{G-657.} Die Hochzeit

Die Hochzeit und die damit verbundenen zahlreichen Bräuche sind jenes hervorstechende Moment des Volkslebens, das der Laie am besten kennt und der Neuling unter den Folkloristen am liebsten beschreibt. Ohne hier auf die Zeit der erwachenden Liebe einzugehen, die trotz, individueller Möglichkeiten und Abweichungen durch gewisse ungeschriebene Konventionen geregelt ist, müssen die Hochzeitszeremonien und die vorhergehende Brautwerbung, die bereits beschrieben wurde, als spielartiger Brauch aufgefaßt werden. Die Brautwerber finden sich im Hause des Mädchens ein, wo sie schon erwartet werden, allerdings darf man sich das nicht anmerken lassen. Nach längeren Neckereien und Scherzen erscheint endlich die zukünftige Braut – ein abweisender Bescheid wäre den Brautwerbern rechtzeitig bekanntgegeben worden. Hierher gehört die Redewendung „jemandes Szûr (Mantel) vor die Tür hängen“ (jemanden an die Luft setzen): Mit dem Szûr, je nachdem, wo er hing, wurde an manchen Orten angedeutet, ob die Brautwerbung genehm war oder nicht. Wessen Mantel unter der Traufe hing, mußte sich anderswo eine Braut suchen.

Wenn schon die Brautwerbung ein Schauspiel ist, so kann die Hochzeit – vom Gang zur Kirche über das Aufladen der Brautaussteuer bis zu Hochzeitsmahl und Brauttanz – zu Recht eine dramatische Komposition genannt werden. Regisseur und Arrangeur dieses Schauspiels war nach alter Überlieferung der erste Brautführer, der mit seinen scherzhaften und ernsten Versen die Gesellschaft lachen und weinen machte und mit seinen Einfällen ähnlich wie bei der Commedia dell’arte aktuelle Scherze in einem seit Jahrhunderten gegebenen Rahmen improvisierte. Es war ein primitives und doch ewig menschliches Schauspiel mit wechselnden Personen, das – wie die Balladen, scherzhaften Volkslieder und Brautwerberreime bezeugen – seine Teilnehmer wechselnden Schicksalen zuführte. Und wenn auch ein scherzhafter Brautwerberreim lautet:

Eine Fessel ist die Ehe,
Hüte dich vor ihrer Nähe!

so war es doch im Urteil des Dorfes eine große Schande, eine alte Jungfer oder ein Hagestolz zu bleiben – ein Verstoß gegen das Gesetz des Dorfes.

Im ungarischen Sprachraum war die übergroße Mehrheit der Eheschließungen endogam, das heißt, der Bursche suchte sich seine Braut im allgemeinen im eigenen Dorf und selbst dort in dem Teil, in dem er wohnte. Wenn jemand versuchte, diese Ordnung zu durchbrechen, wurde er oft in blutigen Prügeleien gezwungen, sie einzuhalten. Seltener waren kleinere Gruppen von Dörfern, innerhalb derer die Eheschließung als erlaubt galt. Die frühere Ordnung löste sich seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer mehr auf, seitdem die Burschen mehr und mehr in andere Gegenden zur Arbeit oder zum Militärdienst kamen.

Die Hauptpersonen und Gestalter der ungarischen Hochzeitsfeiern sind im ganzen Sprachraum im großen und ganzen dieselben. Braut und Bräutigam haben beide je einen Beistand oder Trauzeugen, die zwar die angesehensten Gäste sind, sich aber doch eine ganze Reihe {G-658.} von Scherzen gefallen lassen müssen. Bei der Bitte um Herausgabe der Braut, bei ihrer Übergabe und beim Hochzeitsmahl spielen sie eine wichtige Rolle. Der Regisseur oder Leiter der ganzen Zeremonie ist der erste Brautführer, der über hervorragende Eigenschaften verfügen muß. Er muß ein erstklassiger Organisator sein, Schwierigkeiten aus dem Wege räumen, Streit verhindern, den ganzen Ablauf der Hochzeitszeremonie beherrschen sowie die passenden Verse und Lieder kennen. Er dirigiert die Musik und achtet darauf, daß jeder mit Speise und Trank versehen ist. Er geht dem Hochzeitszug voran und führt während des ganzen Marsches seine eigenen Tänze vor. Solche Leute gibt es nur wenige in einem Dorf, und natürlich werden dieselben immer wieder eingeladen. Kleine Brautführer finden sich in beiden Hochzeitshäusern mehrere; sie erledigen den Dienst der Hochzeitsbitter und warten bei Tisch auf. Die Frau Köchin ist eine Persönlichkeit, die das große Umsicht erfordernde Kochen mengen- und qualitätsmäßig einwandfrei mit Hilfe der Hausleute zu schaffen vermag.

281. Vor der Hochzeit wird die Braut verabschiedet

281. Vor der Hochzeit wird die Braut verabschiedet
Buják, Kom. Nógrád

282. Das Brautbett wird gebracht

282. Das Brautbett wird gebracht
Balavásár, ehem. Kom. Szolnok-Doboka, Rumänien

Interessante Lehren kann man aus den ungarischen Bezeichnungen der Hochzeit ziehen. Das älteste Wort für Hochzeit scheint das heute schon sehr veraltete menyegzõ zu sein, das man seit dem Ende des 14. Jahrhunderts kennt und das aus dem Wort meny = Schwiegertochter abgeleitet ist; dieses Wort selbst stammt aus der uralischen Zeit. Seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist das Wort házasság nachweisbar, das an den Begriff ház = Haus anschließt, wie dies auch im Bulgarischen, Osmanisch-türkischen und in anderen Sprachen der Fall ist. {G-659.} Das heute gebräuchlichste Wort für Hochzeit ist lakodalom, das zu Beginn des 16. Jahrhunderts auftaucht und von dem Wort lakik = ißt herstammt, das früher jede Art von Gelage bedeutete. Diese letzte Benennung zeigt ohne allen Zweifel, welch wichtige Rolle das Essen und das dazugehörige Trinken bei der Festlichkeit spielten. (Nicht zu vergessen ist das Wort esküvõ für Hochzeit, das allzu städtisch und modern klingt; es kommt von eskü = Schwur.)

Die ungarische Hochzeitsfolklore ist außerordentlich reichhaltig. An erster Stelle müssen die Brautführerverse erwähnt werden, die zum großen Teil Mischprodukte der Volks- und Kantorendichtung sind. Sie wurden handschriftlich, aber auch im Druck verbreitet, woraus sich ein gewisser Ausgleich zwischen den einzelnen Gegenden ergab. {G-660.} Aufgesagt wurden die Verse vom ersten Brautführer, seltener vom Beistand. Um die Aufmerksamkeit der Gäste zu erwecken, wurde mehrmals mit einem Stock auf den Fußboden gestoßen, worauf die Zigeuner einen Tusch spielten. Heute haben diese Verse keine Melodien mehr, aber vor einigen Jahrhunderten gab es gesungene Varianten. Diese wurden im allgemeinen gemäß den einzelnen Phasen des Hochzeitsfestes gesungen, und in dieser Reihenfolge stehen sie auch in den sogenannten Brautführerbüchern.

Unter den Hochzeitsliedern sind sozusagen alle Schichten des ungarischen Volksliedes vertreten. So kann während des Hochzeitsschmauses fast jedes Genre zu Wort kommen: Weinlieder, Glückwunschlieder, unterhaltende und scherzhafte Lieder, aber auch biblische und moralisierende Lieder. Viele Lieder werden nur bei Hochzeiten gesungen, wo sie obligatorisch sind.

Der recht vielschichtige dramatische und poetische Stoff der ungarischen Hochzeitsbräuche wird überdies noch durch regionale oder lokale Zutaten bereichert. Hier soll jetzt eine Hochzeitsfeier in Umrissen dargestellt werden, die im wesentlichen allgemeingültig ist und deren Varianten sich in den verschiedenen Gegenden des Sprachraums sozusagen bis auf unsere Tage erhalten haben.

Nach vollzogener Brautwerbung folgt die Verlobung (die ungarischen Entsprechungen: eljegyzés oder kézfogó könnte man etwa mit „Markierung“ oder „Handreichung“ übersetzen). Der persische Geschichtsschreiber Gardesi hat im 11. Jahrhundert von den Ungarn geschrieben, sie kauften ihre Bräute gegen Pelze und Vieh. Vielleicht ist es eine Erinnerung an diese Sitte, wenn noch heute von 16 bis 18 Jahren alten Mädchen gesagt wird, sie hätten (wörtliche Übersetzung) das verkäufliche Alter erreicht. Bei der Verlobung übergab der Bräutigam der Braut eine Gold- oder Silbermünze, die in einen Apfel gesteckt oder in verziertes Papier gewickelt war. An deren Stelle trat seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts immer allgemeiner ein Goldring. Der Bräutigam trug an vielen Orten während der Verlobungszeit einen Blumenstrauß am Hut, den er dann am Hochzeitstag ablegte. zu Ende der Zeremonie segnete der Beistand des Bräutigams das Brautpaar, worauf beide Beistände ein reich geschmücktes handgewebtes Tuch bekamen. In Cigánd (Bezirk Zemplén) antworteten sie mit folgenden Dankesworten:

Wer diese Tücher säuberlich gesponnen,
Gewoben und vom Webstuhl abgenommen,
Für uns genäht hat hübsch und aufgehoben,
Die segne unser Herr im Himmel oben.
 
Wir wünschen, daß den Frau’n ihr Blütenflachs
Vom Hagel unberührt gedeih und wachs.
Weil fleißig auch im Winter, ruht deswegen
Auf ihrem Tun gewiß des Himmels Segen.

Nach alledem begannen die Vorbereitungen zur Hochzeit. Ein wichtiges Moment war, daß sich der Beistand in Begleitung des Brautpaars und einer älteren weiblichen Verwandten zum Pfarrer begab, {G-661.} um die Eintragung vornehmen zu lassen. Dann erfolgte an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen das Eheaufgebot, das der Sitte gemäß mindestens einmal auch vom Brautpaar mit angehört werden mußte. Nach der letzten Ankündigung konnte die Hochzeit abgehalten werden. Der für die Hochzeit bevorzugte Tag wechselte zwar im Laufe der Zeiten und in den einzelnen Gegenden, meist wählte man jedoch den Mittwoch oder noch lieber den Samstag. Die meisten Hochzeiten wurden für den Frühwinter und nach Fastnacht angesetzt, weil dann die Bauern am leichtesten die Zeit dafür erübrigen konnten.

Ein bis zwei Tage vor der Hochzeit begann im Hochzeitshaus die Zubereitung der Speisen. Dazu gehörten die in der Ungarischen Tiefebene unerläßlichen Schneckennudeln, das gefüllte Kraut (etwa: Kohlrouladen) und das Rupfen der Hühner. Das war die Aufgabe der Frauen, die nach Abschluß dieser Vorbereitungen ein kleineres Tanzvergnügen abhielten, woran auch die Trauzeugen und Brautführer teilnahmen.

Die Gäste einzuladen war Aufgabe der sogenannten Kleinen Brautführer. In erster Linie wurden – den lokalen Sitten entsprechend – die Verwandten dritten bis vierten, an einigen Orten sogar bis fünften Grades eingeladen. Natürlich durften unter den Eingeladenen weder die Nachbarn noch die Vorsteher des Dorfes fehlen. Die Kleinen Brautführer gingen meist zu zweit und luden die Gäste im Namen der Familie der Braut beziehungsweise des Bräutigams mit Reimsprüchen ein, die von Gegend zu Gegend variierten:

Frohen Herzens treten wir in dieses Haus,
Laden Euch zu einem lieben Hochzeitsschmaus.
Denn als uns’re Väter in die Ehe traten,
Haben sie die Sippschaft auch so eingeladen.
 
Uns’re Väter gaben diese Pflicht uns auf.
Denn der Ungar liebt die Gäst’ im Haus zuhauf.
…………………………………..
 
Gern erwarten wir auch Euch bei offenen Türen
Habt ihr einen Kranken, müßt ihr ihn mitführen.
Liebe gute Vettern, gebt mir drauf die Hand,
Daß Ihr kommen werdet alle miteinand’.
Alle müßt Ihr kommen, Jungen wie die Alten,
So soll Gottes Segen über dies Haus walten.

                           (Ungarische Tiefebene)

Als ein Zeichen, daß die Einladung angenommen worden war, galt, u. a., wenn die Eingeladenen am Tage vor der Hochzeit ihre Geschenke, Gebrauchsgegenstände oder allerlei Speise und Trank brachten. Seit einem halben Jahrhundert verbreitete sich der Brauch, eine Torte zu bringen, von der dann diejenige, die sie gebacken hat, nach Tisch den anderen Gästen anbietet.

Ebenfalls am Tage vor der Hochzeit wurden nachmittags die Brauttruhe, andere Möbelstücke, das Bettzeug und die Kleider der Braut mit einem Wagen in das Haus des Bräutigams gefahren, in dem das junge Paar wohnen sollte. Dies geschah beileibe nicht auf dem kürzesten {G-662.} Wege, vielmehr sollte das ganze Dorf sehen, was die Braut mitbekam. Während der Fahrt wurden unter der Leitung des Brautführers Lieder gesungen, die je nach der Gegend wechselten.

Seht, das Brautbett wird gebracht,
Das dem Bräutigam Freude macht„
Das dem Bräutigam Freude macht.
 
Gott sei bei euch immerdar,
Und ein Kindchen übers Jahr!
Und ein Kindchen übers Jahr!

                           (Geszte, ehem. Komitat Nyitra)

Schon beim Verlassen des Brauthauses sind sie zahlreichen Neckereien ausgesetzt, die noch zunehmen, bis sie das Haus des Bräutigams betreten dürfen. Da wird sogar mit dem Daunenbett auf dem Hof herumgetanzt, dann wird ein Junge auf dem Bettzeug gewälzt, damit das erste Kind ein Knabe werde.

Am Hochzeitsmorgen versammelt sich die Hochzeitsgesellschaft in zwei Gruppen im Hause der Braut beziehungsweise des Bräutigams. Der Bräutigam zieht das von der Braut erhaltene Verlobungshemd an, dann nimmt der erste Brautführer im Namen der Junggesellenfreunde von ihm Abschied, und es geht los zu Fuß oder mit Wagen in Richtung auf das Brauthaus. Hier wird man aber zunächst nicht eingelassen, denn das Tor ist versperrt und wird erst nach langen Verhandlungen zwischen den beiden Beiständen, dem Brautbitter und dem Brautgeber, geöffnet. Inzwischen wird die Braut von den Brautjungfern angekleidet und frisiert. Im vorigen Jahrhundert trugen die meisten Bräute im ungarischen Sprachraum dunkle Kleider. Das heute allgemein übliche weiße Kleid hat alle anderen Farben erst um die Jahrhundertwende verdrängt.

Der Brautbitter drängt nun die Braut immer nachdrücklicher, man solle doch schon zur Kirche aufbrechen. Aber zuerst zeigt man ihm eine alte bucklige Frau, dann einen in Frauenkleider gekleideten Burschen und endlich eine Brautjungfer, und erst nachdem alle diese zurückgewiesen worden sind, erscheint die wirkliche Braut, und der erste Brautführer spricht die Abschiedsworte:

Musikanten, ruhen lagt jetzt eure Geigen,
Sporenklirr’n, Getrappel, alles soll jetzt schweigen,
Denn ich fange nun die Abschiedsrede an.
Wartet drauf geduldig, bis ich enden kann.
Abschied nimmt die Braut jetzt von ihren Eltern,
Die sie aufgezogen, und von den Geschwistern.
Reden möcht’ sie selber, doch sie kann es nicht,
Jeder sieht’s an ihrem traurigen Gesicht.
Helfen wir ihr still, den Schmerz zu überwinden,
Seid still, Kinder, ihr dort in der Ecke hinten.

                           (Ungarische Tiefebene)

283. Die Aussteuer der Braut wird gebracht

283. Die Aussteuer der Braut wird gebracht
Vista, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

284. Das Brautbett wird durchs Dorf gefahren

284. Das Brautbett wird durchs Dorf gefahren
Vista, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

Die Abschiedsworte spricht der erste Brautführer stets in der ersten Person im Namen der Braut; wenn er geendet hat, formiert sich auf {G-664.} dem Hof der Hochzeitszug. Seine Formen sind je nach der Gegend verschieden, doch geht im allgemeinen das Hochzeitsvolk des Bräutigams voran und das der Braut folgt. Diese ist entweder von den Brautjungfern umringt oder wird von einem Brautführer geführt. Beim Verlassen des Hofes wird ein bestimmtes Lied gesungen:

Mutter, schau zum Fenster raus,
Jetzt führt man mich aus dem Haus.
Schau und weine bitterlich,
Vielleicht siehst du nimmer mich.
 
Meiner Mutter Rosenstrauch,
Daran wuchs zur Pracht ich auch,
Ging die Knospe auf verfrüht –
Hätt’ ich lieber nie geblüht.
 
Meiner Mutter Rosengarten,
Mich ließ man darin nicht warten,
Pflückt ein Bursch mich, führt mich fort –,
Bin an seiner Brust verdorrt.

                           (Szögliget, Komitat Abaúj)

Die Beistände schließen den Hochzeitszug ab, wachen über die Ordnung und bieten den am Wege „Gaffenden“ Wein aus Flaschen oder kulacs (runde Feldflaschen) an. Vor der Kirche bleiben die beiden Hochzeitsgesellschaften noch einmal stehen und führen einen Tanz auf. Dann folgt in der Kirche die religiöse Zeremonie, während derer die Braut versucht, dem Bräutigam auf den Fuß zu treten, um so ihre zukünftige Herrschaft zu sichern. Ein Brautführer bedankt sich beim Pfarrer für die Trauung und überreicht ihm ein Glas Wein, einen Kuchen und ein gewebtes Tuch. Die beiden Hochzeitsgesellschaften verlassen die Kirche, noch immer getrennt.

Nun beginnen die beiden Beistände darüber zu verhandeln, was mit der Braut geschehen solle. Im allgemeinen kommen sie überein, die Braut solle in das elterliche Haus zurückgehen. Die beiden Hochzeitsgesellschaften trennen sich nun wieder, und jede geht – womöglich auf einem anderen Weg –, wie sie gekommen ist, zu ihrem eigenen Gastgeber zurück, wo ein Mittagessen sie erwartet. Nach dem Essen kommen dann immer häufiger Abgesandte zum Hause der Braut und fordern ihre Herausgabe. Am Nachmittag setzt sich dann der Bräutigam mit seiner ganzen Hochzeitsgesellschaft in Bewegung, um sich seine Frau selbst zu holen. Natürlich geht auch dies nicht ohne Scherze und spielerische Auftritte ab. Der Bräutigam muß seine Braut unter drei vermummten Gestalten heraussuchen. Endlich machen sich dann beide Hochzeitsgesellschaften auf den Weg zum Hause des Bräutigams, wo sie mit einem Lied ankommen, zum Beispiel in einem Teil Siebenbürgens mit diesem:

Schön und stattlich schreiten wir,
Heißt die Braut willkommen hier,
Schön der Name, der sie ziert,
Schöner sie, die diesen führt.
 
{G-665.} Fahr mit mir nach Enyed, gelt?
In die Mitte von der Welt,
Dort gibts Rosen, Margareten
Und Levkojen zum Anbeten.
 
Hochzeitsmutter, kommt hervor,
Schließet auf das große Tor!
Hilfe bringen wir Euch schon:
Eine Frau für Euren Sohn.

                           (Szépkenyerûszentmárton, ehem. Komitat Szolnok-Doboka)

285. Aufbruch zur Trauung

285. Aufbruch zur Trauung
Szentistván, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Das Tor wird aber auch hier erst nach langem Drängen und gegenseitigen Neckereien zwischen Brautführern und Beiständen aufgemacht. Die Braut wird entweder auf den Armen hineingetragen, oder es wird ein Stuhl neben den Wagen gestellt, über den sie herabsteigt. In der Diele wird sie um den Herd herumgeführt und damit als Mitglied der Familie anerkannt. Dann bittet der erste Brautführer wieder um Ruhe und spricht:

{G-666.} Liebe Herren, werte Damen, guten Tag!
Nicht vergeblich waren unsre Müh und Plag,
Schöne Braut wir fanden für den Bräutigam.
Seht das Paar, das eben aus der Kirche kam!
Seinem Ende zu geht das Familienfest,
Übrig bleibt jedoch in trautem Kreis ein Rest.
Nehmt zum Hochzeitsmahl jetzt Platz auf diesen Stühlen,
Jeder soll gemütlich wie zu Haus sich fühlen.
Du, Zigeuner, aber setz den Bogen an,
Daß das Hochzeitsvolk sich amüsieren kann.

                           (Sepsibesenyõ, ehem. Komitat Háromszék)

286. Darbringung des Hochzeitsgebäcks

286. Darbringung des Hochzeitsgebäcks
Méra, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

287. Hochzeit

287. Hochzeit
Szentistván, Kom. Borsod-Abaúj-Zemplén

Den Nachmittag verbringen die jungen Leute mit Spielen, die älteren in ruhigem Gespräch oder mit Liedersingen. Die Zigeuner spielen langsame, sogenannte Zuhör-Weisen, noch wird nicht getanzt. Inzwischen bereiten die Frauen unter Leitung der Köchin das Abendessen {G-667.} vor, wozu alle Möbel aus dem Haus entfernt wurden und nur Tische, Stühle und Bänke drinnen geblieben sind. Wenn das Wetter günstig ist, wird auf dem Hof ein Zelt aufgestellt, und in diesem wird das Abendessen aufgetragen.

Die Sitzordnung beim Mahl ist an manchen Orten vorgeschrieben, aber je nach Gegend verschieden. Mancherorts sitzen die Beistände in der Mitte zwischen dem jungen Paar; in anderen Fällen ist es genau umgekehrt, das heißt die Brautleute sitzen in der Mitte und daneben der jeweilige Beistand. Dann folgt die Verwandtschaft in der durch die Abstammung gegebenen Reihenfolge. Ehrenplätze gebühren den eingeladenen Vorstehern des Dorfes. An den meisten Orten essen Braut und Bräutigam aus einem Teller und trinken aus einem Glas, um auch so ihre enge Zusammengehörigkeit zu zeigen. Das Aufwarten bei Tisch ist Aufgabe der Brautführer. Zuvor kündigt der erste Brautführer, nachdem sich jedermann gesetzt hat, die Speisenfolge mit entsprechenden Reimsprüchen an:

{G-668.} Euch in diesem Hause froh versammelt habend,
Wünsche ich euch allen einen guten Abend.
Diese große Schüssel, die ich bringen muß,
Schickt der liebe Hausherr allen euch zum Gruß.
Hühnersuppe hab ich jetzt hereingetragen,
Dazu Nudeln, Beine, Hals und Haut und Magen.
Seht die schöne Farbe, glänzt sie nicht wie Gold?
Die ihr nicht nur anschau’n, sondern kosten sollt.
Macht Platz für die Schüssel mitten auf dem Tisch,
Langt Zu, wünscht der Hausherr, ziert euch nicht, macht frisch!

Abb. 219. Hochzeitskuchen.

Abb. 219. Hochzeitskuchen.
Ehern. Kom. Udvarhely, um 1920

Dann folgen der Reihe nach die Gerichte: Rindfleisch in Paprikasauce, Kohlrouladen, Braten, und jedes wird mit einem Reimspruch angekündigt ebenso auch der Wein. In der Tiefebene sitzen den Beiständen lustige junge Leuten gegenüber, die man – in Erinnerung an einen bei den Kumanen bekannten Rang – „Kumanenkapitäne“ nennt. Diese sind die Hauptspaßmacher, und um sie bei guter Laune zu halten, bietet ihnen der erste Brautführer auch noch extra Wein an.

Gott zum Gruß, Kumanenkapitän!
Unser Wirt möcht euch nicht traurig sehn!
Darum schickt er euch die Flasche Wein,
Eßt und trinkt, und lustig sollt ihr sein!

                           (Tetétlen, Komitat Hajdú)

Als letzte Speise wurde der traditionelle Brei aufgetragen, der später von Kleingebäck und Torten abgelöst wurde. Zum Ende des Schmauses erscheint dann die Köchin, und der erste Brautführer kündigt das schwere Unglück, das sie getroffen hat, an:

Mitten in der Freude ist etwas passiert,
Was uns, liebe Gäste, unliebsam berührt.
Als die Köchin rührt’ den Brei mit flinker Hand
Spritzte raus ein Klumpen und hat sie verbrannt.
Arg verbrüht sind ihre Hände, auch die Arme.
Zugedeckt mit einem Tuch hat sie, die Arme,
Schmerzen hat die Köchin, ihre Tränen fließen,
Einen Balsam müßt man auf die Wunden gießen,
Den zu holen, sollt’ man zum Apotheker eilen,
Dazu braucht man Geld, das muß ich euch mitteilen.
Darum laßt euch bitten, meine Damen, Herr’n,
Tragt bei zu den Kosten, sicher tut ihr’s gern.

                           (Ungarische Tiefebene)

Jedermann legt also sein Scherflein auf den Teller, nicht ohne zwischendurch das Tuch auf dem Arm der Köchin oder gar ihren Rock keck zu heben, was diese mit dem Kochlöffel in ihrer anderen Hand unzart abwehrt. Währenddessen werden die sich an den Fenstern bemerkbar machenden Maskierten hereingelassen; andere führen die Parodie einer Beerdigung vor, und ein als Priester verkleideter Bursche segnet unter derben Scherzen den mit einem weißen Laken bedeckten Scheintoten ein. Die Maskierten erhalten für ihre Späße Speise und {G-669.} Trank und dürfen auch am Tanz teilnehmen. Während des Abendessens spielen die Zigeuner ohne Pause: Männer können sich für Geld, Frauen umsonst ein besonderes Lied bestellen. Nach beendetem Mahl setzen sich die Zigeuner zum Essen. Unterdessen tragen die Brautführer die Tische und Stühle hinaus, und der Tanz kann beginnen. Die älteren Gäste ziehen sich in ein kleineres Zimmer zurück, trinken Wein und plaudern. Jetzt sollen drei Momente des Hochzeitsfestes beschrieben werden, die zwar in einem großen Teil des Sprachraums bekannt sind, deren Reihenfolge aber je nach der Gegend, ja oft je nach dein Dorf verschieden ist.

288. Die Speisen zum Hochzeitsmahl werden aufgetragen

288. Die Speisen zum Hochzeitsmahl werden aufgetragen
Püspökhatvan, Kom. Pest

Das Brautbetten erfolgt nach den ersten Tänzen. Der Brautführer sagt wieder einen Sermon auf, in dem er die Braut noch einmal von ihrer Familie und ihren Jugendfreundinnen verabschiedet, und führt sie aus dem Haus. Sie wird von den Brautjungfern übernommen, die sie samt dem jungen Ehemann in die Bodenkammer begleiten. Hier ist das Hochzeitsbett aufgeschlagen. Nun legt die junge Frau den {G-670.} Kranz ab, den der Brautführer an einem Stock befestigt und zu den Tanzenden und sich fröhlich Unterhaltenden zurückbringt.

Das Haaraufstecken ist eine Prozedur der Anerkennung dessen, daß das Mädchen Frau geworden ist und sich nunmehr in ihrer neuen Tracht zeigen muß. Das Haaraufstecken erfolgt meist im Schlafzimmer des jungen Paares, außer dem Ehemann dürfen nur Frauen und Mädchen anwesend sein. Solange das Haar der Braut in Zöpfe geflochten und in einen Knoten gelegt wird, muß sie der Sitte entsprechend dauernd weinen. Natürlich geht das auch nicht ohne Lieder vor sich:

Freude ist solang’ das Leben,
Bis im Wind die Bänder schweben.
Bänder leichte Zierde sind,
Flattern froh im frischen Wind.
 
Schwerer wiegt das Frauenkleid,
Immer sitzt darin ein Leid.
Tragen mußt du ohne Rast
Bis zum Tod die schwere Last.

                           (Hertelendyfalva, ehem. Komitat Torontál)

Sobald das Haaraufstecken beendet ist, wird die junge Frau gegen ein Lösegeld wieder dem Brautführer übergeben, der sie zur Hochzeitsgesellschaft zurückführt und sie mit Reimen vorstellt:

Warst ein Mädchen, bist nun eine junge Frau,
An dem schönen Knoten sieht man es genau.
Aufgesteckte Haare sind der Frauen Zierde.
Bleib gesund, und trag den Frauenschmuck mit Würde.
 
Segne Gott so dich wie deinen lieben Mann,
Lebt Zusammen wie ein glücklich Paar fortan,
Liebt euch in der Zukunft grad so heiß wie heut,
Lebt in Gottesfurcht und in Zufriedenheit!

                           (Kovácsvágás, Komitat Abaúj)

Zum Abschluß der Hochzeitsfeier gehörte der Brauttanz. Der erste Brautführer stellte die junge Frau mit einem Spruch wie diesem vor:

Unsre schöne Braut, schaut sie euch an,
Auch als Frau sich sehen lassen kann.
Einen Tanz gewährt sie jedem Gast,
Jeder zahlt dafür, soviel ihm paßt.
 
Auf zum Brauttanz, komme wer sich traut,
Aber schont die Schuhe von der Braut.
Schuh’ vom Schuster sind, wißt ihr, nicht billig,
Darum Zahlt ihr für den Tanz auch willig.
 
Um den ersten Tanz ich selber bitte,
Tu den Gulden in des Tellers Mitte.
Bis dahin sich jeder sein Geld hole,
Spiel, Zigánj, dem jungen Paar zum Wohle!

                           (Bodroghalász, Komitat Zemplén)

Abb. 220. Sitzordnung an der Hochzeitstafel.

Abb. 220. Sitzordnung an der Hochzeitstafel.
Nemespátró, Kom. Somogy. 1930–40.
1. Bräutigam, 2. Braut, 3. Brautwerber, 4. Brautführer, 5. Vater des Bräutigams, 6. Mutter des Bräutigams, 7. Vater der Braut, 8. Mutter der Braut, 9. Brautjungfer, 10. Brautführerin, 11. Verwandte des Bräutigams, 12. Verwandte der Braut

{G-671.} Neben dem Teller steht eine Flasche Wein mit Gläsern, und nun beginnt der Tanz so richtig. Nachdem der erste Brautführer seine Tour mit der Braut beendet hat, ruft er: „Die Braut ist zu verkaufen!“ Darauf kommen der Reihe nach die Beistände und die Verwandten, werfen Geld auf den Teller und tanzen einige Runden mit der Braut. Wer sie dem nächsten Tänzer übergibt, trinkt ein Glas auf ihre Gesundheit. Nachdem schon jedermann – selbst die größeren Kinder – mit der Braut getanzt haben, legt der junge Ehemann eine größere Summe auf den Teller und beendet mit seiner Frau den Tanz. Inzwischen zählt der erste Brautführer die gespendete Summe, die meist ansehnlich ist und dem jungen Paar den Beginn des Ehelebens erleichtern soll. Dieser Hochzeitsbrauch verbreitet sich neuerdings immer mehr auch in städtischen Kreisen.

289. Beim Hochzeitsmahl

289. Beim Hochzeitsmahl
Homokmégy, Kom. Bács-Kiskun

Früher dauerte das Hochzeitsfest – natürlich bei den wohlhabenderen Bauern – zwei bis drei Tage, und es gehörten noch zahlreiche, nach ethnischen und geographischen Gruppen verschiedene Sitten und Bräuche dazu. Wenn gegen Ende der Feier noch Gäste blieben, die durchaus nicht weggehen wollten, wurde ihnen ein Ausfegebrei serviert, und der Beistand oder der erste Brautführer gab ihnen zu verstehen, daß die Hochzeit zu Ende sei:

Hat das Fest euch gut gefallen,
Jetzt ist Schluß, das gilt euch allen.
Seht, die Wirtin kommt deswegen,
Euch, die Letzten, auszufegen.

                           (Hertelendyfalva, ehem. Komitat Torontál)

{G-672.} Dann blieben nur noch alle die beisammen, die an der Gestaltung der Hochzeitsfeierlichkeiten beteiligt gewesen waren, um ein von der jungen Frau gekochtes Essen zu verzehren und ihr mit folgendem Segensspruch zu danken:

Mag die Haube gehn in Stücke –
Dich erhalte Gott zum Glücke!

Selbst diese recht vordergründige Schilderung erlaubt es, verschiedene Schlüsse zu ziehen. So unter anderen den, daß diese Bräuche, Glaubenselemente, dramatischen Überlieferungen und vom Volk gedichteten oder übernommenen Texte eng miteinander zusammenhängen. Sie bilden ein außerordentlich kompliziertes System. Die historische Forschung hat bewiesen, daß sich die Hochzeitsbräuche immer mehr in Richtung auf das Essen, Trinken und Lustigsein verschoben haben. Dies bedeutet auch, daß die Veranstaltung einer so kostspieligen Hochzeitsfeier nur unter wohlhabenden Bauern möglich war, selbst wenn die mitgebrachten Geschenke und der Brauttanz eine große Einnahmequelle waren. Wenn ärmere Bauern dennoch große Hochzeitsfeiern veranstalteten, luden sie sich eine Schuldenlast auf, die sie oft ein halbes Leben lang nicht abtragen konnten.