel), Jacken und in späterer Zeit Schuhe wurden auf dem Jahrmarkt gekauft. Im übrigen war jeder Bauer daran interessiert, daß die Familie den größten Teil der Bekleidung aus Hanf und Flachs oder aus Wolle selbst herstellte. Was über die vorhandenen Mittel hinausging, versuchte die Bäuerin aus dem Erlös der verkauften Milch, Eier und Hühner herauszuschlagen. Doch wachte der Bauer vielerorts auch über dieses Geld oder kontrollierte es zumindest.

Der Bauer machte auch Rechtsansprüche auf Einnahmen der Familie geltend, die nicht unmittelbar aus seiner Wirtschaft stammten. So z. B. verdingte sich bei den Palotzen ein männliches Mitglied selbst aus den wohlhabenden Großfamilien als Schnitter in der Tiefebene. Der Schnitteranteil wurde nach Hause mitgebracht und davon das ganze Jahr über für die Familie Kolatschen (Milchbrot) gebacken. Doch nutzte der Bauer brachliegende Arbeitskapazitäten seiner Familie auch auf andere Weise. Er schickte z. B. seine Söhne während des Winters in Gegenden, wo sich Gelegenheit zur Lohnarbeit im Wald bot; gegebenenfalls wurden Fuhrdienste übernommen. Über die Einkünfte aus diesen Arbeiten verfügte ausschließlich der Bauer, der höchstens einen Teil davon zurückgab. Den unverheirateten Söhnen ließ er jeden Sonntag eine kleinere Summe zukommen, damit sie ins Wirtshaus gehen konnten.

Sämtliche Arbeiten in der Wirtschaft wurden vom Bauern dirigiert, der sich selbst – vor allem in vorgeschrittenem Alter – daran nicht beteiligte. Er teilte jeden Tag seinen Söhnen, Schwiegersöhnen, Töchtern und Schwiegertöchtern die Arbeit zu und achtete darauf, daß sie ihre Aufgabe erfüllten. Er selbst sah im Haus und auf dem Hof nach dem Rechten, führte Reparaturen an Arbeitsgeräten und an den Gebäuden aus, ohne sich dabei allerdings zu übernehmen. Auf dem Feld ließ er sich nur von Zeit zu Zeit blicken, um die Arbeit zu kontrollieren. In den eigentlichen Arbeitsprozeß reihte er sich meistens während der Einfahrzeit ein, und Fuhren übernahm er, wenn ein anderes Familienmitglied dringendere Arbeit hatte.

Auch die Familiengründung lag in seiner Hand. So bestimmte er, wen seine Söhne beziehungsweise Töchter heiraten durften. Die Besitzverhältnisse fanden hierbei zumeist Berücksichtigung. Innerhalb der Familie hatte er das Recht, einen jeden zu schelten, ja sogar zu schlagen. Körperlich gezüchtigt wurden allerdings in erster Linie die Kinder, während dieses Mittel bei den Erwachsenen nur als letzte Möglichkeit angewendet wurde. Mißbräuchliche Machtausübung durch den Bauern wurde zwar von der Dorfgemeinschaft besprochen, doch {G-63.} vermochte die öffentliche Meinung die Entscheidung des Vaters in Wirklichkeit nicht zu beeinflussen.

Der Bauer betrachtete es als seine Aufgabe, die Knaben in die Arbeit einzuführen und ihnen sonstige Kenntnisse zu vermitteln. Die Erziehung der Mädchen besorgte die Mutter, die Bäerin. Der Vater gab sich damit nicht viel ab. Den Jungen setzte er von klein an neben sich auf den Leiterwagen, damit dieser sich an den Weg und an die Pferde gewöhnen konnte. Mit sechs Jahren mußte er schon Gänse und Hühner hüten, zuerst auf dem Hof, damit die Raubtiere keinen Schaden anrichteten, und später auf der Weide am Dorfrand. Wenn notwendig, mußte der Knabe schon als Zehnjähriger hacken, wenn auch nur eine halbe Reihe; den Rest erledigten dann die Erwachsenen für ihn. Den fünfzehnjährigen Jungen machte der Vater bereits mit der Sense vertraut. Anfangs schnitt der Junge Futterpflanzen und später Gras. Zum Getreidemähen wurde er erst mit achtzehn Jahren eingesetzt, sofern es die Umstände nicht anders wollten. Bis dahin hatte er aber abraffen und Garben binden gelernt, und er wußte, wie man Puppen, das heißt in Ungarn „Kreuze“, aufstellt. Der Bauer beschäftigte sich stets gern mit seinen Söhnen, doch noch lieber mit den Enkelkindern, denen er Märchen, Geschichten und eigene Soldatenerlebnisse erzählte. So wurden auch die Lieder, Balladen und Märchen eher von den Großeltern an die Enkel weitergegeben als von den Eltern an die Kinder. Bei Verhandlungen mit Verwandten und Nachbarn, ebenso bei den verschiedenen Organen des Dorfes, des Staates und der Kirche wurde die Familie durch den Bauern vertreten. In der Kirche stand ihm – zusammen mit den anderen Bauern – ein besonderer Platz zu, der in der Familie weitervererbt wurde. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, Vieh und Handarbeiten, die auf dem Markt verkauft werden sollten, brachte er immer selbst an den Mann. Höchstens beim Einkauf holte er den Rat des nächstälteren Familienmitglieds ein.

Die aufgeführten Rechte und Pflichten des Bauern geben ein Bild von der Macht des Oberhauptes in allen Belangen der Großfamilie. In der engeren Kleinfamilie kam diese Machtposition ähnlich zur Geltung, nur mit dem Unterschied, daß hier dem Familienhaupt viel mehr Arbeit zufiel. Da der Bauer derjenige war, der am meisten herumkam, mit anderen Menschen und auf Ämtern zu tun hatte, verfügte er in der Familie beinahe ausnahmslos auch über die meisten Kenntnisse, wobei er bemüht war, sein Wissen an die Familie weiterzugeben. Die besten Bauern wurden die Bauernvertreter des Dorfes, die Hauptpersonen bei Hochzeiten und Begräbnissen, die gegebenenfalls auch die Interessen einer breiteren Öffentlichkeit vertraten.

Als andere wichtige Persönlichkeit der Familie (die allerdings vom Bauern völlig abhängig war) ist die Bäuerin zu nennen. Im allgemeinen war sie die Ehefrau des Bauern. Nur selten kam es vor, daß sie, sofern der Sohn darin einwilligte, auch nach dem Tod des Bauern weiterhin die Bäuerin blieb. Ihre Aufgabe bestand in erster Linie darin, mit Hilfe ihrer Töchter und Schwiegertöchter die im und um das Haus herum anfallenden Arbeiten zu verrichten. An der Feldarbeit hatte sie keinen ausgesprochenen Anteil. Während der Einfahrzeit brachte sie höchstens das Mittagessen aufs Feld.

19. Alter Bauer

19. Alter Bauer
Szany, Kom. Gyõr-Sopron

{G-64.} Die wichtigste Aufgabe der Bäuerin war das Kochen, weiterhin das Brotbacken und die Milchverarbeitung. All diese Arbeiten gab sie, solange sie nur irgend konnte, nicht aus der Hand. In der Regel ließ sie sich von der ältesten Schwiegertochter helfen. Zur Aufgabe der Bäuerin gehörten auch Aufzucht und Fütterung des Kleinviehs sowie die Überwachung des Eierlegens der Hühner. Den aus der Milch- und Geflügelverwertung stammenden Gewinn durfte sie für die Einkleidung der Familie verwenden, mit diesem Geld half sie der Tochter, die aus dem Haus ausschied, und deckte kleinere Ausgaben für ihre Enkelkinder. Die Höhe ihrer Einnahmen hielt sie geheim, weil der Bauer sie als einen Entzug aus der Gemeinschaftskasse betrachtete.

Auf den Schultern der Bäuerin lastete auch die Sorge um die Bekleidung der Familie. So zählte die Hanf- und Flachsverarbeitung, angefangen vom Raufen des Hanfes und Flachses bis hin zum Weben des Leinens, zu ihren wichtigsten Aufgaben. Aus der selbst hergestellten Leinwand wurde die Unterkleidung der Männer und Frauen und in {G-65.} vielen Fällen auch die Oberbekleidung genäht. Doch auch für die Aussteuer der heiratsfähigen Töchter hatte die Bäuerin zu sorgen. In jenen Gegenden, wo die Wollverarbeitung, ja sogar das Nähen von Kleidungsstücken aus Tuch beinahe bis in unsere Tage üblich geblieben ist, fiel der Bäuerin noch mehr Arbeit zu. Natürlich gehörte es auch zu ihren Obliegenheiten, das Haus in Ordnung zu halten und die Wäsche zu waschen. Ebenso mußte sie sich um die Gartenarbeit, die Ernte im Garten und die Lagerung und Konservierung von Obst und Gemüse kümmern.

Zugleich oblag der Bäuerin als Mutter die Erziehung der Kinder. Solange die Kinder kleiner waren, hatte sie allein sowohl für die Mädchen als auch für die Jungen zu sorgen. Später kümmerte sie sich mehr um die Mädchen, doch die Bekleidung der Jungen und die Sauberhaltung der Sachen gehörten weiterhin zu ihren Pflichten. Die Töchter und die Schwiegertöchter nahm die Mutter lediglich als Hilfe in den Haushalt, von ihnen ließ sie immer nur Teilarbeiten verrichten, während sie selbst sich den Überblick über den Gesamtablauf vorbehielt.

Die Hausarbeit wurde der landwirtschaftlichen Arbeit immer untergeordnet. Erst mußten die vom Bauern angeordneten Arbeiten verrichtet werden, dann erst konnte – sofern es die Zeit erlaubte – anderes an die Reihe kommen. Die Bäuerin war das Bindeglied zwischen dem Bauern und den Familienmitgliedern. An sie wandte man sich mit allen Wünschen, die sie dann stets nur zur entsprechenden Zeit und in passender Form an den Bauern weitergab.

Die Burschen und die verheirateten Männer bildeten in der Großfamilie den wichtigsten Teil der Arbeitskräfte. Bei der Arbeitsverteilung hatten der älteste Sohn des Bauern und – in der erweiterten Großfamilie – der jüngere Bruder des Bauern als künftige Erben gewisse Befugnisse, die sich allerdings auf die Organisation der vom Bauern bestimmten Aufgaben beschränkten.

Eine der wichtigsten Aufgaben der unverheirateten und der verheirateten Männer war die Viehhaltung. Sie kümmerten sich dauernd um die Rinder und die Pferde, sie versorgten das Vieh mit Futter, und besonders in der Tiefebene gehörte auch das Melken der Kühe zur Arbeit der Männer. Das Einspannen des Viehs, das Fahren und die mit Zugtieren zu verrichtenden landwirtschaftlichen Arbeiten wurden immer von den Burschen und den verheirateten Männern besorgt. Dasselbe gilt für alle Arbeiten mit der Sense. Der Drusch und im allgemeinen alle physisch anstrengenden Arbeiten fielen ihnen zu.

Einen besonderen Platz unter den Männern hatte der Schwiegersohn inne, das heißt der Mann, der nach der Heirat mit der Tochter des Bauern zu diesem gezogen war. Die Beziehungen konnten hier je nach Besitzstand vielfältig sein. Es kam vor, daß der Bräutigam in ähnlich guten Vermögensverhältnissen gelebt hatte wie die Braut. In solch einem Fall war die Heirat eher wegen der Zusammenlegung des Besitzes zustande gekommen, so daß die Stellung des neuen Ehemannes im großen und ganzen der des Bauernsohnes gleichkam. Er hatte ebenso eine Kleideraussteuer ins Haus gebracht, wie sie im umgekehrten Fall die Braut mitbrachte, wenn sie zum Bräutigam zog. Ein Schwiegersohn hingegen, der überhaupt keinen oder nur {G-66.} unwesentlichen Besitz, hauptsächlich Vieh, in die Ehe einbrachte, hatte einen schweren Stand. Er galt kaum mehr als ein Knecht. Seine Stimme hatte kein Gewicht, selbst in seiner engeren Familie hatte die Frau zu bestimmen, da sie Anteil am Vermögen hatte. Es kam allerdings auch vor, daß die Tochter des Bauern dem Knecht zur Frau gegeben wurde, entweder weil sie von ihm ein Kind erwartete und sich keine andere Lösung anbot, oder aber weil man ihn für fleißig hielt, oder auch aus irgendeinem anderem Grund, z. B. weil um die Hand der Tochter etwa wegen körperlicher Mißbildung nicht angehalten wurde. Ein solcher Schwiegersohn wurde noch geringer geachtet als ein Knecht, obwohl es oft geschah, daß er nach dem Tod des Bauern und dessen Erben selbst Bauer wurde.

Es kam auch vor, daß der Schwiegersohn seine erniedrigende Situation nicht mehr ertrug und fortzog. In einem solchen Fall konnte er darum bitten, daß man ihm für die Zeit, die er auf dem Hof verbracht hatte, wenigstens so viel Lohn zahlte, wie man einem Knecht gewöhnlich gab. Verstarb die Frau des Schwiegersohns und war der Bauer mit der Arbeit des Schwiegersohnes zufrieden oder konnte sie vielleicht nicht entbehren, dann tat er alles, um ihn auch weiterhin auf dem Hof zu halten: Falls der Bauer eine jüngere Tochter hatte, wurde der Schwiegersohn gegebenenfalls mit dieser verheiratet, während man sich anderenfalls in der Verwandtschaft nach einer neuen Frau für ihn umsah. In seltenen Ausnahmen erlaubte man ihm auch, ein fremdes Mädchen oder eine Witwe ins Haus zu bringen. Wenn sich allerdings absolut keine Lösung anbot, durfte er den Hof verlassen. In einem solchen Fall nahm er in der Regel auch die Kinder mit. Für seine geleistete Arbeit bekam er im allgemeinen das Anderthalbfache von dem, was ein Knecht in der gleichen Zeit verdient hätte. Das war auch der Hauptgrund, weshalb man bemüht war, ihn zusammen mit den Kindern, den zukünftigen Arbeitskräften, in der Familie zu halten.

Die in der Familie – der Großfamilie – lebenden Frauen waren teils die Abkömmlinge des Bauern, teils die Ehefrauen der erwachsenen Söhne, d. h. die jungen Frauen oder Schwiegertöchter. Die Töchter hatten mehr Rechte als die jungen Frauen. Den eigenen Töchtern sah die Bäuerin mehr nach als den Schwiegertöchtern. Das bedeutete allerdings nicht, daß die Töchter in der Landwirtschaft nicht mithelfen mußten. Zu Hause gehörte die Pflege des Gartens, insbesondere des Blumengartens vor dem Haus, zu ihren Aufgaben. Sie hatten sich auch an der Hanfverarbeitung zu beteiligen, während sie im Haushalt nur selten mithalfen. Als ihre wichtigste Aufgabe betrachteten sie eine möglichst baldige Heirat, ungeachtet dessen, daß der Volksmund meinte: Ein Mädchen hat es besser als hundert junge Frauen zusammen. Die Töchter, die direkt unter der Aufsicht der Bäuerin standen, arbeiteten viel weniger als die Schwiegertöchter und konnten an viel mehr Vergnügungen teilnehmen.

20. Kumanischer

20. Kumanischer
Bauer Tiefebene

Die aus einer fremden Familie aufgenommene junge Frau wurde in jeder Beziehung Mitglied der Familie des Mannes, sie wurde vollkommen in seine Familie integriert. In verschiedenen Teilen des ungarischen Sprachraums nannte sie den älteren Bruder ihres Mannes „mein älterer Herr“ und den jüngeren Bruder „mein jüngerer Herr“, {G-67.} wobei zu beachten ist, daß im Ungarischen – und nicht nur auf dem Lande – „mein Herr als Synonym für „mein Mann“ verstanden wird. Starb ihr Mann, so kam es oft vor, daß sie von einem anderen Familienmitglied geheiratet wurde, denn wenn sie eine gute Arbeitskraft war, ließ man sie nicht gern aus der Familie weggehen. Die jungen Frauen wurden zu allen landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen. Im Laufe der Zeiten veränderte sich allerdings der Aufgabenbereich. Frauen mähten nur mit der Sichel, während die Männer mit der Sense arbeiteten. Die Frauen standen ihnen als Garbenbinderinnen zur Seite. Die Arbeit im Haus und im Garten durfte nur mit Erlaubnis des Bauern in Angriff genommen werden, dann aber teilte die Bäuerin die zu verrichtende Arbeit ein, zu der auch der Verkauf von Milch, Eiern, Hühnern usw. gehörte. Mit den Kindern beschäftigte sich im allgemeinen die Bäuerin oder die älteste Frau aus der Familie, die im Vergleich zu den anderen mehr Rechte hatte und den jüngeren befehlen durfte. Eine junge Frau hatte, selbst wenn sie ein Kind stillte, auf {G-68.} dem Feld zu arbeiten. Während der Mittagszeit ging sie nach Hause, stillte das Kleine und brachte auf dem Rückweg das Mittagessen für die Feldarbeiter mit.

Eine Ehescheidung war – selbst in protestantischen Gegenden – im vergangenen Jahrhundert eine Seltenheit. In einem solchen Fall ging die Frau zu ihren Eltern zurück und nahm die kleineren Kinder mit. Bei den ärmeren Schichten blieb von den größeren Kindern der Junge bei der Mutter, während das Mädchen beim Vater blieb, da die Männer das Brot verdienten, während die Frauen den Haushalt führten. Auf diese Weise blieb also auch die geteilte Familie weiterhin lebensfähig.

Die Großfamilie, aber oftmals auch die Kleinfamilie beherbergte mitunter verwaiste oder ledig gebliebene Verwandte. Entsprechend ihren Kräften verrichteten diese jede Arbeit, doch hatten sie kaum Rechte, und man ließ es sie zu jeder Zeit spüren, daß man sie nur aus Gnade aufgenommen hatte. Solche Männer durften sich zwar mit an den Tisch setzen, doch wurde ihnen als Schlafstelle meist der Stall zugewiesen.

Bauernfamilien mit größeren Gütern, die ihre Felder nicht aus eigener Kraft bestellen konnten, hielten Gesinde, Knechte und Mägde, die – solange sie auf dem Hof arbeiteten – bis zu einem gewissen Grad als Familienmitglieder betrachtet wurden. Die Erinnerung daran bewahrt auch das aus dem Slawischen stammende Wort család, das ursprünglich beides, Familie und Hausgenossenschaft bedeutete. Erst im 16. Jahrhundert differenzierte sich das Wort, wobei család die Bedeutung von Familie und cseléd die Bedeutung von Gesinde annahm. Die Knechte wurden für ein Jahr in Dienst genommen. Die jüngsten unter ihnen waren oft noch nicht einmal zehn Jahre alt und bekamen nichts anderes als Kost und vielleicht das eine oder andere abgelegte Kleidungsstück. Ihre Aufgabe bestand vor allem im Hüten des Viehs und in der Erledigung kleiner Hausarbeiten. Der erwachsene Knecht verrichtete sämtliche bei der Viehhaltung und auf dem Feld anfallenden Arbeiten. Die Entlohnung fiel gewöhnlich bei den Bauern im Dorf geringer aus als auf dem Großgrundbesitz. So diente bei den Bauern nur Gesinde aus den ärmsten Schichten, für die auch die knapp bemessene Kost sehr viel bedeutete. Die Entlohnung bestand in der Regel aus 6 bis 8 Doppelzentner Getreide, einem Paar Stiefel und ein wenig Zehrgeld im Jahr. Heiraten durfte der Knecht nicht, da der Bauer dies bei der Aufnahme zur Bedingung gestellt hatte. Eine Magd kam nur in größeren Wirtschaften vor, wo die Bäuerin wegen des großen Haushalts oder wegen ihres Gesundheitszustands auf eine Hilfe angewiesen war.

21. Armbäuerin

21. Armbäuerin
Boldog, Kom. Pest

Das Familienleben war in jeder Beziehung von strengen patriarchalischen Zügen geprägt. Das kam auch in der Tischordnung zum Ausdruck. Zuoberst saß der Bauer, der Familienvater, neben ihm nahmen die Söhne in altersmäßiger Rangordnung Platz, daneben die Schwiegersöhne, und schließlich folgten die Dienstboten. Als erster schöpfte immer der Bauer aus der Schüssel, so daß er sich dementsprechend auch die besten Stücke nehmen konnte. Danach kamen in abgestufter Reihenfolge die Männer. In verschiedenen Teilen des {G-69.} ungarischen Sprachraums durften die Frauen erst dann mit dem Essen beginnen, wenn die Männer damit fertig waren. Sie gaben den Kindern ihren Teil, und vom Rest nahmen sie sich selbst. In der Regel saßen sie auch nicht am Tisch, sondern auf kleinen Stühlen oder auf der Schwelle und verzehrten ihr Essen, das sie sich auf die Knie stellten. Das Brotschneiden war meist Aufgabe des Familienoberhaupts, wobei in katholischen Gegenden auf die untere Seite des Laibs mit der Messerspitze zuerst ein Kreuz geritzt wurde. So war das Brot ein wahrhaftes Symbol der Großfamilie. Solange man „von ein und demselben Brot“ aß – das war die Ausdrucksweise für gemeinsames Wirtschaften –, bestand ein entscheidendes Bindeglied zwischen den Familienmitgliedern.

Hinsichtlich der Schlafstellen herrschte je nach der Gegend eine verschiedene, lokal jedoch einheitliche Ordnung. So schliefen in der Ungarischen Tiefebene der Bauer und seine Frau im Vorderzimmer am Fenster in einem Bett. Die anderen ein oder zwei Betten waren {G-70.} für den erwachsenen Sohn und dessen Frau da, während die Kinder auf einer kastenartigen Bettstelle, die unter dem Bett hervorgezogen wurde, schliefen. Mitunter bekamen sie auch zusammen mit den Alten in einem Winkel zwischen Wand und Ofen ihren Schlafplatz. Die unverheirateten Männer und die Knechte verbrachten die Nacht im Stall; so konnten sie besser auf das Vieh aufpassen, und ihr nächtliches Wegbleiben war auch nicht so einfach zu kontrollieren. Vom Frühjahr bis zum Herbst schlief der Bauer vielerorts im Laubengang, wo er nicht nur frischere Luft hatte, sondern auch den Hof besser überwachen konnte. Bei den Palotzen schliefen im ersten Zimmer die Männer, während sich die Frauen in eine ungeheizte Kammer mit einem kleinen Fenster zurückzogen. Ein großer Teil dieses Raumes wurde durch die Betten ausgefüllt, mit Truhen zwischen den Liegestellen, in denen die Frauen und Mädchen ihre persönlichen Sachen untergebracht hatten. Gegenüber der Tür standen Bett und Truhe der Bäuerin, um diese waren gemäß der Rangordnung die übrigen angeordnet. Hier wuchsen auch die Kinder auf, die selbst im strengsten Winter nur zum Baden in einen geheizten Raum gebracht werden durften. Über dem Bett einer jeden Frau hingen an einer Stange Paradekleid und -stiefel.

Abb. 4. Markiereisen.

Abb. 4. Markiereisen.
Tiefebene, Ende 19. Jahrhundert

Die patriarchalischen Züge des Familienverbandes zeigten sich insbesondere in der Erbfolge. Auch hierin haben sich in den letzten Jahrhunderten regional verschiedene Formen herausgebildet, besonders dann, wenn sich auf staatliches Drängen hin die Erbfolge in weiblicher Linie durchsetzen konnte, beispielsweise dort, wo durch den Zerfall der Großfamilie eine Besitzaufteilung erfolgt war. Bei der Großfamilie kann nämlich nicht von einer Erbfolge gesprochen werden, da nach dem Tod des alten Bauern in der Regel der älteste Sohn oder eventuell dessen Onkel, der Bruder des alten Bauern, den gesamten Besitz ungeteilt und damit das Kommando übernahm. Nach dem Tod eines energischen Bauern traten meist Spannungen und Uneinigkeit in der Großfamilie auf, die zu ihrer Auflösung führten, so daß dann im großen und ganzen ähnliche Erbfolgefragen aufgeworfen wurden wie in der Kleinfamilie.

Von den Liegenschaften erbten die Mädchen bei der ungarischen Bauernschaft im allgemeinen nichts. Bei ihrer Verheiratung bekamen sie Unter- und Oberbekleidung, deren Menge und Qualität von Region zu Region verschieden war. Zunächst erhielten sie nur eine Truhe, später dann ein Bett, einen Schrank oder sonstige Möbelstücke. Die wohlhabenden Familien gaben mitunter auch eine Kuh oder ein Kalb, damit die junge Frau aus dem Gewinn, den das Vieh brachte, die notwendigsten Ausgaben decken konnte. Hier und da ließ man der Braut auch ein Stück vom am Dorfrand gelegenen Hanffeld zukommen. {G-71.} Schon von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an bekam dann auch die Tochter einen Anteil an den Liegenschaften, oder sie wurde – das war der häufigere Fall – mit Geld entschädigt. Erst in unserem Jahrhundert wurde es üblich – und selbst dann nicht überall –, daß die Töchter in der Liegenschaftserbfolge den Söhnen gleichgestellt wurden.

Abb. 5. Tiermarken

Abb. 5. Tiermarken
Kecskemét, 19. Jahrhundert

Auch die Söhne erhielten nicht in jedem Fall gleiche Anteile. Der älteste Sohn bekam in der Regel, wenn er durch Heirat aus der Familie ausschied, den ihm zustehenden Teil vom Land und eventuell vom Vieh. Dieser Anteil war meist kleiner, als ihm bei einer gleichmäßigen Aufteilung zugefallen wäre, da man die Produktionsfähigkeit des verbleibenden Besitzes nicht spürbar beeinträchtigen wollte. Nach verbreitetem Brauch blieb der jüngste Sohn am längsten bei den Eltern und erbte dementsprechend das Haus samt Einrichtung und im weiteren nach erfolgter Abfindung der Schwestern und älteren Brüder das verbliebene Land zusammen mit der landwirtschaftlichen Ausrüstung. Dafür oblag ihm die Pflege der hinfällig gewordenen Alten, und er hatte für ihre Beerdigung zu sorgen. Starben die Eltern, bekamen die älteren Geschwister in der Regel nur ein Andenken aus der Hauseinrichtung. Das Recht des jüngsten Sohnes auf das Elternhaus wurde in den ungarischen Gesetzbüchern vom 16. Jahrhundert an nicht nur anerkannt, sondern sogar vorgeschrieben; belegt ist dieses Recht in verschiedenen Aufzeichnungen bereits vom 12.–13. Jahrhundert an. Die besondere Stellung des jüngsten Sohnes spiegelt sich in den Volksmärchen und auch in anderen Denkmälern der Volksdichtung wider. Der Vater konnte seinen Sohn auch enterben, doch kam dies nur selten vor. Seit dem 19. Jahrhundert geschah es öfter, daß die Eltern einem Kind, sofern es begabt war, eine Ausbildung als Lehrer oder Geistlicher, seltener in einem anderen Beruf ermöglichten. In diesem Fall wurde das Kind von der Erbschaft ausgeschlossen oder erhielt lediglich einen geringeren Anteil, weil die Kosten für seine Ausbildung als Auszahlung des Erbteils angesehen wurden.

Die bewegliche Habe der Familie wurde mit Stempeln und Zeichen versehen, damit sie jederzeit leicht erkennbar war und das Besitzrecht dadurch nachgewiesen werden konnte. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang das Viehbrandmal, das vor allem Pferden und Rindern eingebrannt wurde. Dieses Zeichen wurde innerhalb der Familie über mehrere Generationen vererbt und wies gewöhnlich die Anfangsbuchstaben des Besitzernamens auf. Gab es innerhalb eines Dorfes mehrere identische Brandzeichen, so wurden sie durch ein X, einen Stern oder sonstwie unterschieden. Es kam auch vor, daß man aus Sicherheitsgründen, wenn das Vieh sehr weit weggetrieben werden sollte, zusammen mit dem Familienbrandzeichen auch das Ortszeichen anbrachte. Das Brandzeichen einer Familie war im Dorf allgemein bekannt, und ebendeshalb wurde es auch auf den landwirtschaftlichen Geräten eingebrannt. Wir wissen sogar, daß selbst die Grabkreuze damit markiert wurden, um anzuzeigen, zu welcher Familie der darunter Ruhende gehört hat. In den Weinanbaugebieten wurde auch zur Markierung der Fässer ein Brandeisen verwendet.

Die Schafe und Schweine wurden durch Kerbzeichen oder Einschnitte {G-72.} am Ohr markiert; die Zeichen blieben in einer Familie über Generationen dieselben. Anderswo dagegen deuteten die Einschnitte im Ohr des Schafes auf das Alter des Tieres hin. Kennzeichnungen für Geflügel waren weniger verbreitet. Gänse und Enten bekamen in die Schwimmhaut ein Zeichen geschnitten, während den Kücken eine Klaue abgenommen wurde. Wenn sie umherstreiften, konnten sie mit Hilfe dieser Zeichen leicht identifiziert werden. Die Frauen nähten in ihre Kleider und Unterwäsche Zeichen, um beim Waschen Verwechslungen vorzubeugen. Diese Zeichen bezogen sich allerdings nicht mehr auf die Familie, sondern auf deren einzelne Mitglieder.