Ernte und Erntebräuche

Die Getreidesaat erforderte außer dem Jäten nicht viel Pflege, höchstens daß die Vögel mit Scheuchen ferngehalten werden mußten, sobald die Körner zu reifen begannen. Die Phasen der Weizenreife wurden folgendermaßen bestimmt: um den St. Georgstag (24. April) schießt die Saat ins Kraut, im Mai schiebt sie die Ähre, am St. Veitstag (15. Juni) hört das Wachsen auf, zu Peter und Paul (29. Juni) wird die Halmleitung unterbrochen, von da an reift der Weizen, und es kann mit der Ernte begonnen werden.

100. Getreideschneiden mit der Sichel

100. Getreideschneiden mit der Sichel
Szentgál, Kom. Veszprém

Abb. 72. Sensensichel.

Abb. 72. Sensensichel.
Nagybózsva, Kom. Abaúj, um 1950

Der Erntetag wurde sorgfältig ausgewählt. Bei Neumond begann man nie mit der Ernte, aber auch der Eliastag war kein Glückstag, er drehte mit dem Blitzschlag. Fiel der erste Erntetag auf einen Freitag, so wurde schon am Donnerstag eine Garbe geschnitten, damit man {G-225.} mit der wichtigsten Arbeit des Jahres nicht an einem Unglückstag beginnen mußte.

Ein Erntewerkzeug war die Sichel (sarló); das ungarische Wort ist ein Lehnwort aus dem Türkischen und stammt noch aus der Zeit vor der Landnahme. Die Sichel war in zwei grundlegenden Formen bekannt: es gab die gezähnte Sichel (fogas sarló) und die glattschneidige Sichel (simaélû sarló), auch Sensensichel (kaszasarló) genannt.

Abb. 73. Sichel.

Abb. 73. Sichel.
1.–3. Ungarische Sichel. Cigánd, Kom. Zemplén; 4. Slowakische Sichel daselbst; 5. Obere Theißgegend; 6. Jászberény, Kom. Szolnok; 7. ehem. Kom. Gömör, Ende 19. Jahrhundert

Im Karpatenbecken kannte man bei der ersten Form je nach der Krümmung und der Verbindung mit dem Stiel zwei Typen. Der eine war die Angelform, bei der die Klinge vom Stiel ausgehend gerade verläuft und sich erst zum Ende hin krümmt. Anscheinend handelt es sich hier um den allgemeinen europäischen Typ. Solche Sicheln fanden die Ungarn bereits im Lande vor. Der zweite weist gleich oberhalb des Stieles eine Ausbuchtung auf, und der Bogen bildet sich erst später. Im allgemeinen ist diese Sichel stärker und auch dicker als der erstgenannte Typ. Nach den bisherigen Forschungen ist sie östlicher Herkunft, denn solche Sicheln wurden in hunnischen, awarischen und ungarischen Gräbern aus der Landnahmezeit gefunden. Sie haben die erste Form verdrängt. Mit diesen Schneidegeräten schnitt man das Getreide, während zum Grasmähen die Sensensichel verwendet wurde. Später jedoch, hauptsächlich vom letzten Jahrhundert an, wurde auch die Sensensichel häufig zur Ernte gebraucht. Sie diente, nachdem sich die Sense als Mähwerkzeug durchgesetzt hatte, zum Abraffen der Halmbündel, die anschließend zu Garben gebunden wurden.

Das Schneiden mit der Sichel war meistens Frauenarbeit, Männer verrichteten sie selten, nur die Jüngeren und die Ältesten. Die Mäherin raffte so viele Halme zusammen, wie sie mit der Hand greifen konnte, und schnitt sie mit von unten nach oben gehender Bewegung ab, um sie auf die vorher ausgebreiteten Strohseile zu legen. Das Garbenbinden war immer Sache der Männer, und ihre Arbeit war es auch, sie in Haufen von verschiedener Größe zu setzen. Die Ernte mit der Sichel wurde besonders seit Beginn des vorigen Jahrhunderts immer mehr in den Hintergrund gedrängt. In unserem Jahrhundert war sie vereinzelt nur in den Randgebieten, und zwar in bergigem Gelände, üblich.

101. Mähen auf Schwaden mit der Korbsense

101. Mähen auf Schwaden mit der Korbsense
Diósjenõ, Kom. Nógrád

102. a. Wetzsteim un Köcher b. Erntekranz Gégény, Kom. Szabolcs-Szatmár c. Erntekranz Sammlung der Reformierten. Sárospatak

102. a. Wetzsteim un Köcher b. Erntekranz Gégény, Kom. Szabolcs-Szatmár c. Erntekranz Sammlung der Reformierten. Sárospatak

Das andere Mähwerkzeug zum Schnitt des Getreides war die Sense (kasza). Während die gezähnte Sichel ausschließlich zum Getreide {G-226.} schnitt benutzt wurde, war die Sense ursprünglich ein Werkzeug der Heumahd. Die ungarische Sense bestand aus einer 70 bis 110 cm langen, leicht gebogenen Stahlplatte, an deren einer Längsseite ein Wulst, an der anderen die Schneide entlanglief. Der Sensenbaum war 170 bis 200 cm lang, der Größe des Mannes entsprechend, der damit arbeitete. In bergigem Gelände hatte der Baum eine Handhabe, im Flachland zwei. Bei zwei Handhaben konnte die Sense flacher über den Boden geführt werden, so daß sie auch niedrigeres Mähgut schnitt. Die Klinge wurde mit einem Ring am Sensenbaum befestigt und in einem bestimmten Winkel, je nach der zu leistenden Arbeit, eingestellt. Zum Mähen befestigte man vor allem im Tiefland einen Korb (csapó) aus 2 bis 3 Gerten am Sensenbaum, wodurch der jeweils geschnittene Schwaden gleichmäßiger gelegt werden konnte. Die Palotzen überzogen den Korb mit Leinen, um das Ausrieseln der Körner zu reduzieren. In einigen Gegenden Westungarns und im Oberland band man zum selben Zweck eine Harke oder eine Gabel an den Sensenbaum. Die Sensenklinge {G-227.} wurde mit dem Sensenhammer auf einem eisernen Amboß gedengelt und später, wenn die Schärfe nachließ, mit dem Wetzstein gestrichen.

Über die Verwendung der Sense als Mähwerkzeug bei der Getreideernte stehen uns seit dem 17.–18. Jahrhundert häufiger Angaben zur Verfügung. Die landwirtschaftliche Literatur vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts empfiehlt sie als besseres und fortschrittliches Arbeitsgerät. Von da an verdrängte sie die Sichel vollkommen. Mit der Sense arbeiteten nur Männer; dem Schnitter folgte die Abrafferin auf dem Fuße; Binden und Zusammentragen der Garben war wieder Männerarbeit.

Abb. 74. Sense mit Korb Große Tiefebene, erste Hälfte 20. Jahrhundert.

Abb. 74. Sense mit Korb Große Tiefebene, erste Hälfte 20. Jahrhundert.
Allgemein

Mit der Sense wurde früher vorwiegend auf Schwaden gemäht. In der Tiefebene zog man die Schwaden zu kleinen Haufen (Schlepphaufen) zusammen. In die Mitte eines solchen Häufchens stellte man 2 bis 3 Garben Getreide mit den Ähren nach oben, und drumherum stapelte man den Rest mit den Halmen nach außen. Wenn so ein Haufen mannshoch war, spitzte man ihn zu und bildete ein Dach darüber. Dann umwickelte man ihn in etwa einem halben Meter Höhe mit einem starken Strick, spannte ein Pferd oder einen Ochsen davor und schleppte den Haufen so auf die Tenne, wo er gedroschen wurde. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kamen in der Tiefebene niedrige Fuhrwerke auf, mit denen das Getreide unter viel geringerem Körnerverlust befördert werden konnte. Diese heuartige Behandlung des Getreides hielt sich am längsten beim Sommergetreide.

Abb. 75. Sense mit Harkenkorb.

Abb. 75. Sense mit Harkenkorb.
Westungarn, erste Hälfte 20. Jahrhundert

{G-228.} Das Wintergetreide wurde meist in der Weise gemäht, daß sich die Halme an das noch stehende Getreide lehnten. Eine Frau oder ein Mädchen (die Abrafferin) ging rücklings hinter dem Schnitter her und zog die Halme mit einem Holzhaken oder einer Sichel zusammen. Wenn sie genug beisammen hatte, legte sie das Bündel auf ein schon vorher ausgebreitetes Strohseil. Die zusammengebundenen Garben wurden, wie bei der Ernte mit der Sichel, zu Puppen aufgestellt, die in Ungarn allerdings die Form von Kreuzen hatten und auch Kreuz (kereszt) genannt wurden. Die Garben wurden so in die vier Balken des Kreuzes gelegt, daß die Ähren nach innen und aufeinander, die Halme aber nach außen lagen. Die in die Breite gezogene Garbe, die zuoberst auf dem „Kreuz“ lag, wurde im ganzen Sprachgebiet pap (Pfaffe) genannt. Die Zahl der in ein „Kreuz“ eingebauten Garben war und ist je nach der Gegend verschieden. Im Mittelalter rechnete man in den meisten Orten nach dem Sechzigersystem; so bestand eine Halbmandel (félkalangya) aus 15, eine Ganzmandel (kalangya) aus 30, die Doppelmandel (kepe) aus 60 Garben. Dieses Zahlensystem ist wahrscheinlich alteuropäischer Herkunft; nach Ungarn kam es durch slowakische Vermittlung.

Die Beendigung der Ernte galt als Freudenfest, und war stark begleitet von Bräuchen und Glaubensvorstellungen. Die für sich erntende Familie veranstaltete nach Beendigung der Arbeiten kein besonderes Fest; bei ärmeren Bauern wurde der Abschluß der Getreidemahd nur gefeiert, wenn die Arbeit mit fremder Hilfe – die meistens auf Gegenseitigkeít beruhte – verrichtet worden war. In solchen Fällen war die Bewirtung während der Arbeit und auch zum Abschluß Pflicht des Hausherrn.

Der wohlhabende Bauer nahm zur Ernte Deputatarbeiter auf. Wenn er das erstemal hinausging, um die Arbeit zu besichtigen, umwickelten die Frauen und Mädchen seine Füße mit Stroh und ließen ihn erst frei, wenn er sich loskaufte, ihnen Wein oder Essen versprach. Versäumen durfte er das nicht, denn dann „zahlte sein Getreide schlecht“, das hieß: der Drusch fiel schlechter aus als erhofft. Bei Beendigung der Ernte ließ man einige Halme auf dem Feld liegen, damit Gewitter und Sturm der Saat im nächsten Jahr keinen Schaden zufügten.

Abb. 76. Zahl der Garben in den Getreidepuppen auf dem Stoppelfeld.

Abb. 76. Zahl der Garben in den Getreidepuppen auf dem Stoppelfeld.
20. Jahrhundert.
1. 7 Garben; 2. 9 Garben; 3.–10 Garben; 4.. 13.–15 Garben; 5. 17.–18 Garben; 6. 20.–21 Garben; 7. 22 Garben; B. 26.–30 Garben

Die Deputatschnitter ließen am letzten Erntetag absichtlich etwas Getreide auf dem Halm stehen, das erst am nächsten Morgen gemäht werden sollte. Aus diesen Ähren und aus Feldblumen banden die Mädchen einen kronen- oder glockenförmigen Kranz, den sie spiralförmig mit Bändern oder Strohgeflecht und Tafeln verzierten. Den Kranz trugen die Mädchen und Burschen, aber auch alle Erntearbeiter auf einem langen Stock unter lautem Gesang, manchmal gefolgt von Zigeunermusikern, auf den Hof des Gutsherrn oder Großbauern. Die Hausfrau spritzte einige Tropfen Wasser darüber, damit im nächsten Jahr die Ernte nicht brandig werde; inzwischen begrüßte der Anführer der Schnitter den Bauern in Versen. Der Kranz wurde auf den Hauptbalken über den Tisch gehängt, und darunter setzte man sich zum Mittag- oder Abendessen, wobei mit Wein nicht gespart wurde. Nun folgte der Schnitterball (aratóbál oder kepebál), der bis Mitternacht, oft auch bis zum Morgengrauen dauerte. Der Erntekranz wurde vielerorts {G-229.} bis Weihnachten aufbewahrt und dann den Vögeln überlassen; anderswo wurden die schönsten Kränze der Kirche oder der Kapelle gestiftet oder auch an ein Straßenkreuz gehängt.